Dienstag, 21. Juli 2015

Kann man dem Iran trauen?


Kann man dem Iran trauen?

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/FjsWRfpSfRc

In dem Roman „Wer die Nachtigall stört" von Harper. Lee, der gerade wieder in aller Munde ist, gibt Atti-cus Finch seiner Tochter den weisen Rat, sie müsse, wenn sie jemals einen anderen Menschen verstehen wolle, in dessen Haut schlüpfen und darin umhergehen.

Ist diese Empfehlung schon im Privatleben schwer genug umzusetzen - wie viel mehr dann erst auf der Ebene von Staaten, Regionen und Machtblöcken.

Und, Hand aufs Herz: Will man es denn? Kaum etwas stiftet im Leben so viel Gewissheit und Sicherheit wie die Unterscheidung von „wir" und „die". Ich gehöre einer Generation an, die in Westdeutschland mit einem extrem identitätsstiftenden „Wir" aufgewachsen ist, einem amerikanischen, atlantischen, demokratischen, westlichen Wir, das an der Elbe nach Osten hin endete und das vielleicht von keinem Volk so jubelnd und fraglos gelebt worden ist wie von uns Deutschen, die, was mir damals natürlich nicht klar war, soeben erst großzügig in dieses „Wir" aufgenommen worden waren, nachdem sie (mindestens) zwölf Jahre lang für den größten Teil der Welt das ultimative „Die" gebildet hatten.

Wer „wir" sind und wer „die", das entscheiden die Vereinigten Staaten von Amerika, so habe ich das mit der Muttermilch aufgesogen und nie mehr wirklich im Innersten hinterfragt oder gar in Frage gestellt. Das schließt Protest und Kritikfähigkeit im Übrigen keineswegs aus, natürlich habe ich wie jeder andere denkende Mensch vieles von der Politik der Vereinigten 'Staaten ünd Europas und Deutschlands gegenüber der restlichen Welt für schlecht bis idiotisch befunden, für gefährlich, für kontraproduktiv, für nicht zielführend. Aber ich habe immer in derselben Richtung gedacht: von „uns" auf „die".

Ohnehin haben die Amerikaner nie wieder so viel Glück gehabt mit ihren Feinden wie mit Deutschland und ja pan. Nicht nur hat man sie besiegt, sie haben die Niederlage auch akzeptiert und aufgehört zu kämpfen. Und mehr als das: Sie haben die Demokratie und die Lebensweise und die Marktwirt-schaft übernommen und einen so unverbrüchlichen Bund mit ihren Überwin-dem geschlossen, dass niemand mehr die Grundprinzipien dieser Verbindung bestreitet, als da sind: „Wir" entscheiden, wie viel eines unserer Menschenleben gegenüber dem eines, sagen wir, Arabers wert ist: zirka zehn bis hundert Mal so viel. „Wir" entscheiden, wer von „denen" die Guten sind und wer die Bösen, ;,wir" sind die Messlatte von richti-2em Leben, Handeln und Denken, von sen alle anderen, die es noch nicht ka-piert haben oder nicht wollen, um-schwenken müssen -- zu ihrem eigenen Besten.

So sauber wie bei uns hat diese Logik seither nirgendwo mehr geklappt.

Und wenn ich den Charakter von uns Deutschen gegenüber den Amerikanern, was mir ab und zu passiert, als hündisch empfinde, so muss ich mir doch sofort selbst entgegenhalten, dass jeder Kynologe mich darüber aufklären wird, echte Freundschaft zwischen Herr und Hund sei durchaus möglich und sogar die Regel. Die"-Schema zum ersten Mal wirklich erschüttern zu lassen. Zum ersten Mal gelang es mir dort, nicht nur die Sichtachse umzudrehen, sondern tatsächlich in die _ Haut von „denen" zu schlüpfen, und das hat mein Leben und mein Denken erheblich verändert. Um die Offenbarung in wenigen Worten zusammenzufassen: Nicht nur sieht der dortige Hund sich nicht als Hund, er ist auch keiner. Er ist ein Mensch. Und vielleicht ist mir das nirgendwo so bewusst geworden wie im 5000 Jahre alten Kulturland Iran.

Wenn man mich also heute fragt: Was hältst du vom Atomabkommen? Kann man den Iranern trauen? Ist das-ein Beleg, dass sich Boykott doch lohnt? Dann frage ich dort nach, wie die letzten Tage verlaufen sind, und mache mir das umgekehrte Wir-die"-Schema zu eigen. Dann sehe ich das größte Reich der Antike, sehe viele tausend Jahre Kultur und

Wissenschaft, sehe den Stolz auf persi-sche Geschichte, wie er sich im Schabna-

me, dem großen Nationalepos, manifes-

tiert, sehe die Selbstbehauptung gegen-über den Arabern auch in islamischer

Zeit und sehe im zo. Jahrhundert eine Zeit der Erniedrigung und Kolonialisie-rung, kulminierend im korrupten und amerikahörigen Regime Reza Pahlavis.

Ich sehe zwei Versuche der Befreiung, den niedergeschlagenen in den fünfziger

Jahren, als die CIA Mossadegh stürzte,

und den geglückten 1979, als die Revolution die Amerikaner hinwegfegte. Dann

sehe ich ein Volk, das vom Regen in die

Traufe kommt und feststellen muss, dass das Regime der Mullahs noch menschen-

schinderischer und korrupter ist als das

des Schahs, dass dessen Modernisierung des Landes zwar weitergeführt wird,

aber die Profite in den Taschen einer kri-

minellen Führungselite verschwinden. Ich sehe eine zunehmende Trennung

von Staat und Bevölkerung, eine zuneh-mende Isolierung von außen, Hass, Verachtung und schließlich Boykott und Quarantäne durch den Westen.

Ich kann die lächelnde Genugtuung der das Abkommen in den Straßen fei-

ernden Menschen darüber nachvollzie-

hen, dass Außenminister Zarif der EU-Außenbeauftragten zugerufen haben

soll: „Drohen Sie niemals einem Ira-

ner!", und .darüber, dass auf Augenhöhe verhandelt worden ist, dass der amerika-

nische mit dem iranischen Präsidenten sprach. Warum nicht gleich so?, fragen die Iraner.

Welche Hoffnungen verbinden sich dort mit dem Deal?

„Wirtschaftliche, ausschließlich wirt-schaftliche", sagt ein Bekannter. „Günstigere Wechselkurse. Mehr Produktion.

 

Mehr Jobs. Weniger Arbeitslosigkeit. Mehr Produkte. Mehr Handel. Mehr Konsum. Fallende Preise. Auch die Wohnungen werden billiger. Man kann Familien gründen. Und dringend benötigte Medikamente und medizinische Gerätschaften kommen wieder ins Land."

Ein Deutscher, der in Iran arbeitet, erklärt mir: „Die alles entscheidende Frage ist, ob europäische Banken jetzt wieder Büros in Iran eröffnen werden. Das ist ein politisches Risiko. Da die amerikanischen Behörden jedes Geldinstitut, das auch in Dollar handelt - also quasi jedes -, amerikanischem Recht unterwerfen, sahen sich in den vergangenen Jahren zahlreiche europäische und deutsche Banken aufgrund des amerikanischen Totalembargos gegenüber Iran mit Strafbefehlen in dreistelliger Millio-nenhöhe aus den Vereinigten Staaten konfrontiert und zahlten lieber einen Vergleich, als es auf Gerichtsurteile an-kommen zu lassen. Und natürlich stoppten sie ihre Iran-Geschäfte. Eine Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten für deutsche Banken könnte eigentlich nur die deutsche Regierung erwirken, aber es ist fraglich, ob sie dafür den Mumm. hat. Wahrscheinlicher ist, dass deutsche Banken warten, bis auch amerikanische sich wieder in Iran engagiert haben."

Das Volk auf den Straßen freut sich vor allem darüber, dass die internationale Isolation endet. „Sie haben uns zum Paria gemacht wegen einer unbewiesenen Spekulation. Atombombe ja oder nein. Dabei ist die Atomkraft nicht relevant für die nationale Energieversorgung. Es war, seit Siemens vor der Revolution einen Atomreaktor bauen wollte und dann nicht durfte, immer nur eine politische Frage. Darf Iran autonom entscheiden oder nicht?"

Deswegen halten deutsche Wirt-schaftsfachleute in Iran auch die Sanktio

 

nen für völlig verfehlt: „Sie haben die Mittelschicht und die Privatwirtschaft geschädigt und für eine zunehmende politische Radikalisierung gesorgt. Ohne Sanktionen hätte es gar kein Ahmadine-schad-Regime gegeben."

Und daher ist das Abkommen innen-politisch ein großer Sieg der liberalen Regierung Rohani gegen die Hardliner-Fraktion um den Ahmadineschad-Clan. Dessen „Partei der Besorgten" sorgt sich in Wahrheit vor allem um die Milli-arden, die dem Clan an Schwarzmarkt-Gewinnen verlorengehen, wenn die Wirtschaftssanktionen enden. Und jeder politische Sieg der liberalen Gruppe hilft den Menschen einen Fußbreit wei-teriukoMmerififter Gewinnung persrir--- licher Freiheiten.

Und die Atombombe?, frage ich ei-nen Freund aus dem Intellekm eilenmi-lieu. einen erklärten Regimegegner. Ja. warum soll Iran eigentlich keine Atom-bombe haben?", ist seine Gegenfrage. Nicht nur die großen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben sie ganz selbstverständlich. Auch Israel, Pakistan und Indien haben sie. Warum nicht wir? Wir sind ein unabhängiger Staat und eine Regionalmacht. Und wer garantiert uns, dass Israel nicht uns angreift?"

Es fällt nicht leicht, das „Wir-die--Schema umzudrehen. Aber es ist, und das ist das Einzige, dessen ich mir sicher bin, etwas, das uns im 21. Jahrhundert noch öfter abverlangt werden wird.


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