Sonntag, 20. September 2009

Otmar Issing im Interview

Otmar Issing im Interview
Das Interview führte D.Selzer-McKenzie

Selzer-McKenzie:: Herr Issing, als ehemaliger Chefvolkswirt der Euro¬päischen Zentralbank haben Sie viel über Geldpolitik veröffentlicht. Wie wirkungsvoll ist die derzeitige expan-sive Geldpolitik?
Otmar Issing: In einer Krise wie der ge¬genwärtigen, wo die Preissteigerungs¬raten um die Nullgrenze herum liegen, verliert die Geldpolitik einen Teil ihrer Wirksamkeit, denn man kann die No¬tenbankzinsen nicht unter null senken. Aber es gibt Instrumente der mengen¬mäßigen expansiven Geldpolitik, des sogenannten Quantitative Easing, über den Ankauf von Vermögenstiteln. Da¬durch wird zusätzliches Geld in Umlauf gebracht. Auch wenn man den Erfolg nicht unmittelbar sieht, die Geldpolitik bleibt wirksam, aber sie hat Grenzen, das ist keine Frage.
Selzer-McKenzie Gibt es Al¬ternativen zu kreditfinanzierten staatli¬chen Konjunkturprogrammen?
Otmar Issing: Die gegenwärtige Krise verlangte den Einsatz aller expansiven In¬strumente sowohl der Geldpolitik als auch der Fiskalpolitik. Das ist der große Un¬terschied zu 1929, damals hat man viele
Fehler gemacht. In Deutschland hat man damals die Ausgaben gekürzt und die Steuern erhöht. Das war genau der fal¬sche Weg. Damit hat man die Wirtschaft in die Depression geführt. Doch die Welt hat aus diesen Fehlern gelernt und geht in dieser Krise einen anderen Weg. Und ich denke, man sieht ja, dass der Einsatz sowohl der Fis¬kal- als auch der Geldpolitik Wirkungen zeigt.
Selzer-McKenzie Die FED kauft derzeit US-Staatsanleihen auf. Ist das nicht gefährlich? Schließlich stellt sie so dem Staat eigentlich frisch ge¬drucktes Geld zur Verfügung.
Otmar Issing: Das ist naheliegenderwei¬se eine nicht unbedenkliche, aber unver¬meidliche Entwicklung. Der EZB ist es im Maastricht-Vertrag verboten worden, dem Staat Kredit zu geben. Das schließt auch aus, dass die EZB Staatsanleihen am Primärmarkt aufkauft. Sie könnte das am Sekundärmarkt tun, hat aber aus gu¬ten Gründen auf dieses Instrument ver¬zichtet. Eine Frage würde sich doch dann sofort stellen: Die Anleihen welcher der 16
den? Die EZB geht einen anderen Weg und kauft daher Wirtschaftstitel an, Hy¬potheken, Pfandbriefe.
Selzer-McKenzie Wird die Aufblähung der Geldmenge langfristig nicht zu einer hohen Inflation führen? Otmar Issing: Wenn es da¬bei bliebe, müsste man das befürchten. Die Notenbank¬bilanzen sind ja geradezu explodiert, haben sich ver¬vielfacht. Die Gegenseite ist eben diese immense Geldschöpfung. Es völlig klar, dass diese hohe Liquidität zum großen Teil wieder abgeschöpft werden muss, wenn die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt. Darüber herrscht Einigkeit unter allen Notenbanken.
Selzer-McKenzie Alan Green¬span wurde einmal sehr gefeiert als Notenbanker: Heute gilt er als der Mann, der durch seine Niedrigzinspo¬litik Blasen gezüchtet hat. Halten Sie diese Kritik für gerechtfertigt?
Otmar Issing: Alan Greenspan war der Notenbankpräsident schlechthin, er galt als der Guru der Geldpolitik. Er hat ohne Zweifel große Verdienste erworben. Er
steht aber auch für eine Geldpolitik, die die Zinsen über einen sehr langen Zeit¬raum auf einem niedrigen Niveau gehal¬ten hat. Das hat zweifellos nach 2003 zu der Blasenbildung an den Aktien- und Häusermärkten in den USA und weltweit beigetragen.
Selzer-McKenzie: Seit gut zwei Jahren ist diese Krise in aller Munde. Gibt es schon Lehren, die Notenbanker und wir alle daraus ziehen könnten? Otmar Issing: Es ist wichtig dass man die Krise auch als Chance begreift, es in Zukunft besser zu machen und eine neue Finanzarchitektur zu schaffen. Ich denke, niemand hat damit gerechnet, dass wir wieder einmal in eine Situation geraten, die man mit 1929 und den Folgejahren vergleicht. Jetzt muss man die richtigen Schlüsse ziehen, auch die Notenbanken müssen das tun. Ich denke, die Noten¬banken müssen einen neuen Konsens finden, der darin besteht, dass sie nicht den Anstieg der Vermögenspreise ein¬fach geschehen lassen nach dem Mot¬to: „Das ist nicht unsere Sache, nur wenn die Blase platzt, müssen wir Liquidität zur Verfügung stellen." Die EZB hat die¬se Auffassung übrigens nie geteilt und ist dafür heftig kritisiert worden. Ich persön-lich habe immer gesagt, dass Notenban¬ken die Entwicklung der Vermögensprei¬se ernst nehmen müssen. Wie man das am besten tut, darüber kann man strei¬ten. Aber man kann jetzt nicht mehr da¬rüber streiten, ob die Notenbanken die Entwicklung der Vermögenspreise, wenn es rasch und deutlich nach oben geht, in ihrer Geldpolitik mit berücksichtigen müs¬sen oder nicht.
Selzer-McKenzie: Die USA wandelten sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten von einer Gläubi-ger- zu einer Schuldnernation. Droht damit nicht der US-Dollar seinen Sta¬tus als Leitwährung zu verlieren?
Otmar Issing: China hat bereits in dieser Frage an der Tür gerüttelt und die führen¬de Rolle des US-Dollar in Frage gestellt. Das ist nicht überraschend. Man muss aber die Chinesen dafür auch nicht be¬dauern. Sie haben rund 2 Billionen US
Dollar an Wäh¬rungsreserven an¬gehäuft. Nicht zuletzt, um zu verhindern, dass ihre Währung rasch aufwertet. Das ist das Spiegelbild der Interventionen am Devi-senmarkt. Jetzt sind sie natürlich besorgt, dass ein Fallen des US-Dollar diese Ver¬mögenswerte deutlich verringern könnte.
Außerdem ist das ein politisches Machtspiel. China ist dabei, eine führen¬de Rolle in der Weltpolitik, auch in der Weltwirtschaftspolitik zu reklamieren. Dazu gehört dann auch, dass man die Führung des US-Dollar in Frage stellt und den Yuan, die eigene Währung, durch bi¬laterale Abkommen fördert. Aber ich den¬ke, wir werden auf absehbare Zeit mit ei¬nem US-Dollar leben, der die führende Rolle spielt, begleitet von einer wachsen¬den Rolle des Euro.
Selzer-McKenzie: Es besteht also eine Chance, dass vielleicht so¬gar der Euro die Leitwährung schlecht¬hin wird?
Otmar Issing: Schlechthin, das
denke ich nicht, das halte ich für übertrieben. Aber der Euro wird sich ne¬ben dem US-Dollar als zweitwichtigste Währung der Welt behaupten, er wird diese Rolle weiter ausbauen. Stabilität zu Hause, ein funktionierendes Finanz¬system, eine weitere Integration der eu¬ropäischen Finanzmärkte werden dafür sorgen, dass der Euro diese Rolle stär¬ker ausfüllt.
Selzer-McKenzie: Bei der Ein¬führung des Euro wurden Konvergenz¬kriterien für Preisstabilität und die Ver-schuldung der Länder festgelegt. Wer¬den diese Kriterien heute noch ernst genommen?
Otmar Issing: Sie müssen ernst genom¬men werden und sie werden auch ernst genommen. Als etwa Litauen in die Wäh¬rungsunion aufgenommen werden woll¬te, hat das Nichterfüllen wichtiger Kon
vergenzkriterien den Ausschlag dafür gegeben, dass diesem Ansinnen nicht stattgegeben wurde.
Selzer-McKenzie Für welche Länder innerhalb der Eurozone beste¬hen angesichts der divergenten Ent¬wicklung insbesondere der Inflation und der Löhne besondere Gefahren? Otmar Issing: Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Wenn man etwa die Ent-wicklung der Lohnstückkosten vergleicht, dann ist es bedenklich, dass es über Jah¬re hinweg die gleichen Länder waren, die stärkere Steigerungen der Lohnstückkos¬ten aufzuweisen hatten. Portugal, Spanien, Irland, Griechenland sind Beispiele dafür.
Da es in einer Währungsunion das In¬strument der Abwertung der eigenen Wäh¬rung nicht mehr gibt, da es keine eigene Währungspolitik mehr gibt, heißt das, dass man den Gürtel enger schnallen muss, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Das zeigen nicht zuletzt erhebliche Defizite in der Leistungsbilanz. Die sind nicht mehr so sichtbar, weil wir die gleiche Währung teilen, den Euro, sonst wären schon in der Vergangenheit größere Finanzierungspro¬bleme aufgetreten.
Selzer-McKenzie: Einige Län
der haben über ihre Verhältnisse ge
lebt und können sich damit einen sta
bilen Euro eigentlich nicht leisten. Ist
es möglich, dass diese Länder die Eu¬rozone verlassen?
Otmar Issing: Das sind Überlegungen, die immer wieder einmal auftauchen und auch von extremen Parteien vertre¬ten werden. Bei nüchterner Betrachtung wird sich sehr schnell zeigen, dass al¬lein schon die Idee, die Währungsuni¬on zu verlassen, gefährlich ist. Den Aus-tritt zu praktizieren käme ökonomischem Selbstmord gleich.
Selzer-McKenzie: Was würde eigentlich passieren, wenn in Italien Sil¬vio Berlusconi tatsächlich sagen wür¬de: „Okay, wir wollen den Ausstieg." Otmar Issing: Es würde sofort die Kre¬ditaufnahme für den Staat sehr viel teu¬rer. Es würde bedeuten, man führt wie¬der eine eigene Währung ein. Welcher Anleger in der Welt würde einer solchen Währung ver¬trauen? Die Anleger würden damit rechnen, dass diese Währung über kurz oder lang wieder abgewertet würde wie in der Vergangenheit. Dafür verlangen sie heute saftige Risikoprämien. Es käme also extrem teuer. Und es käme auch für die Wirtschaft sehr teuer. Für alle Kredi¬te, die in dieser Währung aufgenommen würden, müssten, nominal gerechnet, deutlich höhere Zinsen gezahlt werden.
Selzer-McKenzie: Was müssmüss¬ten dann Länder wie Italien und Grie¬chenland tun, um wieder konkurrenz-fähig zu werden?
Otmar Issing: Sie müssen dafür sor¬gen, dass die Produktivität steigt, dass die Lohnsteigerungen am besten für eine Weile sogar hinter der Produktivitätsent¬wicklung zurückbleiben, dass die Defi¬zite in den öffentlichen Haushalten nach der Krise deutlich zurückgefahren wer-den. Das sind die Mittel, die eingesetzt werden müssen.
Selzer-McKenzie: Halten sie es für möglich, dass demnächst weitere Länder zum Euroraum hinzukommen? Schweden vielleicht oder Island?
Otmar Issing: Also zwischen Island und dem Euroraum sehe ich sehr viel Was¬ser, um das mal so auszudrücken. Die Länder, die prädestiniert wären, dem Euro beizutre-ten, Dänemark oder Schwe¬den, haben aus politischen Gründen — Referenden sind entsprechend ausgegangen — dagegen gestimmt. Andere Länder, die lieber gestern als heute oder morgen beitre¬ten würden, müssen daran arbeiten, die Konvergenzkriterien zu erfüllen. Eines hat sich in der Krise gezeigt: Unter dem Dach des Euro lebt man sicherer als ne¬ben dem Gebäude
Selzer-McKenzie: Herr Issing, wir danken Ihnen für dieses Gespräch





Zur Person:
Otmar Issing, Jahrgang 1936, war zuletzt acht Jahre lang Chefvolkswirt und Direk¬toriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Nach einem Studium der Volkswirt-schaftslehre machte er zunächst eine akademische Karriere, wurde Direktor des Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Erlangen und wechselte 1973 auf den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Geld und Internationa¬le Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Würzburg. Von 1988 bis 1990 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Aus diesem Gremium schied er im September 1990 aus, als er ins Di¬rektorium der Deutschen Bundesbank berufen wurde, wo er die Position des Chef¬volkswirts übernahm. Als Vorsitzender einer Expertengruppe hat Issing im Auftrag der Bundesregierung in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise Vorschläge für eine Reform der internationalen Finanzmärkte erarbeitet.

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