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Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
4 Der Weg
scheint direkt in den Himmel zu führen. Steil schraubt sich die Straße nach
oben, so steil, dass einem fast angst und bang wird. Der alte Kai¬serj ägerweg
dient noch immer als Hauptver-bindungsstraße, wenn man das lärmende Trient
hinter sich gelassen hat. Ein Teil des Wegs ist ausge-baut, einige Abschnitte
sind es allerdings nicht. Die Felstunnel sind so schmal, dass das Auto gerade
so hindurchpasst. Wieder draußen, schmiegt sich die
Straße immer enger an die Bergwände, die steil ab-fallen.
Dass hier oben noch ein Dorf liegt, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Ist es aber nicht. Nach 30 Minuten bergauf öffnet sich die
Hochebene von Lavarone. Schon taucht die „untar Millegruam" auf, die
„untere Milchgruben-alm". Gleich danach, am äußersten Zipfel der Hochebene
und umgeben von Wald, Wiesen und Felsen, liegt Lusern. „Bohlkhent ats
Lusdrn", sagt Luigi Nicolussi Castellan. „Willkommen in Lusern." Der
Ex-Bürgermeister ist heute Präsident des Doku-mentationszentrums der kleinen
Gemeinde. Kein anderer setzt sich derzeit für den Erhalt des
Alt-Bayerischen und seiner Kultur so sehr ein wie er. 300
Menschen leben derzeit in Lusern, ihrer „Huamat". Zur Sonne sagen sie
„sunn", Kühe sind „küha", „bettar" heißt Wetter und „khopf"
ist der Kopf. Als Nicolussi kurz mit seiner Frau telefoniert, kann man ihn
verstehen: Er hat ihr gerade gesagt, dass er Gäste aus Bayern hat und heute später
kommt. Nicolussi lächelt charmant. Das Zimbrische ist eine Mischung aus
Bayerisch und Italienisch und
hat eine sehr schöne Sprachmelodie. Wer es lernen will, hat
gute Chancen: Es gibt Wörter- und Gram-matikbücher. Natürlich sprechen die
Menschen in Lusern nicht mehr exakt jene Sprache, die ihre Vorfahren vor rund
1000 Jahren aus Oberbayern mitbrachten. Fakt ist, dass Sprachforscher das
mit-telhochdeutsche Bayerisch im zimbrischen Dialekt nachweisen können.
Vermutlich war es eine Hungersnot infolge einer großen
Dürre, die um das Jahr 1050 Familien aus der Nähe des Klosters Benediktbeuem
nach Nord¬italien trieb. Der Abt unterhielt freundschaftliche Verbindungen zu
einem Kloster in Verona. Die
Bayern fanden rasch Arbeit. Eine Theorie ist, dass sich das
Wort „Zimbern" von „Zimmerer" ableitet. Die „Zuagroastn" lebten
sich rasch ein und arbeite¬ten fleißig. Zuerst siedelten sie in Regionen im
heu¬tigen Nationalpark Lessinia, unter anderem in den sogenannten Dreizehn
Gemeinden (Tredici Com-muni). Ab dem 13. Jahrhundert ist ihre Gemein-schaft in
Lusern nachgewiesen. „Das Zimbrische hat sich hier am besten erhalten. Das
liegt an der jahr
hundertelangen Isolation, aber auch am Stolz der
Menschen", sagt der Sprach- und Kulturforscher Dr. Christian Prezzi.
Viele Bräuche haben so überlebt. Die Zimbern pfle-gen
Dreikönigs-Traditionen wie in Oberbayern, auch Johannifeuer werden entzündet
und der Brauch der St.-Leonhards-Verehrung ist wichtig. An Ostern färben Kinder
Eier und die Familie trifft sich zu einem lustigen Spiel: „Die Erwachsenen versu¬chen,
kleine Münzen auf die Eier zu werfen, die dann obenauf liegen bleiben
müssen", sagt Luigi Nicolussi Castellan. „Das ist gar nicht so
einfach." Schafft man es nicht, bekommen die Kinder ein
bisschen Geld pro Ei, etwa 50 Cent. „Das muss man vorher
aushandeln", sagt der Altbürgermeister mit einem spitzbübischen Lächeln.
Schafft man es aber, dass die Münze liegen bleibt, darf der, der geworfen hat,
das Ei behalten.
Schule für Handarbeiten
Die Gemeinschaft von Lusern ist heute alles andere als
isoliert. Gleich am Ortseingang erwartet die Besucher das große
Dokumentationszentrum, das die Geschichte der Zimbern erklärt. Noch vor 200
Jahren sollen rund 20.000 Menschen Zimbrisch ge-sprochen haben. Dank
Fördermitteln von der EU für Völker mit bedrohten Sprachen kann man hier auf
vier Stockwerken erfahren, wie sich das Leben der Zimbern in den vergangenen
Jahrhunderten abge-spielt hat. Überregional bekannt waren die Frauen früher vor
allem durch ihre kunstvollen Klöppel-spitzen (Zimbrisch: „gekhnöpplate Spitz"),
die sie bis nach Wien verkauften. 1882 wurde sogar eine ei-gene Schule für
diese Handarbeiten in Lusem ge-gründet. Ein paar Meter entfernt vom
Dokumen-tationszentrum steht mitten im Dorfkern das „Haus
Das Dokumentationszentrum von Lusern bringt Besuchern die
Geschichte der Zimbern näher.
von Prükk". In dem steinernen Gebäude aus dem 18.
Jahrhundert sieht man eine alte Bauernstube samt Schlafzimmer- und
Kücheneinrichtung. Alte Tassen und Teller hängen an den Wänden, auf dem Tisch
wird eine Mahlzeit nachgestellt. Unter dem Haus liegt der kleine, niedrige
Stall.
Beim Rundgang wird schnell klar: Leicht hatten es die
Menschen in Lusern nie. Für die Italiener waren sie jahrhundertelang „die
Deutschen", folglich mussten sie zeitweise mit Repressalien leben. „Die
Katholische Kirche hatte große Angst, dass sich die Lehren Luthers durchsetzen
könnten. Deshalb ha¬ben sie in Lusern viele Jahre lang nur italienische Pfarrer
eingesetzt", weiß Luigi Nicolussi Castellan. „Den Kindern haben sie
gedroht: Wenn ihr weiter eure Sprache sprecht, kommt ihr in die Hölle."
Aber die Menschen in Lusern waren zäh und hartnäckig. 80 Prozent der Kinder
gingen weiterhin auf die deut¬sche Schule.
Festung in Lusern
Das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Lusern ist der
Erste Weltkrieg. Auf der Hochebene von Lavarone verlief die Verteidigungslinie
zwischen Österreich-Ungarn und dem Königreich Italien. Im Kriegswahn wurden
gigantische Festungen gebaut, die seinerzeit als größte technische
Errungenschaf¬ten gefeiert wurden und riesige Munitionslager be¬saßen. Die
Festung in Lusern ist heute ein Symbol für die Härte und Grausamkeit jener
Jahre. Die Kämpfe dort zählen zu den blutigsten des Ersten Weltkriegs. Tausende
„Alpini", also Kämpfer im Ge¬birge, ließen auf der Hochebene ihr Leben.
Wer noch konnte, flüchtete aus Lusern.
Dann begann die Zeit der Rückkehr. Der Frieden sollte aber
nicht lange währen, und nach dem Zweiten Weltkrieg war die Bevölkerung in
Lusern
Geburtenzahl wieder." Im vergangenen Jahr kamen drei
neue Erdenbürger hinzu, für den Altbürger¬meister „ein Geschenk des
Himmels". Mittlerweile gibt es eine Grundschule mit 13 Kindern. Im
Mini-Kindergarten werden fünf Zwergerl betreut. „Wir brauchen diesen Service
für Familien", sagt der Altbürgermeister. Zudem haben die Eltern einen
Schulbus-Dienst nach Trient organisiert.
Dafür, dass sie zweisprachig aufwachsen, müssen sich die
Kinder heute nicht mehr schämen. Zimbrisch ist exotisch, außergewöhnlich und
fast schon ein bisschen Kult. Mittlerweile gibt es Kinder¬bücher auf Zimbrisch,
die Schulklassen gestaltet ha¬ben. In „Vichar boda seng hoatar" („Tiere,
die wis¬sen, was sie wollen") geht es um sprechende Tiere auf einer Alm,
denen die Touristen und der Auto¬lärm zu viel werden. Kurzerhand lassen sie
sich et¬was einfallen. Der Text wird in drei Sprachen ge¬druckt: auf Zimbrisch,
Deutsch und Italienisch. Auch für Erwachsene tut sich etwas: In einer
Regionalzeitung erscheint zweimal im Monat eine Seite auf Zimbrisch.
Attraktiv für Touristen
„Unser Dorf hat Zukunft", sagt Nicolussi. Vor kur¬zem
hat er die Vorverträge für die Ansiedelung einer Speck-Firma unterzeichnet, was
für Lusern sechs, sieben neue Arbeitsplätze bedeutet. Am wichtigsten ist aber
nach wie vor der Tourismus: Durch die Museen kommen laut Nicolussi jedes Jahr
rund 12.000 Interessierte, vor allem aus Bayern und Ös¬terreich. Um attraktiv
zu bleiben, werden ständig Sonderausstellungen auf die Beine gestellt zu
The¬men wie Spielzeug, Trachten und Krippen. Wann immer es möglich ist,
empfängt und führt Nicolussi die Besuchergruppen und sagt dann: „I griasas alle
mi gänz hertz", also: „Ich grüße alle von ganzem
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