Freitag, 31. Juli 2015

Kommt jetzt die Zinswende?


Kommt jetzt die Zinswende?

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/u537aunKLSs

In den USA könnte es noch im Laufenden Jahr zu einer Erhöhung der Leitzinsen kommen. Drohen damit Langfristig steigende Zinsen, die auch bei Aktien, Anleihen und Währungen zu tief greifenden Veränderungen führen könnten?

 

Spätestens seit Alan Greenspan gehören kryptische Äußerungen zum Standardrepertoire eines angesehenen Zentralbankers. Sein Ausspruch „Sollten Ihnen meine Aussagen zu klar gewesen sein, dann müssen Sie mich missverstanden haben", hat schon längst Eingang in die Geschichtsbücher gefunden.

Das „Spiel" ist und bleibt also offen, könnte man vielleicht formulieren, denn es gibt ebenso viele undtriftige Gründe für wie gegen den ersten Zinsschritt seit vielen Jahren. Für wel-che Seite sich die Fed letztendlich entscheiden und was sie auf ihren nächsten Sitzungen beschließen wird - nobody knows. Und es gibt sogar Experten, die behaupten, dass noch nicht einmal die Fed selbst weiß, was sie als Nächstes tun wird, weil derzeit dafür die gesamtwirtliche Lage einfach viel zu unsicher ist.

Kreditvergabe stockt. Recht könnten diese Experten behalten, denn die wirtschaftliche Erholung in den USA und vor allem in der Eurozone ist bei Weitem nicht so stabil, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Zwar hat sich seit dem schweren Rückschlag in den Jahren 2008 und 2009 das wirtschaftliche Geschehen grundsätzlich wieder stabilisiert, doch die Unsi¬cherheit bleibt. Fast scheint es so, als hätten viele Marktak-

Diese unterschiedliche Betrachtungsweise ist wichtig zu be-rücksichtigen, denn während die Inflationsentwicklung derzeit kaum Anlass zu einer Zinserhöhung - weder jenseits noch diesseits des Atlantiks - gibt, sieht es am Arbeitsmarkt etwas besser aus. Vor allem bei der Entwicklung der Langzeitarbeits¬losen in den USA in den zurückliegenden Monaten hat sich e -e deutliche Entspannung eingestellt. Waren 2010/2011 ir

te-Spitze fast sieben Millionen Menschen 27 Wochen und länge-offiziell als arbeitslos gemeldet, sind es derzeit nur noch etwa 2,5 Millionen. Das sind immer noch viele und vor allem auch mehr als in den Boomjahren zuvor, aber eben nicht mehr ganz so viele.

Starker US-Dollar betastet. Entsprechend rückläufig entwickelt sich auch die gesamte Arbeitslosenquote. Sie liegt derzeit bei 5,5 Prozent und damit deutlich unter der Zielmarke der Fed von 6,5 Prozent. Das würde also durchaus Raum für einen ersten moderaten Zinsschritt eröffnen. Doch dass dieser bislang nicht erfolgt ist, zeigt auch, dass die Fed durchaus auch auf andere Faktoren achtet. Sorge bereitet den Währungshütern unter anderem die starke Aufwertung des US-Dollar. Zwar iste _S-'.2:1.kswirtschaft nicht so sehr vom Export abhängig wie ze. E,.-czone oder gar Deutschland (Stichwort Offenheitsgrad), _etztendlich wird auch ein starker Greenback Bremsspu--,E^ Deim Wirtschaftswachstum hinterlassen.

Das ist gerade vor dem Hintergrund ein Problem, dass sich die US-Wirtschaft in einer Phase der Reindustrialisierung befindet. Von Washington forciert, werden unter anderem in der Ma¬schinenbranche heimische Kapazitäten wiederbelebt. Ein zu starker US-Dollar könnte diesen Trend negativ beeinflussen, das ist politisch nicht gewünscht. „Unser Ziel ist es, wieder zu

 

den führenden Produktionsstandorten der Welt zu gehöre« so Barack Obama vor wenigen Wochen auf einem Wirtschafts¬kongress. Ein schwächerer US-Dollar wäre da unter Umständer hilfreich.

Zurück zur Normalisierung. Wägt man also die Argumente ab, die für und gegen einen Zinsschritt der Fed sprechen, so kommen viele Experten zu dem Schluss, dass mit maximal 0,25 Prozent Aufschlag im laufenden Jahr zu rechnen ist. Und auch dieser kleine Schritt könnte nicht so sehr der Stärke des wirtschaftlichen Umfelds, sondern wohl eher dem Umstand geschuldet sein, dass man nach zehn Jahren Niedrigstzins versucht, so etwas wie einen ersten Schritt zurück zur Nor¬malisierung zu wagen.

Denn viele Notenbanker fühlen sich unwohl, sie sehen in den tiefen Zinsen eine Notlösung, ein Zeichen der Krise und der Schwäche. So etwa James Bullard, Präsident der regionalen Fed of St. Louis. In einer Rede in Frankfurt im März 2015 warn¬te er ausdrücklich vor den Folgen zu niedriger Zinsen über einen längeren Zeitraum, die seiner Ansicht nach zu Fehlallo-kationen führen würden, die dann sehr schwer einzudämmen seien. Ähnlich die Argumentation seines Amtskollegen aus Philadelphia, Charles Plosser. In einem Interview mit CNBC Ende vergangenen Jahres sagte er: „Es gibt viele Indikatoren, die uns sagen, dass die Zinsen zu niedrig sind [...] Bisher gab es keine Geschichte der Nullzinsen. Ich glaube, wir bewegen

 

EXKURS: ZINSEN UND AKTIEN

Wenn die Zinsen steigen, fallen die Akti-enkurse? Nein, nicht ganz, zumindest nicht automatisch. Denn Aktien haben mit der Zinsentwicklung erst einmal nichts zu tun. Wer eine Aktie kauft, beteiligt sich an einem Unternehmen, daraus resultiert aber kein Anspruch auf eine festgelegte Zinszahlung. Der Aktionär leiht einem Unternehmen in dem Sinne kein Geld, wofür er Zinsen ver-.anger könnte, er kauft eher einen Anteil,

Miteigentümer und ist am Gewinn :ete _.gt, er ist nicht Gläubiger. Und den¬-7.c- der Zusammenhang zwischen Zinsen

:2-‘: en ist vielfältig und lässt sich nicht

 

leugnen. Im Wesentlichen lassen sich zwei Wechselbeziehungen herausarbeiten:

         Die Kapitalmarktzinsen beeinflussen den Gewinn eines Unternehmens. Je niedriger die Zinsen, desto günstiger kann sich ein Unternehmen verschulden, um etwa neue Produktionsanlagen aufzubauen. Das stei-gert langfristig den Unternehmenswert, was sich unter Umständen auch positiv auf den Aktienkurs auswirken kann.

         Zinsen und Aktien stellen in gewisser Weise Konkurrenten dar, sie „buhlen" um die Gunst der Anleger. Denn je höher die Zinsen, desto eher sind Anleger bereit, ihre

 

Aktien zu verkaufen, deren Kursentwick-lungen und Dividendenzahlungen natur-gemäß unsicherer sind und Schwankungen unterliegen, und in festverzinsliche Anlei¬hen zu investieren. Getreu dem Motto „Lieber sichere zwei oder drei Prozent in jedem Jahr mit Anleihen, als unsichere fünf oder sechs Prozent über einen längeren Zeitraum mit Aktien".

Aber noch einmal, zwischen der Zinsent-wicklung und den Entwicklungen am Ak-tienmarkt gibt es keinen Automatismus. Und deshalb gab und gibt es immer wieder Phasen, in denen beide steigen oder fallen.

Noch keine Verkaufsempfehlung. Daraus folgt, so Shiller wei-tet aber noch nicht automatisch eine Verkaufsempfehlung für Aktien. „Eine typische Blase ist dann, wenn die Anleger über-zogene Erwartungen an die Zukunft haben. Das ist derzeit nicht der Fall. Vielmehr ist die Basis für Investments die Analyse vergangener Preisanstiege und die Überlegung, dass die Kurse weiter steigen könnten." Soll wohl heißen, es kann noch weiter aufwärts gehen, nur wie weit, das weiß derzeit niemand.

Dass es mit den Aktien weiter aufwärts gehen kann, daran muss auch ein Anstieg der Zinsen erst einmal nichts ändern. Zwar

allgemein die Weisheit „Steigende Zinsen sind Gift für den Anienmarkt", doch wie bei jedem Gift kommt es auch hier auf nie Dosierung an. Mehr noch, Gift in kleinen Mengen kann sogar heilsam sein, nicht nur in der Medizin, sondern eben auch an der Börse.

Ein Blick auf die Entwicklung des ShilLer P/E Ratio und die Kapitalmarktzinsen in den USA zeigt, dass es in der Vergan-genheit durchaus Phasen gab, in denen beide gestiegen sind, so etwa in den 1960er-Jahren. Diese Beobachtung deckt sich mit einer jüngst erschienenen Studie von Josh Brown, CEO der US-Anlageberatungsfirma Ritholtz Asset Management. Er un¬tersucht die Entwicklungen am Aktienmarkt vor, während und nach Zinserhöhungsphasen und kommt dabei zu dem Ergebnis: „US-Aktien erweisen sich in Phasen steigender Zinsen als über¬raschend widerstandsfähig." Und weiter: „Die im S&P 500 Index gelisteten Aktien verzeichneten während der acht Zinserhö-hungszyklen der vergangenen vier Jahrzehnte eine gewichtete durchschnittliche jährliche Kurssteigerungsrate von 8,3 Prozent."

Inflation ist keine Gefahr. Ohnehin stellen sich viele Marktbe-

_         - die Frage, wie nachhaltig eine Zinserhöhung sein wird.

Dr. Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der

r          Bank und nun beim Flossbach von Storch Research

 

Institute. Er sagt: „Die lie-tralbanken werden nach er ' ersten Zinserhöhung Voraussicht nach schnell te Füße bekommen und Zinsniveau wieder nach u732.r korrigieren."

Für diese Ansicht spricht          -

ein anderer Punkt, närr. :¬der Umstand, dass der le  te Anstieg der Inflation einigen Monaten, auf der allem in Deutschland gea:-tet wird, wohl im Wese-7 chen auf eine Stabilisier., des Ölpreises zurückzufür- ¬ist. „Das Anziehen der Ir' tionsrate ist nicht unerwa7--.--Dafür verantwortlich ist = - mär der stabile Ölpreis", :: die Einschätzung von IKB Deutsche Industriebank in eine-Studie vom Juni 2015. IKB geht von einer durchschnittliche-Inflationsrate von 0,3 Prozent im Laufenden Jahr in Deutschlana aus - Tendenz zum Jahresende hin zwar steigend, aber insge¬samt immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau, das für die Preisstabilität keinerlei Gefahr darstellt. Auch unter diesem Aspekt scheint die Befürchtung einer rigiden Zinserhöhungs-runde seitens der Notenbanken nicht begründet zu sein.

Nur eine technische Reaktion? Doch warum sind dann die Znsen am Kapitalmarkt zuletzt in vielen westlichen Indus¬trienationen deutlich gestiegen? Darüber herrscht am Markt große Uneinigkeit. Einige gehen davon aus, dass es sich nur um eine technische Reaktion handelt. Darauf deutet unter anderem der Umstand hin, dass der Aufwärtstrend mit einem sehr dünnen Volumen und geringer Markttiefe einherging. Laut Erhebungen von J. P. Morgan sind in den USA die drei besten Kauf- und Verkaufsaufträge bei zehnjährigen Treasu-rys pro Tag auf ein Volumen von durchschnittlich 116 Milli¬onen US-Dollar zurückgefallen, in den vergangenen acht Jahren betrug das durchschnittliche Volumen noch 171 Mil¬lionen US-Dollar.

Zudem, so das Ergebnis einer weiteren Untersuchung, sinkt die Umschlaghäufigkeit, die Liquidität beim Handel von Staatsan¬leihen. Wechselten etwa US-Treasurys vor einiger Zeit im Jahr im Schnitt noch 14 Mal den Besitzer, so ist das heute nur noch viermal der Fall. Rückgänge der Handelsliquidität sind auch bei deutschen, japanischen und britischen Staatsanleihen zu beobachten. Karsten Linowsky, Bondstratege bei Credit Suisse, fasst die Situation am Anleihemarkt zusammen: „Es ist schwie¬riger geworden, große Volumina zu handeln, auch bei sonst liquiden Wertpapieren wie deutschen oder US-Staatsanleihen." Da reichen schon einige Verkäufe, um die Kurse der Anleihen auf Talfahrt zu schicken. Immer weniger Handel bei immer weniger Volumen - richtig überzeugend wirkt der Zinsan¬stieg nicht Andere Marktakteure verweisen auf den Umstand, das: das wirtschaftliche Umfeld aufgehellt hat, was zumindes:eller

leichten Anstieg der Kapitalmarktzinsen rechtfertigt. hier

gehört etwa Dr. Klaus Bauknecht von IKB. Er sagt: „Der le Anstieg der Langristzinsen kann im gegenwärtigen damit begründet werden, dass diese sich auf einer haltbaren niedrigen Niveau befanden." Damit stimmt Bau mit einigen Notenbankern aus den USA überein, die ja aktuelle Niedrigzinsumfeld ebenfalls für übertrieben Bauknecht rechnet mit einem weiteren Anstieg der Z betont aber auch, dass es unwahrscheinlich sei, „dass Leitzins kurzfristig auf Niveaus ansteigen sollte wie VFinanzkrise".

Niedrigzinsen als Symptom. Dass Letzteres sehr unwahrs, lich ist, davon scheint auch BundesbankpräsidentJens Wei überzeugt zu sein. Er meint: „Das Niedrigzinsniveau ist ein Symptom, das auf tiefer liegende Ursachen zurückzufü ist. Die maßgebliche Ursache liegt dabei in einer Wachs-schwäche, nicht nur im Euroraum, sondern in vielen en ten Regionen der Welt" Eine Wachstumsschwäche, so Wei weiter, die gesellschaftliche Ursachen hat. „Gerade die ändernde Altersstruktur vieler Volkswirtschaften wird zukl-tig noch schwerer auf den gesamtwirtschaftlichen Wachs:_ -möglichkeiten lasten." Und: „Daneben mag es aber auc-andere Gründe geben, die die Wachstumsaussichten därf-Ir So werden zum Beispiel für die Vereinigten Staaten nebe- - erleben wir nun etwas, was hierzulande schon fast verlernt zu sein scheint: eine Reaktion im Anleihemarkt auf veröffentlich¬te Konjunkturdaten", so etwa die Vermutung von Kornelius Purps von UniCredt Research. Ähnlich auch die Argumentation von De Vijlder: „Die Anleihezinsen müssen wieder auf geldpo¬litisches Normalniveau steigen. Der konjunkturelle Spitzenwert wird jedoch durch strukturell langsamer wachsende Bruttoin-landsprodukte niedriger sein als früher"

Daraus erwächst die Frage, wie Anleger sich nun verhalten sollten. In Bezug auf den Aktienmarkt scheint derzeit keine Hektik angesagt zu sein. Allein aus dem Umstand, dass die Kapitalmarktzinsen steigen und die US-Notenbank eventuell im September (oder Dezember) eine Erhöhung der Leitzinsen auf dann 0,5 Prozent durchführen wird, stellt an sich noch keine Gefahr für den Aktienmarkt da. Am Anleihemarkt sieht es schon ganz anders aus, hier wirkt sich jeder Anstieg der Kapitalmarktzinsen unmittelbar auf die Kurse der Anleihen aus. Während also am Aktienmarkt die Ampeln unter Berücksichti¬gung der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse zumindest wei¬terhin auf Gelb-Grün stehen, scheint uns am Anleihemarkt eine längere Gelb-Rot-Phase bevorzustehen.

 

 

 

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