Nord-Korea Reise Travel von Selzer-McKenzie SelMcKenzie
Video: http://youtu.be/wdxmebD-d1Q
Ein Reisebericht von D.Selzer-McKenzie
Nein, wegen des Essens muss man nicht nach Nordkorea
fliegen. Fleisch — für den normalen Nordkoreaner unerschwinglich — ist
überwiegend von minderer Qualität, Milch gibt es nicht, und der importierte
Teebeutel wird in ein halbes Dutzend Tassen getaucht, bevor er aus dem Verkehr
gezogen wird. Alles ist knapp. Das gute nordkoreanische Bier wird selbst dem
Fremden nur glasweise verabreicht. Ebenso wie die zweite Tasse Nescafö, wo
mitunter ein Nachgießen separat bezahlt werden muss - in Euro, versteht sich.
Auch zum Haareschneiden lohnt der Ausflug nach Pyöngyang
nicht. Die Bezahlung mit kostbaren Devisen — Euros kommen dem Status einer
Leitwährung gleich — ist nur an den dafür vorgesehenen Stellen erlaubt. Folglich
könne man ja den Straßenfrisör nicht bezahlen. So blieb also auch dieser
Wunsch, dem Alltagsleben um Haareslänge näher zu kommen, unerfüllt.
Und schließlich die Shoppingtour: Auch hier lohnt sich der
Flug nach Pyöngyang mitnichten. Dem Touristen werden gegen Devisen Briefmarken,
Propagandaplakate und mehr oder weniger geschmackvolles Kunsthandwerk
angeboten. Mehr ist kaum zu holen. Es gibt ein spezielles Kaufhaus für
Importprodukte, die aber für normalsterbliche Nordkoreaner eher unerschwinglich
sind. Die gähnende Leere auf vier Etagen wird damit erklärt, dass die Menschen
halt arbeiten müssten. Das Reiseziel Nordkorea ist also nicht
vergnügungssteuerpflichtig!
Im permanenten Kriegszustand
Warum also dann nach Nordkorea? — Weil es hier eine
Gesellschaft zu besichtigen gibt, für die der im Kalten Krieg geprägte Ausdruck
„totalitär" noch berechtigt ist. Zivilgesellschaftliche Strukturen erkennt
man nicht ansatzweise. Selbst Parteidiktaturen in China oder auf Kuba weisen
himmelweite Unterschiede zum nach wie vor hermetisch abgeschlossenen Nordkorea
auf. Unwillkürlich fühlt man sich an Orwells Roman „1984" erinnert, in dem
weniger eine Utopie als die faktischen Strukturen eines stalinisti-chenystems
sichtbar werden. Wie Ozeanien in Orwells Roman, so wird auch die
nordkoreanische Gesellschaft in einem permanenten Kriegszustand gehalten. Ein
aufgeblähter Militärapparat wird auf diese Weise gerechtfertigt.
Masseninszenierungen dienen der Verherrlichung des Systems und befeuern einen
aggressiven Anti-Amerikanismus. Die nordkoreanische Reisebegleitung beteuerte
wiederholt: ,,Der Staat schenkt uns alles" Ähnlich dem
nationalsozialistischen Hitlergruß verlangt auch das nordkoreanische Regime
eine permanente öffentliche Loyalitätsbezeugung. Dies geschieht durch Anstecknadeln
mit den Häuptern der Führung, die gut sichtbar am Revers getragen werden
(müssen).
Kein Papier für Zeitungen
Zum Funktionieren eines solchen Systems im Interesse
der politischen und militärischen Elite gehört die umfas-
sende Informationskontrolle. In der Staatspartei
hat man sehr wohl in Erinnerung, dass der An-
fang vom Ende der Sowjetunion mit „Glasnost"
einsetzte, also mit medialer Öffnung. Folglich gibt es für
Nordkoreaner bis dato keine privaten Postverbindungen ins Ausland, Rundfunk-
und Fernsehgeräte besitzen nur wenige, das Internet ist eher ein
nordkoreanisches Intranet. Es versteht sich von selbst, dass ausländische
Printmedien prinzipiell nicht verfügbar sind. Ein-
heimische Zeitungen hängen an
U-Bahn-Stationen aus, was dem Papiermangel geschuldet ist.
Die wöchentlich erscheinende „Pyön-
gyangTimes" erweist sich als simples Propagan-
"~ dablättchen, das sich wie jedes nordkoreanische
Medium dem Personenkult verschrieben hat. In
diese Strukturen passt auch der merkwürdige
Brauch, das Handy des Besuchers bei der Einrei-
se temporär zu kassieren. In der Regel wird es
auf dem Flughafen bis zur Ausreise deponiert.
Alternativ nimmt es der Reiseleiter an sich, oder es wird
wohlverpackt unbenutzbar gemacht.
Pflicht zurTreue
Die nationale Dschutsche-Ideologie stellt die einzig
erlaubte gesellschaftspolitische Denkform dar. Sie verbindet den klassischen
Marxismus-Leninismus mit einer nationalistischen Perspektive sowie mit einem
übersteigerten Personenkult. Das gesamte Erziehungssystem dient dazu, die Treue
zum Führer und zur Partei gedeihen zu lassen. „Die Volksmassen müssen sich
unter Führung der Partei und des Führers mit einer Ideologie und in einer
Organisation zusammenschließen, damit sie zum souveränen Subjekt der Revolution
werden können" Es besteht praktisch vom Kindergarten bis zum
Hochschulstudium die Pflicht — sowohl für Parteigenossen als auch für (normale)
Werktätige —, „sich intensiv mit dem Studium der Werke des Führers zu befassen,
damit sie sich die Größe seiner Ideen und Führung aneignen" Zwar besteht
formell die Fünf-Tage-Woche, aber der Sonnabend bleibt reserviert für
gesellschaftliche Aktivitäten. Die Führung verlangt nicht)
nur Unterordnung, sie besteht darauf, dass die Treue zurr
Führer „rein und unwandelbar, absolut und vorbehaltlos" sei. Gemäß der
„unvergänglichen Dschutsche-Ideologie" bleibt Kim II Sung der ewige (und
damit gottähnliche) Prä sident des Landes. Es gehört zum Charakteristikum des
Regimes, nicht nur Gehorsam zu verlangen, sondern Untergebenen im gleichen
Atemzug Souveränität zuzusprechen und die Beseitigung jeglicher Ausbeutung für
sich zu beanspruchen. Kim lt Sung hält fest. „Ein vom Führer, von der Partei
und den Massen abgekapselter Mensch (führt) ein wertloses Leben .." Mit
anderen Worten: Abweichler und Ungläubige besitzen keinen Wert. Auf sie warten
Arbeitslager, aus denen es nur selten ein Entkommen gibt.
‚.
Absolute Bildkontrolle
Natürlich ist dem Regime daran gelegen, dass der Besucher
ein gutes Bild vom Land mitnimmt. Grundsätzlich hat er zwei Begleiter an seiner
Seite, die sich zweifellos auch gegenseitig kontrollieren sollen. Ein
Vertrautwerden ist praktisch ausgeschlossen. Reiseleiter und Dolmetscher
unterliegen sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Hotel einer Beobachtung durch
uniformierte und zivil auftretende Polizei. Als die Dolmetscherin eine fast
verkehrslose breite Straße in Pyöngyang überquerte, war sofort ein
Motorradpolizist zur Stelle. Es folgte ein handfester Konflikt, weil dies der
einheimischen Bevölkerung bei Strafe untersagt ist. Nordkoreaner müssen die
Unterführungen benutzen. Auch das Anhalten auf breiten und wenig befahrenen
Straßen ist nicht erlaubt. So mancher gewünschte Fotostopp fiel diesem Verbot
zum Opfer. Durch den überdimensioniertenTriumphbogen, der 1982 anlässlich des
siebzigsten Geburtstages von Kim II Sung errichtet wurde, dürfen nur Limousinen
fahren. Frage: „Warum ist da so?" —Antwort: „Das ist die Regel:"
Ende. Fertig. Basta.
Der Gebrauch der Kamera unterliegt der Kontrolle durch die
Begleitung. Selbstverständlich dürfen keine Soldaten oder militärische
Einrichtungen fotografiert werden. Diktatorische Machthaber wissen sehr wohl um
die Wirksamkeit von Bildern. Erst Bilder sorgen für Schlagzeilen,
Aufmerksamkeit und öffentliche Erregung im globalen Maßstab. Ein
millionenfaches Verbrechen existiert (fast) nicht im öffentlichen Bewusstsein,
wenn es keine Bilder gibt. Genauso in Nordkorea: Die Existenz von sogenann-i
ten Umerziehungs- und Arbeitslagern, in denen zweifellos auch politische
Gefangene gequält werden, ist unstrittig. Fachleute gehen von ca. 200.000
Häftlingen aus. Aber es gibt keinerlei Bildmaterial, lediglich
Satellitenaufnahmen, vereinzelt Berichte von Überlebenden und Flüchtlingen.
Wachsame Reiseleiter
Der Aufenthalt in Nordkorea umfasst ein Besuchsprogramm, das
von morgens bis abends dauert und keinen Spielraum für individuelle Ausflüge
zulässt. Nur theoretisch ist ein Ausbüchsen am frühen Morgen oder nach
Sonnenuntergang möglich. Aber die isolierte Lage des Ausländerhotels Yanggakdo
— auf einer Insel im TaedongFluss gelegen — erschwert ein solches Unterfangen.
Abgesehen davon täte man sich und seiner Begleitung keinen Gefallen. Erstens
bliebe ein solcher Ausflug ohnehin nicht geheim, zweitens brächte man die
Reiseleitung wegen nachlässiger Wachsamkeit in die Bredouille. Andererseits ist
der Besucher auf ein gutes Verhältnis mit dem Reiseleiter angewiesen, denn
dieser besitzt, was das Besuchsprogramm oder die Fotografiererlaubnis
anbetrifft, durchaus einen gewissen Spielraum. Die digitale Fotografie erlaubt
nicht nur die unmittelbare Bildkontrolle, sondern auch eine
allgemeine bei der Ausreise. In welchem Ausmaß diese
praktiziert wird, hängt von der politischen Gesamtsituation ab, aber auch vom
einzelnen Grenzbeamten. Gewiefte Traveller fertigen aus diesem Grund ein
Duplikat auf einem USB-Stick an, der sich leicht verstecken lässt.
Nach wie vor begegnet die große Mehrheit der Nordkoreaner
dem Fremden mit Aufmerksamkeit und Misstrauen. Dieses Verhalten wurde von der
Obrigkeit zweifellos gefördert. Auch wenn einerseits der (chinesische)
Tourismus angekurbelt werden soll, so wird andererseits im Ausländer ein
potenzieller Spion gesehen. Nordkoreaner sind angehalten, Auffälligkeiten zu
melden.
Sariwon ist eine mittelgroße Stadt, ca. 100 Kilometer
südlich von Pyöngyang. Der zuständige Reiseleiter hatte offenbar beide Augen
zugedrückt, während ein Tourist Alltagsszenen in der Stadt fotografierte. Ein
Passant bemerkte dies, machte Meldung, und zwei Stunden später tauchten zwei
Geheimpolizisten auf. Sie waren, wie sich herausstellte, aus Pyöngyang
herbeigeeilt, konfrontierten denfouristen mit seinemTun und löschten die
Aufnahmen. Dass der tolerante Reiseleiter massive Probleme bekommen dürfte,
steht zu vermuten. „Mangelnde revolutionäre Wachsamkeit" heißt das im
Jargon des Regimes.
Kein Weg führt aus Pyöngyang
Kontrollen werden regelmäßig damit legitimiert, dass sic das
Land noch im Kriegszustand befinde. Die nordkoreE nische Bevölkerung wird im
Glauben gehalten, ein Angri', der USA sei jederzeit möglich. Auch so lässt sich
eine Ge sellschaft zusammenschweißen.
Auch Nordkoreaner dürfen sich im eigenen Land nicht fre
bewegen. Ihre Mobilität wird extrem eingeschränkt. S( bedarf jedes Verlassen
des Wohnorts einer Genehmigung durch die Behörden. Kein Weg führt aus Pyöngyang
hei aus, der nicht kontrolliert wird. Selbst an Feldwegen sin( Polizeiposten
sichtbar. Ohne Passierschein kommt mar nicht weit. Selbst die Dolmetscherin
überquerte an de Seite des Besuchers zum ersten Mal in ihrem Leben diE
Stadtgrenzen von Pyöngyang. Groteskerweise gestalteter sich die Überlandfahrten
somit nicht nur für den fremder Besucher, sondern auch für sie zu einer
Entdeckungsreise Die größten Teile des Landes, insbesondere der gesamte Norden,
stellen praktisch eine verbotene Gegend dar. Die seltenen Touristengruppen
werden auf dem Weg zu den dortigen Naturschönheiten ausschließlich geflogen.
Vorgetäuschte Modernität
Auf den ersten Blick, zum Beispiel vom 43. Stockwerk des
Yanggakdo-Hotels, scheint Pyöngyang eine ganz normale Stadt zu sein. Relativ
modern wirkende Betonklötze und Plattenbauquadrate reihen sich aneinander und
formen die Silhouette der Stadt. Nur zwei aus dem Mittelalter stammende,
restaurierte Stadttore haben den Koreakrieg von 1950 bis 1953 überlebt. Die
Stadt (wie auch das gesamte Land) war plattgemacht worden — in einer Weise, die
an die Totalzerstörung vieler deutscher Städte 1945 erinnert. (Eine Ausnahme
bildet lediglich die Altstadt von Kaesong, weil dort Waffenstillstandsgespräche
stattfanden.) Dem Besucher wird ein Blick in die Wohntürme von Pyöngyang
verwehrt. Nordkoreaner dürfen Fremde — auch Freunde — nicht ohne Erlaubnis
beherbergen. Ein ausgeklügeltes Blockwartsystem dient der Kontrolle jedes
Besuchers.
Die Vogelperspektive täuscht eine Modernität nur vor. In
welchem Maße die urbane Topografie den Gesetzen der Staatsarchitektur folgt,
offenbart die Begehung: Kultur- und Pionierpaläste, Theater und Oper, Stadien,
Museen, Präsidentenpalast, Triumphbogen, Ministerien, Denkmäler, Skulpturen,
Mahnmale und nicht zuletzt der fackelgekrönte Dschutsche-Turm am Ufer des
Taedong. Und immer wieder Bilder der omnipräsenten Führer. Seit zwei
Jahrzehnten ragt das 330 Meter hohe Ryugyong-Hotel aus dem Stadtbild heraus.
Seine raketenförmige Architektur verleiht dieser Investitionsruine mit ihren
angeblich 3.000 Zimmern befremdliche Züge. Der Anblick evoziert unwillkürlich
die Vision von Ozeaniens Wahrheitsministerium, das sich ebenfalls 300 Meter in
die Luft reckte — diese „riesig sich hochtürmende Pyramide. Sie war zu unerschütterlich,
um erstürmt zu werden" Magistralartige Durchbrüchebefriedigen weniger die
Bedürfnisse der Stadtbewohner
i als das Interesse der Führung an repräsentativen Räumen
für Paraden und Kundgebungen. Geschäfte gibt es, aber nur relativ wenige sind
sichtbar. Der Ausdruck „ Kon sumgesellschaft" dürfte noch nicht im
nordkoreanischen Wortschatz verankert sein. Halbleere Regale, armselige
Angebote ... Die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln ist
reglementiert und wird über die jeweilige Arbeits- bzw. Wohneinheit, also
kollektivistisch, abgewickelt.
Privileg der Fortbewegung
Erst mit der Zeit fallen andere Besonderheiten Pyöngyangs
auf. In der Drei-Millionen-Metropole sieht man keine Krüppel, keine invaliden
Menschen, keine Bettler, keine Hunde, keine Katzen. Es gibt keine Banken -und
scheinbar auch keine Tankstellen. Letztere „verstecken" sich in Vororten
und sind nicht frei zugänglich. Gemessen am globalen Maßstab einer Großstadt
hält sich der Autoverkehr immer noch stark in Grenzen. Auch wenn glaubhaft
versichert wird, dass er in letzter Zeit erheblich zugenommen habe. Auffällig
ist die erstaunliche Anzahl hochkarätiger Limousinen, darunter nicht wenige
deutsche Edelmarken. In einem armen Land ohne Privatautos besitzt die
regimetragende Nomenklatura (Staatsklasse) das offenkundige Privileg der
Fortbewegung mit Chauffeur. Der Kontrast zu einem völlig unzureichenden
Nahverkehrssystem könnte kaum gravierender sein. Absolut schrottreife
jahrzehntealte Busse und uralte, in Osteuropa ausgemusterte Straßenbahnen sind
dem Ansturm der Menschen kaum gewachsen. Überfüllte Waggons, lange Schlangen an
den Haltestellen, auch vollgepackte Baufahrzeuge gehören zum Alltag. Der urbane
Mensch, er ist typischerweise mittelgroß, schlank bis drahtig, oft hager. Den Bauch,
der über den Gürtel hängt, gibt es nicht. Ein großer Vorteil für die
nordkoreanische Konfektionsindustrie: XXL-Größen müssen nicht produziert werden
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