Montag, 22. April 2013

3D Drucken von SelMcKenzie Selzer-McKenzie


3D Drucken von SelMcKenzie Selzer-McKenzie




 

Author D.Selzer-McKenzie

Millionen US-Bürger sind bereits im Bilde: Sie inter-

essieren sich für ,,additive Fertigung". Was hierzu¬lande eher Wissenschaftlern, Ingenieuren oder Technikfans ein Begriff ist, fasziniert in Übersee fast eine ganze Nation: Drucker begnügen sich nicht

länger nur mit Papier, sondern spucken auch ganze Gegenstände aus - etwa Schrauben, Tassen oder Flugzeugteile. Geräte, nicht größer als ein Kühlschrank, scheinen komplette Fabriken ersetzen zu können.

DIE REDE IST NICHT von einer neuen Science-Fiction-Serie. Die TV-Zuschauer in den USA verfolgen stattdessen die allabendliche „Tonfight Show". Talk-Legende Jay Leno führt hier regelmäßig die neuesten Werke seines 3D-Druckers vor. Denn Leno ist nicht nur einer der bekanntesten Entertainer des Landes, er ist auch leiden-schaftlicher Sammler von Oldtimern.

Er bastelt und schraubt ständig an seinen Autos herum. Ge¬nervt von der ewigen Suche nach passenden Ersatzteilen, hat er den 3D-Druck für sich entdeckt. Nun kommen die Kurbelwellen

oder Stoßdämpfer aus seinem Drucker. Leno ist der größte Fan der neuen Technologie und lässt die halbe Nation regelmäßig daran teilhaben. Amerika wird damit bereits im Frühstadium Zeuge einer industriel-len Revolution.

AM 12. FEBRUAR 2013 hat auch ein anderer Ameri¬kaner die 3D-Druck-Technologie als neuen Megatrend geadelt. US-Präsident Barack Obama griff das Thema in seiner Rede zur Lage der Nation auf. ,.Unsere einstigen Industrieruinen sind jetzt die Labors, in denen mit dem 3D-Druck eine Revolution losgetreten wird. Sie hat das Potenzial zu verändern, wie wir produzieren'', verkündete er.

Spricht Obama noch von großen Visionen, ist die Revolution im Kleinen schon in vollem Gange - in der sogenannten „Maker-Bewegung". Dahinter verbergen sich Kreative aller Berufe: Architekten, Designer oder Ingenieure können ihre Ideen dank 3D-Druck relativ einfach in Produkte zum Anfassen umsetzen. Das Fer¬tigungsprinzip ähnelt dem eines Tintenstrahldru¬ckers: Beim 3D-Gerät trifft zwar keine Tinte auf Papier, dafür fließen aber Sand, Mineralstaub und Bindemittel auf die Druckfläche. Ist eine Schicht gelegt, hebt sich der Druckkopf und füllt die nächste Lage - bis das eingescannte Objekt dreidimensional fertiggestellt ist (s. Infografik auf Seite 12).

MUSSTEN DIE ENTWICKLER bislang teure Ferti-gungskapazitäten anmieten, um die ersten Stücke eines Produkts aufwendig herzustellen, kann nun schnell und kostengünstig ein Prototyp gedruckt werden. Das finanzielle Risiko ist damit verschwin-dend gering. „So wie heute dank PC und Internet niemand mehr eine Druckerei benötigt, um seine Ideen zu veröffentlichen, so ermöglicht uns die 3D-Druck-Technologie mit einem Klick den Zugang zur eigenen Fabrikhalle", schwärmt Chris Anderson, Technologie-Pionier und Autor des Bestsellers „The Long Tail", in dem er das wirtschaftliche Potenzial von Nischenprodukten im Internetzeitalter beleuchtet.

Was Anderson die Demokratisierung des Produk-tionsprozesses nennt, ist im Grunde nichts anderes als ein gewaltiges Innovationsprogramm (s. Interview auf Seite 14). Denn praktisch jeder kann jederzeit und überall seine Ideen in eine konkrete Form bringen. „Wir wissen, dass in fast allen Industriezweigen 70 bis 80 Prozent aller Innovationen nicht von Herstellern kommen, sondern letztlich von einem unzu¬friedenen Kunden'', erklärt Frank Piller, Professor an der RWTH Aachen und Mitarbeiter des Mas-sachusetts Institute of Technology (MIT). Anstatt das unzureichende Angebot einfach hinzunehmen, könnten die Verbraucher selbst die Produktwelt aufmischen. Zumal die Drucker künftig nicht größer als eine Mikrowelle sein werden und so in jeder Wohnung eine Fabrik entstehen kann.

Schon heute greift ein Handy-hersteller den Trend auf: Kunden können anhand von Vorlagen im Internet ihre individuelle Handy-hülle gestalten und anschließend selbst ausdrucken.

„INDIVIDUALISIERUNG UND Massenproduktion finden erst¬mals zusammen. Das ist ein ganz neues gesellschaftliches Phäno¬men'', sagt Piller. Mit dem 3D-Druck verliert die herkömmliche Fertigung ihre Starre. Ohne große Umbauten und logistischen Aufwand kann die Produktions¬linie verändert werden. Individu¬elle Kundenwünsche lassen sich somit unmittelbar und günstiger als jemals zuvor umsetzen. Eine effiziente und gleichzeitig flexible Fertigung - der 3D-Druck vereint das Beste aus zwei Welten.

Claudio Dalle Donne ist in beiden Welten zu Hause - als Chefentwickler von EADS Innova¬tion Works. Seine Forschungs¬ergebnisse sollen die Produktion des Luft- und Raumfahrtkonzerns effizienter und gleichzeitig die Flugzeuge oder Satelliten besser machen. „Additive Manufacturing,

wie wir den 3D-Druck nennen, ist derzeit das heißeste Thema in der Produktionstechnik'', sagt Dalle Donne. „Die Technologie existiert zwar bereits seit rund 15 Jahren. Doch erst jetzt beginnt sie, richtig abzuheben."

ER MUSS ES WISSEN. Die Luftfahrtindustrie ist das Paradebeispiel für den Nutzen der Technologie: Flugzeugbauer produzieren traditionsgemäß an vielen Standorten und sind in besonderer Weise abhängig von Zulieferern und deren Materialien. Komplexe Lieferketten und steigende Rohstoffkosten stehen den immer anspruchsvolleren Kunden gegenüber. Airlines fordern wegen der ständig steigenden Kerosinpreise sparsamere Maschinen, vor allem aber eine pünktliche Ausliefe-rung. Dass die Flugzeugbauer dabei oft an ihre Grenzen stoßen, offenbaren die jahrelangen Verzögerungen bei jüngsten Prestigeprojekten.

In Zukunft könnte die 3D-Druck-Technologie dieses Dilemma der Luftfahrtindustrie lösen. Durch das neue Produkti-onsverfahren lassen sich Bau¬teile überall auf der Welt vor Ort „ausdrucken", was die Komplexi¬tät der Lieferkette erheblich reduziert. Außerdem können Ingenieure rund um die Uhr in Labors weltweit an innovativen Konstruktionslösungen tüfteln und ihre digital verfügbaren Forschungsresultate auch in physischer Form mit ihren Kollegen teilen.

OHNEHIN REDUZIERT DAS DRUCKEN die Ver-schwendung von Rohstoffen. Dalle Donne führt als Beispiel eine etwa zehn Zentimeter große Titan-Ver¬strebung an, die in jedem Flugzeug verbaut wird. Bislang gab es bei der Herstellung durch Fräsen aus einem Metallblock bis zu 90 Prozent Abfall. Beim 3D-Druck hingegen wird das Titan-Teil quasi aus dem Nichts mithilfe von Pulver erschaffen - Schicht für Schicht. Verschnitt gibt es bei dieser additiven Ferti¬gung kaum...Mit der 3D-Technologie können wir die Natur nachahmen und für jedes Teil nur so viel Material verwenden, wie wirklich nötig ist'', macht Chefentwickler Dalle Donne klar.

Vorbild sind die hohlen Knochen von Vögeln, die leicht sind und dennoch vollständig ihren Zweck erfüllen. So kann auch die besagte Titan-Strebe bei gleicher Stabilität mit einem Hohlraum gedruckt werden, was nicht nur Rohstoffkosten spart, sondern auch viel Gewicht. Die „gedruckten" Flugzeuge könnten also in Zukunft um Tonnen leichter sein. Da jedes Flugzeug im Schnitt 30 Jahre in Betrieb ist, bringt jedes Kilogramm weniger der Airline eine Ersparnis von rund 6.000 Liter Kerosin pro Flieger.

ALLERDINGS GIBT ES NOCH einen entscheidenden Makel. Die 3D-Drucker arbeiten nicht schnell genug, um täglich große Stückzahlen zu fertigen. Für die Luftfahrtindustrie ist der Faktor Zeit noch handhab¬bar. Für die Autoindustrie, die Schlüsselbranche der industriellen Fertigung, müssen die Drucker deutlich schneller werden. „Wenn die Automobilkonzerne für ihre Massenfertigung additive Verfahren einsetzen, ist der Durchbruch für die 3D-Drucker geschafft'', erklärt Dalle Donne.

Bis 2019 setzen die Experten analog zu anderen Technologien auch beim 3D-Druck auf das soge¬nannte Moore'sche Gesetz. Intel-Gründer Gordon

 

ENTSPRECHEND OPTIMISTISCH fallen die Wachstumsprognosen aus: Der US-Analyst Terry Woh-lers, dessen jährlicher Report als Branchen-Bibel gilt, erwartet Steigerungsraten von knapp 20 Prozent pro Jahr. Bis 2019 wird sich nach seiner Rechnung allein das Volumen des Drucker-Marktes auf 6,5 Milliarden US-Dollar verdreifachen.

Die amerikanische Denkfabrik Atlantic Council wagt einen noch weiteren Ausblick. Danach dürfte die Technologie der additiven Fertigung Produktionsströme mit Billionen-Dollar-Volumen bewe¬gen. Davon profitieren neben Druckerproduzenten beispiels¬weise innovative Maschinenbauer, Hersteller von Kommunikations¬technik und Softwareanbieter - sowie deren Kunden in der Fertigungsindustrie.

Der Aufstieg der 3D-Druck-Technik wird auch folgenreich für ganze Volkswirtschaften sein. Wenn Kosten sinken und eine neue Flexibilität in der Fabrikhal¬le Einzug hält, kann es zu einem historischen Wachstumsschub kommen.

Forschern, Ökonomen und Staatsmännern in den westlichen Ländern schwebt vor, die Produkti-on von Gütern wieder nach Hause zu holen. Wurden in den vergange-nen Jahrzehnten immer mehr Herstellungskapazitäten in Nied-riglohnländer verlegt, könnte sich dieser Trend mit dem Durchbruch des 3D-Druck-Verfahrens wieder umkehren. Denn die Technologie ermöglicht eine effiziente Ferti-gung, die auf individuelle Kunden-wünsche eingeht. Die klassische Massenproduktion, etwa in China, die heute vor allem mit geringen Arbeitskosten punktet, würde dadurch weniger attraktiv.

Hinzu kommt: Wenn Unterneh-men fertige Produkte oder einzelne Bauteile nicht mehr von Zuliefe-rern in aller Welt beziehen, son-dern selbst ausdrucken, krempelt das globale Lieferketten radikal um. Aufwendungen für Transport und Logistik sowie die unvermeid-lichen Wartezeiten wären dann Geschichte.

GEWINNT DIE TECHNOLOGIE weiter an Dynamik, muss sich auch Talkmaster Jay Leno etwas Neues einfallen lassen - etwa mithilfe der Firma Voxeljet. Das Unternehmen aus Augsburg hat den legendären Aston Martin DB5 für den jüngsten James-Bond-Film detailgetreu nachgedruckt, damit der wertvolle Originalwagen bei Stunts keinen Schaden nimmt. Die Kopie ent¬stand zwar nur im Maßstab 1 :3. Doch Millionen Kinozuschauer haben den Unterschied nicht bemerkt. Einen Aston Martin DB5 hat Leno noch nicht in seiner Sammlung. Es wird also höchste Zeit, den Druckauftrag zu erteilen.

 

 

 

 

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