Dienstag, 19. Januar 2016

Äolische Inseln


Äolische Inseln

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/5SL9ZFoiK_g

 

Die Äolischen Inseln, sieben Eilande bei Sizilien, sind durch vulkanische Aktivität entstanden

 

Arrrgh, wenn dich das Vulkanvirus mal er¬wischt hat, dann bist du hoffnungslos verloren", philosophiert der 51-jährige Ugo Pegurri aus Ber-gamo und packt sich dabei lachend am Kragen. Er ist Bergführer und kletterte schon auf dem Matterhorn, im Himalaya und in den Anden. „Klar, streng alpinistisch betrachtet ist der Strom¬boli bestenfalls zweite Wahl, aber ich sage euch: Seit neun Jahren nehme ich jedes Jahr zwei Mona¬te Urlaub und führe täglich auf diesen Feuerspu-cker. Und immer öfter steige ich auch zu Neujahr mit Freunden hinauf, denn ein besseres Feuer¬werk kann ich mir beim besten Willen nicht vor¬stellen. Die donnernden Eruptionen, das Brodeln der Lava — ich glaube, ich bin süchtig."

Sieben völlig verschiedene Schwestern

Sieben Perlen funkeln nördlich von Sizilien im Tyrrhenischen Meer: die Äolischen Inseln. Sieben bildhübsche Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch alle das gewisse Et¬was ihr eigen nennen. Alicudi, der Außenposten, auf dem eine Handvoll Maulesel alle nötigen Transporte erledigen. Einsame Wanderer bekom¬men hier gratis das perfekte Cyber-Detox-Pro-gramm. Filicudi hat immerhin schon eine Straße. Auf den mittelalterlichen Steintreppenwegen

 

herrscht garantiert kein Rummel. Das fruchtbare Salina mit seinen beiden Gipfeln, die knapp an der Tausend-Meter-Marke schrammen. Das mondäne und teure Panarea, wo Mailänder Multis und rö-mische Industrielle gerne mit der Hummerzange hantieren. Lipari, die Hauptinsel: Buchten mit tür¬kis glitzerndem Wasser bei Punta Sparanello, Thermen bei San Calogero und dann die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen. Direkt darüber thront das Castello auf einem 60 Meter hohen La¬vafelsen und offenbart einen Blick auf den alten Hafen, die Marina Corta. Lipari hat den geschäfti¬gen Charme einer Metropole, obwohl es nur gut 15.000 Einwohner hat. Mit 37,5 Quadratkilome¬tern ist sie die größte der sieben Äolischen Inseln. Ein mediterranes Wanderparadies.

Egal, ob zu Fuß oder auf zwei Rädern: Ein Muss ist ein Blick vom Belvedere Quattrocchi, einem Aussichtspunkt auf 200 Metern Seehöhe, der über Agaven, blühende Kakteen und Zistrosen reicht, auf jäh abstürzende Klippen und frei in der Bran¬dung stehende Felstürme, die Faraglioni. Der Le¬gende nach stellen sie die beiden Finger des zu Stein erstarrten Windgottes Aiolos dar. Der gött¬liche Blick endet unweigerlich im 391 Meter ho¬hen Cran Cratere, dem monumentalen Krater der Nachbarinsel Vulcano. Exakt hier befindet sich Homers Sagen zufolge die Schmiede des grie-chischen Gottes Hephaistos, den die Römer später Vulcano nannten. Genau hier um-

Die Überfahrt mit dem Tragflächenboot zu Vulca-nos Porto di Levante ist ein Katzensprung und dauert 15 Minuten. Der Weg zum Großen Krater führt zunächst direkt durch die Ortschaft. Zick¬zackt weiter in Serpentinen, gemächlich auf Lava¬sand empor und auf einem welligen Pfad die Kraterwand hinauf. Nach einer knappen Stunde Aufstieg ist der optisch einem Weinkelch gleichen¬de Kraterrand erreicht. Schwefelfumarolen zucken tanzend aus Felsspalten und wabern von Aiolos angestachelt über die Kraterkante. Der gigantische Krater mit seinen 500 Metern Durchmesser, das Farbenspiel der zischenden Fumarolen mit ihren giftig-gelben Chloridkrusten und das bahnbre¬chende Panorama auf die umliegende Inselwelt sind jede Strapaze wert.

Starker Magen auf hoher See

Lediglich die weißen Schaumkronen verraten, dass das Meer heute ziemlich aufgewühlt ist. Tja, Bootsbursche müsste man sein. Der Blechpott Richtung Stromboli schlägt bereits Kapriolen und er verschlingt ein fettes Tramezzino: Thunfisch mit Mayonnaise. Uns Landeiern krampft der Ma-gen, bleibt nur der stoisch-konzentrierte Blick auf den Nothammer. Endlich, wir passieren Ginostra. Die Ortschaft krallt sich förmlich an der steilen Flanke des mustergültigen Vulkankegels fest. Noch eine sanfte Kurve und wir landen samt Ma¬geninhalt am Scari-Strand an.

Wieder ein paar Schrammen

„Lasst Eure Hände und Beine immer hübsch he-rinnen", erklärt uns Antonino in brüchigem Eng¬lisch. Dann rauscht er los mit seiner dreirädrigen Ape. Immer wenn der blecherne Aufbau des aufge-motzten Rollers die Hauswände touchiert, fliegen die Funken. An fast allen Hausecken haben sich schon tiefe Schrammen gebildet. Spätestens jetzt ist er überfällig, der Rachenputzer, der zugleich den Mageninhalt wieder sortiert. Und dafür gibt es keinen besseren Platz als das Ritrovo Ingrid auf der Piazza San Vincenzo gleich bei der Kirche.

Es war ein handfester Hollywoodskandal, der die Äolischen Inseln 1949 aus einem langen Dornrös-chenschlaf riss. „Stromboli - Terra di Dio" hieß der Streifen, der den Regisseur Roberto Rossellini und die Diva Ingrid Bergman einander näher brachte. Skandalös dabei: Beide waren verheiratet

 

- nur nicht miteinander. Das zähe Melodram war filmisch von zweifelhaftem Prädikat, aber die bun-ten Fischerboote auf dem schwarzen Lavasand, die weißen Kuben, das blaue Meer und natürlich der übermächtige Stromboli - quasi über Nacht wurde die Insel weltberühmt.

Zurück zu Ugo. Die 924 Höhenmeter bis zum Kra-terrand fallen unter die Rubrik Genussbergsteigen. Auf dem zunächst steinigen Serpentinenpfad ge-winnen wir schnell an Höhe. Eidechsen flüchten in mannshohe, quietschgelb-blühende Ginsterbü¬sche, Rosmarin und Salbei verströmen einen betö¬renden Duft. „Ab hier dürfen Touristen nur noch mit Guide weiter", erklärt Ugo bei einer Wegtafel auf 400 Metern. „Wer es auf eigene Faust versucht, riskiert satte Bußgelder." Weiter oben strapaziert der lose Vulkansand die Waden. Doch schon hö¬ren wir das Fauchen der Höllenschlünde. Auf 750 Metern offenbart sich der erste Einblick in den Hauptkrater. Beim ersten richtigen Rumms stellen sich die Nackenhaare auf. Glühende Lavabrocken fräsen brennende Feuerschneisen durch das Dun¬kel, poltern lautstark die Sciara del Fuoco hinunter, um schließlich mit einem Zischen im Meer zu ver-

 

dampfen. Draußen auf dem Wasser antwortet die Armada der Ausflugsboote zeitgleich mit einem Blitzlichtgewitter.

Ehrfürchtig steigen wir höher zum Pizzo Sopra la Fossa auf 918 Metern. Im Abstand von zehn bis 20 Minuten kündigt animalisches Fauchen urgewaltige Eruptionen an. Teilweise sind bis zu neun der elf Krater gleichzeitig aktiv. Hephaistos muss noch ein paar Angestellte haben. Während Vulkane weltweit nur gelangweilt vor sich hin qualmen, bricht der Musterknabe seit tausenden Jahren mehrmals stündlich aus. Diese Form der Aktivität gibt es tatsächlich nur wenige Male auf der Welt und wird Strombolianischer Vulkanis¬mus genannt.

Der Abstieg erfolgt weiter westlich. Dort lässt sich die Vulkanasche direttissima absurfen. Na¬türlich landen wir alle noch im Ingrids. Und na¬türlich bestellen wir eine Pizza Stromboli mit extrascharfer Salami. „Wann geht eigentlich euer Boot", fragt Ugo mittendrin mit vollem Mund? „Arrrgh, wie gemein", das Vulkanvirus hat uns jetzt schon fest am Wicke

 

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