Dienstag, 12. Januar 2016

Sonnenwind


Sonnenwind

Author D.Selzer-McKenzie

Video:

Der Sonnenwind ist ein Strom geladener Teilchen, der ständig von der Sonne in alle Richtungen abströmt. Im Vergleich zum Sternwind anderer Fixsterne ist er relativ schwach, muss aber bei der Ursonne stärker gewesen sein[1].

 

Gelegentlich wird auch der falsche Begriff Sonnenstaub (analog zu Sternenstaub) verwendet, was insbesondere bei der Berichterstattung der Presse zur Genesis-Sonde der Fall war.

 

 

Der Sonnenwind besteht hauptsächlich aus Protonen und Elektronen sowie aus Heliumkernen (Alphateilchen). Andere Atomkerne und nichtionisierte (elektrisch neutrale) Atome sind kaum enthalten, weshalb der Sonnenwind ein sogenanntes Plasma darstellt.

 

Obwohl er aus den äußeren Schichten der Sonne stammt, spiegelt er die Elementhäufigkeit dieser Schichten nicht exakt wider. Denn durch Fraktionierungsprozesse (FIP-Effekt) werden manche Elemente im Sonnenwind angereichert beziehungsweise verdünnt. Im Inneren der Sonne wurden seit ihrer Entstehung die Elementhäufigkeiten durch die dort ablaufende Kernfusion geändert; da aber die äußeren Sonnenschichten nicht mit den inneren gemischt sind, entspricht deren Zusammensetzung noch jener des Urnebels, aus dem sich das Sonnensystem gebildet hat. Die Erforschung des Sonnenwindes ist deshalb auch interessant, um sowohl auf die chemische Zusammensetzung als auch auf die Isotopenhäufigkeiten des Urnebels schließen zu können.

 

Die Sonne verliert durch den Sonnenwind pro Sekunde etwa eine Million Tonnen ihrer Masse. Mit zunehmendem Abstand von der Sonne nimmt die Dichte des Sonnenwindes etwa mit dem Quadrat der Entfernung ab.[2] In Erdnähe hat der Sonnenwind eine Dichte von ≈ 5 × 106 Teilchen pro Kubikmeter.

Geschwindigkeit und Bewegung

Seitenansicht der Sonne mit idealisiertem Dipolfeld zu einem Sonnenfleckenminimum: die Feldlinien des Sonnenmagnetfelds (blau) und die Sonnenwindströmung (rot). In gelb gestrichelt die heliosphärische Stromschicht.

Draufsicht: die unterschiedliche Krümmung der Spiralen des langsamen (rot) und des schnellen (gelb) Sonnenwinds. In blau die Bahn der Erde und des Mars.

 

Man unterscheidet den langsamen und den schnellen Sonnenwind: Der langsame Sonnenwind verdoppelt seine Geschwindigkeit von 150 km/s im Abstand von 5 Sonnenradien (5·R0) auf 300 km/s im Abstand 25·R0. Im größten Teil des 30 Sonnenradien großen Beobachtungsfeldes entspricht das einer konstanten Beschleunigung von 4 m/s².

 

Der schnelle Sonnenwind, der an den koronalen Löchern austritt, wird zwischen 1,5·R0 und 2,5·R0 auffallend stark beschleunigt und besitzt in Bereichsmitte, also bei 2·R0, eine Geschwindigkeit von 300 km/s. Dabei sind die Sauerstoffionen erheblich schneller als die leichteren Protonen. Die Messungen durch das Ultraviolet Coronal Spectrometer (UVCS) des Forschungssatelliten Solar and Heliospheric Observatory ergaben, dass der schnelle Sonnenwind über den Polen der Sonne erheblich schneller beschleunigt wird als durch die Thermodynamik erklärt werden kann.[3] Diese Theorie sagt voraus, dass die Schallgeschwindigkeit etwa vier Sonnenradien über der Photosphäre überschritten werden sollte. Tatsächlich findet man diese Grenze bereits in etwa 25 % dieser Distanz. Als Ursache dieser Beschleunigung werden Alfvén-Wellen angesehen.

 

Nach seiner anfänglichen rapiden Beschleunigung strömt der Sonnenwind ab etwa 10 bis 20 Sonnenradien Distanz mit ungefähr konstanter Überschallgeschwindigkeit weiter. Da die Sonne in ungefähr 27 Tagen eine Rotation ausführt, strömt der Sonnenwind nicht in gerader Linie, sondern entlang spiralig gekrümmter Kurven von der Sonne weg, ähnlich dem Wasserstrahl eines Sprinklers.[4] Je nach ihrer Geschwindigkeit benötigen die Teilchen etwa 1,7 bis 5,7 Tage, um die Region der Erde zu erreichen.[5]

 

Der schnelle Sonnenwind strömt in steileren Spirallinien als der langsame Sonnenwind und „holt diesen dadurch ein“. Hierdurch entstehen an den Kreuzungspunkten Druckwellen, bestehend aus einem vorwärts und einem rückwärts gerichteten Wellenpaar. Diese werden co-rotating interaction regions (CIRs) genannt. Mit den Voyager-Sonden wurde entdeckt, dass Gruppen dieser CIRs ihrerseits miteinander verschmelzen können, wodurch merged interaction regions (MIRs) entstehen. Diese Interaktionen geschehen typischerweise bis etwa 10 AE. Jenseits davon bestehen komplexe Strukturen, so dass der Sonnenwind auch in großer Entfernung kein homogener Fluss ist.[6]

 

Der Sonnenwind strömt so lange mit Überschallgeschwindigkeit von der Sonne fort und dünnt sich dabei mit dem Quadrat der Entfernung aus, bis sein fortwährend geringer werdender Druck den Partikeln und Feldern des lokalen interstellaren Mediums nicht mehr standhalten kann. An dieser Stelle, die Termination Shock genannt wird, wird der Sonnenwind abrupt von ca. 350 km/s auf ca. 130 km/s, und damit auf Unterschallgeschwindigkeit, abgebremst. Dabei verdichtet er sich und heizt sich auf.[7] Die genaue Form und Größe des Termination Shocks ist variabel, da sie von Dichteschwankungen des Sonnenwinds ebenso wie von Stärkeschwankungen des interstellaren Mediums abhängt. Die Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 erreichten den Termination Shock bei 94 AE bzw. 84 AE Entfernung.

 

Außerhalb des Termination Shocks befindet sich die Zone des Heliosheaths. In dieser vermischen sich die Teilchen des abgebremsten Sonnenwinds mit denen des lokalen interstellaren Mediums. An der Heliopause schließlich sind die Sonnenwindteilchen mit dem interstellaren Medium im Gleichgewicht.

Auswirkungen

Die Magnetosphäre schirmt die Erdoberfläche von den geladenen Partikeln des Sonnenwindes ab. (nicht maßstabsgetreu)

Eintritt von Sonnenwindpartikeln über die polaren Trichter

 

Da der Sonnenwind ein elektrisch leitendes Plasma darstellt, verformt er sowohl das Magnetfeld der Sonne als auch das der Erde. Das irdische Magnetfeld hält den Teilchenschauer zum größten Teil von der Erde ab. Bei einem starken Sonnenwind kann das Plasma das Erdmagnetfeld so stark verformen, dass durch magnetische Rekonnexion geladene Teilchen zur Erde beschleunigt werden und in den hohen Schichten der Erdatmosphäre Polarlichter hervorrufen. Hierbei handelt es sich um sogenannte sekundäre Teilchen, da diese nicht von der Sonne stammen, sondern aus der Magnetosphäre der Erde.

 

Starke Sonnenwinde haben auch Einfluss auf die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen und können unter anderem den Kurzwellenfunk und die Kommunikation mit Satelliten stören. Sonnenwinde und ihre Auswirkungen auf die Technik sind seit z. B. 1847, 1859, 1921 und 1940 bekannt, weil es zu Störungen in der Telegraphie, an Signalanlagen der Bahn, bei der Radiokommunikation und vereinzelt sogar zum explosionsartigen Durchschmoren von Transformatoren gekommen ist (zu einem Transformatorenausfall ist es z. B. am 13. März 1989 in Quebec gekommen). Es wird für möglich gehalten, dass besonders starke Sonnenwinde zu einem globalen Totalausfall von Stromversorgung und Computerfunktionen führen könnten.

 

Ein deutlich sichtbares Anzeichen für die Existenz des Sonnenwinds liefern die Kometen: Kometenschweife zeigen immer von der Sonne weg, denn die Gas- und Staubteilchen, welche die Koma und den Schweif bilden, werden vom Sonnenwind mitgerissen. Wegen der Spiralform der Sonnenwindströmung zeigen Kometenschweife nicht exakt von der Sonne weg, sondern in einem leichten Winkel.

 

Innerhalb der Heliosphäre gibt es eine Schicht, in der das Magnetfeld der Sonne seine Polarität ändert. Dadurch entstehen elektrische Ströme im Sonnenwind, die von Raumsonden gemessen werden konnten. Diese Schicht ist unregelmäßig geformt und heißt Heliosphärische Stromschicht.

Entdeckung und Erforschung

 

Bereits beim Carrington-Event von 1859 beobachtete der Forscher Richard Carrington einen Zusammenhang zwischen Sonnenflares und zeitlich versetzten irdischen Magnetfeldstürmen, was – obwohl damals unerklärlich – ein frühes Indiz für die Existenz des Sonnenwindes war. Anfang des 20. Jahrhunderts vertrat der norwegische Physiker Kristian Birkeland die Auffassung, die Polarlichter würden durch Teilchenströme von der Sonne ausgelöst. Seine Idee wurde jedoch ebenso wenig ernst genommen wie die des deutschen Physikers Ludwig Biermann, der eine „Solare Teilchenstrahlung“ annahm, um die Richtung der Kometenschweife erklären zu können. Astronomen war aufgefallen, dass die Kometenschweife nicht exakt von der Sonne weg gerichtet waren, sondern einen kleinen Winkel dazu aufwiesen. Biermann erklärte diese Eigenschaft 1951 durch die Bewegung des Kometen in einem sich ebenfalls bewegenden Teilchenstrom, gewissermaßen ein seitliches Abdriften durch die Strömung. E. N. Parker hat 1959 die englische Bezeichnung solar wind eingeführt und eine magnetohydrodynamische Theorie zur Beschreibung des Sonnenwindes vorgeschlagen.

 

Die Existenz des Sonnenwinds konnte erst 1959 durch die sowjetische Lunik 1 und 1962 durch die amerikanische Raumsonde Mariner 2 auf ihrem Weg zur Venus experimentell bestätigt werden. Ein weiterer Meilenstein in der Erforschung des Sonnenwindes waren die Sonnenwindsegel, die mit Ausnahme von Apollo 13 und 17 bei allen Mondlandungen aufgestellt wurden und Daten über die Isotopenhäufigkeiten der Edelgase Helium, Neon und Argon im Sonnenwind lieferten. Viele weitere Missionen haben zum Verständnis des Sonnenwindes beigetragen. Die Raumsonden Pioneer 10/11, Voyager 1/2 und die Ulysses-Mission lieferten Daten des Sonnenwindes außerhalb der Erdumlaufbahn, während Helios 1/2 und die Mariner- und Pioneer-Missionen zur Venus sowie russische Vega-Sonden Daten von innerhalb der Erdumlaufbahn lieferten. IMP 1–8, AIMP 1/2, ACE, ISEE 1–3 Sonden sowie das Sonnenobservatorium SOHO und die Raumsonde Wind lieferten Sonnenwinddaten in Erdnähe. Die Ulysses-Mission lieferte auch Daten über den Sonnenwind außerhalb der Ekliptik. Im Jahr 2001 wurde die Genesis-Mission gestartet, bei der hochreine Kristalle in einem der Lagrange-Punkte (L1) des Erde-Sonne-Systems dem Sonnenwind ausgesetzt wurden und danach zur Untersuchung zur Erde zurückgebracht werden sollten. Die Mission schlug bei ihrem Abschluss im Jahr 2004 fehl, weil die Kapsel mit den Sonnenwindteilchen nicht abgebremst wurde, sondern auf dem Erdboden zerschellte. Die Raumsonde Voyager 1 hat im Dezember 2004 den Termination Shock erreicht, und im August 2007 erreichte Voyager 2 diese Grenze und übermittelte Messdaten.

 

Es gibt Bemühungen, den Sonnenwind mit Hilfe von Sonnensegeln zum Antrieb von Raumfahrzeugen zu nutzen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.