Falknerei in den Emiraten
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/IHN-ut0_O2U
Die Emiratis lieben schnelle Autos, Pferde und Kamele...
aber ihre wahren Lieblinge sind die Falken. Sie beschleunigen schneller als
Formel-1-Boliden und sind die uneingeschränkten Könige der Lüfte. Die Scheichs
schätzen ihre Schnelligkeit, Präzision und Ästhetik.
4 Aus der Ferne
betrachtet sieht es fast so aus, als würde Amanu Lah mitten in der Wüste eine
Cho-reographie einstudieren. Mit wallender Kandura tanzt er über den
gelblichrot leuchtenden Sand und dreht immer wieder Pirouetten. Nur wer ge¬nau
hinsieht, erkennt das Federspiel, das er an ei¬ner etwa zwei Meter langen
Stange montiert durch die Lüfte schwingt Es dient als Köder für seinen Falken,
der immer wieder pfeilschnell heranrast, um die Vogelattrappe zu schlagen.
„Schon als Kind war ich ein Tiernarr und Greifvögel haben mich besonders
fasziniert", sagt der 23-Jährige und streichelt seinem Falken über das
Federkleid. „Schon im Punjab, in meiner Heimat Pakistan, habe ich die Falknerei
gelernt Seit über zwei Jah¬ren bin ich jetzt hier in Abu Dhabi und kümmere mich
um die Falkenshow des Quasr al Sarab-Ho-tels. Es gibt wohl kaum einen besseren
Ort für mich und meine Falken als die Weite der Liwa-Wüste. Die Emiratis lieben
ihre Falken, behandeln sie wie ihre eigenen Kinder. Und als Falkner genie§e
ich ein gewisses Prestige", verkündet er stolz. Die Jagd mit Greifvögeln,
die sogenannte Beiz, entstand schon vor über 3.000 Jahren in den
zen¬tralasiatischen Steppen. In den baumlosen Weiten der Mongolei werden heute
noch Steinadler zur Wolfsjagd eingesetzt. Auch die alten Ägypter kannten die
Falkenjagd, war eine ihrer Gottheiten
Ein Podest mit grobem Kunststoffrasen: So hat der Falke
einen festen und griffigen Untergrund.
doch Horus, der Falke. Durch die Kreuzzüge ge-langte
arabisches Fachwissen auch in unsere Gefil-de. Das verhalf der Falkenjagd im
Hochmittelalter zu einer neuen Blüte. Auch Friedrich II. (1194 bis 1250) war
leidenschaftlicher Falkner.
Selbst ausgebildet und teuer
„Es hat ungefähr drei Monate gedauert, bis ich die nötige
persönliche Beziehung zu meinen Falken aufgebaut hatte. Je enger diese
Beziehung ist, desto
besser funktioniert die Show und desto glück¬licher macht es
mich", erzählt Amanu. Und wie er seinen Falken so liebevoll anblickt,
steht außer Frage, dass er mit diesem Job seine Bestimmung gefunden hat.
„Normalerweise beginnt das Trai¬ning schon, wenn die Tiere fünf Monate alt
sind. Dann füttere ich sie mit der Hand und es dauert ca. 20 bis 40 Tage, um
sie auszubilden. Gut ausge¬bildete Falken kosten zwischen 10.000 und 25.000
Euro. Mittlerweile stammen sie alle aus Züchtun¬gen. Der Eierraub aus dem Nest
ist schon lange verboten", erklärt er mit strengem Blick.
Früher nötig, jetzt gern gesehen
Auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat die
Falknerei eine sehr lange Tradition: Sie lässt sich bis ins 13. Jahrhundert vor
Christi be¬legen. Als das Öl noch nicht so reichlich spru¬delte, lebten die
Beduinen von Datteln und Ka¬melmilch. Eine Trappe oder ein Kaninchen, er¬legt
vom Falken, bedeutete damals eine will-kommene Aufbesserung der Speisekarte. So
wie Söhne hierzulande mit ihren Vätern auf Berge steigen, gingen und gehen die
Beduinen seit je¬her mit ihren Söhnen zur Falkenjagd. Die Falk¬nerei gehört
unabdingbar zur beduinischen Tra¬dition. Somit ist es kaum verwunderlich, dass
die UNESCO im Jahre 2010 die Falknerei, das Jahrtausende alte Kulturgut der
arabischen Welt, zum immateriellen Kulturerbe erklärt hat. Heute ergänzen
Falken zwar nicht mehr die Grundversorgung, aber durch ihre Schnelligkeit und
Schönheit sind sie begehrte und gleicher¬maßen symbolträchtige Prestigeobjekte.
Kein Wunder also, dass ein Falke das Wappen der Vereinigten Arabischen Emirate
ziert und auch auf den Flugzeugen der Etihad Airways aus Abu Dhabi ein Falke
prangt.
In Amanus Show zeigen die Falken, was sie zu leisten
vermögen. Er nimmt immer nur einem Falken die Sichthaube ab und lässt ihn in
die Höhe steigen. Dann kommt das Federspiel zum Einsatz: Es dient als
Beuteattrappe und besteht meist aus einem Stück Leder, auf dem ein Vo-gelflügel
fixiert wurde. Sobald er anfängt, das Federspiel durch die Luft zu wirbeln,
weiß der Falke, was er zu tun hat. Mit über 100 Stunden¬kilometern eilt er
horizontal heran. Wenn er in die Höhe steigt, bleibt er mit seinem
charismati¬schen Rütteln quasi in der Luft stehen. Fixiert dabei die
vermeintliche Beute. Saust dann verti¬kal im Sturzflug mit teilweise bis zu 400
Kilome¬tern pro Stunde herunter Amanu reißt das Fe¬derspiel in letzter Sekunde
immer wieder zur Seite, dabei entstehen seine eingangs erwähnten Pirouetten.
Erst nach etlichen Malen wirft er das Federspiel langsam nach oben und lässt
den Fal¬ken die „Beute" erwischen. Dessen messerschar¬fe Klauen lassen
erst los, wenn Amanu dem Fal¬ken ein Stück echtes Fleisch als Ersatz anbietet.
Von seinem Falknerhandschuh wandert der Vo¬gel dann auf ein kleines, tragbares
Podest, das mit grobem Kunststoffrasen bezogen wurde. So hat der Falke einen
griffigen Untergrund, der gleichzeitig seine Füße massiert Amanu spritzt
das Fleisch zusätzlich mit Wasser ein, denn „hätte die Beute
gerade noch gelebt, würde
der Falke natürlich auch das Blut mit auf¬nehmen. Und gerade
in der Wüste dehydrie-
ren die Vögel schnell. Vor allem die Gerfalken, die häufig
aus dem Alpenraum stammen. Sie müssen sich erst mit dem Wüstenklima an¬freunden
und sind deswegen etwas anfälliger als der Sahin, der heimische Wanderfalke,
oder der Suqr, der Würgefalke." Falken nehmen die Flüs-sigkeit
hauptsächlich über die Haut und die, Füße auf. Deswegen besprüht Amanu die
Tiere nach jeder Show und jedem Training. „Eigent-
Ein Gefieder in verschiedenen Brauntönen ist typisch für
Falken.
lich läuft alles immer noch wie seit tausenden Jahren",
erklärt Amanu, „einziger Unterschied: Die Falken tragen heute einen Mikrochip
in der Brust, damit wir sie zur Not jederzeit orten kön¬nen. Novizen clippe ich
auch immer einen klei-nen Peilsender zwischen die Schwingen, falls sie sich
hier in der Wüste mal auf und davon ma¬chen. Und jeder Vogel wird beringt. Über
den eingravierten Code sind sie eindeutig identifi¬zierbar und können im
Notfall ihren Besitzern zurückgebracht werden."
Eine Ärztin ganz vorne dabei
Falken fokussieren ihre Beute extrem genau. So kann es schon
mal vorkommen, dass sie ein Hin-dernis, zum Bespiel einen Zaun, übersehen. Für
diese Notfälle gibt es in Abu Dhabi seit 1990 das weltweit größte
Falkenhospital. Die deutsche Ve¬terinärin Dr. Margit Müller, die einst über
Fu߬erkrankungen von Falken promovierte, leitet das hoch angesehene Tierklinikum.
In der von Män¬nern dominierten Welt der Falknerei wird sie ehrfurchtsvoll
„Doktora" genannt. Sie operiert komplizierte Beinbrüche und setzt
verunfallten Falken auch wieder neue Federn in die Schwin¬gen ein, damit sie
möglichst schnell wiederPirouette um Pirouette: Wenn Amanu mit seinem Falken
arbeitet, sieht es aus, als würde er tanzen.
flügge werden. Seit 2007 gibt es äußerst interes¬sante
Führungen mit Flugschau und der Mög¬lichkeit, sich mit einem Falken auf dem Arm
fo¬tografieren zu lassen.
Das Falkenhospital kümmert sich natürlich auch um die
Prestigefalken der Scheichs, die wie Olym-pioniken trainiert werden und auch
regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung in die Klinik müssen. Sie konkurrieren bei
zahlreichen, internationa¬len Meisterschaften um stattliche Preisgelder und
Luxuskarossen, aber in erster Linie um die Ehre des Scheichs. Falken dieser
Güte, die schon mal mehrere hunderttausend Euro kosten kön¬nen, stammen nicht
selten auch von deutschen und österreichischen Züchtern. Wenn diese Fal¬ken auf
Reisen gehen, wandern sie natürlich nicht in den Frachtraum, sondern sitzen
neben dem Falkner - in der Business-Class, versteht sich. Das wäre auch Amanus
größter Wunsch: „Ich möchte einen Falken so gut ausbilden, dass er für meinen
Scheich eine Meisterschaft ge-
winnt
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