Donnerstag, 21. Januar 2016

Valle Stura im Piemont


Valle Stura im Piemont

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/iREXcc02l90

Der Himmel tiefblau, die Bäume frisch verschneit, die Schnee¬kristalle glitzern geradezu ver¬führerisch in der Sonne. Ideale Voraussetzungen für einen wunderschö¬nen Skitourentag am Feldalphorn in den Kitzbüheler Alpen. Und das Beste: Wir

 

sind allein unterwegs. Nur am verlocken¬den Nordhang des Schwaigberghorns, auf den wir geradewegs zulaufen, ist eine ein¬zelne Spur zu sehen, während wir als Erste hinüber zur Trockenbachalm spuren. Eine Alm wie aus dem Bilderbuch mit dunklen, von der Sonne verbrannten Holzbalken

 

und blassgrünen Fensterläden. Obwohl das Feldalphorn zu den leichtesten Kitz-büheler Skitourenzielen zählt, hält sich der Andrang in Grenzen. Zum einen wählen die meisten den Anstieg aus der Wildschö-nau, zum anderen verteilen sich die Ski-

Die Zukunft der Kelchs au

liegt abseits der Piste,

beim Skitourengehen.

tourengeher auf ein riesiges Gebiet. Und so kann es durchaus passieren, dass man an einem sonnigen Neuschneetag beim An¬stieg aus der stillen Kelchsau alleine unter¬wegs ist. Und das, obwohl man die ersten Meter ganz bequem mit einer Sesselbahn zurücklegen kann.

51 Millionen Euro investierte allein die Skiwelt Wilder Kaiser-Brixental im Som¬mer 2015 in neue Liftanlagen - in der Kelchsau, zu der man in Hopfgarten rechts abbiegt, fährt lediglich eine betagte Dop-pelsesselbahn, die an die Anfänge des Pis-tenskifahrens erinnert. In dem kleinen Familienskigebiet ist die Zeit stehen ge¬blieben. Was natürlich kein Fehler ist: Hektik und Gedrängel gibt es hier nicht. Allerdings ist der Dorfwirt seit 2012 ge¬schlossen, der Neuwirt seit 20 Jahren. Nurden Fuchswirt gibt es noch. Ein urgemüt¬licher Gasthof in einem Ensemble beson¬ders prachtvoller Holzhäuser - und den ganzen Winter über gut gebucht, wobei längst die Tourengeher den Pistenskifah¬rern den Rang abgelaufen haben. „Gut zwei Drittel meiner Gäste sind Tourenge¬her", schätzt der Wirt Reinhard Brugger.

Genau da liegt die Zukunft, denn die Kelchsau ist ein riesiges Skitourenpara-dies. Einige Ziele wie den Klassiker Lo-dron, seinen Nachbarn Steinbergstein oder eben das Feldalphorn kann man so¬gar vom Ort aus angehen, viele weitere vom Kurzen und Langen Grund. Die bei¬den Täler verzweigen sich südlich der Kelchsau und führen mitten hinein ins

20 DAV Panorama 1/2016

 

weiße Skiwunderland der Kitzbüheler Al¬pen. Die Möglichkeiten sind selbst in zwei Wochen nicht abzuarbeiten, je nach Schneelage und Jahreszeit kann man sich die richtige Exposition aussuchen, die ide¬al geneigten Skiwiesen stellen selbst Ein¬steiger vor keine großen Probleme, und die Saison startet schon mit dem ersten gro- ßen Schneefall im Dezember. Entspre-chend groß ist der Andrang an Tourenge¬hern, zumindest an Wochenenden. Damit es keine Konflikte mit Jägern gibt, stehen bei den Ausgangspunkten große Über-sichtstafeln mit den Aufstiegs- und Ab-fahrtsrouten und Sperrgebieten.

Bei dieser Fülle an Skitourenzielen steht man vor der Qual der Wahl - und ent¬scheidet sich dann doch wieder für einen

 

der Klassiker wie das Feldalphorn. Eine gute Entscheidung, vor allem, wenn man die Tour ausbaut und etwa weiter läuft zum benachbarten Schwaigberghorn. Im leichten Auf und Ab und mit Blick auf die Wildschönauer Tourenziele zwischen Lämpersberg und Großem Beil geht es so über weite Schneeflächen auf den verlo¬ckenden Nachbargipfel - und damit zum Start der 1100-Höhenmeter-Abfahrt über skifreundlich geneigte Wiesenhänge, die geradezu typisch sind für die Kitzbüheler Alpen.

Der großartige Skitag klingt im Fuchs-wirt aus, dem Treffpunkt für Tourengeher.

Der gemütliche Fuchswirt

in der Kelchsau ist der Treff-

punkt für Skitourengeher.

Wer den Erzählungen an den Nachbarti¬schen auf der Sonnenterrasse oder in der holzgetäfelten Stube mit Kachelofen lauscht, der erfährt im Grunde alles über mögliche Ziele und die aktuellen Touren¬bedingungen - und über spannende Erleb nisse auf den Mautstraßen in den Kurzen und Langen Grund. Die sind zwar bestens geräumt, aber oft spiegelglatt - Schneeket¬ten sind hier definitiv kein Luxus.

Für unsere Durchquerung der Kitzbü-heler Alpen nach Aschau nehmen wir am zweiten Tag frühmorgens ein Taxi in den Langen Grund. Der Parkplatz bei der Er-

 

lauer Hütte ist gut gefüllt, doch die Leute verteilen sich gleichmäßig auf die vielen Ziele. Beim Westanstieg zum Schafsiedel ist man in der Regel sogar alleine unter¬wegs. Was nicht heißt, dass man spuren muss - eine Aufstiegsspur ist meist vor¬handen. Oberhalb des Waldbereichs, auf dem Westrücken des Schafsiedels, zeigt

 

sich die alpine Seite der Kitzbüheler Al-pen. Das Gelände wird felsdurchsetzt, die Spur am Kamm immer steiler - eine gute Spitzkehrentechnik ist hier von Vorteil. Zuletzt geht es flach über den Grat auf ei¬nen der bekanntesten und beliebtesten Kitzbüheler Skigipfel.

Schon beim Aufstieg begeisterte der Blick auf all die umstehenden Skiziele und die verlockenden Spuren Richtung Bären-talkopf und Frommgrund. Die gehören zu den eher einfachen Tourenmöglichkeiten, während der benachbarte Fünfmandling mit seinen steilen Nordosthängen für die sportliche Seite steht - die Steilabfahrten dort erfordern ganz sichere Schneever-hältnisse. Vielfalt bietet auch der Schafsie-del: Sanfte und weite Hänge ziehen direkt hinunter zur Neuen Bamberger Hütte, et¬was steiler sind kurze Varianten auf der • benachbarten Aleitenspitze, während die Abfahrt ins Manzenkar je nach Routen¬wahl richtig sportlich ist.

Die Neue Bamberger Hütte ist zwi-schen der Wildschönau und Aschau der einzige Stützpunkt am Berg, alle anderen liegen im Tal oder an den per Auto erreich¬baren Ausgangspunkten. Der Komfort stimmt aber auch auf der Hütte, erst recht nach dem Umbau vom Sommer 2015: komplett neue Einrichtung, Seminar¬raum und ein größerer Schuhraum, ein Stockwerk mehr - und die oft gewünsch¬ten neuen Zimmer, deretwegen die Kapa¬zität allerdings etwas gesunken ist. Noch mehr bemängeln einige Gäste aber den fehlenden Handyempfang. In Internet-Bewertungsportalen schimpfen sie ano-nym auf den Wirt Robert Fuchs, wenn er ihnen nicht erlaubt, das Hüttentelefon zu benutzen. Und auch sonst finden sich er¬staunlich negative Kommentare, was viel¬leicht auch daran liegt, dass manche den

 

sehr trockenen Humor des Kärntners nicht verstehen, der seit 15 Jahren die Hütte bewirtschaftet. Dennoch fühlen sich die Gäste wohl, vor allem eine große Gruppe, die gerade lautstark „Zum Wohle dem Alkohole" anstimmt.

Zur Neuen Bamberger Hütte

kommt man nicht per Auto;

der Komfort stimmt trotzdem.

Die Schneesicherheit ist einer der Hauptpluspunkte der Hütte, auf der im Winter deutlich mehr los ist als im Som-

 

mer. „Das Tourengehen hat sich einfach gut entwickelt", erläutert Robert, „und es kommen auch immer mehr Schnee-schuhwanderer:` Natürlich auch in Grup¬pen, zum Glück nicht alle so durstig auf Alkohol. Andererseits ist die Saison recht kurz, auch wenn sie bei normaler Schnee¬lage bereits an Weihnachten beginnt. „Ab Mitte März ist wenig los, denn da machen die hoch gelegenen Hütten auf", erzählt Robert. „Früher hatten wir noch den gan¬zen April offen`, jetzt sperrt er meist um den 10. April zu, auch wenn die Schneela¬ge in dieser Höhe noch perfekt wäre.

Schafsiedel, Schwebenkopf, Salzachgei-er, Tristkopf und Kröndlhorn heißen die bekanntesten Skigipfel über der NeuenBamberger Hütte, doch Möglichkeiten gibt es weit mehr - mit Höhenunterschie-den von maximal 700 Metern auch für Toureneinsteiger perfekt. Wer nicht aus-gelastet ist, macht halt zwei Gipfel am Tag, je nach Lust und Kondition. Entspre¬chend viele Tourengeher sind unterwegs, doch die verteilen sich bestens. „Es ist un-

 

glaublich", sagt Robert, „da übernachten bis zu 80 Leute in der Hütte und zusätz-lich kommen vielleicht 40 aus dem Tal he¬rauf - aber du siehst keinen."

Egal ob Gipfelsammlerin oder Abfahrts¬freund, am dritten Tag kommen alle auf ihre Kosten. hi einem weiten Bogen stei¬gen wir bequem ins Nadernachjoch und

 

wechseln dort kurz auf Salzburger Gebiet. Mit Blick auf den Großvenediger zieht die Spur über sonnige Hänge hinauf und schließlich von Norden auf das Kröndl-horn, auf dessen Gipfel eine kleine Kapelle steht. Von hier oben überblickt man das komplette Tourengebiet der Neuen Bam¬berger Hütte und sieht Roberts Aussage bestätigt: Überall Spuren, aber die Touren¬geher musst du suchen, so gut verteilen die sich in dieser Schneeschüssel. Bergab steht man vor der Wahl: entweder in ei¬nem Rutsch hinunter ins Windautal oder über die Schneegrubenspitze hinüber zum Steinbergstein, einem der Skitouren-klassiker der Kitzbüheler Alpen. Wir ent-scheiden uns für die Schneegrubenspitze und wählen dort die Abfahrt über die stei¬len Nordhänge, die den Pulverschnee per¬fekt konservieren - sicher einer der skifah-rerischen Höhepunkte der Region. Nach einem langen Gegenanstieg über einen aussichtsreichen Rücken stehen wir auf dem Steinbergstein und genießen in nachmittäglicher Einsamkeit den Rund-blick über die Skigipfel der Kitzbüheler.

Die lange Etappe klingt mit viel Genuss aus. Das stattliche Gasthaus Steinberg im Windautal hat zwar schon 80 Jahre auf dem Buckel, doch das sieht man ihm nicht an. Michael Grafi erlebt es immer wieder, dass die Gäste überrascht sind vom Komfort. „Einige rufen vorher an und fragen, ob sie ein Handtuch mitbrin¬gen müssen und ob die Betten bezogen sind", erzählt der Wirt schmunzelnd und ergänzt: „Viele sind auch erstaunt, am Ende der Welt so gutes Essen zu bekom¬men:` Verantwortlich dafür ist Michael höchstpersönlich: Der leidenschaftliche Koch ist Gründungsmitglied der Brixen-taler KochArt, einer Vereinigung von Wir¬ten, die bevorzugt Produkte heimischer Bauern und Produzenten verwenden. Auf¬genommen werden nur Familienbetriebe wie das Gasthaus Steinberg, das Michael in vierter Generation führt.

Die Tourengeher fühlen sich auf jeden Fall wohl. Und Michael ist froh um diese Gästegruppe. „Es braucht nicht viel, um

Egal ob Gipfelsammlerin

oder Abfahrtsfreund,

alle kommen auf ihre Kosten.

einen Tourengeher glücklich zu machen", ist seine Erfahrung, „die brauchen kein Halligalli:` Für den nächsten Tag emp¬fiehlt er uns das Gerstinger Joch, „das wird von vielen unterschätzt, so dass hier im Vergleich zum Lodron nur wenige un¬terwegs sind". So ist es eben: Die Klassiker wie Lodron und Steinbergstein zi die schönen Nachbarn wie das Gerstinger Joch werden übersehen. Zumindest bis man das erste Mal über die freien Hänge aufsteigt, dabei den Blick auf den wuchti¬gen Steinbergstein genießt und oben in einer Panoramawanderung mit Blick auf Großvenediger und den felsigen Großen Rettenstein hinüberläuft zum Gipfel ¬und restlos begeistert ist.

Das Gerstinger Joch ist das Finale der viertägigen Kitzbüheler-Durchquerung, die unten bei der Oberlandhütte in Aschau ihr Ende findet. Der stattliche Holzbau wurde im Jahr 1928 fertigge¬stellt und hatte bereits bei der Eröffnung eine Zentralheizung. Für uns ist er End-punkt, für andere Ausgangspunkt zu vie¬lerlei Tourenzielen, für einige wenige Etappenstützpunkt. Denn die Tour durch die Kitzbüheler Alpen lässt sich problem¬los verlängern. Etwa über den Schwarz-kogel hinüber nach Jochberg und hinauf zur Kelchalm (Bochumer Hütte), von dort dann weiter über den Saalkogel nach Lengau im Glemmtal. Oder über den Gamshag zurück nach Jochberg. Vielleicht sogar über den Weißkopfkogel nach Fieberbrunn und damit zum nächs¬ten Bahnhof. Für was auch immer man sich entscheidet, erst einmal heißt es Bei¬ne ausstrecken und entspannen, auf der Sonnenterrasse oder in einer der wunder¬schönen Stuben der geschichtsträchtigen

Oberlandhütte.

 

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