Montag, 14. Mai 2012

Trentino Alpen Italia Travel Reise SelMckenzie Selzer-McKenzie




Trentino  Alpen Italia Travel Reise SelMckenzie Selzer-McKenzie




Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie



4          Der Weg scheint direkt in den Himmel zu führen. Steil schraubt sich die Straße nach oben, so steil, dass einem fast angst und bang wird. Der alte Kai¬serj ägerweg dient noch immer als Hauptver-bindungsstraße, wenn man das lärmende Trient hinter sich gelassen hat. Ein Teil des Wegs ist ausge-baut, einige Abschnitte sind es allerdings nicht. Die Felstunnel sind so schmal, dass das Auto gerade so hindurchpasst. Wieder draußen, schmiegt sich die

Straße immer enger an die Bergwände, die steil ab-fallen. Dass hier oben noch ein Dorf liegt, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Ist es aber nicht. Nach 30 Minuten bergauf öffnet sich die Hochebene von Lavarone. Schon taucht die „untar Millegruam" auf, die „untere Milchgruben-alm". Gleich danach, am äußersten Zipfel der Hochebene und umgeben von Wald, Wiesen und Felsen, liegt Lusern. „Bohlkhent ats Lusdrn", sagt Luigi Nicolussi Castellan. „Willkommen in Lusern." Der Ex-Bürgermeister ist heute Präsident des Doku-mentationszentrums der kleinen Gemeinde. Kein anderer setzt sich derzeit für den Erhalt des

Alt-Bayerischen und seiner Kultur so sehr ein wie er. 300 Menschen leben derzeit in Lusern, ihrer „Huamat". Zur Sonne sagen sie „sunn", Kühe sind „küha", „bettar" heißt Wetter und „khopf" ist der Kopf. Als Nicolussi kurz mit seiner Frau telefoniert, kann man ihn verstehen: Er hat ihr gerade gesagt, dass er Gäste aus Bayern hat und heute später kommt. Nicolussi lächelt charmant. Das Zimbrische ist eine Mischung aus Bayerisch und Italienisch und

hat eine sehr schöne Sprachmelodie. Wer es lernen will, hat gute Chancen: Es gibt Wörter- und Gram-matikbücher. Natürlich sprechen die Menschen in Lusern nicht mehr exakt jene Sprache, die ihre Vorfahren vor rund 1000 Jahren aus Oberbayern mitbrachten. Fakt ist, dass Sprachforscher das mit-telhochdeutsche Bayerisch im zimbrischen Dialekt nachweisen können.

Vermutlich war es eine Hungersnot infolge einer großen Dürre, die um das Jahr 1050 Familien aus der Nähe des Klosters Benediktbeuem nach Nord¬italien trieb. Der Abt unterhielt freundschaftliche Verbindungen zu einem Kloster in Verona. Die

Bayern fanden rasch Arbeit. Eine Theorie ist, dass sich das Wort „Zimbern" von „Zimmerer" ableitet. Die „Zuagroastn" lebten sich rasch ein und arbeite¬ten fleißig. Zuerst siedelten sie in Regionen im heu¬tigen Nationalpark Lessinia, unter anderem in den sogenannten Dreizehn Gemeinden (Tredici Com-muni). Ab dem 13. Jahrhundert ist ihre Gemein-schaft in Lusern nachgewiesen. „Das Zimbrische hat sich hier am besten erhalten. Das liegt an der jahr

hundertelangen Isolation, aber auch am Stolz der Menschen", sagt der Sprach- und Kulturforscher Dr. Christian Prezzi.

Viele Bräuche haben so überlebt. Die Zimbern pfle-gen Dreikönigs-Traditionen wie in Oberbayern, auch Johannifeuer werden entzündet und der Brauch der St.-Leonhards-Verehrung ist wichtig. An Ostern färben Kinder Eier und die Familie trifft sich zu einem lustigen Spiel: „Die Erwachsenen versu¬chen, kleine Münzen auf die Eier zu werfen, die dann obenauf liegen bleiben müssen", sagt Luigi Nicolussi Castellan. „Das ist gar nicht so einfach." Schafft man es nicht, bekommen die Kinder ein

bisschen Geld pro Ei, etwa 50 Cent. „Das muss man vorher aushandeln", sagt der Altbürgermeister mit einem spitzbübischen Lächeln. Schafft man es aber, dass die Münze liegen bleibt, darf der, der geworfen hat, das Ei behalten.

Schule für Handarbeiten

Die Gemeinschaft von Lusern ist heute alles andere als isoliert. Gleich am Ortseingang erwartet die Besucher das große Dokumentationszentrum, das die Geschichte der Zimbern erklärt. Noch vor 200 Jahren sollen rund 20.000 Menschen Zimbrisch ge-sprochen haben. Dank Fördermitteln von der EU für Völker mit bedrohten Sprachen kann man hier auf vier Stockwerken erfahren, wie sich das Leben der Zimbern in den vergangenen Jahrhunderten abge-spielt hat. Überregional bekannt waren die Frauen früher vor allem durch ihre kunstvollen Klöppel-spitzen (Zimbrisch: „gekhnöpplate Spitz"), die sie bis nach Wien verkauften. 1882 wurde sogar eine ei-gene Schule für diese Handarbeiten in Lusem ge-gründet. Ein paar Meter entfernt vom Dokumen-tationszentrum steht mitten im Dorfkern das „Haus



Das Dokumentationszentrum von Lusern bringt Besuchern die Geschichte der Zimbern näher.



von Prükk". In dem steinernen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert sieht man eine alte Bauernstube samt Schlafzimmer- und Kücheneinrichtung. Alte Tassen und Teller hängen an den Wänden, auf dem Tisch wird eine Mahlzeit nachgestellt. Unter dem Haus liegt der kleine, niedrige Stall.

Beim Rundgang wird schnell klar: Leicht hatten es die Menschen in Lusern nie. Für die Italiener waren sie jahrhundertelang „die Deutschen", folglich mussten sie zeitweise mit Repressalien leben. „Die Katholische Kirche hatte große Angst, dass sich die Lehren Luthers durchsetzen könnten. Deshalb ha¬ben sie in Lusern viele Jahre lang nur italienische Pfarrer eingesetzt", weiß Luigi Nicolussi Castellan. „Den Kindern haben sie gedroht: Wenn ihr weiter eure Sprache sprecht, kommt ihr in die Hölle." Aber die Menschen in Lusern waren zäh und hartnäckig. 80 Prozent der Kinder gingen weiterhin auf die deut¬sche Schule.

Festung in Lusern

Das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Lusern ist der Erste Weltkrieg. Auf der Hochebene von Lavarone verlief die Verteidigungslinie zwischen Österreich-Ungarn und dem Königreich Italien. Im Kriegswahn wurden gigantische Festungen gebaut, die seinerzeit als größte technische Errungenschaf¬ten gefeiert wurden und riesige Munitionslager be¬saßen. Die Festung in Lusern ist heute ein Symbol für die Härte und Grausamkeit jener Jahre. Die Kämpfe dort zählen zu den blutigsten des Ersten Weltkriegs. Tausende „Alpini", also Kämpfer im Ge¬birge, ließen auf der Hochebene ihr Leben. Wer noch konnte, flüchtete aus Lusern.

Dann begann die Zeit der Rückkehr. Der Frieden sollte aber nicht lange währen, und nach dem Zweiten Weltkrieg war die Bevölkerung in Lusern

Geburtenzahl wieder." Im vergangenen Jahr kamen drei neue Erdenbürger hinzu, für den Altbürger¬meister „ein Geschenk des Himmels". Mittlerweile gibt es eine Grundschule mit 13 Kindern. Im Mini-Kindergarten werden fünf Zwergerl betreut. „Wir brauchen diesen Service für Familien", sagt der Altbürgermeister. Zudem haben die Eltern einen Schulbus-Dienst nach Trient organisiert.

Dafür, dass sie zweisprachig aufwachsen, müssen sich die Kinder heute nicht mehr schämen. Zimbrisch ist exotisch, außergewöhnlich und fast schon ein bisschen Kult. Mittlerweile gibt es Kinder¬bücher auf Zimbrisch, die Schulklassen gestaltet ha¬ben. In „Vichar boda seng hoatar" („Tiere, die wis¬sen, was sie wollen") geht es um sprechende Tiere auf einer Alm, denen die Touristen und der Auto¬lärm zu viel werden. Kurzerhand lassen sie sich et¬was einfallen. Der Text wird in drei Sprachen ge¬druckt: auf Zimbrisch, Deutsch und Italienisch. Auch für Erwachsene tut sich etwas: In einer Regionalzeitung erscheint zweimal im Monat eine Seite auf Zimbrisch.

Attraktiv für Touristen

„Unser Dorf hat Zukunft", sagt Nicolussi. Vor kur¬zem hat er die Vorverträge für die Ansiedelung einer Speck-Firma unterzeichnet, was für Lusern sechs, sieben neue Arbeitsplätze bedeutet. Am wichtigsten ist aber nach wie vor der Tourismus: Durch die Museen kommen laut Nicolussi jedes Jahr rund 12.000 Interessierte, vor allem aus Bayern und Ös¬terreich. Um attraktiv zu bleiben, werden ständig Sonderausstellungen auf die Beine gestellt zu The¬men wie Spielzeug, Trachten und Krippen. Wann immer es möglich ist, empfängt und führt Nicolussi die Besuchergruppen und sagt dann: „I griasas alle mi gänz hertz", also: „Ich grüße alle von ganzem

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