Montag, 20. Juli 2015

Die Zukunft des Sex


Die Zukunft des Sex

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/DIWpWqd_M5o

Wir schreiben das Jahr 1965. In Deutschland t es immer noch als an-rüchig, sich an ein Ehean-bahnungsinstitut zu wenden. Auf die Annoncen („Gut situierter Unternehmer im Ruhestand, 73, passio-nierter Segler, sucht Frau von Niveau") ist auch nicht immer Verlass. Und wer traut sich schon zum Ball der einsamen Herzen, wo der Kontakt per Tischtele-fon aufgenommen wird?

Auf der anderen Seite des Atlantiks hat der Harvard-Student Jeff Tarr eine bessere Idee. Er will das Thema Partnersuche nicht mehr dem Zufall oder hauptberuflichen Kupplern überlassen. Tarr entwickelt Persönlichkeitsfragebögen, mit denen er Kommilitonen nach ihren Vorlieben befragt, und verteilt sie an Bostoner Universitäten. Die Zahl der Rückmeldungen überrascht ihn selbst. Er mietet kurzerhand einen IBM-Computer, wertet die erhaltenen Daten nach potentiell erfolgreichen Paarungen aus und nennt diese erste computerbasierte Partnerbörse paramilitärisch „Operation Match". Schon nach zwölf Monaten hat er neunzigtausend registrierte Nutzer zusammen und erwirtschaftet Einnahmen von 270 000 Dollar. Doch bis daraus ein allgemeines Geschäftsmodell wird, gehen noch einige Jahrzehnte ins Land.

Heute wird der Markt für Singlebör-sen allein in Europa auf mehr als achthundert Millionen Euro geschätzt. Deutschland bildet, nach Großbritannien, den zweitgrößten Markt mit einem Umsatz von gut zweihundert Millionen Euro.

Richtig in Schwung kam die Sache um die Jahrtausendwende, als Zeitschriften und Stadtmagazine dazu übergingen, ihre Kleinanzeigen auch ins Internet zu stellen. Der Computer half jetzt mit, weil die Kontaktwilligen über eine Volltextsuche, wenn auch vergleichsweise. mühevoll, die Spreu vom Weizen trennen konnten. Wenige Jahre später folgten die ersten kommerziell erfolgreichen Online-Singlebörsen, die ihre Dienstleistung unabhängig von Verlagsinhalten anboten. Die Auswahlmöglichkeiten waren schon deutlich differenzierter; so konnte man gezielt nach geeigneten Kandidaten in der näheren Umgebung suchen, auch nach Übereinstim: mungen bei Hobbys, sexuellen Vorlie-ben oder Alter und Statur.

  aia.otllluGta 34.1.111VU WucHs am

Scoutzi. Holding mit Sitz in München, die mit diversen Online-Marktplätzen wie immobilienscoutz4 oder autoscoutzl. für so ziemlich jeden Topf einen Deckel sucht. friendscoutzg. ist nach eigenen Angaben mit z}Millionen registrierten Profilen das mitgliederstärktste Partnerportal in Deutschland. Doch während bei einem Auto an Fakten wie Hersteller, Modell, Farbe oder Tachostand schlecht zu rütteln ist, gestaltet sich die Suche nach einem Lebensgefährten deutlich komplexer. Es gehört schließlich zu den Binsenweisheiten, dass ein Mann sich in eine schwarzhaarige Fiau verlieben kann, auch wenn er eigentlich Blondinen bevorzugt. Eine Frau kann durchaus an einem Weltumsegler Gefallen finden, auch wenn sie ursprünglich nach einem erzkonservativen Angestellten aus dem gehobenen Verwaltungsdienst gesucht hat. Gemeinsamkeiten allein machen nicht per se ein gutes „Match", wie die Paar-psychologen es nennen.

Hier kommt die Grundidee von Jeff Tarr wieder ins Spiel. Inzwischen setzt eine ganze Reihe von Partnerbörsen auf Matching-Algorithmen, die durch aktive Computerunterstützung nach erfolgver-sprechenden Paarungen suchen, also nicht nur durch eine vom Nutzer initiierte Einmalabfrage gespeicherter Daten. Allen diesen Partnerbörsen gemein ist, dass ihre Mitglieder vorher einen ausführlichen, von Psychologen entwickelten Fragebogen ausfüllen. Der Fokus liegt dabei weniger auf singulären Eigenschaften wie Hobbys, Einkommen oder Beruf. Interessanter für die MatchingAl-gorithmen sind Metathemen: Ist der Kandidat belastbar und von positiver Grundeinstellung? Wie geht er mit Krisen um? Ist er eher dominant oder anpassungsfähig? Ist er in- oder extrovertiert?

Beim Ausfüllen dieses Fragebogens entsteht eine Persönlichkeitsmatrix, die - ähnlich wie bei modernen Kundenbin-dungssystemen - Kandidaten in verschie-dene Typen mit verschiedenen Abstufungen einteilt. Und für jeden dieser Typen gibt es wiederum eine gewisse Anzahl von potentiell passenden anderen Typen. Zwar spielen bei den Matching-Algorith-men durchaus auch Hobbys oder die Höhe des Einkommens eine Rolle, doch diese werden wesentlich niedriger gewertet sind somit eher das I-Tüpfelchen zur Feinkalibrierung der Übereinstimmungsprognose. Worin sich die Partnerbörsen zum Teil massiv unterscheiden, ist die genaue Gestaltung der Algorithmen. Die 'gaben eine ähnliche Geheimhal-tunerimie wie das vielzitierte Coca-Caki-literzept oder der Suchalgorithmus

Goatin Bei der vor allem im englishen.

Dieser „Gamification' genannte Ansatz gestattet es, die Datenim-sis zu verfeinern und den Kunden na-gleich am Vermittlungserfolg teilhaben zu lassen.

Was die Partnerbörsen der dritten Generation von ihren Vorgängern unterscheidet, ist, dass sämtliche erfassten Daten pausenlos miteinander abgeglichen werden und bei jeder Neuanmeldung eines Kandidaten überprüft wird, inwieweit er zu den bereits existierenden pass--Jedes Mitglied einer solchen Partnerbörse erhält in regelmäßigen Abständen häufig täglich, neue Vorschläge. Die

ren eine Rückkehr zum „Cocooning beobachtet, zur Häuslichkeit in einem gemeinsamen Raum. Es gibt aber auch Fragen, die obsolet geworden sind. Beispielsweise wie jemand reagiert, wenn ein anderer Gast im Restaurant anfängt zu rauchen. Stattdessen fragen wir nun, wie Menschen es finden, wenn andere im Restaurant ihr Mobiltelefon nutzen.

Führen Sie oft neue Fragen ein?

Meist in großen Abständen im Rahmen einer Testrevision. Sonst haben Sie Abermillionen von Datensätzen existierender Kunden, die diese Frage eben noch nicht beantwortet haben.. Unser Matchmaking basiert auch we-niger auf einzelnen Fragen, die Daten werden vielmehr zu Merkmalskornlilie-xen zusammengefasst.

Wie viele Merkmale erfassen Sie:

Insgesamt 32 Merkmale, in bis .7_ Abstufungen, deren Auspräg-an: - nem Kontinuum sogenannter

dardwerte ausgedrückt wird. -

lich beschreiben wir die Ergel-_-n_ meist in etwa fünf Abstufungen

Werten Sie das Konversationsweini-ten aus? Zum Beispiel die Zahl der schriftlichen Kontakte, um be-aiL.,--zufinden, ob ein vorgeschleenr Match erfolgreich ist?

Das würde nichts bringen. Fr.=          ne

entscheidend, ob ein Paar haben uns gefunden. De= ran=re

 

Übereinstimmungsquote wirr! in Punkten oder Prozentzahlen angegeben.

Die vierte und derzeit letzte Generation der Suchbörsen setzt auf zwei Trends: die Hinwendung zu mobilen Endgeräten -rad zu sozialen Netzwerken. Mobile Gerate erlauben standortbasierte Vermittlung. Apps wie Tinder oder das Berliner Start-up Lovoo setzen hier einen klaren Schwerpunkt: Räumliche Nähe ist wichtiger als charakterliche Übereinstimmung. Der Nutzer sieht diejenigen Kandidaten.

Einkommens oder die Art seiner sexuellen Vorlieben verrät er nur höchst ungern. Umso mehr interessiert er sich für die intimen Details der jeweils anderen. Aus diesem Zwiespalt heraus lässt sich fast schon die gesamte Verfassung der Menschheit ableiten. In Schopenhauers Worten: „Wozu der Lärm? Wozu das Drängen, Toben und die Not? Es handelt sich ja bloß darum, dass jeder Hans seine Grete findet."

So war es bislang. Aber so wird es nicht bleiben. Auf Facebook werden mittlerweile sechzig Möglichkeiten angeboten, sein Geschlecht zu beschreiben, wobei die Unterscheidung zwischen „androgyn", „bigender" und „transgender" schon zeigt, wie subtil die Grenzen verlaufen. Diese semantische Diversifikation, über die sich billige Glossen schreiben lassen, spiegelt wieder, dass es nicht mehr allein um Hans und Grete geht. Und bei denen auch nicht mehr vorrangig darum, Nachwuchs zu zeugen. Fortpflanzung ohne Sex ist heute ohne weiteres möglich, Verhütung seit der Erfindung der Pille kein Lotteriespiel mehr.

Am stärksten aber wandelt sich die Sexualität unter dem Einfluss der neuen Medien. Unsere Urgroß-eltern haben allenfalls mal ins nächste Dorf eingeheiratet, wir selbst können in den einschlägigen Suchbörsen unter Millionen mögli-cher Partner wählen. Gleichzeitig führt uns das Internet jede denkba-re - und für frühere Jahrgänge kaum vorstellbare - Spielart der menschlichen Sexualität vor. Wie sich all dies auf die Phantasie und die Praxis künftiger Generationen auswirkt, können wir allenfalls ah-nen. In diesem Wissenschaftsspezi-al, das Auftakt zu einer kleinen Serie ist, riskieren wir trotzdem einen

Blick.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.