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Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Wenn Maria Campanella für jemanden den bösen Blick
austreiben möchte, braucht sie genau drei Dinge: Oliven-öl, einen Löffel und
einen Teller mit Wasser. Drei Tropfen Öl träufelt sie ins Wasser, dann
konzentriert sie sich und betet — gegen das Böse und gegen alles, was man mit Lo¬gik
und nüchternem Weltverständnis nicht fassen kann. Die fast zahnlose 95-Jährige
mit der geblümten Kittel-schürze bekommt oft Besuch in ihrer kleinen Wohnung,
die vollgestopft ist mit Heiligenbildchen, Rosenkränzen und Jesusfiguren. Jeder
in der Gegend kennt die alte Frau mit der besonderen Gabe. „Ich bin die Oma
Maria für alle!'" sagt sie stolz. Maria Campanella kann aus dem Fenster
das Meer sehen, das Adriatische Meer, sie lebt in Fasano in der Provinz
Brindisi — mitten in der Terra di Bari in Apulien. Das ist dort, wo Italien
fast schon wieder auf-hört: ganz unten, ganz hinTbn, am Stiefelabsatz. Eine
erz-katholische Region, aus der Padre Pio, der berühmteste Volksheilige des
Landes, stammt. Eine Gegend, in der je-der Zweite mindestens einmal in der Woche
in die Kirche
Glaube
und Aberglaube: In Apulien geht jeder Zweite mindestens einmal pro Woche in die
Kirche, um zu beten. Zum Beispiel für einen guten Fang
geht.
Glauben und Aberglauben regieren den Alltag. Kein Pugliese würde eine Handtasche
oder einen Hut aufs Bett legen oder einen Salzstreuer weiterreichen, ohne ihn
vorher auf dem Tisch abzustellen — weil das Unglück bringt. Ein echter Pugliese
ist jemand, der mit sieben Jahren Pech rechnet, wenn ihm eine Flasche mit
Olivenöl herunterfällt.
Toskanischer
als die Toskana
Man könnte Apulien und Menschen wie Maria Campa-nella
rückständig nennen. Man könnte aber auch sagen: Dieser Landstrich ist
authentischer als jeder andere des Landes. Seine Bewohner sind freundlich und
herzlich und auf den Tisch kommt häufig und gerne Pasta, vor allem die
apulischen Orecchiette, die „Öhrchen" Der Großteil des italienischen
Olivenöls entsteht in Apulien, hier wachsen die ältesten Olivenbäume, tausend
Jahre alte, verknorpelte Stämme, die einiges zu erzählen hät¬ten, könnten sie
sprechen. In der Stadt Gravina in Puglia wurde 2009 die Komödie „Maria, ihm
schmeckt's nicht" über eine uritalienische Sippe gedreht, und in manchem
Werbespot, der scheinbar in der Toskana spielt, sieht man eigentlich Apulien.
Der Stiefelabsatz ist so italie-nisch, wie viele Italienbesucher es von Italien
erwarten. In der Terra di Bari, zwischen dem Fluss Ofanto im Nor-den und der
Küstenstadt Fasano im Süden, steigt die Zahl der bezauberten Besucher in den
letzten Jahren deshalb immer weiter. Viele möchten in einem apuli-schen Trullo
wohnen, einem der traditionellen Hirtenhäu-ser aus Natursteinen. Gebaut wurden
sie ursprünglich
In
kaum einem Haushalt gibt es kein Kreuz und kein Bild des Volksheiligen Padre
Pio. Selbst in öffentlichenTorbögen wachen kleine Altäre über das Leben
für arme Leute, heute reißen sich Italiener wie Besu¬cher um
sie. Vor allem in Alberobello stehen sie so dicht, dass man fast das Gefühl
hat, durch Schlumpf¬hausen zu laufen.
Eine Region lebt auf
Nicht weniger typisch, dafür um einiges imposanter sind die
Masserien entlang der Küste, traditionelle Gutshöfe, Hunderte von Jahren alt.
Viele von ihnen ha¬ben hohe Wachtürme, da die Gehöfte einst als Beob¬achtungs-
und Verteidigungsposten gegen Eroberer genutzt wurden. Apulien, geografisch
eine Drehscheibe zwischen Nord und Süd, war immer umkämpft: Die Griechen
wollten es genauso erobern wie die Römer, die Sarazenen, die Türken, die
Bourbonen und die By¬zantiner. Bis vor wenigen Jahren verfielen die alten
Gutshöfe, doch inzwischen wurden viele von ihnen in Restaurants und Hotels
umgewandelt. Vor allem seit Nichi Vendola hat sich Apulien verändert. Seit 2005
ist der gläubige Katholik und bekennende Homosexuelle Präsident der Region. Der
1952 in Bari geborene Links¬intellektuelle hat es geschafft, die starke
Abwanderung aufzuhalten und das Image Apuliens aufzupolieren —
von einem rückständigen, von der Mafia regierten Rand¬gebiet
zu einem aufstrebenden Landstrich, der auf Um¬weltschutz, Nachhaltigkeit und
Mülltrennung setzt, gleichzeitig aber auch Traditionen hochhält. Dass viele in
Apulien eine korrupte Vergangenheit haben, ist unter Einheimischen bekannt.
Gesprochen wird darüber je¬doch kaum. Die Besitzer des Fischrestaurants „2
Mari" in Savelletri zum Beispiel waren früher, so wird hinter
vorgehaltener Hand gemunkelt, in Zigarettenschmuggel — und Schlimmeres —
verwickelt. Ihr Restaurant ist ein quadratisches Gebäude aus Glas und dunklem
Holz im Stil des Luxus-Motorbootherstellers Riva, bestellen kann man hier
ausschließlich rohen Fisch, Weißwein und Prosecco. Wenn man unter den weißen
Sonnen¬schirmen sitzt, das blaue Meer und die grünen Palmen vor sich, möchte
man sich aber lieber nicht mit der Ver¬gangenheit des Besitzers Vito Sabatelli
und seinen Brü¬dern beschäftigen. Sondern Apulien und seine Lebens
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