Mittwoch, 3. April 2013

Nord-Korea Reise Travel von Selzer-McKenzie SelMcKenzie


Nord-Korea Reise Travel von Selzer-McKenzie SelMcKenzie



 
 

 

Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie

Nein, wegen des Essens muss man nicht nach Nordkorea fliegen. Fleisch — für den normalen Nordkoreaner unerschwinglich — ist überwiegend von minderer Qualität, Milch gibt es nicht, und der importierte Teebeutel wird in ein halbes Dutzend Tassen getaucht, bevor er aus dem Verkehr gezogen wird. Alles ist knapp. Das gute nordkoreanische Bier wird selbst dem Fremden nur glasweise verabreicht. Ebenso wie die zweite Tasse Nescafö, wo mitunter ein Nachgießen separat bezahlt werden muss - in Euro, versteht sich.

Auch zum Haareschneiden lohnt der Ausflug nach Pyöngyang nicht. Die Bezahlung mit kostbaren Devisen — Euros kommen dem Status einer Leitwährung gleich — ist nur an den dafür vorgesehenen Stellen erlaubt. Folglich könne man ja den Straßenfrisör nicht bezahlen. So blieb also auch dieser Wunsch, dem Alltagsleben um Haareslänge näher zu kommen, unerfüllt.

Und schließlich die Shoppingtour: Auch hier lohnt sich der Flug nach Pyöngyang mitnichten. Dem Touristen werden gegen Devisen Briefmarken, Propagandaplakate und mehr oder weniger geschmackvolles Kunsthandwerk angeboten. Mehr ist kaum zu holen. Es gibt ein spezielles Kaufhaus für Importprodukte, die aber für normalsterbliche Nordkoreaner eher unerschwinglich sind. Die gähnende Leere auf vier Etagen wird damit erklärt, dass die Menschen halt arbeiten müssten. Das Reiseziel Nordkorea ist also nicht vergnügungssteuerpflichtig!

Im permanenten Kriegszustand

Warum also dann nach Nordkorea? — Weil es hier eine Gesellschaft zu besichtigen gibt, für die der im Kalten Krieg geprägte Ausdruck „totalitär" noch berechtigt ist. Zivilgesellschaftliche Strukturen erkennt man nicht ansatzweise. Selbst Parteidiktaturen in China oder auf Kuba weisen himmelweite Unterschiede zum nach wie vor hermetisch abgeschlossenen Nordkorea auf. Unwillkürlich fühlt man sich an Orwells Roman „1984" erinnert, in dem weniger eine Utopie als die faktischen Strukturen eines stalinisti-chenystems sichtbar werden. Wie Ozeanien in Orwells Roman, so wird auch die nordkoreanische Gesellschaft in einem permanenten Kriegszustand gehalten. Ein aufgeblähter Militärapparat wird auf diese Weise gerechtfertigt. Masseninszenierungen dienen der Verherrlichung des Systems und befeuern einen aggressiven Anti-Amerikanismus. Die nordkoreanische Reisebegleitung beteuerte wiederholt: ,,Der Staat schenkt uns alles" Ähnlich dem nationalsozialistischen Hitlergruß verlangt auch das nordkoreanische Regime eine permanente öffentliche Loyalitätsbezeugung. Dies geschieht durch Anstecknadeln mit den Häuptern der Führung, die gut sichtbar am Revers getragen werden (müssen).

Kein Papier für Zeitungen

Zum Funktionieren eines solchen Systems im Interesse

der politischen und militärischen Elite gehört die umfas-

sende Informationskontrolle. In der Staatspartei

hat man sehr wohl in Erinnerung, dass der An-

fang vom Ende der Sowjetunion mit „Glasnost"

einsetzte, also mit medialer Öffnung. Folglich gibt es für Nordkoreaner bis dato keine privaten Postverbindungen ins Ausland, Rundfunk- und Fernsehgeräte besitzen nur wenige, das Internet ist eher ein nordkoreanisches Intranet. Es versteht sich von selbst, dass ausländische Printmedien prinzipiell nicht verfügbar sind. Ein-

heimische Zeitungen hängen an

U-Bahn-Stationen aus, was dem Papiermangel geschuldet ist. Die wöchentlich erscheinende „Pyön-

gyangTimes" erweist sich als simples Propagan-

"~ dablättchen, das sich wie jedes nordkoreanische

Medium dem Personenkult verschrieben hat. In

diese Strukturen passt auch der merkwürdige

Brauch, das Handy des Besuchers bei der Einrei-

se temporär zu kassieren. In der Regel wird es

auf dem Flughafen bis zur Ausreise deponiert.

Alternativ nimmt es der Reiseleiter an sich, oder es wird

wohlverpackt unbenutzbar gemacht.

Pflicht zurTreue

Die nationale Dschutsche-Ideologie stellt die einzig erlaubte gesellschaftspolitische Denkform dar. Sie verbindet den klassischen Marxismus-Leninismus mit einer nationalistischen Perspektive sowie mit einem übersteigerten Personenkult. Das gesamte Erziehungssystem dient dazu, die Treue zum Führer und zur Partei gedeihen zu lassen. „Die Volksmassen müssen sich unter Führung der Partei und des Führers mit einer Ideologie und in einer Organisation zusammenschließen, damit sie zum souveränen Subjekt der Revolution werden können" Es besteht praktisch vom Kindergarten bis zum Hochschulstudium die Pflicht — sowohl für Parteigenossen als auch für (normale) Werktätige —, „sich intensiv mit dem Studium der Werke des Führers zu befassen, damit sie sich die Größe seiner Ideen und Führung aneignen" Zwar besteht formell die Fünf-Tage-Woche, aber der Sonnabend bleibt reserviert für gesellschaftliche Aktivitäten. Die Führung verlangt nicht)

 

nur Unterordnung, sie besteht darauf, dass die Treue zurr Führer „rein und unwandelbar, absolut und vorbehaltlos" sei. Gemäß der „unvergänglichen Dschutsche-Ideologie" bleibt Kim II Sung der ewige (und damit gottähnliche) Prä sident des Landes. Es gehört zum Charakteristikum des Regimes, nicht nur Gehorsam zu verlangen, sondern Untergebenen im gleichen Atemzug Souveränität zuzusprechen und die Beseitigung jeglicher Ausbeutung für sich zu beanspruchen. Kim lt Sung hält fest. „Ein vom Führer, von der Partei und den Massen abgekapselter Mensch (führt) ein wertloses Leben .." Mit anderen Worten: Abweichler und Ungläubige besitzen keinen Wert. Auf sie warten Arbeitslager, aus denen es nur selten ein Entkommen gibt.

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Absolute Bildkontrolle

Natürlich ist dem Regime daran gelegen, dass der Besucher ein gutes Bild vom Land mitnimmt. Grundsätzlich hat er zwei Begleiter an seiner Seite, die sich zweifellos auch gegenseitig kontrollieren sollen. Ein Vertrautwerden ist praktisch ausgeschlossen. Reiseleiter und Dolmetscher unterliegen sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Hotel einer Beobachtung durch uniformierte und zivil auftretende Polizei. Als die Dolmetscherin eine fast verkehrslose breite Straße in Pyöngyang überquerte, war sofort ein Motorradpolizist zur Stelle. Es folgte ein handfester Konflikt, weil dies der einheimischen Bevölkerung bei Strafe untersagt ist. Nordkoreaner müssen die Unterführungen benutzen. Auch das Anhalten auf breiten und wenig befahrenen Straßen ist nicht erlaubt. So mancher gewünschte Fotostopp fiel diesem Verbot zum Opfer. Durch den überdimensioniertenTriumphbogen, der 1982 anlässlich des siebzigsten Geburtstages von Kim II Sung errichtet wurde, dürfen nur Limousinen fahren. Frage: „Warum ist da so?" —Antwort: „Das ist die Regel:" Ende. Fertig. Basta.

Der Gebrauch der Kamera unterliegt der Kontrolle durch die Begleitung. Selbstverständlich dürfen keine Soldaten oder militärische Einrichtungen fotografiert werden. Diktatorische Machthaber wissen sehr wohl um die Wirksamkeit von Bildern. Erst Bilder sorgen für Schlagzeilen, Aufmerksamkeit und öffentliche Erregung im globalen Maßstab. Ein millionenfaches Verbrechen existiert (fast) nicht im öffentlichen Bewusstsein, wenn es keine Bilder gibt. Genauso in Nordkorea: Die Existenz von sogenann-i ten Umerziehungs- und Arbeitslagern, in denen zweifellos auch politische Gefangene gequält werden, ist unstrittig. Fachleute gehen von ca. 200.000 Häftlingen aus. Aber es gibt keinerlei Bildmaterial, lediglich Satellitenaufnahmen, vereinzelt Berichte von Überlebenden und Flüchtlingen.

Wachsame Reiseleiter

Der Aufenthalt in Nordkorea umfasst ein Besuchsprogramm, das von morgens bis abends dauert und keinen Spielraum für individuelle Ausflüge zulässt. Nur theoretisch ist ein Ausbüchsen am frühen Morgen oder nach Sonnenuntergang möglich. Aber die isolierte Lage des Ausländerhotels Yanggakdo — auf einer Insel im TaedongFluss gelegen — erschwert ein solches Unterfangen. Abgesehen davon täte man sich und seiner Begleitung keinen Gefallen. Erstens bliebe ein solcher Ausflug ohnehin nicht geheim, zweitens brächte man die Reiseleitung wegen nachlässiger Wachsamkeit in die Bredouille. Andererseits ist der Besucher auf ein gutes Verhältnis mit dem Reiseleiter angewiesen, denn dieser besitzt, was das Besuchsprogramm oder die Fotografiererlaubnis anbetrifft, durchaus einen gewissen Spielraum. Die digitale Fotografie erlaubt nicht nur die unmittelbare Bildkontrolle, sondern auch eine

 

allgemeine bei der Ausreise. In welchem Ausmaß diese praktiziert wird, hängt von der politischen Gesamtsituation ab, aber auch vom einzelnen Grenzbeamten. Gewiefte Traveller fertigen aus diesem Grund ein Duplikat auf einem USB-Stick an, der sich leicht verstecken lässt.

Nach wie vor begegnet die große Mehrheit der Nordkoreaner dem Fremden mit Aufmerksamkeit und Misstrauen. Dieses Verhalten wurde von der Obrigkeit zweifellos gefördert. Auch wenn einerseits der (chinesische) Tourismus angekurbelt werden soll, so wird andererseits im Ausländer ein potenzieller Spion gesehen. Nordkoreaner sind angehalten, Auffälligkeiten zu melden.

Sariwon ist eine mittelgroße Stadt, ca. 100 Kilometer südlich von Pyöngyang. Der zuständige Reiseleiter hatte offenbar beide Augen zugedrückt, während ein Tourist Alltagsszenen in der Stadt fotografierte. Ein Passant bemerkte dies, machte Meldung, und zwei Stunden später tauchten zwei Geheimpolizisten auf. Sie waren, wie sich herausstellte, aus Pyöngyang herbeigeeilt, konfrontierten denfouristen mit seinemTun und löschten die Aufnahmen. Dass der tolerante Reiseleiter massive Probleme bekommen dürfte, steht zu vermuten. „Mangelnde revolutionäre Wachsamkeit" heißt das im Jargon des Regimes.

Kein Weg führt aus Pyöngyang

Kontrollen werden regelmäßig damit legitimiert, dass sic das Land noch im Kriegszustand befinde. Die nordkoreE nische Bevölkerung wird im Glauben gehalten, ein Angri', der USA sei jederzeit möglich. Auch so lässt sich eine Ge sellschaft zusammenschweißen.

Auch Nordkoreaner dürfen sich im eigenen Land nicht fre bewegen. Ihre Mobilität wird extrem eingeschränkt. S( bedarf jedes Verlassen des Wohnorts einer Genehmigung durch die Behörden. Kein Weg führt aus Pyöngyang hei aus, der nicht kontrolliert wird. Selbst an Feldwegen sin( Polizeiposten sichtbar. Ohne Passierschein kommt mar nicht weit. Selbst die Dolmetscherin überquerte an de Seite des Besuchers zum ersten Mal in ihrem Leben diE Stadtgrenzen von Pyöngyang. Groteskerweise gestalteter sich die Überlandfahrten somit nicht nur für den fremder Besucher, sondern auch für sie zu einer Entdeckungsreise Die größten Teile des Landes, insbesondere der gesamte Norden, stellen praktisch eine verbotene Gegend dar. Die seltenen Touristengruppen werden auf dem Weg zu den dortigen Naturschönheiten ausschließlich geflogen.

Vorgetäuschte Modernität

Auf den ersten Blick, zum Beispiel vom 43. Stockwerk des Yanggakdo-Hotels, scheint Pyöngyang eine ganz normale Stadt zu sein. Relativ modern wirkende Betonklötze und Plattenbauquadrate reihen sich aneinander und formen die Silhouette der Stadt. Nur zwei aus dem Mittelalter stammende, restaurierte Stadttore haben den Koreakrieg von 1950 bis 1953 überlebt. Die Stadt (wie auch das gesamte Land) war plattgemacht worden — in einer Weise, die an die Totalzerstörung vieler deutscher Städte 1945 erinnert. (Eine Ausnahme bildet lediglich die Altstadt von Kaesong, weil dort Waffenstillstandsgespräche stattfanden.) Dem Besucher wird ein Blick in die Wohntürme von Pyöngyang verwehrt. Nordkoreaner dürfen Fremde — auch Freunde — nicht ohne Erlaubnis beherbergen. Ein ausgeklügeltes Blockwartsystem dient der Kontrolle jedes Besuchers.

Die Vogelperspektive täuscht eine Modernität nur vor. In welchem Maße die urbane Topografie den Gesetzen der Staatsarchitektur folgt, offenbart die Begehung: Kultur- und Pionierpaläste, Theater und Oper, Stadien, Museen, Präsidentenpalast, Triumphbogen, Ministerien, Denkmäler, Skulpturen, Mahnmale und nicht zuletzt der fackelgekrönte Dschutsche-Turm am Ufer des Taedong. Und immer wieder Bilder der omnipräsenten Führer. Seit zwei Jahrzehnten ragt das 330 Meter hohe Ryugyong-Hotel aus dem Stadtbild heraus. Seine raketenförmige Architektur verleiht dieser Investitionsruine mit ihren angeblich 3.000 Zimmern befremdliche Züge. Der Anblick evoziert unwillkürlich die Vision von Ozeaniens Wahrheitsministerium, das sich ebenfalls 300 Meter in die Luft reckte — diese „riesig sich hochtürmende Pyramide. Sie war zu unerschütterlich, um erstürmt zu werden" Magistralartige Durchbrüchebefriedigen weniger die Bedürfnisse der Stadtbewohner

i als das Interesse der Führung an repräsentativen Räumen für Paraden und Kundgebungen. Geschäfte gibt es, aber nur relativ wenige sind sichtbar. Der Ausdruck „ Kon sumgesellschaft" dürfte noch nicht im nordkoreanischen Wortschatz verankert sein. Halbleere Regale, armselige Angebote ... Die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln ist reglementiert und wird über die jeweilige Arbeits- bzw. Wohneinheit, also kollektivistisch, abgewickelt.

Privileg der Fortbewegung

Erst mit der Zeit fallen andere Besonderheiten Pyöngyangs auf. In der Drei-Millionen-Metropole sieht man keine Krüppel, keine invaliden Menschen, keine Bettler, keine Hunde, keine Katzen. Es gibt keine Banken -und scheinbar auch keine Tankstellen. Letztere „verstecken" sich in Vororten und sind nicht frei zugänglich. Gemessen am globalen Maßstab einer Großstadt hält sich der Autoverkehr immer noch stark in Grenzen. Auch wenn glaubhaft versichert wird, dass er in letzter Zeit erheblich zugenommen habe. Auffällig ist die erstaunliche Anzahl hochkarätiger Limousinen, darunter nicht wenige deutsche Edelmarken. In einem armen Land ohne Privatautos besitzt die regimetragende Nomenklatura (Staatsklasse) das offenkundige Privileg der Fortbewegung mit Chauffeur. Der Kontrast zu einem völlig unzureichenden Nahverkehrssystem könnte kaum gravierender sein. Absolut schrottreife jahrzehntealte Busse und uralte, in Osteuropa ausgemusterte Straßenbahnen sind dem Ansturm der Menschen kaum gewachsen. Überfüllte Waggons, lange Schlangen an den Haltestellen, auch vollgepackte Baufahrzeuge gehören zum Alltag. Der urbane Mensch, er ist typischerweise mittelgroß, schlank bis drahtig, oft hager. Den Bauch, der über den Gürtel hängt, gibt es nicht. Ein großer Vorteil für die nordkoreanische Konfektionsindustrie: XXL-Größen müssen nicht produziert werden

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