In den Bergen Kirgistans
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/GEtkrnXHcyI
irgistan, wo ist das denn? Diese Frage stellte ich mir auch,
als ich den Namen zum ersten Mal in ei¬nem Buch von Robert Steiner las. Das
auch Kirgisistan oder Kirgisien ge¬nannte Land liegt in Zentralasien; umge¬ben
von China (0), Kasachstan (N), Usbe¬kistan (W) und Tadschikistan (S). 5.551.900
Menschen schenkt Kirgistan eine Heimat,
davon sind rund 30 Prozent Russen. Für uns war nach
ausgiebiger Recherche klar: Ziel sollte das an China grenzende
Tien-shan-Gebirge sein. Am South-Inylchek-Gletscher, nahe den Siebentausendern
Khan Tengri und Pik Pobeda, wollten wir neue Linien erkunden und erstbegehen.
Die undurchstiegene Südwand des Peak Chapaev war Ziel Nummer eins.
Am 29. August geht es los: mit David Göttler (Trainer) und
Ulli Steiner (Expedi¬tionsarzt) von München über Istanbul nach Bishkek,
Hauptstadt von Kirgistan. Nach zehn Stunden Flug und sechs Stun¬den Aufenthalt
stehen wir morgens um neun müde und erschöpft am Gepäck-band - mit der
Hoffnung, dass alle 18 Ge¬päckstücke ankommen. Nach einer hal- hat
Kopfschmerzen und wenig oder gar keinen Appetit. Ein richtiger Wellness-urlaub
sozusagen.
Die umliegenden Gipfel sind allesamt mindestens 5000 Meter
hoch, der gigan-tische Höhenunterschied erschlägt uns
Die Gipfel sind alle über
5000 Meter hoch, der Höhen-
unterschied erschlägt uns fast.
fast. Unsere Südwand des Chapaev ragt sogar 2300 Meter über
uns auf; wir orten drei logische Linien und ich würde am liebsten sofort
losrennen, um mein Glück an diesem Wahnsinnsberg zu versuchen. Leider zeigt
sich bald, dass die Wand wirklich an Wahnsinn grenzt: Über jeder logischen
Linie hängt ein riesiger Serac; zu jeder Tages- und Nachtzeit tosen ge¬waltige
Eislawinen zu Tal. Bei diesem An¬blick vergeht auch dem Letzten die Lust.
An alternativen Zielen mangelt es glück¬licherweise nicht:
Als erstes Tourenziel
50 DAV Panorama 2
wählen wir den 5664 Meter hohen Pik Ot-krytyj. Er wurde 2014
von Österreichern erstbestiegen, seine Westflanke ist noch unberührt. Raffi
braucht noch etwas Zeit zum Akklimatisieren und bleibt im vorge-schobenen
Basislager (ABC), zusammen mit Ulli, der Steno seine Ausrüstung leiht. Wir
anderen steigen über eine steile Schneeflanke bis 5100 Meter und stellen die
Zelte auf einen kleinen Sattel. Einen sol¬chen Sonnenuntergang wie hier erlebt
man wohl nur als Bergsteiger. Sobald die Sonne wieder aufgeht, starten wir
Richtung Gip¬fel; nur Andi bleibt mit Kopfschmerzen im Zelt zurück. Der
Aufstieg ist mühsam, ich glaube, ich habe mich noch nie so gequält wie hier,
bei jedem Schritt schwöre ich mir, nie wieder auf einen hohen Berg zu steigen.
Mittags stehen wir total erschöpft, aber endlos glücklich auf unserem ersten
Gipfel in Kirgistan. Am Nachmittag steigen wir wieder ab ins Basislager und
feiern zusam¬men mit dem Küchenteam unsere Erstbe¬gehung. Wie schon die letzten
Tage gibt es Lamm, besser gesagt altes Schaf mit Kar¬toffeln und Hühnersuppe.
Unser Code¬wort für das Lammfleisch heißt „B0000ck",
denn es schmeckt mehr nach altem Schaf¬bock als nach Lamm.
Der Schwur, nie wieder einen hohen Berg zu besteigen, hält
genau bis zum ABC: Kaum angekommen, suchen wir schon wieder nach neuen Linien.
Wäh-rend zwei Ruhetagen schmieden wir neue Pläne - und erwählen die Nordwand
des 5250 Meter hohen Trehglavyj. Wir bilden zwei Dreierteams: Andi, Xari und
David versuchen eine reine Eislinie; Raffi, Ulli und ich peilen eine
Mixed-Variante zu ei¬ner bestehenden Tour an. Morgens um vier beginnen wir zu
kochen; mit dem ersten Tageslicht starten wir in die Wand.
ben Stunde sind alle Fluggäste mit ihrem Gepäck gegangen,
nur die Expedkader-Jungs stehen noch da und machen be¬sorgte Gesichter: Es
fehlen noch sechs Ta¬schen. Der ganz normale Supergau: Ohne unsere
Klettersachen können wir nicht zum Basislager. Also erst mal mit der Agentur
telefonieren und unsere Ankunft am Inylchek-Gletscher verschieben. Vier Tage
warten wir im Hotel auf unser Ge¬päck — eine lange Zeit für sieben
Bergstei-ger, die eigentlich immer in Bewegung sind, und das draußen in den
Bergen und nicht in einer Stadt, mag sie noch so schö¬ne Bäume und Parks haben.
Endlich sind
vier der fehlenden Taschen angekommen, auf die restlichen
zwei warten wir in der
Heli-Base in Karakol. Dort unterhält unse¬re Reiseagentur
ein Basislager für Trekker mit Schlafzelten, Küchenzelten und einer kleinen
Mannschaft, die uns versorgt und jeden Abend im Küchenzelt uralte Action¬filme
mit John Travolta schaut.
Wir nutzen die Wartezeit und akklima¬tisieren uns durch
Wanderungen auf die umliegenden Gipfel. Mit etwas über 3000 Meter Höhe sind sie
optimal zur Vorbe¬reitung auf die Basislager-Höhe von 4100 Metern. Und die
Landschaft ist schon bei den Akklimatisationstouren der Wahn-
sinn, es sieht aus wie in den schottischen Highlands.
Hügelig sanfte Almwiesen wie zu Hause — nur mit Edelweiß übersät.
Am 4. September steht es fest: Zwei Ta¬schen sind endgültig
verschollen; leider beide von Sepp (Steno). Wir beschließen, trotzdem ins
Basislager aufzubrechen und unser Material mit Steno zu teilen. Der
Hubschrauber, der zehn Tage Fußmarsch spart, ist ein altes russisches Modell,
das in Deutschland jedes Museum aufwerten würde. Beim Flug über unendlich weite
Gebirgszüge staunen alle gespannt aus dem Fenster, die Kameras klicken
unun¬terbrochen.
Im Basecamp empfängt uns die Küchen-mannschaft mit lauter
Rockmusik. Come as you are! Die ersten Tage dienen der Hö-henanpassung; auf
4100 Metern fällt alles schwer, schon die paar Meter vom Schlaf¬zelt ins
Küchenzelt. Man ist kurzatmig,
springt sie ab und glatter, fast strukturlo¬ser Granit kommt
hervor. Anstrengend, aber ich fühle mich wohl in diesem Ge¬lände und habe echt
Spaß dabei. Es fol¬gen zehn Längen mit einem Mix aus Blankeis und Trittfirn in
60-80 Grad stei¬lem Gelände. Eigentlich wollten wir eine möglichst direkte
Linie zum Gipfel klet¬tern, aber es gibt nur sehr wenig Eis in den Felspassagen
— also queren wir nach
rechts, um früher auf den zum Gipfel füh¬renden leichteren
Eisgrat zu kommen. Das sind noch einige Längen psychisch anstrengender Kletterei
durch brüchigen Fels, die mehr Zeit kosten als geplant Auf dem Gratrücken
überlegen wir kurz, ob wir ohne Biwakausrüstung zum Gipfel steigen wollen, also
wahrscheinlich eine sehr, sehr kalte Nacht auf über 5000 Me¬tern riskieren oder
nicht ... Der Entschluss
KATADYN'
MAKING MAIER MNKING WATEt
ist schnell gefasst. Unsere Erstbegehung hat ein logisches
Ende auf dem Grat, wir freuen uns unheimlich darüber und stei¬gen über die
Westflanke ab ins Basislager.
Mit drei erfolgreichen Touren und jeder Menge neuer
Erfahrungen im Gepäck stellt sich nun die Frage: Was jetzt? Die Verhält¬nisse
hier sind zum Bergsteigen gut, aber für schwerere Eislinien fehlt es an Eis;
au¬ßerdem kündigt der Wetterbericht Schnee¬fall an. Wir beschließen einen
Gebiets-wechsel nach Ala-Archa, das von Bishkek in einer Stunde mit dem Auto zu
erreichen ist. Dabei haben wir in der Hauptstadt noch mal zwei Tage Zeit, um
unsere lang¬sam aber sicher nach einer Mischung aus Schweiß und Pumakäfig riechende
Klei¬dung zu waschen und die Rucksäcke für fünf Tage Zelten am Berg zu packen.
In Ala-Archa gibt es eine Hütte, vor der wir campen wollen;
der mit drei Stunden angegebene Zustieg wird mit den schwe¬ren Rucksäcken
überraschend lang und nicht gerade genussreich. Dafür können wir einige
bestehende, aber nicht minder anspruchsvolle und schöne Routen wie-derholen.
Xari und Raffi berichten: „Wir entschei¬den uns für die
Ostwand des 4620 Meter hohen Peak Aktoo. Nach den ersten schleppenden Schritten
stehen wir kurz vor Sonnenaufgang unter der knapp 700 Meter hohen, blanken
Eiswand. Der An¬fang läuft gut, die Verhältnisse auf dem
Xari, Andi und David erzählen: „Im hüft¬tiefen Schnee spuren
wir unserer Eisflan¬ke entgegen, wo die Freude der ersten Meter im Eis bald
durch starkes Brennen in den Waden ersetzt wird. Kurz vor Mit¬tag steigen wir
auf den Grat aus, der Wind peitscht uns ins Gesicht und lässt die Fin¬ger
sofort kalt werden. Nach kurzer Pause klettern wir weiter Richtung Gipfel,
müs¬sen uns dabei ordentlich quälen und sind froh, am frühen Nachmittag
erschöpft aber glücklich auf dem Gipfel zu stehen. Nach ein paar Minuten
Ausschnaufen und Fotografieren steigen wir mit schweren Füßen ab`.`
Für mich ist dieser Tag ein besonderer: Nicht nur, dass ich
zusammen mit Men¬schen, die mir in den letzten drei Jahren ans Herz gewachsen
sind, in einem frem¬den Land bergsteigen darf, ich habe auch noch Geburtstag —
und da ist eine Erst¬begehung schon ein cooles Geschenk. Auch Raffi, Ulli und
ich müssen uns die ersten hundert Meter durch tiefen, fast grundlos scheinenden
Schnee bis zum Bergschrund wühlen. Wir klettern in ein interessantes Eisgully.
Vom ABC aus er¬schienen die Verhältnisse super, in Wirk¬lichkeit aber stellen
sie sich als gar nicht so einfach heraus. Das vermutete Eis ist
leider nur eine dünne Glasur auf brüchi¬gem Fels mit nicht
gerade einladenden Sicherungsmöglichkeiten. Wir klettern zwei Seillängen in
anspruchsvollem Mi-xedgelände: Wenn ich die Eisglasur etwas zu stark mit dem
Eisgerät bearbeite, Gletscher sind prächtig, bis wir nach der Randspalte im
hüfttiefen Schnee stecken. Doch danach klappt alles wie geschmiert und nach
rund 15 Seillängen stehen wir am Ausstieg — endlich Sonne! Über Funk halten wir
Rücksprache mit David, der uns empfiehlt, den Rückweg anzutreten, statt noch
die letzten zweihundert Hö-henmeter zum Gipfel zu klettern. Bei Ein¬bruch der
Dunkelheit erreichen wir die Zelte, wo uns der Rest der Truppe emp¬fängt, und
wir schließen einen genialen Tag in den Bergen gemeinsam ab."
In Erinnerung bleiben neben Wänden und Gipfeln vor allem
auch die super Stimmung und der Zusammenhalt im Team.
Andi und David haben ein anderes Ziel gewählt: „Vom Camp aus
sieht man am Peak Baichechekey ein markantes Eisgul¬ly, das wir uns genauer
ansehen wollen. Noch im Dunkeln starten wir den Auf¬stieg, immer im Ungewissen,
ob wir über¬haupt am richtigen Berg sind: Erst ganz zuletzt wird der Blick auf
das Eisgully frei. Fünf Seillängen in steilem Eis, dann errei¬chen wir über
Schneefelder und ein paar Meter brüchigen Fels den höchsten Punkt. Der Abstieg
ist ziemlich unangenehm, es geht über großes, loses Geröll steil bergab.
Mittags sind wir zurück am Zelt und ver¬bringen den
Nachmittag in der Sonne. Un¬sere zweite Tour wird die „Lowe Route" am Peak
Free Korea Wir steigen am nächs¬ten Tag auf die Kron Hut, eine Biwak-schachtel,
und starten bei Schneefall die Kletterei an der 700 Meter hohen Eis¬wand."
Vom Ende der Route am Gipfelgrat gehen sie noch bis zu einem Sattel unter dem
Gipfel und kehren dann um.
Am letzten Tag in Ala-Archa klettern auch Steno, Raffi und
Xari das schöne Gully auf den Peak Baichechekey. Dann sind vier geniale Wochen
in Kirgistan vor¬bei. Was mir wirklich in Erinnerung bleibt, sind aber nicht
nur die unglaubli¬chen Wände und Gipfel, es ist auch die super Stimmung während
der ganzen Zeit und dass wir im Team immer zusam¬mengehalten haben. Zum
Expeditions¬bergsteigen in größerer Höhe konnte, so glaube ich, jeder von uns
noch vieles mit¬nehmen. Wir danken unserem Trainer David und unserem Doc Ulli
Steiner so¬wie den Sponsoren, dem DAV und unse¬ren Heimatsektionen, ohne die
diese ge¬niale Erfahrung und Zeit in Kirgistan und im DAV-Expedkader nicht
möglich gewe-
sen wären.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.