Mittwoch, 10. Februar 2010

Göltzschtalbrücke Natur Reise Travel SelMcKenzie Selzer-McKenzie

Göltzschtalbrücke
Author D.Selzer-McKenzie
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=sbHTSGTmd_s
Von Innovation und Weitsicht war vor mehr als 150 Jahren der Bau der Göltzschtalbrücke im sächsischen Vogt¬land geprägt. Nach wie vor rollt der Bahnver¬kehr darüber.
Geschont wird sie nicht, die Altehr¬würdige. Südwestwärts fahren die Personenzüge von 4.05 Uhr bis
0.06 Uhr in Richtung Plauen, nordost-wärts in Richtung Zwickau kommen sie zwischen 4.50 Uhr und 23.32 Uhr in regel-mäßigen Abständen vorbei. Auf ihrem Weg durchs Vogtland überqueren sie fahr-planmäßig zwischen Reichenbach und Netzschkau ein „Wahrzeichen der Inge-nieurbaukunst" (als solches ausgezeichnet von der Bundesingenieurkammer im Juni 2009): die Göltzschtalbrücke, die bis heu¬te größte Ziegelbrücke und — ganz subjek¬tiv — eine der schönsten Brücken der Welt.
Die Region ist sich ihres Kleinods bewusst und nutzt es gezielt als touristi-sche Attraktion. Auf den Internetseiten des Fremdenverkehrsvereins „Nördliches Vogtland" findet sich sogar ein (bedauerli
Vieles sahen die Ingenieure damals schon voraus, nur die Notwendigkeit von Strommasten nicht.
cherweise noch nicht aktualisierter) Brü¬ckenfahrplan, begleitet von freundlichen Wünschen: „Wir hoffen, die Züge kom¬men pünktlich, und wünschen gute Foto¬motive." Das klingt ein wenig nach Natur¬museum. Doch davon ist die Göltzschtal¬brücke weit entfernt.
_ Erbaut von 1846 bis 1851, wird die zweigleisige Eisenbahnbrücke noch heu-te in beiden Richtungen gleichzeitig be-fahren, in fernerer Zukunft wohl auch mit ICE-Zügen. Das beweist nicht nur die ungeheure Stabilität des 158 Jahre alten Bauwerks, sondern auch die Weitsicht seiner Erbauer. „Gegenüber dem Stand zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Breiten und die Tonnagen der Lokomoti¬ven und Waggons gewaltig gestiegen. Die Ingenieure, die diese Brücke konstruier¬ten, sahen diese Entwicklung schon vor¬aus und begründeten damit ausdrücklich die damals noch nicht notwendigen Di-mensionen", bewundert Jürgen Stritzke, Professor für Massivbrückenbau an der Technischen Universität Dresden, die Vorstellungskraft seiner historischen Vor¬gänger.
Selbst den Sprung in die bahntechni-sche Moderne soll die Brücke noch schaf¬fen. Bisher endet die Elektrifizierung der „Sachsen-Franken-Magistrale" von Dres¬den nach Nürnberg in Reichenbach, vier Bahnminuten vor dem Tal der Göltzsch. In Zukunft aber muss die Strecke süd¬wärts über die Brücke hinweg elektrifi¬ziert werden, damit die Züge der Verbin: dung Leipzig—Plauen durch den Leipziger City-Tunnel fahren können, der 2012 fer¬tiggestellt werden soll. Dieser 3,9 Kilome¬ter lange Tunnel wird für Dieselzüge nicht zugelassen sein.
Die Notwendigkeit, noch Fahrleitungs¬masten auf beiden Seiten zu montieren, konnten die Ingenieure um 1850 nicht vor¬hersehen. Ihre heutigen Nachfolger haben indessen eine Lösung parat, die die Funkti¬onsfähigkeit ebenso wie das Erscheinungs¬bild des Viadukts erhalten soll: Auf die Göltzschtalbrücke wird eine Betonplatte gelegt, die auf beiden Seiten leicht aus¬kragt, um die Masten aufzunehmen, die aber dünn genug erscheint, um den opti¬schen Eindruck nicht zu stören.
Das Unterfangen sollte gelingen. Denn gegenüber der Wucht des riesigen Ziegel¬baus dürfte die Betonauflage fast ver¬schwinden. Mit einer Länge von 574 Me¬tern überspannt die Brücke in vier Bogen-reihen das Göltzschtal in einer maxima-len Höhe von 78 Metern, Ausmaße, für die es zur Bauzeit keine Vorbilder gab. 135 676 Kubikmeter Mauerwerk, davon 71 671 Kubikmeter Ziegelmauerwerk, 26 Millionen Ziegelsteine — die Baustatistik vermittelt nicht einmal eine vage Vorstel¬lung des monumentalen Gebildes.
Eher helfen da die großen mehrteiligen Sandsteintafeln unterhalb der Ziegelbrüs¬tung am oberen Rand der Brücke, die die Jahre der Grundsteinlegung und der Er¬öffnung ebenso nennen wie die Namen des Oberbauleiters Robert Wilke und des Bauleiters Ferdinand Dost. Um von unten lesbar zu sein, ist jede dieser Platten 5,38 Meter breit und 2,77 Meter hoch. Dass die Namen der Ingenieure, nicht aber, wie da¬mals üblich, Namen und Wappen des sächsischen Königs in die Steine gehauen waren, interpretiert der Historiker Peter Beyer, gemeinsam mit Jürgen Stritzke Au¬tor des Bändchens „Die Göltzschtalbrü¬cke", als Revanche der Baumeister:
„Als es in der ersten Bauphase der Brü¬cke um die Verstaatlichung der in Finanz¬not geratenen Eisenbahngesellschaft ging, hagelte es Schmähungen aus dem Landtag. So hieß es, man solle stets das Gegenteil von dem glauben, was Ingenieu¬re sagen. Die Beleidigungen gingen so weit, dass die Geschmähten schon ihre Ar¬beit niederlegen wollten." Anlass dazu hatten sie. Denn der Ziegelbau mit Natur¬stein-Unterbau war ihr Vorschlag und ge¬genüber allen anderen Materialvarianten die kostengünstigste Lösung.
Außerdem hatte die Pleite der Gesell
schaft
nur einen Grund: Die „Sächsisch-Baiersche Eisenbahn-Compagnie" hatte die Kosten der neuen Bahnstrecke, die dereinst von Leipzig über Plauen, Hof und Bamberg nach Nürnberg führen soll¬te, von vornherein zu niedrig angesetzt,
um die Aktionäre zu locken. Trotz aller Anfeindungen gelang die Verstaatli¬chung, und die beiden Ziegelbrücken im Vogtland — neben der Göltzschtalbrücke die etwas kleinere Elstertalbrücke in glei¬cher Bauart — konnten vollendet werden.
Das Gesamtprojekt geriet zum Meister-werk der Ingenieurkunst ebenso wie der Logistik. Der Dritte im Bunde der Inge¬nieure ging ganz neue Wege der Konstruk¬tion: Andreas Schubert, Professor an der 1828 gegründeten Technischen Bildungs¬anstalt Dresden, der Vorläuferin der heuti¬gen TU. Ausgehend von den Festigkeits¬werten der Baustoffe, errechnete er die theoretisch erreichbaren Spannweiten der Gewölbe, um so den Materialeinsatz zu minimieren.

Dank Schuberts Berechnungen war auch eine nötige Umplanung rasch be-werkstelligt. Als sich der Untergrund für den ursprünglich vorgesehenen Mittel¬pfeiler der Brücke im Flussbett der Göltzsch als nicht tragfähig erwies, be¬schlossen die Ingenieure, diesen Pfeiler durch ein Bogenfeld mit doppelter Spann¬weite zu ersetzen. Dem Aussehen der Brü¬cke kam diese Änderung sehr zugute.
Um die Festigkeiten der Materialien in der realen Anwendung der beiden Brü¬ckenbauten zu ermitteln, hatte Schubert sogar eine eigene Baustoffprüfmaschine entwickelt. Nicht nur zur Freude der Betei¬ligten: In der Anfangszeit ging manche Fuhre der aus dem Umland gelieferten Ziegel zurück an den Hersteller. Freilich
2 urzem Weg — die Bausteine für beide
Brücken wurden nahe der schon gebau¬ten Eisenbahnstrecke in acht Ziegeleien mit Gleisanschluss gebrannt.
Sechs Firmen hatten die begehrten Großaufträge erhalten, die mit Mindest¬mengen von fünf Millionen Stück im Jahr ausgeschrieben worden waren. Ihre Inves¬titionen müssen beträchtlich gewesen sein. Zur Kostensenkung trug schließlich auch noch der Reichenbacher Chemiker Heinrich Carl bei. Er entwickelte einen Mörtel auf der Basis von Schlacken und Ausschussziegeln, der viel billiger und für den Brückenbau besser geeignet war als der damals übliche englische Zement.
Nach nur fünf Jahren war der Brücken¬bau abgeschlossen, und das ohne Bagger,
Kräne oder Betonpumpen, allerdings mit durchschnittlich mehr als 1700 Arbeitern auf der Baustelle. „Für damalige Verhält¬nisse war das eine enorme Leistung. Das gilt umso mehr, als der Ingenieurstab un¬wahrscheinlich klein war und zudem noch ständig die Angriffe von außen abzu¬wehren hatte", bestätigt Jürgen Stritzke. „Und was in der kurzen Zeit herauskam, ist von hervorragender handwerklicher Qualität. Wenn ich das mit manchem Schlendrian auf heutigen Baustellen ver¬gleiche . . . Viele der heutigen Nachbesse¬rungen wären wirklich nicht nötig."

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