Dienstag, 19. Januar 2016

Nore ug Uvdal, Norwegen


Nore ug Uvdal, Norwegen

Author D.Selzer-Mckenzie

Video: https://youtu.be/AriqWVdr_3o

> Es ist sechs Uhr früh und noch dunkel, wenn Vilhelm Hävardsrud seine tägliche Tour startet. Der blonde Norweger im Strickpulli knipst die Scheinwerfer, gleich danach Motor und Heizung an. Dann klettert er auf den Fahrersitz und gibt Gas. Mit lautem Rattern zuckelt die Loipenma-schine ins Langlaufgebiet.

Unter Krüppelkiefern flattern Schneehühner auf. Wenig später blinzeln die ersten Lichtstrahlen durch die Morgenwolken. Noch ist niemand hier oben auf dem Fjell - so heißen die baumlosen Hochebenen Norwegens. Vilhelm ist Loipen-macher. Jeden Wintermorgen fährt er mit der „Träkkemaskin" rund 70 Kilometer auf und ab, dekoriert Hügel und Ebenen mit zwei sauber ge¬stanzten Gleitrinnen. „Mein Job ist etwas ganz Besonderes, das muss ich mir immer wieder be¬wusst machen", sagt Vilhelm. Deshalb stoppt er später auf seinem Lieblingshügel für eine Kaf-feepause und einen Blick in die Ferne: Zu sei¬nen Füßen breitet sich das Dagalifiell aus. Eine schneebedeckte Hügellandschaft, die aussieht, als hätte Verpackungskünstler Christo die Welt in weiße Laken gehüllt.

Das Dagalifiell liegt in der Kommune Nore og Uvdal, zweieinhalb Autostunden von Oslo ent¬fernt, und gilt noch als Geheimtipp für Winter-

 

urlauber. Große Hotels findet man hier kaum, es ist eher das Revier der typisch norwegischen Ferienhütten. Eine davon gehört dem norwegi¬schen Kronprinzen Haakon und Kronprinzes-sin Mette-Marit. Vilhelm trifft das sympathi¬sche Paar mit dessen Kindern hin und wieder in der Loipe. „Kronprinz Haakon erkennt man an seinem Laufstil. Er ist sehr groß und macht lan¬ge Schritte", sagt Vilhelm. Obendrein sei der Königsanwärter gut an seinem Bart zu erken¬nen. Oder an den beiden Leibwächtern mit Funkverbindung im Ohr, die vorauslaufen oder folgen. „Das Paar grüßt genauso freundlich wie alle anderen", erzählt Vilhelm. Dabei duzt man sich wie selbstverständlich. Niemandem würde hier oben die offizielle Anrede „eure Königliche Hoheit" über die Lippen kommen. Minister wer¬den im hierarchiearmen Norwegen auch außer-halb der Loipe geduzt.

Kurzer Umweg zu den Königs

Die Nähe zum Volk kann sich die Obrigkeit leis¬ten, denn auf Privatsphäre wird viel Rücksicht genommen. Hier pilgert man nicht in Scharen zum königlichen Feriendomizil, um sich an den Fensterscheiben die Nase plattzudrücken. Nur

 

eine einzige Skispur zweigt von der Loipe ab und führt querfeldein am Haus vorbei. Ein einfacher Holzzaun umgibt das Grundstück, daran hängt ein unauffälliges Metallschild mit der Aufschrift „Det kongelige Hoff" (Der königliche Hof).

Bei minus 17 Grad

— ein kühles Bier bitte!

Für Frank Olsen ist die berühmte Nachbarschaft gute Werbung. Zehn Langlaufminuten entfernt vermietet er, nicht königlich, aber gemütlich eingerichtete Ferienhütten. „Hi my friend", be¬grüßt er seine Gäste und zeigt seine selbst reno¬vierten Schmuckstücke, ausgestattet mit Kamin, Grillterrasse oder Open-Air-Whirlpool. Dort serviert er seinen Gästen am Abend bei minus 17 Grad ein kühles Bier, während diese mit Ba¬deanzug und Sturmhaube bekleidet ihre Mus¬keln im heißen Jacuzzi entspannen und dabei die Sterne der Milchstraße zählen.

Jeden Samstag schwingt sich Frank auf den Schneescooter und legt mit seinem Anhänger dort Loipen, wo Vilhelm keinen Auftrag von der Kommune hat. „Es ist traumhaft, besonders wenn morgens die Sonne aufgeht. Da könnte ichvor Freude im Schnee tanzen", sagt Frank, ein Mann mit ebenso viel Körpergewicht wie Le¬bensfreude.

Auf der anderen Talseite erstreckt sich Norwe¬gens größter Nationalpark und Europas grö߬te Hochebene: die Hardangervidda. Durch ein Fernglas kann man dort manchmal Rentiere be¬obachten, wie sie mit ihren Hufen im Schnee nach Flechten graben. Sie sind so scheu, dass man sie nur selten in freier Wildbahn trifft. Wer sie von ganz Nahem sehen und sogar streicheln möchte, kann das im Naturpark Langedrag bei Nesbyen. Hier leben 26 Tierarten, nicht nur Ha¬sen, Schafe und Pferde, sondern auch Elche, Luchse und fünf Rudel Wölfe. Dabei handelt es sich nicht um einen Zoo, sondern um einen ganz besonderen Wildnispark.

„Die Natur ist der beste Lehrmeister" ist das Motto auf Langedrag. Man kann beim Stallaus-misten helfen, lernen wie man Brot backt und Käse herstellt. Gegründet wurde der Park von Edvin Thorson, einem großen Natur- und Tier-fan, der durch die Entwicklung der ersten Funk¬tionsunterwäsche in den 50er-Jahren einst zum Millionär wurde und sein ganzes Vermögen in

 

den Wildnispark - seinen Lebenstraum - steckte. Ein moderner Noah, dessen Ziel es war, die Urras¬se jeder Tierart zu bewahren und gleichzeitig Menschen einen anderen Blick auf die Tiere zu geben als durch den Maschendraht eines Käfigs.

Dem Wolf den Bauch streicheln

Thorsons Tochter Tuva führt sein Lebenswerk nach diesen Grundsätzen weiter. Die schlanke sportliche Frau mit wolfsgrauem Haar steht vor dem Gehege von Varg, Irgas und Ask. „Beim Wolf kommt es auf jedes Augenblinzeln an", sagt sie, nimmt einen Eimer voll Fleisch und sperrt das Ge¬hege auf, als wäre es ihre Wohnungstür. Die Wölfe rennen auf sie zu. Tuva zieht die Nase kraus, fletscht die Zähne und schaut ihnen dabei fest in die Augen. Daraufhin setzen sich die Gierigen und warten geduldig, bis sie ihren Anteil bekommen. Seit über 30 Jahren arbeitet die Wolfsflüsterin mit ihren Lieblingen und kennt jede ihrer Reaktionen. Inzwischen lassen sie sich sogar von ihr den Bauch kraulen.

Später zeigt Tuva das Rentiergehege, wo ein kleiner Polarfuchs zwischen den Beinen der Tiere um-

 

herflitzt. Das flauschige Knäuel mit Knopfaugen könnte gut als Nachfolger des Eisbären Knut her-halten. Das begeistert auch die Königskinder. „Mette-Marit und Haakon kommen aber mit ih-nen nur noch unangemeldet, damit nicht so viel Aufhebens um sie gemacht wird", sagt Tuva.

Die größte Herausforderung sind für Tuva mo¬mentan die Könige der Wälder - die Elche. Die Tierliebhaberin ist noch dabei, ihre Sprache zu erlernen. Elche im Winter in freier Wildbahn zu erleben ist ganz großes Kino und nur bei Gegen¬wind möglich, denn sie können Menschen bis zu drei Kilometer weit riechen und flüchten dann schnell. Von einem Fahrzeug aus hat man we¬sentlich bessere Chancen.

Der beste Job der Welt

Loipenmacher Vilhelm hatte einmal großes Glück. Eines frühen Morgens, als Sonne und Wind noch schliefen, brach plötzlich eine Herde wilder Elche aus dem Wald. Die mächtigen Hirschkühe trabten in die Loipe und staksten für mehrere Minuten di¬rekt vor seiner „Träkkemaskin" her. In diesem Mo¬ment hatte er den besten Job der Welt.

 

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