Gleitende Durchschnitte bei Wertpapieren
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/4GjFCS4fhiw
Als Klassiker unter den charttechnischen Indikatoren gilt
der gleitende Durchschnitt (GD bzw. Moving Average). Dies liegt vor allem an
seiner Vielseitigkeit. Anleger und Investoren können diesen von Technischen
Analysten am häufigsten benutzten Indikator auf sehr unterschiedliche Art und
Weise für ihre Zwe¬cke fruchtbar machen. Daneben ist er selber die Basis für eine
Vielzahl anderer Indikatoren sowie Grundlage oder sogar aus¬schließlicher
Bestandteil von kompletten Handelssystemen.
Konstruktion
Es existieren verschiedene Möglichkeiten, einen gleitenden
Durchschnitt zu berechnen. Am meisten verbreitet ist der arith¬metische bzw.
einfache gleitende Durchschnitt (Simple Moving Average - SMA). Hier werden
einfach alle Schlusskurse eines betrachteten Zeitraums addiert und anschließend
durch die Anzahl der Schlusskurse dividiert. Damit besitzt jeder einzelne
Schlusskurs den gleichen Einfluss auf das Ergebnis. Durch die auf diese Weise
berechnete Durchschnittslinie erfolgt eine Glättung des Kursverlaufs. Die
Durchschnittslinie ist deswegen gleitend, weil mit jedem neu hinzukommenden
Kurs in der Zeitreihe der älteste Kurs in der Berechnung wegfällt. Manche
Technische Analysten bevorzugen nicht den einfachen gleitenden Durch¬schnitt,
sondern einen sogenannten gewichteten gleitenden Durchschnitt. Dieser misst den
jüngeren Kursen im Betrach¬tungszeitraum ein höheres Gewicht bei als den
älteren. Hierdurch reagiert die Durchschnittslinie schneller auf eine
Richtungsände¬rung in der Preiskurve, verliert damit jedoch auch einen Teil
ihrer Glättungseigenschaft. Diese Gewichtung kann mathematisch auf verschiedene
Arten herbeigeführt werden. Beim linear gewichte-ten gleitenden Durchschnitt
(Weighted Moving Average - WMA)
werden die näheren Schlusskurse mit einem höheren
Gewich-tungsfaktor multipliziert als die ferneren Schlusskurse, wobei der
Gewichtungsfaktor linear abnimmt bis zum ältesten Schlusskurs. Beim
exponentiellen gleitenden Durchschnitt (Exponential Moving Average - EMA)
fließt immer die gesamte vorhandene Schlusskurs-Datenreihe in die Berechnung
ein. Die eingestellte Periodenlänge dient ledig¬lich der Ermittlung des
Gewichtungsfaktors. Auch beim EMA wird dem aktu¬elleren Kurs ein höheres
Gewicht beigemessen als dem jeweils älteren. Der EMA wird bevorzugt im Bereich
der Indikatorenbe-
rechnung (Beispiel: MACD)
sowie bei automatisierten
Handelssystemen verwendet, während der SMA bei der visuellen
(diskretionären) Analyse der Favorit unter den Technischen Ana¬lysten ist.
Häufig verwendete Periodenlängen in allen Zeitebenen und allen Arten von
gleitenden Durchschnitten sind 20, 50, 100 und 200. Im Tageschart genießt der
GD 200 ganz besondere Aufmerksamkeit unter den Investoren, da er für den
langfristigen Markttrend steht. Im Bereich des Wochencharts findet auch häufig
der GD 40 Anwendung, da er dem GD 200 im Tageschart entspricht.
Trendindikation
Aufgrund der Eigenschaft des gleitenden Durchschnitts, den
Kursverlauf zu glätten, erhält der Anleger einen besseren visu¬ellen Eindruck
davon, in welche Richtung der untersuchte Wert im entsprechenden Zeitrahmen
(Periodenlänge) tendiert. Der hierdurch generierte indikatorentechnische
Trendbegriff ist aller¬dings sorgfältig von der klassischen Trendbestimmung
durch die Abfolge von Hochs und Tiefs in der Preiskurve zu unterscheiden. In
der praktischen Konsequenz ergeben sich dennoch kaum Unterschiede. Steigt der
GD an, wird ein Aufwärtstrend indiziert, fällt der GD wird auf einen
Abwärtstrend hingewiesen. Bewegt sich der GD über einen längeren Zeitraum
seitwärts, kann von
einem Seitwärtstrend ausgegangen werden. Die Steilheit des
GD signalisiert die Trenddynamik. Für den Anleger dient der GD als Filter.
Solange er steigt, sind Long-Positionierungen zu bevorzu-gen. Fällt er, haben
Short-Positionierungen eine größere Aussicht auf Erfolg. Das Konzept
trendkonformen Handelns wird auf diese Weise einfach umsetzbar.
Unterstützung und Widerstand
Eine weitere wichtige Eigenschaft von gleitenden
Durchschnitten ist, dass sie potenzielle Unterstützungen und Widerstände
zei-gen. Insofern stellen sie praktisch eine Art gebeugte Trendlinie dar. Das
Prinzip der wechselnden Polarität findet entsprechend ebenfalls Anwendung, das
heißt: Fungierte der GD zuvor als Widerstand, mutiert er nach dessen
Überwindung zur Unter-stützung. Welche konkreten Periodenlängen in diesem Sinne
am besten funktionieren, kann nicht für alle Märkte einheitlich beantwortet
werden und ist damit offen für eingehendere Unter-suchungen durch Backtest.
Jedoch stellen erfahrungsgemäß die oben genannten Periodenlängen (20, 50, 100
und 200) eine gute Ausgangsbasis dar. Eine Optimierung der Periodenlängen
bietet sich mit Blick auf den damit verbundenen Aufwand nur dann an, wenn der
Anleger lediglich eine begrenzte Anzahl an Märkten genauer beobachtet.
Kreuzungen
Eine beliebte Anwendungsmöglichkeit von gleitenden
Durch-schnitten ist die Erzeugung von Handelssignalen durch Kreuzun-gen. Diese
Kreuzungen können sich entweder - bei Verwendung lediglich eines gleitenden
Durchschnitts - dadurch ergeben, dass
Grafik 1: Vergleich SMA, WMA, EMA
die Preiskurve den GD per Schlusskurs über- oder
unterschreitet. Dabei sollte zur Verbesserung der Signalqualität jedoch
beachtet werden, dass der GD zugleich eine Steigung in Richtung des Signals
aufweist. Oder man verwendet die Kreuzung eines kürzer-und eines
längerfristigen GD als Signal (Double-Crossover-Methode). Der längerfristige GD
definiert dabei den übergeord-neten Trend und der kürzerfristige GD liefert
durch das Kreuzen mit dem längerfristigen GD die Einstiegssignale. Steigende
Notierungen werden signalisiert, wenn der kürzerfristige GD den längerfristigen
GD von unten nach oben schneidet (»Golden Cross«). Fallende Notierungen werden
angezeigt, wenn der kürzerfristige GD unter den längerfristigen fällt (»Death
Cross«).
Abstand und Marktbreite
Zwar ist der GD seinem Wesen nach ein klassischer
Trendfolge-indikator, da er mit einer gewissen Verzögerung dem Trend folgt.
Doch lässt er sich auch zur Anzeige eines überkauften oder überverkauften
Marktzustands verwenden, was tendenziell der Anwendungsbereich von Oszillatoren
wäre. Hierzu kann beispielsweise der prozentuale Abstand des Kurses zu einem
bestimmten gleitenden Durchschnitt gemessen und als Indikator verwendet werden.
Ferner kann ein GD zur Konstruktion eines Marktbreiteindikators genutzt werden,
indem man beispielsweise misst, wie viele Aktien innerhalb eines Index oberhalb
eines bestimmten GD notieren. Markiert dann der Index beispielsweise ein neues
Allzeithoch, während nur eine geringe Anzahl der darin enthaltenen Titel
oberhalb der 200-Tage-Linie notieren, so kann auf eine ungesunde Marktbreite
geschlossen werden, was den Gesamtmarkt anfällig für eine Trendumkehr macht.
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