Sonntag, 23. August 2009

Capri Italia

Insel Capri
Author D.Selzer-McKenzie

Video:
http://www.youtube.com/watch?v=LJO7MPI9f9w#

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Insel Capri
Author D.Selzer-McKenzie

Wer es schafft, den Touristenströmen auszuweichen, begegnet einer Magie, die der Mensch nicht zerstören kann. Dann wirft die italienische Insel ihr Netz aus und nimmt die Besucher gefangen
Man konnte der Musik zusehen damals. Auf Knien, die Nase an die Glasscheibe des Musik¬möbels, wie das hieß, gedrückt. Der Greifarm hatte sich bereits eine Single aus ihrem Fach, E18, gegrif¬fen, bugsierte sie mit Schwung über den Plat¬tenteller und ließ sie fallen. Schon kam der Tonarm mit der Nadel — „Diamant!", sagte Opa an dieser Stelle immer, „echter Diamant!" — und rumste in die Rille. Dann begann Rudi Schuricke zu singen. Seine Stimme klang so, als schwebe eine Handvoll Sternenstaub in der Luft. Schurike sang von der ro¬ten Sonne, von den Fischern und von der bella Marie. Opa sah Oma dabei zärtlich an. Weniger wegen Oma und wegen Capri. Eher wegen des klei¬nen Enkels, der entzückt von Mandolinenklang und Sonnenuntergang schon wieder die Tasten E und 18 gedrückt hatte.
Vier Jahrzehnte später wird der Enkel an einem heißen Julimorgen von 250 Mitpassagieren an der Marina Grande von der Fähre geschoben. Die sieben wartenden Taxis werden bis
abzutransportieren. Alles drückt und redet. Alles ruft „Hierher! Nein! Dorthin!". Und bis er herausgefun¬den hat, zwischen welchen Metallgittern man sich für welche Buslinie anstellen muss, stehen da schon 27 Meter Wartende vor ihm.
Eindruck: etwas überfüllt
Man kann auf dieser Insel den Eindruck gewinnen, sie sei etwas überfüllt. Auch hinter der kleinen Mau¬er an der Bushaltestelle tost es. Das ist das Strandbad delle Sirene: Kiesstrand, eine Straße von den Häu¬sern entfernt. An diesem Morgen hat dort jeder Ba¬degast nicht mehr als zwei Handtuch breit Platz.
Platz ist nirgends auf Capri, aber die Menschen hier haben gelernt, keinen Platz zu nutzen. Sie haben die Autovermieter nicht auf ihre Insel gelassen und stattdessen kleine Elektrobusse angeschafft. Sie ha¬ben Serpentinen in die Steilküsten geschlagen, auf denen fast jeder ein schwummriges Gefühl be-kommt, wenn es vor ihm 500 Meter lotrecht nach unten geht. Sie haben sich sogar einen für süditalie¬nische Verhältnisse erzkonservativen Fahrstil zuge¬legt und Parkplätze auf den Flachdächern ihrer in den Hang gebauten Häuser. Irgendwie haben sie es sogar geschafft, an der Haltestelle „Grotta Azzurra" einen kleinen Wendehammer unterzubringen und Ausweichbuchten für ankommende und abfahrende Busse. Wenn man hier eins nicht gebrauchen kann, dann einen Stau irgendwo auf der Insel. Denn der wird schnell zum Stau überall auf Capri.
Die Blaue Grotte ist sein erstes Ziel. Im Wasser vor der Höhlenzufahrt dümpeln schon zahlreiche Boo¬te. Hinein dürfen nur kleine capresische Ruderboo¬te, die ihre Passagiere bei den größeren, wartenden
ächlich wunderschön blau, was ihn für einen •zen Moment anrührt. Dann beginnen alle idolieri, in der Grotte „Ave Maria" und „Nessun ma" zu singen. Drei Minuten später muss der adermann wieder hinausfahren. „Hinlegen", be
fiehlt er in sechs Sprachen. Denn die Ausfahrt zum
Meer ist niedrig.
Die Grotte leuchtet blau
Es war natürlich diese Grotte, die Capri zu Capri werden ließ. Ihre Entdeckung hat die Insel reich ge¬macht, hat Ziegenhirten in Immobilienhaie ver¬wandelt und arme Fischer zu Flaneuren in Prada. Das unwirkliche, blaue Höhlenleuchten lockte die Fremden nach Capri, auch die exzentrischen, die Pablo Nerudas und Graham Greenes und Claude Debussys, deren Werke den Ruf der Insel mehrten und Capri spätestens in den Fünfzigern zum Mythos
beförderten. Da träumten die Deutschen an grauen Fernsehsonntagen von der Insel des Glücks, bei Sendungen, in denen Wiener Schauspieler sich auf der Mandoline versuchten und in der Grotte „0 sole mio!" schmetterten. Capri — der Name allein ver¬hieß Sonne, Dolce Vita, ach was: Glück verhieß er! Und plötzlich gab es nicht bloß die Capri-Fischer, sondern auch Hosen, Eis, Fruchtsaft und einen Sportwagen unter dem Inselnamen. Capri!
Capri öffnet die Sinne
Am nächsten Morgen wacht er auf einer anderen Insel auf. Sein Hotel in Anacapri liegt mitten in Olivenhainen und Obstgärten. Die Luft riecht nach Oleander und Vanille und frischen Cornetti von der Frühstücksterrasse. Beim Cappuccino plant er sei¬nen Tag: in die Stadt erst, wenn die Touristen weg sind. Und jetzt auf den Monte Solare, bevor sie dort alle mit dem Sessellift hinaufkommen. Leider biegt
er dann am Gartentor rechts in den engen Weg ab und nicht links, und bevor er merkt, dass er falsch ist, merkt er etwas ganz anderes: dass die eine Sei¬te des zwei Meter schmalen Weges, die mit der Natursteinmauer, drei oder vier Grad wärmer ist als die andere, die in die Gärten übergeht. Er geht ein paar Meter im Zickzack, warm, kühl, warm, kühl, und plötzlich flutet ganz Capri auf ihn ein. Er sieht die Farbe der Bougainvilleen und das Moos in den Mauerritzen. Die Wolken, die sich langsam zu ihrer täglichen Verabredung am Monte Solare aufma¬chen. Die kleinen Eidechsen. Die Reben, die einen Baldachin über ihm bilden. Er riecht den warmen Stein der Gasse, die reifenden Trauben, die Myrte, den Lorbeer. Und er hört die Bienen, die Grillen, das Meer in weiter Ferne, so nah.
Nach Einbruch der Dunkelheit wirkt Anacapri, als
habe man die Luft aus ihm gelassen. Der Ort zieht
sich auf eine mediterran ungewöhnlich eigenbrötle
rische Art in sich zurück. Wo mittags noch voll be¬setzte Tische standen, führen jetzt alte Männer ihre Pudel spazieren. Es dämmert, die blaue Stunde, ei¬ne azurne Melancholie legt sich wie feine, unsicht¬bare Gaze über die Insel. Jetzt ist die Zeit für die Stadt, die große, Capri, die kapriziöse auf dem Bergrücken im Inselosten. Bis vor ein paar Stunden haben sich hier schnaufende Menschen hinaufge¬schleppt. Jetzt sind die letzten Fähren fort, und Capris andere Besucher flanieren vom Yachthafen hinauf: die Reichen, die Schönen, die von innen Leuchtenden, denen man hinterherschauen muss. Hier ist der beste Ort der Welt, um zu sehen, was simple Riemchensandalen, ein weißer Strickpull¬over und ein Sommerrock mit einer Frau anstellen können. Und natürlich die samtene Luft des Meeres. Er beschließt, länger zu bleiben. Die Insel hat ihr Netz nach ihm ausgeworfen. Manche behaupten, die Insel sei das Sirenen-Eiland des Odysseus gewe¬sen und Äonen zuvor jener mythische Fleck, an dem
die Schöpfung die Schönheit entdeckte. Einst hätten die Götter auf Capri gewohnt, heißt es, und später die Kaiser. Roms Imperatoren sind Staub und die Götter sind vertrieben worden von 16.000 Ausflugs¬touristen täglich, von grotesken Quadratmeter¬preisen und Trattorien, die zwölf Euro für das Glas Pinot Grigio verlangen — aber möglicherweise, denkt er, kommt ja der eine oder andere hin und wieder zurück und sieht nach, was so geworden ist aus der alten Heimat. Vielleicht verweilt er dann ein wenig, eine Stunde, ein paar Augenblicke. Und viel¬leicht begegnet man ihm, ohne es zu merken. Es gibt eine Art Magie, die der Mensch nicht zerstö¬ren kann, auch nicht durch das Aufstellen einer überdimensionierten Marien-Statue. Die Villa Jovis liegt den meisten Tagestouristen zu weit abseits. Als er am späten Nachmittag hier ankommt, ist nur noch der Wächter da, und der will gerade gehen. Der Palast des römischen Kaisers war einmal der Nabel
des Imperiums. Zehn Jahre regierte der alternde Tiberius von Capri aus die damals bekannte Welt. Beinahe die komplette Insel kann man von den bröckelnden Mauern der Palastruine aus sehen, auf der anderen Seite liegt das Festland im Blau des Meeres, als gehöre es eigentlich gar nicht dorthin.
Zeit atmet ein und aus
Es dämmert, es dunkelt, für einen Moment schwebt etwas in der Luft, als atme die Zeit selbst ein und wieder aus. Dann ist es Nacht, die Lichter gehen an und Capri verwandelt sich in einen mit zehntausend Glühbirnen gesprenkelten Dampfer, der durch die nachtschwarzen Meere steuert. Wenn man genau hinhört, kann man auch das Bordorchester spielen hören mit Mandolinen und Gitarren. Und Rudi Schuricke singt dazu und klingt noch immer wie damals — als schwebe eine Handvoll Sternenstaub in der Luft um ihn herum

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