Samstag, 29. August 2009

Ritualmorde an Albinos in Tansania

Albinos Ritualmorde in in Tansania
Author D.Selzer-McKenzie
In Tansania müssen sic
Albinos verkriechen. Si
gelten im Aberglauben
der Leute als Geister,
deren Körperteile
Reichtum und Glück
bringen. Eine Serie vor
Ritualmorden schreckt
jetzt die Regierung auf.
Sie kämpft gegen
Zauberer und
Hexenmeister.
Sie hat sie nicht kommen hören; nicht das Aufstemmen der wind¬schiefen Tür und auch nicht das Tappen ihrer Füße, als sie den Schlafraum der armseligen Hüt
te betraten. Wach geworden sei sie erst, als sie vom Schein einer Taschenlampe geblendet wurde und ihr gleichzeitig je-mand mit einer Machete auf die Schulter klopfte. „Sei ruhig", habe jemand ge¬zischt, „sonst stirbst du." Das Nächste, was die zwölf Jahre alte Mindi Fimbo wahrnahm, waren die Schatten von zwei Männern, die sich auf ihre fünf Jahre alte Schwester Mariam stürzten, die neben ihr auf einer Matte schlief — ihre kleine Schwester, die Mindi stets vor den Hänse¬leien der anderen Kinder beschützt hat¬te. „Zeru Zeru" hatten sie Mariam geru¬fen, was heißen soll, sie sei ein Geist. Das Mädchen litt an Albinismus.
Mindis Erzählung stockt, das Mädchen schaut sich hilfesuchend um, findet den Blick ihres Großvaters, dem jetzt ebenso wie der Enkelin Tränen in den Augen ste¬hen. Der Alte nickt dem Mädchen zu. „Der eine Mann hat Mariam gepackt", flüstert Mindi, „und der andere hat so¬fort zugeschlagen." Mit einem Macheten- hieb, dessen trockenes Geräusch sie nie¬mals. vergessen wird, schlugen die Män¬ner Mariam den Kopf ab. Im Schein der Taschenlampe sah Mindi, wie die Män-ner Mariam danach das linke Bein gleich unterhalb ihres Gesäßes abhackten, dann das rechte. „Sie haben ihr Blut in ei¬ner Schale aufgefangen und es getrun¬ken. Dann haben sie den Kopf und die Beine in einen Sack gepackt und sind ver¬schwunden." Mindi war derart ge¬schockt, dass es Minuten gedauert hat, bis •sie in der Lage war, in den Neben¬raum der Lehmhütte zu stürzen, in der ihr Großvater schlief. „Opa hört nicht gut", sagt Mindi Fimbo. Ihr Großvater hatte nichts mitbekommen. Die Täter wussten das nur allzu gut. Genauso wie sie wussten, dass das kleine Albino-Mäd¬chen nie bei seinen Eltern, sondern im¬mer bei seinem Großvater übernachtete. Die Mörder waren Nachbarn des alten Mabula Fimbo.
Der Mord an Mariam Fimbo ereignete sich am 21. Februar 2008. Sie war das 36. Opfer einer unheimlichen Reihe bestiali¬scher Ritualmorde, die seit nunmehr drei Jahren die Gemeinschaft der Albinos in Tansania terrorisiert. Knapp 50 Tote hat der Wahnsinn bislang gefordert, die meis¬ten davon in der Region von Mwanza am Viktoriasee. Der Hintergrund sind Zaube¬rei und der Glaube an deren Verheißun¬gen. Man sagt, dass ein starker Zauberer seinem Kunden unglaublichen Reichtum bescheren kann, sofern der Zauber mit den Gliedmaßen eines Albinos ausge¬führt wird, mit ihren Ohren, ihren Ge-schlechtsteilen oder ihren Zungen. Für ei¬nen kleineren Zauber reichen auch schon Finger. Oder ein Auge.
Albino-Körper werden für Unsummen gehandelt. 1,8 Millionen Shilling (rund 11000 Euro) bringt ein abgehacktesBein. Der Irrsinn hat bereits
Nachahmungstäter im benachbarten Bu¬rundi gefunden, wo elf Albinos getötet wurden. Die Mörder hatten ausgesagt, ihre „Ware" in Tansania verkaufen zu wollen. Die Kunden der makabren He¬xengerichte sind Goldgräber, die gemah¬lene Albino-Knochen in ihre Schächte werfen, in der Hoffnung, auf eine fette Goldader zu stoßen. Es sind die Fischer am Viktoriasee, die Albino-Haut an ihre Boote nageln, damit ihnen anschließend Barsche mit Gold im Bauch ins Netz ge¬hen. Doch das ist nur die Spitze des Eis¬bergs. Selbst Politiker und Sportler ste¬hen im Verdacht, die Dienste der bluti¬gen Hexenmeister in Anspruch zu neh¬men
neh¬men. „Nur darüber spricht niemand",
sagt Al-Shaymaa John Kwegyir, die Albi¬no-Beauftragte der tansanischen Regie¬rung.
Nirgendwo sonst in Afrika leben so vie¬le Albinos wie in Tansania. Zwischen 170 000 und 300 000 Menschen sollen es sein, die aufgrund eines genetischen De¬fekts mit einer weißen Hautfarbe und ex¬trem lichtempfindlichen Augen auf die Welt kommen. Sie müssen sich vor der Sonne hüten, weil sie schnell an Haut¬krebs erkranken, in der Schule kommen sie häufig nicht mit, weil sie nicht erken¬nen können, was vorn an der Tafel steht. Und gesellschaftlich sind sie geächtet, weil der Glaube vorherrscht, sie seien Geister. Neugeborene Albinos werden häufig sofort getötet. Man sagt, Albinos sterben nicht, sondern 'sie „versthwin-den". Das war seit jeher eine gute Aus-rede für Ritualmorde.
Die jüngste Mordserie aber hat die Re¬gierung aufgescheucht, weil das Ausmaß der Verbrechen Tansanias Image als fried¬liches Safariland beschädigen könnte. Präsident Jakaya Kikwete verurteilte die
Morde öffentlich und ermutigte die Be-völkerung, die Zauberer anonym zu de-, nunzieren. Allen Naturheilern wurde die Arbeitserlaubnis entzogen. Der Innen¬minister adoptierte ein Albino-Mädchen. Zudem berief der Präsident die Albino- Aktivistin Al-Shaymaa John Kwegyir ins Parlament, in dem er zehn Sitze mit Abge¬ordneten seiner Wahl besetzen kann.
Seither verfügt Frau Kwegyir über ei-nen Dienstwagen und einen Leibwäch-ter, den sie vermutlich auch dringend braucht. Illusionen über ihren Job macht sie sich nicht. „Ich muss gegen Ignoranz kämpfen, gegen Aberglauben und gegen Budgetrestriktionen", sagt die Abgeord¬nete. Denn Geld, um etwa den Dorfwäch¬tern in Mwanza Fahrräder zu kaufen, da
mit die ihre Patrouillen ausdehnen kön-nen, hat sie nicht. Genau genommen ist Frau Kwegyir so etwas wie ein politi-sches Feigenblatt.
Das vorerst letzte Opfer der Al¬bino-Hatz in Mwanza heißt Jessica Charles. Sie starb am 21. Juni dieses Jahres, einem Sonntag. Jessica hatte an je
nem Sonntag um 16 Uhr das elterliche Haus in Kichili, einem Vorort von Mwan¬za, verlassen, um zur Kirche zu gehen. Sie wollte bis 18 Uhr zurück sein, recht¬zeitig zum Einbruch der Dämmerung. „Wir haben mit ihr über die Albino-Mor¬de gesprochen und sie war sich der Ge¬fahr bewusst", erzählt ihr Vater Joshua Charles. Doch Jessica kam weder an die¬sem Abend zurück noch am nächsten Morgen. Ihr Vater erstattete eine Vermiss¬tenanzeige.
Eine Woche später wurde Jessicas Lei¬che auf einer Müllkippe der Stadt ent¬deckt. Beide Beine sowie beide Arme
fehlten. Die Ohren waren ihr abgeschnit¬ten worden, auch die Zunge. Ein Auge fehlte. Jamal Rwambow, der Polizeichef von Mwanza, packt die Fotos des zerfetz¬ten Körpers schnell wieder in die Akte. Er ist ein ruhiger Mann; sanfte Stimme, viel Grau im Haar, makellos gebügelte Uniform. Doch wenn er auf den Mord an Jessica Charles zu sprechen kommt, ge¬rät er in Wut. „Dem Mädchen ist Liebe vorgegaukelt worden, und dann hat der Dreckskerl ihr einen Strick um den Hals gelegt", sagt er. Jessica war von ihrem ei¬genen Freund ermordet worden. Für an-geblich 800 Millionen Shilling, einer hal¬ben Million Euro. So viel jedenfalls habe eine Zauberin dem Mann ausweislich sei¬ner Aussage als „Preis" für „frische Albi
no-Ware" versprochen. „Tatsächlich be-kommen hat er 10 000 Shilling", sagt Rwambow, nicht einmal achtzig Euro.
„Die junge Frau ist regelrecht in eine Falle gelockt worden, wobei ihre Schüch¬ternheit und ihre Unsicherheit als Albino gezielt ausgenutzt wurde", sagt der Poli¬zeiChef. Der Lockvogel war ihre beste Freundin. Jessicas Mutter hat ein Foto der beiden. Es zeigt ihre Tochter, eine spindeldürre junge Frau mit hängenden Schultern und strohblondem Kraushaar, die sich nicht traut, das Gesicht der Ka¬mera zuzuwenden. Neben ihr steht ihre Freundin Esther, 35 Jahre alt, einen Kopf größer, schlank, strahlendes Lächeln, eine bildschöne Frau. „Wir haben uns im¬mer gefragt, was Esther an Jessica fand. Sie war doch zehn Jahre älter als unsere Tochter", sagt die Mutter.
Jessica schaute auf zu Esther. Die Freundschaft mit dieser schönen Frau steigerte ihr Selbstwertgefühl. „Natürlich waren wir zunächst misstrauisch, aber
Morde in Mwanza überhandnatur kauften die Eltern ihrer Tochter eine brauchte Nähmaschine, damit sie zu H se und damit im Schutz der Familie arl ten konnte. Aber die Besuche bei Est ließ sich die junge Frau nicht ausrede
Esther war es, die Jessica den Mann stellte, der ihr „Freund" werden sollte nen jungen Mann von 25 Jahren, ani licher Biologiestudent mit seriösem 1 treten und christlicher Erziehung. Ei der keinen Alkohol anrührt. Jessica liebte sich auf der Stelle. Es war ihr To( urteil. Zwei Wochen später legte der meintliche Liebhaber zusammen mit z weiteren Tätern Jessica eine Schnur den Hals und erdrosselte sie.
Esther, so fand die Polizei heraus, vom Nachbarn der Farr Charles angeheuert worc um das Vertrauen Jess: zu gewinnen. Der Nach war es auch, der den K takt zur Zauberin hersfe „Wir wissen, dass es sich dem Auftraggeber um E Frau handelt, die angeb eine starke Zauberin Mwanza ist", sagt Poli chef Rwambow. Der 1\h bar der Familie Charles, seit zwei Monaten in Un suchungshaft sitzt, will Identität nicht preisgel Er hat Angst vor einem sen Zauber.
178 Verdächtige hat
Polizei inzwischen im
sammenhang mit den
no-Morden im ganzen L
festgenommen. Verur
aber wurde bislang
mand. Es gibt kein Geld,
Zeugen vorzuladen und
in einem sicheren Hotel
terzubringen, es gibt 1
Geld, DNA-Analysen den gefundenen Körperteilen durcl führen, und es gibt kein Geld, zusätzl Ermittler nach Mwanza zu schicken. Gouverneur der Region Mwanza hat sucht, sich auf seine Weise zu helfen. sammen mit dem Polizeichef hat er Millionen Shilling (12500 Euro) Be nung zur Ergreifung der Zauberer um rer Helfershelfer ausgesetzt. Ein M fall konnte auf diese Weise schnell klärt werden. Das Geld kam indes r von der Regierung, sondern von Pr: leuten.
Mwanza ist eine aufstrebende S1 Malerisch gelegen am Viktoriasee nur 200 Kilometer vom östlichen F des Serengeti-Nationalparks entf( hat Mwanza das, was, man „touristis Potential" nennt. In der Stadt wird a nem neuen Fünfsternehotel gebaut alten Herbergen werden neu hergei tet, und das Letzte, was Mwanzas nesswelt gebrauchen kann, ist der ein mörderischer Flecken zu sein. trotzdem: Des Phänomens der Alt Morde sei nur dann Herr zu wer
wenn die Albinos vom Land in die Stadt zögen, wo sie halbwegs sicher seien, glaubt Gouverneur Abbas Kandoro. Na-türlich wäre es das Beste, wenn die Albi-nos von den eigenen Dorfgemeinschaf-ten geschützt würden. ,„Leider aber sind die Mörder fast immer in der Nachbar-schaft und nicht selten in der eigenen Fa¬milie zu finden", sagt er. Der Gouver-neur will jetzt zwei Heime ausschließlich für Albinos bauen lassen.
prima, dann müssen die Mörder nicht lange nach mir suchen", sagt Alfred Kapole, der Vorsit¬zende der Albino-Vereinigung von Mwanza, über die Heime.
Kapole ist 47 Jahre alt, verheiratet und Vater von vier Kindern. Seine Familie aber sieht er kaum noch. Er ist auf der Flucht, und der Grund dafür ist Simpson „oder wie immer der Kerl heißen mag". Simpson wollte an Kapoles bleiche Haa¬re. Wochenlang habe er ihn mit Anrufen bombardiert und ihn beschworen, er sol¬le ihm seine Haare verkaufen, er würde gut dafür bezahlen. Kapole ging zur Poli¬zei. Als er schließlich einem Treffen mit Simpson zustimmte, nahmen die Beam¬ten den Mann fest. Warum er aber an die Haare wollte, gab er nicht preis. Simpson ist längst wieder auf freiem Fuß. „Jeman-dem Geld für einen Haarschnitt anzubie¬ten fällt nicht unter das Strafrecht, auch wenn wir wissen, was dahintersteckt", sagt Polizeichef Rwambow. Die Haare waren mutmaßlich für einen Fischer be¬stimmt, der sie in sein Netz geflochten hätte.
Seit dieser Geschichte schläft Kapole nicht mehr im Haus seiner Familie „Der Mann läuft frei herum, und ich soll mich nicht fürchten?" Früher, erzählt er, habe er zwei Hektar Land bearbeitet. Die Fel-der hat er inzwischen aufgegeben, weil es einfach zu gefährlich geworden sei. Seit¬her verbringt er seine Tage in seinem Büro und die Nächte in einer kleinen Hüt¬te am Stadtrand. „Ich höre abends nicht einmal mehr Radio, um die Nachbarn nicht auf mich aufmerksam zu machen", sagt er. Neulich-habe ihn ein Fremder auf der Straße angehalten und gesagt, er sei „ein gutes Geschäft".
Mindi Fimbo wünscht sich, sie hätte zu-mindest geschrien damals, als die Nach-barn kamen, um ihre Schwester Mariam zu zerstückeln. „Vielleicht wäre sie dann noch am Leben", sagt sie. Sie schläft im-mer noch in dem armseligen Raum, in dem Mariam ermordet wurde. Von den Blutspuren ist nichts mehr zu sehen auf •dem lehmigen Boden. „Mariam schläft jetzt bei Opa", sagt Mindi und zeigt auf die Schlafstätte des alten Mannes im Raum ne-benan. Dort, unter einem Lattenrost, der als Bett dient, liegt Mariam begraben. Das sei die einzige Möglichkeit, Mariams sterb¬liche Überreste vor Grabräubern zu schüt¬zen, sagt der Großvater. „Wenn ich sie schon im Leben nicht beschützen konnte, dann wenigstens im Tod."

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