Trendlinien
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/HRU99W3GPx0
Eines der ältesten und zugleich wertvollsten Werkzeuge in
der Technischen Analyse ist die Trendlinie. Zwar ist das Zeichnen einer
Trendlinie grundsätzlich alles andere als kompliziert, doch ist es wichtig,
sich im Vorfeld über einige elementare Dinge im Zusammenhang mit der Anwendung
und dem Zweck von Trendlinien klar zu werden, um Missverständnisse zu
vermeiden.
Trendlinie oder Trend?
Ein verbreitetes Missverständnis im Zusammenhang mit
Trendli-nien ist bereits terminologisch angelegt. Entgegen dem, was der
Wortlaut nahelegen würde, dient die Trendlinie nicht der Defini-tion des Trends
bzw. der Begründung der Existenz eines Trends. Wie bereits bei der Behandlung
des Trendkonzepts dargelegt, wird das Vorliegen eines Trends unter Technischen
Analysten seit Charles Dow, dem Urvater der modernen Technischen Analyse, mit
der Abfolge von Hoch- und Tiefpunkten und somit nicht mittels Trendlinien
geklärt. Entsprechend ist auch der Bruch eines Trends vom bloßen Bruch einer
Trendlinie zu unterschei-den. Die praktische Aufgabe einer Trendlinie ist, zum
einen die Steilheit eines existierenden Trends zu visualisieren und zum anderen
Unterstützungen bzw. Widerstände im Trendverlauf aufzuzeigen.
Konstruktion und Definition
Eine Aufwärtstrendlinie ist eine gerade Linie, die entlang
steigen-der Tiefpunkte gezogen wird. Eine Abwärtstrendlinie ist eine gerade
Linie, die entlang fallender Hochpunkte gezogen wird. So weit, so gut. Damit
bedarf es notwendigerweise mindestens zweier Tiefpunkte bzw. Hochpunkte in der
Preiskurve, um das Lineal oder das Trendlinien-Tool in der
Chartanalyse-Software anzusetzen. Bei einem Chart, der die Information der
Perioden-tiefs und Periodenhochs enthält (OHLC-Chart), werden auch die
jeweiligen Extrema der Periode beim Zeichnen der Trendlinie verwendet, das
heißt, beispielsweise im Tages-Kerzenchart wer-den für das Zeichnen der
Aufwärtstrendlinie die Tagestiefs ver-bunden und bei der Abwärtstrendlinie die
Tageshochs. Noch nicht geklärt ist bei dieser Definition, wann der zweite
Tiefpunkt bzw. Hochpunkt als solcher identifiziert ist. Unzweifelhaft bedarf es
einer deutlichen Kursreaktion vom potenziellen zweiten Auflagepunkt der
Trendlinie. Entgegen vereinzelt vertretener Auffassung und nach der ganz
überwiegenden Meinung unter Technischen Analysten bedarf es jedoch nicht
bereits der Mar-kierung eines neuen Hochs (im Aufwärtstrend) bzw. Tiefs (im
Abwärtstrend). Denn die Trendlinie dient, wie bereits erörtert, nicht der
Definition eines Trends, sondern der Identifizierung von Unterstützungen bzw.
Widerständen. Zudem hätte man ansonsten Schwierigkeiten zu begründen, warum man
bei sym¬metrischen Dreiecken das Anlegen entsprechender Trendlinien als
Begrenzung des Dreiecks dennoch zulassen sollte. Eine Möglichkeit, das
Vorliegen einer deutlichen Kursreaktion zu ver-objektivieren, wäre das von
einigen Analysten vorgeschlagene Erfordernis einer 50-prozentigen Gegenbewegung
zum voraus-gegangenen Hochpunkt bzw. Tiefpunkt.
Bestätigung und Signifikanz
Solange eine Trendlinie lediglich auf zwei Auflagepunkten
basiert, wird sie auch als versuchsweise Trendlinie oder vorläu¬fige Trendlinie
bezeichnet. Mit dem dritten erfolgreichen Test wandelt sie sich begrifflich mit
der dann vorliegenden Bestäti¬gung zur gültigen Trendlinie. Grundsätzlich gilt:
Je häufiger eine Trendlinie getestet wurde und je länger sie intakt war, desto
bedeutender wird sie. Und umso charttechnisch bedeutender würde natürlich auch
das von einem Bruch der Trendlinie ausge¬hende Signal. Anlass zur Skepsis, was
die Verlässlichkeit einer Trendlinie angeht, bieten zu steile oder zu flache
Trendlinien. Einige Experten erachten einen 45-Grad-Winkel als am stabilsten.
Hierbei kommt es jedoch natürlich auch wesentlich auf die Ska-lierung der
Chart-Achsen an.
Praktische Anwendung
Der Bruch einer Trendlinie ist eines der frühesten
Warnsignale, dass auch der zugrunde liegende Trend gebrochen werden könnte.
Dabei sollte man sich jedoch bewusst sein, dass die genaue Lage einer
Trendlinie konstruktionsbedingt etwas variie¬ren kann, je nachdem, in welcher
Periodeneinstellung man sich den Chart betrachtet. So befindet sich
beispielsweise dieselbe Trendlinie im Monatschart meist nicht exakt an
derselben Stelle wie im Stundenchart. Zudem kommt es beim Wechsel zwischen
arithmetischer und logarithmischer Skalierung zu unterschied¬lichen
Ergebnissen, was die Verortung der Linie angeht. Ver¬wendet man einen
Linienchart, bei dem nur die Schlusskurse miteinander verbunden sind, wird man
eine andere Trendlinie erhalten als bei einem Barchart bzw. Kerzenchart, bei
dem die Periodenextrema beim Zeichnen der Trendlinie verwendet wer¬den. Solange
die Trendlinie intakt ist, ermöglicht sie dem Anleger den antizyklischen
Einstieg in Trendrichtung, da die Linie als Unterstützung (Aufwärtstrend) bzw.
Widerstand (Abwärtstrend) fungiert. Bei einem nachhaltigen Bruch der Trendlinie
können bestehende Positionen geschlossen werden oder sogar Posi¬tionen in
Ausbruchsrichtung eröffnet werden. Die Frage der Nachhaltigkeit eines
Trendlinienbruchs ist, so wie bei jeder Unterstützung bzw. jedem Widerstand,
mit Preis- und Zeitfiltern zu beurteilen (zum Beispiel 3-Prozent-Regel,
2-Tage-Regel), um Fehlsignale zu reduzieren. Nicht selten kommt es zu einem
marginalen Fehlausbruch und die Kurse setzen anschließend den Trend fort -
eventuell nur mit einem geringeren Steigungswinkel. Flexible Anleger nutzen
einen solchen erkannten »False Breakout«, um in Richtung des ursprünglichen und
meist auch noch intakten Trends einzusteigen.
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