3D Drucken von SelMcKenzie Selzer-McKenzie
Author D.Selzer-McKenzie
Millionen US-Bürger sind bereits im Bilde: Sie inter-
essieren sich für ,,additive Fertigung". Was
hierzu¬lande eher Wissenschaftlern, Ingenieuren oder Technikfans ein Begriff
ist, fasziniert in Übersee fast eine ganze Nation: Drucker begnügen sich nicht
länger nur mit Papier, sondern spucken auch ganze
Gegenstände aus - etwa Schrauben, Tassen oder Flugzeugteile. Geräte, nicht
größer als ein Kühlschrank, scheinen komplette Fabriken ersetzen zu können.
DIE REDE IST NICHT von einer neuen Science-Fiction-Serie.
Die TV-Zuschauer in den USA verfolgen stattdessen die allabendliche „Tonfight
Show". Talk-Legende Jay Leno führt hier regelmäßig die neuesten Werke
seines 3D-Druckers vor. Denn Leno ist nicht nur einer der bekanntesten
Entertainer des Landes, er ist auch leiden-schaftlicher Sammler von Oldtimern.
Er bastelt und schraubt ständig an seinen Autos herum.
Ge¬nervt von der ewigen Suche nach passenden Ersatzteilen, hat er den 3D-Druck
für sich entdeckt. Nun kommen die Kurbelwellen
oder Stoßdämpfer aus seinem Drucker. Leno ist der größte Fan
der neuen Technologie und lässt die halbe Nation regelmäßig daran teilhaben.
Amerika wird damit bereits im Frühstadium Zeuge einer industriel-len
Revolution.
AM 12. FEBRUAR 2013 hat auch ein anderer Ameri¬kaner die
3D-Druck-Technologie als neuen Megatrend geadelt. US-Präsident Barack Obama
griff das Thema in seiner Rede zur Lage der Nation auf. ,.Unsere einstigen
Industrieruinen sind jetzt die Labors, in denen mit dem 3D-Druck eine
Revolution losgetreten wird. Sie hat das Potenzial zu verändern, wie wir
produzieren'', verkündete er.
Spricht Obama noch von großen Visionen, ist die Revolution
im Kleinen schon in vollem Gange - in der sogenannten „Maker-Bewegung".
Dahinter verbergen sich Kreative aller Berufe: Architekten, Designer oder
Ingenieure können ihre Ideen dank 3D-Druck relativ einfach in Produkte zum
Anfassen umsetzen. Das Fer¬tigungsprinzip ähnelt dem eines
Tintenstrahldru¬ckers: Beim 3D-Gerät trifft zwar keine Tinte auf Papier, dafür
fließen aber Sand, Mineralstaub und Bindemittel auf die Druckfläche. Ist eine
Schicht gelegt, hebt sich der Druckkopf und füllt die nächste Lage - bis das
eingescannte Objekt dreidimensional fertiggestellt ist (s. Infografik auf Seite
12).
MUSSTEN DIE ENTWICKLER bislang teure Ferti-gungskapazitäten
anmieten, um die ersten Stücke eines Produkts aufwendig herzustellen, kann nun
schnell und kostengünstig ein Prototyp gedruckt werden. Das finanzielle Risiko
ist damit verschwin-dend gering. „So wie heute dank PC und Internet niemand
mehr eine Druckerei benötigt, um seine Ideen zu veröffentlichen, so ermöglicht
uns die 3D-Druck-Technologie mit einem Klick den Zugang zur eigenen
Fabrikhalle", schwärmt Chris Anderson, Technologie-Pionier und Autor des
Bestsellers „The Long Tail", in dem er das wirtschaftliche Potenzial von
Nischenprodukten im Internetzeitalter beleuchtet.
Was Anderson die Demokratisierung des Produk-tionsprozesses
nennt, ist im Grunde nichts anderes als ein gewaltiges Innovationsprogramm (s.
Interview auf Seite 14). Denn praktisch jeder kann jederzeit und überall seine
Ideen in eine konkrete Form bringen. „Wir wissen, dass in fast allen Industriezweigen
70 bis 80 Prozent aller Innovationen nicht von Herstellern kommen, sondern
letztlich von einem unzu¬friedenen Kunden'', erklärt Frank Piller, Professor an
der RWTH Aachen und Mitarbeiter des Mas-sachusetts Institute of Technology
(MIT). Anstatt das unzureichende Angebot einfach hinzunehmen, könnten die
Verbraucher selbst die Produktwelt aufmischen. Zumal die Drucker künftig nicht
größer als eine Mikrowelle sein werden und so in jeder Wohnung eine Fabrik
entstehen kann.
Schon heute greift ein Handy-hersteller den Trend auf:
Kunden können anhand von Vorlagen im Internet ihre individuelle Handy-hülle
gestalten und anschließend selbst ausdrucken.
„INDIVIDUALISIERUNG UND Massenproduktion finden erst¬mals
zusammen. Das ist ein ganz neues gesellschaftliches Phäno¬men'', sagt Piller.
Mit dem 3D-Druck verliert die herkömmliche Fertigung ihre Starre. Ohne große
Umbauten und logistischen Aufwand kann die Produktions¬linie verändert werden.
Individu¬elle Kundenwünsche lassen sich somit unmittelbar und günstiger als
jemals zuvor umsetzen. Eine effiziente und gleichzeitig flexible Fertigung -
der 3D-Druck vereint das Beste aus zwei Welten.
Claudio Dalle Donne ist in beiden Welten zu Hause - als
Chefentwickler von EADS Innova¬tion Works. Seine Forschungs¬ergebnisse sollen
die Produktion des Luft- und Raumfahrtkonzerns effizienter und gleichzeitig die
Flugzeuge oder Satelliten besser machen. „Additive Manufacturing,
wie wir den 3D-Druck nennen, ist derzeit das heißeste Thema
in der Produktionstechnik'', sagt Dalle Donne. „Die Technologie existiert zwar
bereits seit rund 15 Jahren. Doch erst jetzt beginnt sie, richtig
abzuheben."
ER MUSS ES WISSEN. Die Luftfahrtindustrie ist das
Paradebeispiel für den Nutzen der Technologie: Flugzeugbauer produzieren
traditionsgemäß an vielen Standorten und sind in besonderer Weise abhängig von
Zulieferern und deren Materialien. Komplexe Lieferketten und steigende
Rohstoffkosten stehen den immer anspruchsvolleren Kunden gegenüber. Airlines
fordern wegen der ständig steigenden Kerosinpreise sparsamere Maschinen, vor
allem aber eine pünktliche Ausliefe-rung. Dass die Flugzeugbauer dabei oft an
ihre Grenzen stoßen, offenbaren die jahrelangen Verzögerungen bei jüngsten
Prestigeprojekten.
In Zukunft könnte die 3D-Druck-Technologie dieses Dilemma
der Luftfahrtindustrie lösen. Durch das neue Produkti-onsverfahren lassen sich
Bau¬teile überall auf der Welt vor Ort „ausdrucken", was die Komplexi¬tät
der Lieferkette erheblich reduziert. Außerdem können Ingenieure rund um die Uhr
in Labors weltweit an innovativen Konstruktionslösungen tüfteln und ihre
digital verfügbaren Forschungsresultate auch in physischer Form mit ihren
Kollegen teilen.
OHNEHIN REDUZIERT DAS DRUCKEN die Ver-schwendung von
Rohstoffen. Dalle Donne führt als Beispiel eine etwa zehn Zentimeter große
Titan-Ver¬strebung an, die in jedem Flugzeug verbaut wird. Bislang gab es bei
der Herstellung durch Fräsen aus einem Metallblock bis zu 90 Prozent Abfall.
Beim 3D-Druck hingegen wird das Titan-Teil quasi aus dem Nichts mithilfe von
Pulver erschaffen - Schicht für Schicht. Verschnitt gibt es bei dieser
additiven Ferti¬gung kaum...Mit der 3D-Technologie können wir die Natur
nachahmen und für jedes Teil nur so viel Material verwenden, wie wirklich nötig
ist'', macht Chefentwickler Dalle Donne klar.
Vorbild sind die hohlen Knochen von Vögeln, die leicht sind
und dennoch vollständig ihren Zweck erfüllen. So kann auch die besagte
Titan-Strebe bei gleicher Stabilität mit einem Hohlraum gedruckt werden, was
nicht nur Rohstoffkosten spart, sondern auch viel Gewicht. Die
„gedruckten" Flugzeuge könnten also in Zukunft um Tonnen leichter sein. Da
jedes Flugzeug im Schnitt 30 Jahre in Betrieb ist, bringt jedes Kilogramm
weniger der Airline eine Ersparnis von rund 6.000 Liter Kerosin pro Flieger.
ALLERDINGS GIBT ES NOCH einen entscheidenden Makel. Die
3D-Drucker arbeiten nicht schnell genug, um täglich große Stückzahlen zu
fertigen. Für die Luftfahrtindustrie ist der Faktor Zeit noch handhab¬bar. Für
die Autoindustrie, die Schlüsselbranche der industriellen Fertigung, müssen die
Drucker deutlich schneller werden. „Wenn die Automobilkonzerne für ihre
Massenfertigung additive Verfahren einsetzen, ist der Durchbruch für die
3D-Drucker geschafft'', erklärt Dalle Donne.
Bis 2019 setzen die Experten analog zu anderen Technologien
auch beim 3D-Druck auf das soge¬nannte Moore'sche Gesetz. Intel-Gründer Gordon
ENTSPRECHEND OPTIMISTISCH fallen die Wachstumsprognosen aus:
Der US-Analyst Terry Woh-lers, dessen jährlicher Report als Branchen-Bibel
gilt, erwartet Steigerungsraten von knapp 20 Prozent pro Jahr. Bis 2019 wird
sich nach seiner Rechnung allein das Volumen des Drucker-Marktes auf 6,5
Milliarden US-Dollar verdreifachen.
Die amerikanische Denkfabrik Atlantic Council wagt einen
noch weiteren Ausblick. Danach dürfte die Technologie der additiven Fertigung
Produktionsströme mit Billionen-Dollar-Volumen bewe¬gen. Davon profitieren
neben Druckerproduzenten beispiels¬weise innovative Maschinenbauer, Hersteller
von Kommunikations¬technik und Softwareanbieter - sowie deren Kunden in der
Fertigungsindustrie.
Der Aufstieg der 3D-Druck-Technik wird auch folgenreich für
ganze Volkswirtschaften sein. Wenn Kosten sinken und eine neue Flexibilität in
der Fabrikhal¬le Einzug hält, kann es zu einem historischen Wachstumsschub
kommen.
Forschern, Ökonomen und Staatsmännern in den westlichen
Ländern schwebt vor, die Produkti-on von Gütern wieder nach Hause zu holen.
Wurden in den vergange-nen Jahrzehnten immer mehr Herstellungskapazitäten in
Nied-riglohnländer verlegt, könnte sich dieser Trend mit dem Durchbruch des
3D-Druck-Verfahrens wieder umkehren. Denn die Technologie ermöglicht eine
effiziente Ferti-gung, die auf individuelle Kunden-wünsche eingeht. Die
klassische Massenproduktion, etwa in China, die heute vor allem mit geringen Arbeitskosten
punktet, würde dadurch weniger attraktiv.
Hinzu kommt: Wenn Unterneh-men fertige Produkte oder
einzelne Bauteile nicht mehr von Zuliefe-rern in aller Welt beziehen, son-dern
selbst ausdrucken, krempelt das globale Lieferketten radikal um. Aufwendungen
für Transport und Logistik sowie die unvermeid-lichen Wartezeiten wären dann
Geschichte.
GEWINNT DIE TECHNOLOGIE weiter an Dynamik, muss sich auch
Talkmaster Jay Leno etwas Neues einfallen lassen - etwa mithilfe der Firma
Voxeljet. Das Unternehmen aus Augsburg hat den legendären Aston Martin DB5 für
den jüngsten James-Bond-Film detailgetreu nachgedruckt, damit der wertvolle
Originalwagen bei Stunts keinen Schaden nimmt. Die Kopie ent¬stand zwar nur im
Maßstab 1 :3. Doch Millionen Kinozuschauer haben den Unterschied nicht bemerkt.
Einen Aston Martin DB5 hat Leno noch nicht in seiner Sammlung. Es wird also
höchste Zeit, den Druckauftrag zu erteilen.
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