Ningaloo Reef Australia Reise Travel SelMcKenzie
Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
4 Hier am Ende
der Welt wohnen nur noch Landschaft, Himmel und wilde Natur. Hier ist ein Ort
für ein Rendezvous mit der Einsamkeit. Wer vor Sonnenaufgang erwacht, die
Zeltplane öffnet und mit ein wenig Schlaf in den Augen nach draußen späht,
sieht unterm bleichen Licht des vollen Monds keine Menschenseele. Dafür aber Schatten,
die aus den von rotem Fels eingerahmten Schluchten des Hinterlands kommen und
nun durch das Sandmeer der Dünen hoppeln. „Gespenster", die nicht heulen,
sondern knabbern und schmatzen: Es sind Kän-gurus, die sich an frischem Grün
laben — früh am Morgen, wenn noch Tau in den Gräsern hängt. Barfuß spaziert man
die paar Meter zum Strand, fühlt das warme Wasser an den Zehen, schaut
einge-hüllt in eine Decke hinaus aufs Meer. Ein neuer Morgen bricht an: Wolken
erröten, Vögel zwitschern. Wellen brechen am Riff, und im ersten Licht des
Tages sieht man am Horizont Buckelwale springen. Für Eltern und Jungtiere ist
das ganze weite Meer ein Abenteuerspielplatz.
Das andere Australien
Man startet nicht in den angesagten Städten Sydney oder
Melbourne in Richtung Ningaloo Reef, auch nicht in Brisbane mit seinem Great
Barrier Reef oder Adelaide mit seinen europäisch anmutenden Wein-anbaugebieten.
Eine Reise in das andere, von Besuchern aus Übersee eher selten besuchte
Aus-tralien beginnt in Perth, der kosmopolitischen Hauptstadt von Western
Australia. Hier ist der „Wilde
Weste 1,3
der 1,8 Millionen
Einwohner des Bundesstaates leben in der Metro¬pole. Der
Rest verliert sich auf einer Fläche von 2,5 Millionen Quadratkilometern. Das
ist so groß wie Westeuropa. An der 12.000 Kilometer langen Küste gibt es für
jeden Surfer die eigene, perfekte Welle, die
Es wird Abend in der Lodge „Sal Salis", der einzigen
Unterkunft im Cape Range Nationalpark.
aus dem weiten Indischen Ozean heranrollt. Und in 99
Nationalparks finden Naturliebhaber zu jeder Jahreszeit ihren abgeschiedenen
Platz. Perth selbst ist eine lebenswerte, aber angenehm unaufgeregte Stadt. Sie
nimmt für sich in Anspruch, mehr Sonne abzubekommen als jede andere
australische Metro-pole. Selbst die Winter sind hier eher mild als kühl. Und im
Sommer sorgt ein Klima wie am Mittelmeer
für heiße Tage und Nächte, in denen die Straßen-eaf&
selbst um Mitternacht noch vor Betriebsamkeit summen wie ein Bienenstock.
Nichts gegen Perth, nichts gegen das charmante
Nachbarstädtchen Freemantle, wo man die Weine Westaustraliens am besten mit
Blick auf den Hafen genießt. Doch wir sind nicht ausgezogen, um Städte zu
erkunden, sondern wünschen uns für diese Tour die große Weite. Letztere Orte
sind selten geworden. So sucht man auf Reisen um so begieriger nach ihnen und
findet Einkehr in der wasserlosen Wüste oder in der Abgeschiedenheit der Berge.
In Austra¬lien, in der scheinbaren Leere des Outback, ist die Natur im
Großformat erlebbar. Nichts lenkt einen von ihrem Studium ab.
Auf also in Richtung Norden, den Indischen Ozean immer im
Blick, vorbei an den von unsichtbarer Hand aufgestellten Kalksteinsäulen im
„Pinnacles Desert" und den Delfinen von Monkey Mia, die hier zum
Menschenschauen an den Strand kommen. Nach 1200 langen Kilometern auf dem
Highway 1, über den in schöner Regelmäßigkeit die Kängurus hoppeln (es soll in
Australien doppelt so viele geben wie Menschen, etwa 40 Millionen), ist das
Ziel er-reicht: der Cape Range Nationalpark an Land und der Ningaloo Marine
Park im Wasser. Im Juni ver-gangenen Jahres hat die Unesco das Areal, das
außerhalb Autraliens zuvor nur Eingeweihte kann-ten, zum Weltnaturerbe erklärt.
„Das Riff ist eines der größten der Erde und unglaublich artenreich. Wir haben
500 Fischarten gezählt, kennen 300 Spezies an Korallen und 600 verschiedene
Mollus¬ken", sagt Jamie Campbell, der im Ningaloo MarinePark für die
Besucherbetreuung verantwortlich ist. „Anders als beim Great Barrier Reef, das
man nur mit dem Schiff erkunden kann, liegt unser Riff di¬rekt an der Küste.
Mal sind es 100 Meter, mal nur 50 — man schwimmt einfach vom Strand aus los und
ist mittendrin."
Nichts als Natur
Im Naturschutzgebiet gibt es nur wenige Stellplätze für
Camper und eine einzige Unterkunft. „In Afrika wollen Besucher bei einer Safari
der Natur so nah wie möglich kommen. Wir haben dieses Konzept auf Australien
übertragen", sagt Charles Carlow, Betrei¬ber von „Sal Salis"
(www.salsalis.com, Infos bei Art of Travel, Telefon 089/2110760). Inmitten der
Dü¬nen hat er auf hölzernen Plattformen neun Zelte aufgestellt. Telefon und
Fernseher gibt es nicht, das Wasser ist rationiert. Den Strom liefern
Solarzellen. Doch Luxus kann eben auch heißen, gut zu essen, zu trinken und zu
schlafen und dass um einen he¬rum nichts als Natur ist. Und nachts spannt sich
über dem Camp, von keiner Lichtverschmutzung getrübt, ein Sternenhimmel wie
eine galaktische Diamantenkollektion.
Man kann mit Naturführern von Sal Salis durch die Schluchten
des Nationalparks stapfen, Vögel beob-achten und nach Spuren der Aborigines
suchen, die hier schon vor 30.000 Jahren in den Höhlen Unter-schlupf fanden.
Die meisten Besucher kommen in
des, um im ganzjährig warmen Wasser zu schnor-cheln und zu
tauchen. Sie wollen auch den größten Fisch der Welt, den Walhai, aus nächster
Nähe se¬hen. Zwischen Mai und Juli machen die bis zu 18 Meter langen Tiere bei
ihrer Wanderung durch die Ozeane im Westen Australiens Station, um sich den
Magen mit Plankton vollzuschlagen. „Die Re¬gularien sind streng, damit die
Tiere nicht von Booten gestört werden und auch im nächsten Jahr
wiederkommen", erklärt Charles Carlow. Mit Tau¬cherbrille und Schnorchel
ausgestattet fährt man im Tender bis auf 30 Meter an die Tiere heran und
gleitet dann ins Wasser. Mit nur noch drei Metern Abstand darf man die Giganten
dann auf ihrer Reise begleiten, bis einem über kurz oder lang die Puste
ausgeht. Die Walhaie mit ihren charakteristischen graublauen Flecken auf dem
weißen Rücken sind nämlich bei Weitem die besseren Schwimmer.
Weiter im Norden, in Broome, gab es früher Männer, deren
Zuhause ebenfalls das Meer war: Die Siedlung war einst Hauptstadt der
Perlentaucher. Glücksritter aus aller Welt kamen vor 130 Jahren, um hier mit
Neptuns Murmeln und dem silbrigen Perlmutt das große Geld zu machen oder
zumindest darauf zu hoffen. Das ist lange vorbei. Inzwischen helfen
Perlenfarmen Mutter Natur auf die Sprünge. Heute kommen Besucher, weil es sich
zwischen rotem Sand und türkisblauem Meer so angenehm ent¬spannen lässt. Am 22
Kilometer langen Cable Beach trifft sich am Wochenende das halbe Städtchen und
packt für ein „barbie" Grill und Steaks aus dem
Geländewagen. Und weil einst Kamele aus dem fer-nen Afghanistan im trockenen
Hinterland dafür sorgten, dass Eisenbahnlinien und Straßen gebaut werden
konnten, sind ihre Ur-Ur-Urenkel immer noch hier. Sie spazieren schaukelnd
abends zu Sonnenuntergang am Meer entlang, fotografierende Touristen auf dem
Rücken.
Chili- und Mangobier
„Broome markiert das Ende der Welt, die Zivilisation ist zu
Ende: Nach uns kommt nur noch das Outback. Und genau deshalb bin ich hier. Weil
ich ins echte Australien wollte und mir die Städte an der Ostküste viel zu
modern waren", sagt Marcus Müller und schmunzelt. Der 42-jährige Kölner,
aufgewach¬sen gegenüber einer Brauerei, hat die Liebe zum Bier zum Beruf
gemacht. Er steht in der Mikro-Brauerei „Matsos" am Kessel und produziert
das obergärige „Pale Ale", aber auch ein belgisches Wei¬zen mit Kardamom-Samen,
ein dunkles Lager sowie Chili- und Mangobier. 100 Jahre alt ist der Trading
Store, in dem er Tag für Tag Hopfen und Malz an¬rührt — für Australien eine
Ewigkeit. Wenn es nach Marcus Müller geht, dann bleibt er noch eine Weile.
„Hier ist er, der Wilde Westen, nach dem ich mich so gesehnt habe." Auch
im 21. Jahrhundert kann man sich in Australien also noch als Pionier und
Entdecker fühlen.
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