Baku Azerbaijan Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
4 Es war
einmal ein Ort, den die Perser „bad kube" nannten — „Stadt der
Winde". Die Wellen des Kaspischen Meers brandeten an ihre Befestigungen.
Es war ein wildes „Land des Feuers", wo die Erde Flammen ausatmete,
weshalb man ihr in Tempeln huldigte. Händler, unterwegs auf der Seidenstraße,
genossen hier den Schutz des Schahs, der in einem prächtigen Palast residierte.
Karawansereien gab es, Dampfbäder, Moscheen und ei¬nen Jungfrauenturm: Von dem
soll sich einst eine Prinzessin ins Wasser gestürzt haben, um einer
arrangier¬ten Ehe zu entgehen. So klingen die alten Märchen wie Geschichten aus
1001 Nacht. Und mit ein wenig Fan¬tasie spürt man in den verwinkelten Gassen
der Altstadt Bakus, Unesco-Welt¬kulturerbe, noch einen Hauch dieser vergangenen
Zeit.
Märchenkulisse
Jenseits des herausgeputzten histori¬schen Zentrums mit
seinen Teppich¬händlern und Teeverkäufern, den alter¬tümlichen Hammaras und den
Her¬bergen, die seit gut 500 Jahren existie¬ren, baut man in der alten „Stadt
der Winde" an einer neuen Märchenku¬lisse. Schon vor mehr als 100 Jahren
ließen sich Ölbarone, Banker und vermögende Kaufleute hier prächtige Villen
errichten und importierten ih¬ren bevorzugten Baustil — mal Gotik, mal Barock.
Baku, die ehemalige Wüstenstadt, er
In Baku allgegenwärtig: Ex-Staatspräsident Heydar Aliyev.
grünte mit Erde aus dem Westen: Öltanker wurden mit
Strafzöllen belegt, wenn sie auf dem Rückweg von den Häfen Europas keine
fruchtbare Erde mit¬brachten. Im Boom des Fin de sikle baute die
Gründerzeit-Society gar ein prunkvolles Casino an die historische Stadtmauer.
Vorbild war der impo¬sante Bau von Charles Garnier in Monte Carlo. Inzwischen
dient das alte Casino, prächtig restauriert, als Philharmonie. Denn jetzt, im
21. Jahrhundert, befeuern die Einnahmen aus den Ölquellen vor den Toren
der Stadt erneut einen Rausch.
„Baku verändert sich rasend schnell. Quasi über Nacht baut
man Wolkenkratzer. Aserbaidschan hat gerade seine Bewerbung für die Olympischen
Spiele 2020 abgege¬ben. Und auf einer künstlichen
Inselkette im Kaspischen Meer soll
nun sogar das höchste Gebäude
der Welt entstehen", freut sich
Orkhan Alakbarov. Der Director of
Rooms arbeitet für die amerikani
sche Hotelkette Hyatt, die 1995 als
Pionier das erste Fünf-Sterne
Hotel in Aserbaidschan eröffnete
und später mit einem weiteren Haus nachlegte
(www.baku.hyatt.com). Inzwischen wollen in Baku alle großen Hotelketten
vertreten sein: Sheraton, Hilton und Kempinski haben schon er¬öffnet, Four
Seasons und Marriott star¬ten in diesem Monat.
Baku .boomt. Das sieht man an den Luxus-Boutiquen, die sich
in den präch-Gründerzeitbauten niederlassen. weil jetzt der Eurovision Song
Contest (ESC) ansteht und ganz Europa auf die Metropole am Kaspischen Meer
blicken wird, lässt die Regierung die Stadt nun aufhübschen. Tausende
von Scheinwerfern beleuchten nachts die Gebäude an den
wichtigsten Boulevards. Und wenn die Häu¬ser trotzdem zu sehr nach Sowjetunion
aussehen, kleben eben Handwerker schnell eine Portion Sandstein auf die
Fassaden — natürlich nur auf den der Straße zugewandten Seiten. Potemkinsche
Dörfer mitten in der Stadt.
Das echte Baku findet man als Besucher trotzdem. In
verrauchten Bars rockt der halbe Kaukasus — das Nachtleben der Stadt ist
legendär. „Aserbaidschan ist eine Republik. Wir haben zwar den Iran als
Nachbarn und sind Moslems. Gefeiert wird hier trotzdem", sagt ein Mädchen
im Minirock. Und morgens, nach einer durchwachten Nacht, muss niemand Wodka und
Schafskopf-Suppe frühstücken (eine lokale Spezialität). Auf den Basaren der
Stadt gibt es auch weniger fettige Alternativen. Die Society trifft sich
inzwischen ohnehin beim Brunch.
Helden der Vergangenheit
Am Kaspischen Meer verehrt man nicht nur die Helden von
heute, zum Beispiel das Duo EH &
die Gewinner des ESC 2011. Sondern auch (und vor allem
ziemlich unkritisch) die Helden der Vergan¬genheit. Für Teilnehmer des ESC und
Fans, die mit ihnen nach Baku reisen, wird der Weg zum Ruhm vom
Heydar-Aliyev-Flughafen über die Heydar¬Aliyev-Avenue führen, vorbei am gerade
neu entste-henden Heydar-Aliyev-Kulturzentrum (der Heydar¬Aliyev-Park mit
Statue liegt nicht auf der Strecke) zum Bulvar, der grünen Uferpromenade. Warum
diese nicht den Namen des Ex-KGB-Kaders, Ex¬Politbüro-Mitglieds und (nach
seiner schnellen Abkehr vom Kommunismus) auch ersten Präsi-denten der neu
ausgerufenen Republik Aserbai¬dschan trägt, bleibt unklar. Der im Land
allerorts auf Plakaten, Postern, Plaketten und Monumenten als weitsichtiger
Führer gepriesene Heydar Aliyev ernannte vor seinem Tod Sohn Ilham zum
Ministerpräsidenten; dieser wurde dann flugs sein Nachfolger im Präsidentenamt.
Menschenrechtler werfen dem autokratischen Re-gime die
Gängelung der Medien vor, verweisen auf politische Gefangene und beklagen die
Einschrän¬kung der Versammlungsfreiheit. Anlässlich des ESC wollen sie unter
dem Motto „Sing for Democracy" ein weiteres Musikfestival organisieren —
für Ein-heimische und Touristen. „Ich bin stolz, dass Aser-baidschan im
vergangenen Jahr den ESC gewonnen hat, und freue mich auf den Wettbewerb.
Niemand hier fordert einen Boykott des Eurovision Song Contest. Wir hoffen
aber, dass Touristen nicht nur die schönen Seiten Bakus mit seinen
Glitzer-Fassaden kennenlernen. Sie sollen auch über die Probleme des Landes
Bescheid wissen", sagt Rasul Cafarov, ein 27-jähriger Jurist. Inzwischen
unter¬stützen 27 lokale Organisationen die Initiative, die unter anderem den
Abriss von Wohnhäusern doku¬mentiert, mit dem Platz geschaffen werden soll für
neue Straßen und Gebäude
16.000 Fans werden laut Europäischer Rundfunk-union das
Halbfinale (22. Mai und 24. Mai) und Finale (26. Mai) des Sänger-Wettstreits
bejubeln
Gepflegte Athmosphäre: Chinar heißt dieses schicke
Lounge-Restaurant im Herzen der Metropole.
können — in der Arena „Crystal Hall", die gerade am
Ende der Bucht von Baku gebaut wird. Viele mehr werden auf der Straße feiern.
Die aserbaidscha¬nische Regierung hat deswegen die Einreise¬bestimmungen
gelockert.
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