Das Gamma bei Wertpapieren
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/Py81i9DM2G4
In der vergangenen Ausgabe des ideas-Magazins haben wir uns
mit dem »Delta« beschäftigt. Kurz zur Wiederholung: Das Delta zeigt die
Veränderung des theoretischen Optionsscheinpreises (bereinigt um das
Bezugsverhältnis) bei einer Bewegung des Kurses des zugrunde liegenden
Basiswerts um eine Einheit.
Beispielsweise gibt ein Delta von 0,72 an, dass der Preis
eines Call Optionsscheins um 0,72 Euro steigt, wenn der Kurs des Basiswerts um
1 Euro steigt. Das Delta kann Werte zwischen 0 und 1 für Calls und Werte
zwischen 0 und -1 für Puts annehmen. Das Delta ist eine dynamische Kennzahl,
die auf Veränderungen von Marktparametern reagiert. Insbesondere verändert sich
das Delta, wenn sich der Basiswertkurs verändert. Die Stärke dieser Veränderung
wird als Gamma bezeichnet.
Im Folgenden wollen wir anhand eines Beispiels die Beziehung
zwischen dem Kurs des Basiswerts, dem Optionsscheinkurs und den beiden
Sensitivitätskennzahlen Delta und Gamma näher betrachten:
Ein Put Optionsschein mit einem Basispreis von 65 Euro und
einer einmonatigen Restlaufzeit auf die ABC-Aktie (Kurs der ABC-Aktie: 63,64
Euro) kostet 0,26 Euro. Das Bezugsverhältnis beträgt 0,1, das Delta liegt bei
-0,59. Angenommen der Kurs der ABC-Aktie Put Optionsscheins + Delta x
Bezugsverhältnis x Veränderung des Kurses der ABC-Aktie = neuer
Optionsscheinpreis bzw. 0,26 Euro + -0,59 x 0,1 x 1,00 Euro = 0,20 Euro).
Tatsächlich fällt der Optionsschein jedoch nur auf 0,21
Euro. Wie lässt sich der Unterschied von 0,01 Euro zwischen dem tatsächli¬chen
und dem zu erwartenden Wert erklären? Die Erklärung liegt im Gamma von 0,08. Denn
während sich der Preis des Basiswerts verändert, ändert sich auch das Delta von
-0,59 auf -0,51. Das Gamma von 0,08 besagt also in diesem Fall: Wenn der Kurs
der ABC-Aktie um 1 Euro steigt, dann steigt das Delta um 0,08.
Das Beispiel soll verdeutlichen, dass neben der Betrachtung
des Deltas auch das Gamma nicht außer Acht gelassen werden sollte. Denn die
Kennzahl erlaubt es, die Veränderung des Deltas zu beurteilen. So wie das
Delta, grafisch dargestellt, die Steigung der Optionsscheinpreiskurve an dem jeweils
betrachteten Punkt zeigt, kann das Gamma als Steigung der Kurve des Deltas
dargestellt werden. Mathematisch ausgedrückt handelt es sich beim Gamma um die
zweite partielle Ableitung des Options-scheinwerts nach dem Kurs des
Basiswerts.
Vergegenwärtigen wir uns den Verlauf des Deltas (siehe
Grafik 2 auf Seite 30 der ideas-Ausgabe Januar 2016), wird klar, dass das Gamma
am höchsten ist, wenn der Optionsschein »am Geld« liegt, da hier die Steigung
des Deltas am steilsten ist. Je mehr der Optionsschein dagegen »aus dem Geld«
bzw. »im Geld« liegt, desto kleiner ist die Steigung des Deltas und umso
kleiner ist das Gamma (siehe Grafik 1).
Je kürzer nun die Restlaufzeit des jeweiligen Optionsscheins
wird, desto steiler wird tendenziell das Delta »am Geld« sein und umso höher
ist das Gamma. Das Gamma hilft Anlegern bei der Einschätzung, inwieweit ein »am
Geld« notierender Optionsschein zusätzliche Hebelwirkung aufbaut, wenn der
Grafik 1: Tendenzieller Verlauf des Gammas
Gamma
0,20
0,18
Basiswert ins Geld läuft, bzw. wie viel Hebelwirkung im
umge-kehrten Fall »verloren« geht.
Auch für die Emittentin von Optionsscheinen hat das Gamma
eine ganz wesentliche Bedeutung im Zusammenhang mit seinem Hedge, dem
sogenannten Delta-Hedge, den sie für die Produkte vornimmt, um risikoneutral zu
sein. Angenommen die Emittentin verkauft 1.000 Call Optionsscheine
(Bezugsverhältnis 1:1) mit einem Delta von 0,65. Bei dieser Position kann die
Emittentin davon ausgehen, dass für jeden Euro, um den der zugrunde liegende
Basiswert steigt, die entsprechende Optionsschein-position um 650 Euro steigt.
Weiterhin zu beachten ist, dass das Delta die Anzahl der Aktien bestimmt, die
für den Hedge gekauft werden müssten. Um also diese 1.000 Optionsscheine
abzusi-chern, müsste die Emittentin 650 Aktien kaufen, um bei dieser Position
»Delta-neutral« zu sein. Sie würde so ebenfalls 650 Euro »verdienen« mit jedem
Euro, um den der Basiswert steigt, und so den Zugewinn der
Optionsscheinposition des Anlegers decken. Allerdings wird sich, wie oben
beschrieben, während sich der Preis des Basiswerts verändert, auch das Delta
des Optionsscheins ändern, und zwar umso stärker, je größer das Gamma ist.
Nehmen wir an, das Gamma liegt bei 0,1, dann würde bei einem
Anstieg des Basiswerts um 1 Euro auch das Delta von 0,65 auf 0,75 steigen. Die
Hedge-Position der Emittentin müsste infolge-dessen zu dem jetzt höheren Kurs
des Basiswerts um 100 Aktien erhöht werden, um eine weiterhin »Delta-neutrale«
Position zu haben. Sinkt der Basiswert daraufhin wieder auf den vorherigen
Wert, müssten die gerade gekauften Aktien zu einem niedrigeren Kurs wieder
verkauft werden.
Das Risiko, den Delta-Hedge bei Änderungen des Kurses des
Basiswerts ständig anpassen zu müssen, nennt man Gamma-Risiko. Jeder Verkauf von
Optionsscheinen führt jeweils zu einer negativeren Gamma-Position seitens der
Emittentin.
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