Sonntag, 19. Juli 2015

Poker Loser in Las Vegas


Poker Loser in Las Vegas

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/gynyYl5TN_g

 

Mit einem Schwips und der Erkenntnis, dass die locals vielleicht noch mehr Pokerbücher gelesen haben als ich, geht es zurück ins Hotelzimmer.

Frohen Mutes melde ich mich am nächsten Tag bei einem Turnier im „Ex-calibur" an. Das Hotel ist einer mittelalterlichen Burg nachempfunden und sieht mit seinen bunten Türmen aus, als wäre es komplett aus Plastik gebaut. Auf dem Weg zum Pokerfloor sehe ich ein frisch vermähltes Brautpaar, das in voller Montur stumm nebeneinander vor zwei slot machines sitzt. Willkommen in Vegas.

Das Turnier selbst ist eine einzige Ent-täuschung. Da ich in einem Forum bereits gelesen hatte, dass man im „Excali-bur" wohl großer Fan der Klimaanlage ist, habe ich in einem Rucksack alles aus meinem Reisegepäck mitgenommen, das einigermaßen warm ist.

Doch die Kälte übertrifft alle Erwartungen. Nach und nach ziehe ich alles an, was ich dabei habe, und sehe mit der Kombination „Fleecejacke-über-zwei-Strickpullovern-über-zwei-T-Shirts" irgendwann aus wie der letzte Vollhonk. Außerdem spricht hier niemand miteinander. Alle starren verkniffen auf ihre Karten und verziehen keine Miene.

Einen nahezu tiefgreifenden Dialog führe ich mit allein einem Engländer, der in Flip-Flops neben mir sitzt.

Ich: "Ist Ihnen nicht kalt?"

Er: "Nein."

Ich: „Sie tragen nur Flip-Flops."

Er: ,Ja."

 

Ich: „Und Sie frieren nicht."

Er: "Nein."

Zu allem Unglück hatte ich mich auch noch für ein sogenanntes Turboturnier entschieden. Die Einsätze steigen dabei so schnell, dass sämtliches Geschwafel ä la "Beim Poker setzen sich gute Entschei-dungen langfristig durch" Makulatur ist. Denn irgendwann haben alle so wenige Chips, dass ständig jeder all-in gehen muss. Als ich rausfliege, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass drei Stunden an einer slot machine wahrscheinlich erfolgreicher gewesen wären.

Ich beginne zu zweifeln.

Und ändere die Strategie.

Ich spiele cash game.

Beim cash game kann man sich - an-ders als bei einem Turnier - immer wieder einkaufen, wenn man pleite ist. Aber andererseits kann man auch jederzeit aufstehen, wenn man entweder durchgefroren ist oder es einfach nicht gut läuft. Nach zwei Tagen Pokerpause wage ich also einen neuen Versuch. Ich tausche 200 Euro in Chips ein und setze mich an den Tisch mit den niedrigsten Einsätzen. Ich brauche jetzt erst einmal ein Erfolgserlebnis.

Leider setzt just an dieser Stelle mein Erinnerungsvermögen aus. Ich weiß nur noch, dass mein Geld nach einer Stunde weg war und ein dicker Mann lachte.

In Las Vegas fühlt man sich schnell wie auf einer Party um fiinf Uhr morgens, wenn nicht mehr klar ist, ob diese Nacht immer weitergehen soll oder alle schon lange den Absprung verpasst ha- ben. Da laufen halbnackte Cowboys durch die endlosen, prunkvoll verzierten Flure der Casinos, da hallt das Kreischen der Mädels beim Junggesellenabschied durch die Nacht. Da schießen vor dem pompösen „Bellagio" die Wasserfontänen in den Himmel, Cdine Dion singt aus Lautsprechern „My heart will go on", und Touristinnen aus aller Welt weinen.

Und obwohl das chinesische Macau inzwischen sieben Mal mehr umsetzt als Las Vegas und dort die richtigen big games gespielt werden (in manchen Po-kerrunden geht es in nur einer Hand um mehrere Millionen!), ist Las Vegas immer noch das Mekka für Polterspieler. Es ist nicht nur diese „Himmel-so-etwas-er-lebt-man-nur-in-Vegas"-Atmosphäre, sondern es ist eben auch eine Arena, um sich mit den besten Spielern der Welt zu messen.

Die erfolgreichsten Profis tauchen immer wieder an den high stakes-Tischen auf (hier braucht man schnell mal mo 000 Dollar; um überhaupt mitspielen zu dürfen), und Pokerlegenden wie Chris Moneymaker (der heißt wirklich so!) haben hier Geschichte geschrieben. Moneymaker hatte sich für die Weltmeisterschaft 2003 mit einem Einsatz von gerade einmal 39 Dollar im Internet qualifiziert, am Ende gewann er 2,5 Millionen Dollar - und entfachte einen Pokerboom.

Meinen letzten Versuch, in Las Vegas zu Ruhm, Ehre oder zumindest ein paar Euros zu gelangen, starte ich im Casino des MGM-Hotels. Jeden Tag findet hier ein Turnier für siebzig Dollar statt, und

 

es gehört zu den beliebtesten in ganz Las Vegas. Heute nehmen sechzig Spieler daran teil, und das Starterfeld wartet alles auf, was Poker zu Poker macht: Die Spieler tragen Sonnenbrillen, Goldketten oder auch Rolex-Uhren. (Wahlweise auch eine Kombination aus allen dreien.) Manche haben sogar extra Sitzkissen dabei. Scheint eine längere Angelegenheit zu werden.

Die Struktur des Turniers (die Einsätze steigen langsam), die Raumtemperatur (ich friere nicht, yeah!) und die Gegner (testosterongesteuerte Machos, die alle Karten spielen wollen und deswegen völlig überreizen) spielen mir in die Hände. Ich mag es kaum sagen, aber: Es läuft richtig gut. Ich gewinne einen pot nach dem anderen, nehme einen großspurigen Texaner vom Tisch und lasse mich auch nicht entmutigen, als ich mit drei Assen in eine Straße laufe. Stunde um Stunde vergeht. Ich bekomme gute Karten und treffe die richtigen Entscheidungen. Ich ertappe mich dabei, auf die großen Bildschirme zu sehen, wo die Verteilung des Preisgeldes zu sehen ist. Ich übe innerlich den Satz ,Ja, ich habe ein Turnier in Las Vegas gewonnen", bis er mir so flüssig und lässig über die Lippen geht, dass ich fest davon überzeugt bin, dass dieser Satz schon wahr geworden ist.

Leider kommt ein Tischwechsel dazwischen.

Inzwischen sind wir so wenige Spieler, dass die Tische zusammengelegt werden. Schon von weitem sehe ich, dass sich an Tisch 3 - der Tisch, der mir zugeteilt wurde - eine Menschentraube um einen Spieler versammelt hat. Von nahem sehe ich: Dieser Spieler hat den größten Chipstapel vor sich, den ich je in meinem Pokerle-ben gesehen habe. „Wie ist er denn dazu gekommen?", flüstere ich meinem Tischnachbarn zu. „Er ist ein-fach gut", kommt zur Antwort. „Und er trifft heute alles, was man nur treffen kann. Er hat schon sieben Leute vom Tisch genommen. Es ist der Wahnsinn."

Die nächsten anderthalb Stunden geht der Wahnsinn weiter - und ich bin dummerweise mittendrin. Der Mann mit den vielen Chips - er trägt ein T-Shirt mit einem Toten-kopfaufdruck und der Überschrift ‚The Legend" - spielt uns alle gegen die Wand. Er ist aggressiv, ohne kopflos zu sein. Und abWartend, ohne Chancen zu verpassen. Er ist undurchschaubar, durchschaut aber den Rest des Tisches. Man muss es wohl so sagen: Er spielt einfach verdammt gutes Poker. Je mehr Chips er gewinnt, desto größer wird die Menschentraube, die sich um ihn versammelt. Auch bis ins letzte Eck des Casinos hat sich inzwischen her-umgesprochen, dass da ein dicker Typ sitzt, der alle schonungslos ausnimmt. „Hey Mann, du musst ins ,Bellagio` gehen, so wie du heute spielst", sagt ein Zuseher und klopft ihm anerkennend auf die Schulter. Mir wird klar: Ich bin nur Kanonenfutter einer größeren Mission.

Vollkommen paralysiert beobachte ich, wie mein Chipstapel immer kleiner wird. Ich verliere einen pot nach dem anderen, lasse mich von „The Legend" einschüchtern und starte verzweifelt Scheinangriffe, die prompt als solche enttarnt werden. Irgendwann bin ich ein psychisches Wrack und starre nur noch benebelt auf die Brüste von Debbie, der Bardame, die einen Cocktail

nach dem anderen anbringt. Sie trägt ein enges, rotes

Kleid, und ihre Brüste scheinen von

Runde zu Runde größer zu werden. Plötzlich hat der Pokergott ein

Einsehen mit mir und gibt mir als

Starthand zwei Buben. Jetzt oder

nie, denke ich. Und sage: „All in."

Ich schiebe meine restlichen Chips in die Mitte und spüre, wie mein Puls steigt. Alle legen ihre Karten weg, nur ,',The Legend" sagt, ohne mit der Wimper zu zucken: „Call." Er geht also mit. Ich zeige meine Buben. Er dreht Ass Zehn um. Wenn es nach der Statistik geht, müsste ich nun gewinnen. In sieben von zehn Fällen liegt meine Kombi-

nation vorne.

Ich habe mein Schicksal nun

nicht mehr in der Hand. In der Hoffnung, dass eine Statistik zumindest einmal hält, was sie verspricht, sehe ich nervös auf den Tisch.

Denn nun dreht der Dealer nach und nach die fünf Gemeinschaftskarten um. Schon auf dem Flop, also den ersten drei Karten, kommen zwei Zehner und ein Ass. ‚The Legend" hat damit ein Full House.


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