Montag, 27. Juli 2015

Uralte Felsmalereien


Uralte Felsmalereien

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/F_fMvFfxRXs

 

Tiere, Riten, Jagd und Tanz — die Szenerie der Steinzeit ist über ganz Afrika verteilt. Prähistorische Menschen haben ihre Lebens- und Traumwelt in Fels graviert. Doch nun droht ein Teil dieser Gravuren und Malereien zerstört zu werden — durch Diebstahl, Bergbau und Vandalismus. David Coulson versucht zu retten, was zu retten ist. Zwar stehen ihm dazu digitale Foto-grafie und Vermessungstechnik zur Ver-fügung. Doch die Arbeit, die er leistet, ähnelt derjenigen vor 6000 Jahren: die Gedanken und Bilder der Vergangenheit erhalten, bevor sie verschwinden.

Idealist, Schatzsucher, Fotograf, Aus-gräber — auf die Frage an David Coulson, was er eigentlich sei, erhält man eine lapidare Antwort: „Ich bin kein Wissenschaftler." Alles andere trifft zu. Der britische Diplomatensohn lernte schon als Kind fremde Länder kennen. Er wurde in Paris geboren, wuchs in Washington D.C., Stockholm und Genf auf. Seinen ersten Kontakt mit Afrika hatte er als Angestellter einer großen europäischen Firma, die ihn nach Südafrika schickte. Schon damals, in den frühen 1970er-

 

Jahren, ging es um Bilder: Coulson war Vertreter für Kopiergeräte.

In seiner Freizeit holperte er in einem türkisfarbenen VW-Bus durch Busch, Steppe und Savanne und konnte nicht genug bekommen von dem, was er sah. „Also fing ich an, meine Eindrücke zu verarbeiten und wurde Fotograf und Schriftsteller", erinnert sich der heute 65-Jährige.

Sehnsucht nach der Savanne

Ein Entschluss mit Folgen. Coulson reiste durch Südafrika, Namibia, Angola und Simbabwe. „In der Nähe von Harare sah ich zum ersten Mal Felsbilder", sagt er. „I was exposed" ( „Ich wurde belichtet" ), beschreibt er die Gefühle jenes Augenblicks im Fachjargon der Fotografen. „Die Schönheit der Bilder hat mich bewegt. Es war, als könnte ich durch ein Fenster in die Vergangenheit sehen." Die Felskunst Afrikas ließ den Briten nicht mehr los.

Coulsons Versuch, nach Paris zurückzukehren, scheiterte, weil seine Gedanken bei den Felsbildern in der Sahara und der Savanne blieben. Ein gut bezahlter Job in

 

der Seinestadt und eine Wohnung mit Blick auf den Eiffelturm konnten nicht ablenken von der Amour fou in der Wiege der Menschheit. Am Ende war die Sehnsucht stärker als die Vernunft. David Coulson tauschte die Seine endgültig gegen den Niger, um die Mona Lisa der Vorgeschichte zu suchen.

Was er fand, waren Menschen: den Archäologen Alec Campbell, der Coul-sons Freund wurde und mit ihm 25 Jahre lang Felsbilder aufspürte und dokumentierte, und die Archäologin Mary Leakey, Entdeckerin vieler frühmenschlicher Fossilien und der Fußspuren von Laetoli. Bei ihrer Arbeit vornehmlich in Tansania hatte die Grande Dame der Paläoanthro-pologie immer wieder Felsbilder entdeckt. Sie fragte David Coulson, ob er sich vor-stellen könne, die prähistorische Kunst zu dokumentieren. „Ich sagte ihr, dass ich kein Archäologe bin. Sie erwiderte: ,Nein. Aber du hast mehr von Afrika gesehen als jeder Wissenschaftler.'" Für David Coul-son kam das einem Ritterschlag gleich. Er packte den VW-Bus und fuhr los, um möglichst viele Fenster in die Vergangenheit aufzustoßen. Das war vor annähernd drei Jahrzehnten. Heute blickt David Coulson auf das Ergebnis seiner Bemühungen zurück: ein Archiv voiL 25 000 Fotografien aus 20 afrikanischen Staaten. Den Kilometerzähler seines Autos hat er mehrfach überdreht, den eigenen wohl auch. „Dreimal um den Globus" ist er nach eigener Einschätzung schon gefahren.

Der VW-Bus hat seinen Veteranenplatz im Garten von Coulsons Haus in Nairobi, Kenia, gefunden. Coulson selbst aber hat die Handbremse nicht angezogen. Wie viel gibt es noch zu tun da draußen? Coul-son lacht. „Eines meiner Probleme ist, dass die Leute nicht wissen, wie groß Afrika ist. Wir haben gerade mal an der Oberfläche gekratzt."

Flusspferde im Sand

Unter diesen ersten Kratzern legte der Fotograf Bilder einer versunkenen Welt frei. Mancherorts ist diese Welt allerdings gar nicht versunken, sondern vertrocknet. Zum Beispiel in der Sahara: Mitten in der Wüste haben Menschen Bilder von Fischen in den Fels geritzt. Nebenan tauchen lebensgroße Bilder von Flusspferden aus dem Sand auf. Heute ist weit und breit kein Wasser mehr zu sehen, in den knochentrockenen Flussbetten rinnt nur die Zeit.

Diese Bilder erzählen von einer Ära, in der Nordafrika noch grün war. Während der Eiszeiten kam es mehrfach zu Klimaveränderungen. Das Eis taute, und die Klimazonen verschoben sich — die Tropen wanderten nach Norden, die Wüste wurde grün. Ein kurzfristiges Phänomen: Schon nach wenigen Tausend Jahren kehrte sich der Effekt um, und die Wüste kam zurück, zuletzt vor etwa 5000 Jahren. Ein Glücksfall für die Felsbilder. Was Steinzeitkünstler in der „grünen Periode" schufen, liegt seither in einem unzugänglichen Gebiet und ist vor Diebstahl und Vandalismus geschützt — vor Fotografen.

sind", erzählt Coulson, „manchmal berichten mir Forscher, wo sie vor 50 Jahren über ein Felsbild gestolpert sind. Aber manchmal ist es auch einfach Intuition." Er erzählt davon, wie er mit Alec Camp-bell und einem Tuaregführer an Seilen vor einer Felswand im algerischen Teil der Sahara hing und in der flimmernden Hitze am Horizont einen anderen Berg ausmachte. „Ich dachte: Wenn es hier Felsbilder gibt, warum nicht auch dort? Wir sind dann dorthin gefahren, haben alles abgesucht — und welche gefunden."

Felskunst unter Artenschutz

Wenn es um Felskunst geht, hat David Coulson den richtigen Riecher. „Die Sahara hat die höchste Felsbilddichte auf der Welt", schätzt er. „Das Gebiet ist so groß wie die USA, nur die Straßen fehlen." Einen Weg zum Erhalt afrikanischer Felskunst hat sich David Coulson selbst gebahnt. Gemeinsam mit Mary Leakey und seinen Freunden Alec Campbell, Tom Hill und Bruce Ludwig gründete er 1996 den „Trust for African Rock Art" (Tara) und richtete dessen Hauptquartier in Nairobi ein. Die Organisation fasst ihre Arbeit in vier Worten zusammen: Finden, Konservieren, Dokumentieren, Sensibilisieren. Damit, so hofft das Team von Tara, kann

 

 

ein Teil der noch existierenden Felsbilder Afrikas wenigstens in Kopien erhalten werden.

Die Originale gehen verloren, da machen sich die Mitarbeiter von Tara keine Illusionen. Afrika sei zu groß, die einzelnen Orte zu unkontrollierbar, um die Bilder zu schützen. Die Liste bedrohter Felsbilder ist lang. In Kondoa, Tansania, gruben Schatzsucher ein Loch unter eine

 

Im Südosten von Algerien liegt Afrikas „El Dorado" der Felsbilder. Dazu gehören auch kleine Schätze wie der Jäger mit Hund.

mit Bildern geschmückte Felswand, weil sie glaubten, dort sei das Gold deutscher Kolonialisten versteckt. Die Wand stürzte ein. In Nordkenia wurden kürzlich Vorkommen von Erdöl entdeckt. Die Förderung wird die darüber liegende Felskunst zerstören. In Ägypten bedroht Eisenerz-bergbau prähistorische Gravuren am Wadi Abu Subeira. „Das kann Bilder, die Tausende von Jahren überdauert haben, in einem Augenblick vernichten." Doch die größte Bedrohung ist laut David Coul-son die Ignoranz. Was ohnehin kaum jemand wahrnimmt, ist dem Untergang geweiht.

Tara arbeitet gemeinnützig. Deshalb braucht die kleine Organisation große Freunde, die immer wieder mit Geld helfen. Nelson Mandela stärkte Tara den Rücken und warb Mittel ein für den Erhalt des afrikanischen Erbes. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan steht hinter der Organisation. Bei der Unesco hat man ein offenes Ohr, wenn David Coulson anruft. Der französische Früh-geschichtler Jean Clottes, der in seinerHeimat die Bildhöhlen Chauvet und Cos-quer untersucht, weist immer wieder auf die Bedrohung afrikanischer Felskunst hin. Und im Herbst 2014 klinkte sich ein weiteres Schwergewicht in das Projekt ein: Das British Museum überträgt das gesamte Tara-Archiv auf seine Server und stellt die Bilder dort weltweit kostenlos zur Verfügung.

Das Interesse ist groß, doch es muss noch weiter wachsen. „Taras wichtigste Mission ist nicht zu forschen, sondern Aufmerksamkeit zu erregen", hält David Coulson fest. Ebenso oft wie er unter Fels-vorsprüngen „in 1000 Jahre altem Fleder-mausdreck" herumkriecht, steht der Brite in Schulen und Gemeindezentren und berichtet Kindern und Erwachsenen von dem kulturellen Erbe in ihrem Hinterhof. „Nur wenn die Felsbilder als Teil der eigenen Geschichte erkannt werden, hütet man sie auch", schildert Coulson seine Erfahrungen. Dass die uralte Kunst auch Touristen anlockt und damit Geld in die Gemeindekassen spült, macht die Felskunst für die Anwohner noch attraktiver. Aber bedeutet Öffentlichkeit nicht auch Gefahr?

„Die Bilder, deren Orte wir bekannt machen, mögen für die jeweilige Region bedeutend sein. Allerdings sind sie nicht so imposant wie das, was man in der

 

Sahara findet", erklärt David Coulson. Dort, so der Fotograf und Forscher, würde er zwar alles dokumentieren, was ihm vor die Linse kommt. „Aber weder in Büchern noch in Archiven schreibe ich ein Wort darüber, wo diese einzigartigen Stücke zu finden sind. Das ist Taras Goldene Regel."

Kaum zu deuten, schwer zu datieren

Zu solchen gefährdeten Exemplaren gehören lebensgroße Bilder von Elefanten und Giraffen, die an einem geheimen Ort in Algerien zu finden sind. Eine der Giraffen, eine Gravur von neun Metern Höhe, ist das gewaltigste einzelne Felsbild, das bislang auf dem Kontinent entdeckt wurde. Das Tier hat Verwandte: „Die Giraffe ist das häufigste dargestellte Tier der Frühgeschichte in Afrika", erklärt Coul-son. „Wir finden die Bilder über alle Länder und Klimazonen verteilt." Zeichen eines Jagdzaubers oder schlicht Faszination von der Schönheit der Natur? Bei der Deutung des Phänomens ist der Experte zurückhaltend. „Wir können davon ausgehen, dass Schamanismus dahinter steckt. Aber welcher Art — das werden wir niemals herausfinden."

Der Blick durch das Fenster der Zeit bleibt verschwommen. David Coulson

 

genügt das. Ihm gefällt die Steinzeitkunst, und er empfindet Ehrfurcht vor ihrem Alter. Wissenschaftler seien da jedoch anderer Ansicht. „Forschung ist präzise, Felskunst ist es nicht. Das ist ein Problem." Coulson glaubt, dass Archäologen die Felsbilder Afrikas bis vor wenigen Jahren vernachlässigt haben, weil die Darstellungen keine glaubhaften Informationen enthalten. „Welcher Teil davon ist Fantasie, welcher Wirklichkeit? Wir können nicht entscheiden, ob sich jemand etwas ausgedacht hat oder nicht. Wenn es nach mir geht, sollten die Leute die Bilder einfach als solche betrachten."

Die riesige Schafherde auf einem etwa 7000 Jahre alten Felsbild in Ägypten — sie war vielleicht nur der Wunschtraum eines Hirten. Doch jeder bemalte Stein hat einen wahren Kern. Die Schafe werden von einem Hund gehütet, und der ist einer der frühesten nachweisbaren Vertreter seiner Art in Nordafrika. Ebenso sind Pferde und Kamele Exoten, deren Einwanderung in Stein gemeißelt ist: Die Felsbilder helfen, den Zeitraum festzulegen, an dem sie aus Asien eingewandert sind.

Dazu muss das Alter des Felsbilds be-stimmt werden. Entdecken Coulson und seine Freunde eine neue Stätte, untersuchen sie zunächst den Boden mit archäologischen Methoden. Manchmal fördem sie Steinwerkzeuge und Keramik zutage. Der Abfall aus dem Steinzeit-Atelier hilft, die Bilder zu datieren und ihre Urheber besser kennenzulernen. Dann erst kommen die Kameras zum Einsatz.

Um die uralten Bilder zu fotografieren, ist die aktuelle Technik gerade gut genug. „Als ich vor einigen Jahrzehnten als Einzelkämpfer anfing, hatte ich nur eine analoge Kamera und arbeitete mit handelsüblichem 35-mm-Film", erzählt Coulson und lacht. „Da kam ich nach mehreren Wochen aus der Wüste zurück und wusste nicht, ob die Aufnahmen gelungen waren. Hitze und Kälte setzten der Filmoberfläche zu, Sand geriet ins Kameragehäuse, der Belichtungsmesser spielte verrückt. Und wenn ich dann daheim im Labor vor den unterbelichteten Ergebnissen stand, gab es nicht einmal die Möglichkeit, die Katastrophe mit digitaler Bildbearbeitung zu beheben. Ich habe in der fotografischen Steinzeit gelebt." Trotzdem blieb die analoge Nikon-Kamera noch bis 2009 Coul-sons zuverlässigster Begleiter. Erst seit fünf Jahren arbeitet Tara mit Digitaltech-

 

nik, die auch zum exakten Vermessen der Felsbilder angewendet wird.

Stets ist David Coulson bemüht, die Landschaft in seine Fotografien einzubeziehen. Denn er ist überzeugt: Die Bilder müssen in Zusammenhang mit der Natur gesehen werden, auch dann, wenn sich Flora und Fauna längst verändert haben. Ohne die ihn umgebende Wüste würde das Bild des Fisches in der Sahara den Betrachter im Regen stehen lassen.

Alles eine Frage des Alters?

Afrikas Felskunst steht im Schatten der europäischen Bilderhöhlen. Die französischen Grotten von Chauvet und Lascaux, die spanischen Höhlen von Altamira und El Castillo gelten als Belege für den Beginn menschlichen Kunstschaffens. Ihre Qualität ist zwar nicht besser als die der afrikanischen Funde, aber sie sind älter. Bis zu 40 000 Jahre reichen die Datierungen der europäischen Bilder zurück. Ihr Alter wird anhand von Mineralschichten be-stimmt, die sich in den abgeschlossenen Höhlensystemen über den Bildern abgelagert haben und diese konservierten. Das älteste heute noch erhaltene Felsbild Afrikas ist hingegen „nur" 24 000 Jahre alt, die meiste Felskunst etwa 6000 Jahre. Wenn Afrika die Wiege der Menschheit war, scheint Europa der Kreißsaal der Kultur gewesen zu sein.

Aber davon ist David Coulson nicht überzeugt. Er verweist auf die Funde in der Blomboshöhle in Südafrika. Dort

 

entdeckten Forscher Ockersteine mit Ritzlinien. Sie sind 77 000 Jahre alt. Der Archäologe Christopher Henshilwood nannte sie in einer Studie von 2002 die ältesten Zeugnisse menschlichen Kunstschaffens überhaupt. Mithilfe des Ockers war es überdies möglich, Farben aufzutragen. Ob Haut, ob Stein, ob Holz — das Trägermaterial ist nicht überliefert. „Es könnte Body-Painting gewesen sein, oder das Färben von Kleidung, aber natürlich auch ein Felsbild", sagt David Coulson.

Zwischen der Blomboshöhle und dem ältesten Felsbild Afrikas klafft eine Lücke von 50 000 Jahren. Coulson ist überzeugt: „Wir werden noch Bilder finden, die so alt sind wie die in Europa. Ich könnte mir vorstellen, dass es überall auf der Welt ein gemeinsames Zeitalter der Fels-kunst gegeben hat, wir wissen es nur

noch nicht."

 


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