Samstag, 15. August 2009

Harley Davidson Motorrad Test

Harley Davidson Fat Boy Special
Author D.Selzer-McKenzie
Dem Author Selzer-McKenzie wurde das neue Motorrad zur Verfügung gestellt und hier seine Eindrücke:
Harley-Davidson guckt zum Modelljahr 2010 mal wieder bei sich selber ab. Fans der Big Twins meinen: Ist auch gut so. Die Neuheiten 2010, schon gefahren
schon Großmutter Emilie wusste: Ir- gendwann, mein Junge, kommt alles einmal wieder. Sie hatte von Motor
rädern keine Ahnung, war weder Produkt¬planerin von Harley-Davidson noch Mar-ketingmanagerin, sondern eine bodenstän¬dige waldeckische Landfrau, die im Leben kaum jemals über die Gemarkungsgrenze hinausgekommen war. Aber als solche ver¬stand sie eine Menge vom Lauf der Dinge allgemein und unbewusst auch vom Zau
ber des Motorradbaus nach amerikani¬scher Art. Als Oma Emilie vor langer Zeit jene Worte sprach, war sie über 70 und un¬gefähr im selben Alter wie Willie G. David¬son heute. Der Enkel eines der,Unterneh¬mensgründer von 1903 ist als „Chief Sty: ling Officer" nach wie ,24 in die pesie gebung in Milwaukeg eingetaddh.
Läuft ein Modell nicht mehr so recht — gemessen an den Verkaufszahlen —, ver¬schwindet es tief in der Geschichte des Konzerns. Früher oder später taucht es wieder auf, technisch erfrischt und in der Gestalt so weit verändert, wie die Traditi¬on es zulässt. Harley-Davidson betreibt also einen sprudelnden Jungbrunnen, des¬



sen Wirkung sich nicht selten auch auf den Motorradbesitzer überträgt. Das Bau-kastensystem aus Motoren, Rahmen, Len¬kern, Kotflügeln und dergleichen sowie das nicht nachlassende Wirken von Willie G. sorgen dafür, dass das, was beim Mo¬dellwechsel herauskommt, meistens wie¬der nach klassischer Harley aussieht. Nichts anderes will die Fangemeinde.
Aus dem Programm entfernt hat man hierzulande für 2010 die Modelle Night Train, Softail Rocker, Softail Custom, zwei Sportster und die Standard-Version der Road King. Als Rückkehrerin ist drei Jah¬re nach ihrem Verschwinden die Dyna Wide Glide zu begrüßen. Anlass ist der 30. Geburtstag der ursprünglichen Wide Glide, und natürlich kann man die Neue mit einem gelb-orangefarbenen Flammen¬dekor am Tank bestellen, wie es schon der Urtyp von 1980 trug. Weil aber auch Flam¬men mit der Zeit gehen müssen, sind sie heute einen Tick moderner gezeichnet.
Die neue Wide Glide ist ein Chopper im Geist der Siebziger, radikaler als ihre Vorgängerinnen. Jegliche Opulenz wurde abgestreift, besondere Merkmale sind: ge¬duckte Silhouette, magere Radabdeckun¬gen, immens langer Radstand (1,715 Me¬ter), stark nach vorn gereckte Telegabel, weit auseinander stehende Gabelholme, schwarze Räder mit Chromspeichen, schmales, großes 21-Zoll-Vorderrad, brei¬ter 180er-Hinterreifen unter dem „ge¬choppten" Heckkotflügel, tiefer Sitz, knap¬per Soziusplatz mit einem Bügel, der eine Sissy Bar darstellen soll. Viele Bauteile sind in Schwarz gehalten. Die Fußrasten, weit vorverlegt, setzen beizeiten auf, und wenn man es übertreibt mit der Schrägla¬ge, darf man sich nicht wundern, wenn ei¬nem der Asphalt den Stiefelabsatz weg- fräst. Somit erzeugt das Motorrad echtes Choppergefühl, was sich durch den Tausch des niedrigen Drag-Bar-Lenkers gegen einen hohen „Ape Hanger" noch steigern ließe.
Aber die schöne Wide Glide, von deren lässiger Art jeder Fahrer angesteckt wird, soll nicht nur die Easy-Rider-Fraktion an¬sprechen. Mit knapp 15 000 Euro Stan¬dardpreis liegt sie soeben noch unterhalb jener Schwelle, bei der auch eingefleischte Big-Twin-Fans zum Schlucken den obers¬ten Kragenknopf öffnen müssen. Die Har¬ley-Strategen trauen ihr zu, dass Sie sich in der internen Hitliste vor Fat Bob und Street Bob schiebt, die zurzeit beliebtesten Modelle in Deutschland. Der luftgekühlte Zweizylinder präsentiert seine 57 kW (78 PS) samtweich und ohne jeglichen Last- wechselärger, gibt aus 1585 Kubikzentime¬ter Hubraum ein sattes Drehmoment von 126 Newtonmeter ab. Das Sechsgangetrie¬be meldet sich beim Einlegen des ersten _Gangs mit einem metallischen Schlag zum Dienst, was wohl so sein soll, und ar¬' leitet ansonsten bütterWeich.
195 km/h Höchstgeschwindigkeit sind eine Ansage für einen Chopper, auf ameri¬kanischen Straßen ließ sich das nicht aus¬probieren, was auch gar nicht erstrebens¬wert ist. Die Einzelbremse vorn bräucht ei¬nen kraftvollen Händedruck am Hebel und ist dankbar für jede Unterstützung von hinten. Das nicht gerade bissige Sys

tem reicht aus für ein Land, in dem man schon mittags sieht, wo man abends stop¬pen muss. Na gut, das war unfair: Bei ange¬passter Fahrweise — mit einem Chopper fährt man im Grunde immer angepasst — kann man auch hierzulande gut zurecht¬kommen. Aber eine Offenbarung ist die Bremse nicht, ABS fehlt im Angebot. Wenn die Straße Buckel und Löcher auf¬weist, geht das Wide Gleiten in ein Wild Hoppeln über, ansonsten bewegt sich der Chopper flüssig mit der typischen Nei¬gung des Langgablers, in langsamen Kur¬ven das Vorderrad nach innen zu klappen
kann, bis die ersten Teile aufsetzen — in diesem Fall nicht die Stiefel oder Fußras¬ten, sondern die „Nostalgic"-Trittbretter.
Das Spezielle der faszinierend düsteren Special-Version sind die Satin-Chromteile

Mit 310 Kilogramm Leergewicht ist die Wide Glide nicht die Schwerste des Neu¬heiten-Trios für 2010, das wir schon probe- fahren konnten und von Herbst an erhält¬lich sein wird, sondern die Leichteste. In dieser Hinsicht steigern wir uns jetzt. Die bullige Fat Boy Special, ein 330-Kilo-Mit-glied der Softail-Familie (Starrheck-De¬sign mit verdeckt angebrachten Federele¬menten) betritt die Bühne zum 20. Ge¬burtstag der ersten Fat Boy. Schwarzeneg¬gers ehemaliges „Terminator"-Motorrad ist heute eine 20 000-Euro-Ikone, trotz höchster Fettstufe eine feine Fahrmaschi¬ne, mit der man munter drauflosbollern
und vor allem die großzügige Verwendung der Farbe Schwarz in hochglanz und matt vom Rahmen über die Räder bis zum Luft¬filterdeckelzierring. Luftfilterdeckelzier¬ringe sind keine Peanuts für Harley, da geht es immer ums Detail. Jeder Biker mit Herz bekommt beim Anblick der Komposi-tion nostalgic Anwandlungen, hochglän¬zende Augen und einen Satin-Blick. Tech¬nisch ist die Special mit dem Standard-Mo¬dell identisch, der 56 kW (76 PS) starke, fest im Rahmen verschraubte Twin Cam 96B arbeitet mit Ausgleichswellen. Auf dem neuen Flachsitz, hinter der Brechstan¬ge von Lenker kauert man tief und cool. Das Fahren ist geprägt vom Gefühl der Masse, die sich in Rauch auflöst, sobald

sie in Bewegung kommt, und schon des¬halb darf man sich auf den 20. Jahrestag des 20. Geburtstags der Fat Boy freuen, der bestimmt mit einem Sondermodell Special Fat Boy Special gewürdigt wird.
In der Touring-Baureihe fährt Harley¬Davidson ein neues Spitzenmodell auf: Die (bitte auswendig lernen!) Electra Glide Ultra Limited verdrängt di6 Ultra Classic Electra Glide, die weiterhin ange¬boten wird. Der wesentliche Unterschied: In der Ultra Limited kommt statt des Twin Cam 96 der etwas stärkere Twin¬Cam-103-Motor mit 1690 Kubikzentime¬ter Hubraum (statt 1585) zum Einsatz. Dieses Aggregat war bisher den Harley-Po¬lizeimotorrädern vorbehalten, hat mit 62 kW (84 PS) gegenüber 60 kW (82 PS) eine geringfügig größere Nennleistung und ein üppigeres Drehmoment (136 statt 129 Nm). Bei 413 Kilogramm Leergewicht zäh¬len jedes PS und jedes Newtonmeterchen.
Die Ausmaße sind gigantisch, die Aus¬stattung ist es ebenfalls. Zum ohnehin prallen Komfortpaket der Ultra Classic Electra Glide kommen bei der Electra Gli¬de Ultra Limited (na, sitzt das schon?) be¬heizbare Lenkergriffe, Gepäckträger auf dem Topcase, Innentaschen für die Hart¬schalenkoffer und Zusatz-Zierat. Seit der grundlegenden Überarbeitung der Tourer-Fahrwerke und -Bremsen (ABS serienmä¬ßig) vor einem Jahr ist das Handling tadel¬los, das Verzögern ebenso.
Aber 56 000 D-Mark oder 28 000 Euro für ein Motorrad mit elektronischer Ge-schwindigkeitsregelung und 80-Watt-Mu¬sikanlage? Das hätte Oma Emilie sich nie¬mals vorstellen können.

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