Äolische Inseln
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/5SL9ZFoiK_g
Die Äolischen Inseln, sieben Eilande bei Sizilien, sind
durch vulkanische Aktivität entstanden
Arrrgh, wenn dich das Vulkanvirus mal er¬wischt hat, dann
bist du hoffnungslos verloren", philosophiert der 51-jährige Ugo Pegurri
aus Ber-gamo und packt sich dabei lachend am Kragen. Er ist Bergführer und
kletterte schon auf dem Matterhorn, im Himalaya und in den Anden. „Klar, streng
alpinistisch betrachtet ist der Strom¬boli bestenfalls zweite Wahl, aber ich
sage euch: Seit neun Jahren nehme ich jedes Jahr zwei Mona¬te Urlaub und führe
täglich auf diesen Feuerspu-cker. Und immer öfter steige ich auch zu Neujahr
mit Freunden hinauf, denn ein besseres Feuer¬werk kann ich mir beim besten
Willen nicht vor¬stellen. Die donnernden Eruptionen, das Brodeln der Lava — ich
glaube, ich bin süchtig."
Sieben völlig verschiedene Schwestern
Sieben Perlen funkeln nördlich von Sizilien im Tyrrhenischen
Meer: die Äolischen Inseln. Sieben bildhübsche Schwestern, die
unterschiedlicher nicht sein könnten und doch alle das gewisse Et¬was ihr eigen
nennen. Alicudi, der Außenposten, auf dem eine Handvoll Maulesel alle nötigen
Transporte erledigen. Einsame Wanderer bekom¬men hier gratis das perfekte
Cyber-Detox-Pro-gramm. Filicudi hat immerhin schon eine Straße. Auf den mittelalterlichen
Steintreppenwegen
herrscht garantiert kein Rummel. Das fruchtbare Salina mit
seinen beiden Gipfeln, die knapp an der Tausend-Meter-Marke schrammen. Das
mondäne und teure Panarea, wo Mailänder Multis und rö-mische Industrielle gerne
mit der Hummerzange hantieren. Lipari, die Hauptinsel: Buchten mit tür¬kis
glitzerndem Wasser bei Punta Sparanello, Thermen bei San Calogero und dann die
Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen. Direkt darüber thront das Castello auf
einem 60 Meter hohen La¬vafelsen und offenbart einen Blick auf den alten Hafen,
die Marina Corta. Lipari hat den geschäfti¬gen Charme einer Metropole, obwohl
es nur gut 15.000 Einwohner hat. Mit 37,5 Quadratkilome¬tern ist sie die größte
der sieben Äolischen Inseln. Ein mediterranes Wanderparadies.
Egal, ob zu Fuß oder auf zwei Rädern: Ein Muss ist ein Blick
vom Belvedere Quattrocchi, einem Aussichtspunkt auf 200 Metern Seehöhe, der
über Agaven, blühende Kakteen und Zistrosen reicht, auf jäh abstürzende Klippen
und frei in der Bran¬dung stehende Felstürme, die Faraglioni. Der Le¬gende nach
stellen sie die beiden Finger des zu Stein erstarrten Windgottes Aiolos dar.
Der gött¬liche Blick endet unweigerlich im 391 Meter ho¬hen Cran Cratere, dem
monumentalen Krater der Nachbarinsel Vulcano. Exakt hier befindet sich Homers
Sagen zufolge die Schmiede des grie-chischen Gottes Hephaistos, den die Römer
später Vulcano nannten. Genau hier um-
Die Überfahrt mit dem Tragflächenboot zu Vulca-nos Porto di
Levante ist ein Katzensprung und dauert 15 Minuten. Der Weg zum Großen Krater
führt zunächst direkt durch die Ortschaft. Zick¬zackt weiter in Serpentinen,
gemächlich auf Lava¬sand empor und auf einem welligen Pfad die Kraterwand
hinauf. Nach einer knappen Stunde Aufstieg ist der optisch einem Weinkelch gleichen¬de
Kraterrand erreicht. Schwefelfumarolen zucken tanzend aus Felsspalten und
wabern von Aiolos angestachelt über die Kraterkante. Der gigantische Krater mit
seinen 500 Metern Durchmesser, das Farbenspiel der zischenden Fumarolen mit
ihren giftig-gelben Chloridkrusten und das bahnbre¬chende Panorama auf die
umliegende Inselwelt sind jede Strapaze wert.
Starker Magen auf hoher See
Lediglich die weißen Schaumkronen verraten, dass das Meer
heute ziemlich aufgewühlt ist. Tja, Bootsbursche müsste man sein. Der Blechpott
Richtung Stromboli schlägt bereits Kapriolen und er verschlingt ein fettes
Tramezzino: Thunfisch mit Mayonnaise. Uns Landeiern krampft der Ma-gen, bleibt
nur der stoisch-konzentrierte Blick auf den Nothammer. Endlich, wir passieren
Ginostra. Die Ortschaft krallt sich förmlich an der steilen Flanke des
mustergültigen Vulkankegels fest. Noch eine sanfte Kurve und wir landen samt
Ma¬geninhalt am Scari-Strand an.
Wieder ein paar Schrammen
„Lasst Eure Hände und Beine immer hübsch he-rinnen", erklärt
uns Antonino in brüchigem Eng¬lisch. Dann rauscht er los mit seiner
dreirädrigen Ape. Immer wenn der blecherne Aufbau des aufge-motzten Rollers die
Hauswände touchiert, fliegen die Funken. An fast allen Hausecken haben sich
schon tiefe Schrammen gebildet. Spätestens jetzt ist er überfällig, der
Rachenputzer, der zugleich den Mageninhalt wieder sortiert. Und dafür gibt es
keinen besseren Platz als das Ritrovo Ingrid auf der Piazza San Vincenzo gleich
bei der Kirche.
Es war ein handfester Hollywoodskandal, der die Äolischen
Inseln 1949 aus einem langen Dornrös-chenschlaf riss. „Stromboli - Terra di
Dio" hieß der Streifen, der den Regisseur Roberto Rossellini und die Diva
Ingrid Bergman einander näher brachte. Skandalös dabei: Beide waren verheiratet
- nur nicht miteinander. Das zähe Melodram war filmisch von
zweifelhaftem Prädikat, aber die bun-ten Fischerboote auf dem schwarzen
Lavasand, die weißen Kuben, das blaue Meer und natürlich der übermächtige
Stromboli - quasi über Nacht wurde die Insel weltberühmt.
Zurück zu Ugo. Die 924 Höhenmeter bis zum Kra-terrand fallen
unter die Rubrik Genussbergsteigen. Auf dem zunächst steinigen Serpentinenpfad
ge-winnen wir schnell an Höhe. Eidechsen flüchten in mannshohe,
quietschgelb-blühende Ginsterbü¬sche, Rosmarin und Salbei verströmen einen
betö¬renden Duft. „Ab hier dürfen Touristen nur noch mit Guide weiter",
erklärt Ugo bei einer Wegtafel auf 400 Metern. „Wer es auf eigene Faust
versucht, riskiert satte Bußgelder." Weiter oben strapaziert der lose
Vulkansand die Waden. Doch schon hö¬ren wir das Fauchen der Höllenschlünde. Auf
750 Metern offenbart sich der erste Einblick in den Hauptkrater. Beim ersten
richtigen Rumms stellen sich die Nackenhaare auf. Glühende Lavabrocken fräsen
brennende Feuerschneisen durch das Dun¬kel, poltern lautstark die Sciara del
Fuoco hinunter, um schließlich mit einem Zischen im Meer zu ver-
dampfen. Draußen auf dem Wasser antwortet die Armada der
Ausflugsboote zeitgleich mit einem Blitzlichtgewitter.
Ehrfürchtig steigen wir höher zum Pizzo Sopra la Fossa auf
918 Metern. Im Abstand von zehn bis 20 Minuten kündigt animalisches Fauchen
urgewaltige Eruptionen an. Teilweise sind bis zu neun der elf Krater
gleichzeitig aktiv. Hephaistos muss noch ein paar Angestellte haben. Während
Vulkane weltweit nur gelangweilt vor sich hin qualmen, bricht der Musterknabe
seit tausenden Jahren mehrmals stündlich aus. Diese Form der Aktivität gibt es
tatsächlich nur wenige Male auf der Welt und wird Strombolianischer
Vulkanis¬mus genannt.
Der Abstieg erfolgt weiter westlich. Dort lässt sich die
Vulkanasche direttissima absurfen. Na¬türlich landen wir alle noch im Ingrids.
Und na¬türlich bestellen wir eine Pizza Stromboli mit extrascharfer Salami.
„Wann geht eigentlich euer Boot", fragt Ugo mittendrin mit vollem Mund?
„Arrrgh, wie gemein", das Vulkanvirus hat uns jetzt schon fest am Wicke
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