Rene Descartes 1596-1650
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/swpjq_Lpyuk
René Descartes [ʁəˈne deˈkaʁt] (latinisiert Renatus
Cartesius; * 31. März 1596 in La Haye en Touraine; † 11. Februar 1650 in
Stockholm) war ein französischer Philosoph, Mathematiker und
Naturwissenschaftler.
Descartes gilt als der Begründer des modernen
frühneuzeitlichen Rationalismus, den Baruch de Spinoza, Nicolas Malebranche und
Gottfried Wilhelm Leibniz kritisch-konstruktiv weitergeführt haben. Sein
rationalistisches Denken wird auch Cartesianismus genannt. Von ihm stammt das
berühmte Dictum „cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich.“), welches die
Grundlage seiner Metaphysik bildet, aber auch das Selbstbewusstsein als genuin
philosophisches Thema eingeführt hat. Seine Auffassung bezüglich der Existenz zweier
miteinander wechselwirkender, voneinander verschiedener „Substanzen“ – Geist
und Materie – ist heute als cartesianischer Dualismus bekannt und steht im
Gegensatz zu den verschiedenen Varianten des Monismus sowie zur dualistischen
Naturphilosophie Isaac Newtons, der die Wechselwirkung aktiver immaterieller
„Kräfte der Natur“ mit der absolut passiven Materie lehrt (siehe dazu
newtonsche Gesetze, Erstes Gesetz der Bewegung).
Descartes ist der Begründer der analytischen Geometrie,
welche Algebra und Geometrie verbindet.
Seine naturwissenschaftlichen Arbeiten – seine Ablehnung des
Gravitationsprinzips oder seine Wirbel-Theorie – sind zwar früh durch die
newtonsche Physik widerlegt worden;[1] sie sind jedoch nicht gering zu
schätzen, da Descartes einer der wichtigsten und strengsten Vertreter des
Mechanizismus war, der die ältere aristotelische Physik abgelöst hat.
Sein Ethos der Pflicht und der Selbstüberwindung hat die
Literatur der französischen Klassik des 17. Jahrhunderts, insbesondere Pierre
Corneille, Nicolas Boileau, Jacques Bénigne Bossuet und Jean de La Bruyère,
beeinflusst.
Descartes wurde als drittes Kind einer kleinadeligen Familie
der Touraine geboren. Sein Vater, Joachim Descartes (1563–1640), war
Gerichtsrat (Conseiller) am Obersten Gerichtshof der Bretagne in Rennes. Seine
Mutter, Jeanne Brochard, starb am 16. Mai 1597 nach der Geburt ihres letzten
Kindes, das nicht überlebte. Da der Vater rasch wieder heiratete, verbrachte
Descartes seine Kindheit bei seiner Großmutter mütterlicherseits und einer
Amme, die ihn überlebte und die er liebevoll in seinem Testament bedachte
(siehe Adrien Baillet, La Vie de Monsieur Descartes, 2 vol. 1691). Mit acht
Jahren kam er als Internatsschüler auf das Collège Henri-IV de La Flèche, das
er acht Jahre später mit einer klassischen sowie mathematischen Ausbildung
verließ.[2]
Studien-, Lehr- und Wanderjahre
Anschließend studierte Descartes Jura in Poitiers und legte
dort 1616 ein juristisches Examen ab. Statt jedoch eine juristische Karriere
einzuschlagen, absolvierte er an einer Pariser Académie für junge Adelige einen
Lehrgang in Fechten, Reiten, Tanzen und gutem Benehmen und verdingte sich noch
im selben Jahr 1616 bei dem Feldherrn Moritz von Nassau im niederländischen
Breda. Dort begegnete er dem sechs Jahre älteren Arzt und Naturforscher Isaac
Beeckman, der ihn für die Physik begeisterte und dem er sein erstes
naturwissenschaftliches Werk widmete, das mathematisch-physikalisch orientierte
Musicæ compendium (1618).
Nach Reisen durch Dänemark und Deutschland verdingte sich
Descartes 1619 erneut als Soldat, nun bei Herzog Maximilian von Bayern, unter
dem er auf kaiserlich-katholischer Seite an den ersten Kämpfen des
Dreißigjährigen Krieges und so auch an der Eroberung Prags teilnahm.
Im November 1619, kurz nachdem er in Prag die Arbeitsstätte
des Astronomen Tycho Brahe (1546–1601) und in Regensburg die von Johannes
Kepler (1571–1630) besichtigt hatte, entwickelte Descartes die Idee, dass es
„eine universale Methode zur Erforschung der Wahrheit“ geben müsse und dass er
berufen sei, sie zu finden, wobei er keine Erkenntnis akzeptieren dürfe außer
der, die er in sich selbst oder dem „großen Buch der Welt“ entdeckt und auf
ihre Plausibilität und Logik hin überprüft habe. Descartes begann die Arbeit an
den Regulae ad directionem ingenii (Regeln zur Ausrichtung der
Erkenntniskraft). In seiner Descartes-Biographie berichtet Adrien Baillet
(1691) von drei Träumen, die Descartes angeblich in der Nacht von Sonntag den
10. auf Montag den 11. November 1619 hatte, als er in Neuburg an der Donau war.
In den fragmentarischen Olympica aus Descartes’ eigenem Notizbuch, deren Inhalt
aufgrund von Exzerpten von Gottfried Wilhelm Leibniz teilweise erhalten
geblieben ist, findet sich jedoch keine zusammenhängende Beschreibung dieser
Träume.
1620 hängte Descartes den Soldatenrock an den Nagel, machte
eine Pilgerfahrt nach Loreto, die er der Jungfrau Maria zum Dank für die
„Vision“ gelobt hatte. In den Jahren darauf unternahm er mehrmonatige Reisen
durch das Heilige Römische Reich, die Niederlande, die Schweiz und Italien,
wobei er Einblicke jeglicher Art zu gewinnen und mit den unterschiedlichsten
Personen, vor allem Gelehrten, ins Gespräch zu kommen suchte.
1625 ließ er sich in Paris nieder. Hier verkehrte er mit
Intellektuellen und bewegte sich in den Kreisen der gehobenen Gesellschaft,
wobei er auch siegreich ein Duell bestand. Er las viel, schrieb bis 1628 weiter
an den Regulae ad directionem ingenii und gewann zunehmend an Ansehen als
scharfsinniger Kopf. Insbesondere beeindruckte er auf einer Abendgesellschaft Kardinal
Pierre de Bérulle, den Vorsitzenden des Staatsrats und Gegenspieler von
Kardinal Richelieu, so sehr, dass er von ihm zu einer Privataudienz eingeladen
und danach aufgefordert wurde, seine Theorien ausführlicher darzustellen und
damit die Philosophie zu reformieren.
Zeit der Reife und der philosophischen Werke
Descartes, Stich von Balthasar Moncornet
1629 zog es Descartes in die Niederlande, vermutlich wegen
der größeren geistigen Freiheit, die dort herrschte. Hier verbrachte er, zwar
im Austausch mit Intellektuellen unterschiedlichster Ausrichtung und Herkunft,
aber dennoch relativ zurückgezogen, die nächsten 18 Jahre, wobei er häufig
Wohnungen und Wohnorte wechselte und mit einer seiner Dienstmägde, Helena Jans
van der Strom, 1635 eine Tochter bekam, Francine, die fünfjährig am 7.
September 1640 starb. Descartes bezeichnete Francines Tod als „den größten
Schmerz seines Lebens“ (Adrien Baillet). Am 13. Oktober 1642 schrieb er an
seinen Freund Constantijn Huygens, Vater des berühmten niederländischen Astronomen
Christiaan Huygens, wir Menschen seien geboren „für viel größere Freuden und
ein viel größeres Glück, als wir sie auf dieser Erde erleben können. Wir werden
die Toten dereinst wiederfinden, und zwar mit der Erinnerung an das Vergangene,
denn in uns befindet sich ein intellektuelles Gedächtnis, das ganz zweifellos
unabhängig von unserem Körper ist“. Er sei, so Descartes, von diesem Leben nach
dem Tod „überzeugt durch natürliche und ganz offensichtliche Gründe“.
Vor allem korrespondierte Descartes intensiv mit seinem
Pariser Freund Marin Mersenne und über diesen, der allein seine jeweilige
Adresse kannte, mit Gelehrten aus ganz Europa sowie mit einigen geistig
interessierten, hochstehenden Damen.
Während seiner ersten Zeit in den Niederlanden arbeitete
Descartes an einem Traktat zur Metaphysik, in dem er einen klaren und
zwingenden Gottesbeweis zu führen hoffte. Er legte ihn jedoch beiseite
zugunsten eines großangelegten naturwissenschaftlichen Werks, das in
französischer Sprache verfasst werden sollte und nicht mehr, wie seine
bisherigen Texte, in Latein. Diesen Traité du Monde „(Abhandlung über die
Welt)“, wie er heißen sollte, ließ er jedoch unvollendet, als er vom Schicksal
Galileo Galileis erfuhr, der 1633 von der Inquisition zum Widerruf seiner die
Forschungen von Nicolaus Copernicus und Johannes Kepler bestätigenden Theorien
gezwungen worden war. 1637 publizierte Descartes im holländischen Leiden anonym
seinen Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la
vérité dans les sciences, plus la Dioptrique, les Météores et la Géométrie qui
sont des essais de cette méthode (deutscher Titel: Abhandlung über die Methode
des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung),
wörtlich: „Abhandlung über die Methode, seine Vernunft gut zu gebrauchen und
die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen, dazu die Lichtbrechung, die
Meteore und die Geometrie als Versuchsanwendungen dieser Methode“. Der als
populärwissenschaftliches Werk auf hohem Niveau angelegte Discours de la
méthode, wurde langfristig Descartes’ wirksamstes Buch.
Kernpunkte des Discours sind:
eine
Erkenntnistheorie, die nur das als richtig akzeptiert, was durch die eigene
schrittweise Analyse und logische Reflexion als plausibel verifiziert wird,
eine Ethik, gemäß
der das Individuum sich im Sinne bewährter gesellschaftlicher Konventionen
pflichtbewusst und moralisch zu verhalten hat,
eine Metaphysik,
die zwar (durch logischen Beweis) die Existenz eines vollkommenen
Schöpfer-Gottes annimmt, aber kirchenartigen Institutionen wenig Raum lässt,
eine Physik, die
die Natur als durch zwar gottgegebene, aber allgemein gültige Gesetze geregelt
betrachtet und dem Menschen ihre rationale Erklärung und damit letztlich ihre
Beherrschung zur Aufgabe macht.
Auch die nächsten Werke von Descartes lösten in Fachkreisen
intensive Diskussion aus und waren langfristig wirksam:
Zunächst
lateinisch gedruckt wurden 1641 in Paris die Méditations sur la philosophie
première, dans laquelle sont démontrées l’existence de Dieu et l’immortalité de
l’âme (so der Titel einer französischen Übersetzung von 1647; dt. „Meditationen
über die Erste Philosophie, in der die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit
der Seele bewiesen wird“). Die zweite Auflage 1642 in Amsterdam erschien mit
geändertem Untertitel, „denn ich kann nicht beweisen, dass Gott die Seele nicht
vernichten könnte, sondern nur, dass sie von völlig anderer Natur als der
Körper ist und nicht mit dem Körper stirbt“ (Brief an Marin Mersenne vom 24.
Dezember 1640). Der Untertitel lautete nun: Méditations sur la philosophie
première, dans laquelle sont démontrées l’existence de Dieu et la distinction
de l’âme et du corps (dt. „Meditationen über die Erste Philosophie, in der die
Existenz Gottes und der Unterschied zwischen Seele und Körper bewiesen wird“).
Ebenfalls erst
nachträglich ins Französische übersetzt wurde die Schrift Principia
philosophiae („Grundlagen der Philosophie“, 1644).
Diese Schriften stießen bei den Theologen in Utrecht und
Leiden auf so heftige Ablehnung, dass Descartes 1645 einen Umzug nach England
erwog und in den Folgejahren Holland mehrmals fluchtartig zu Reisen nach
Frankreich verließ. In den Principia behandelt Descartes nicht nur die direkten
emotionalen Reflexe, z. B. Angst, sondern auch die spontanen Gefühlsregungen,
z. B. Liebe oder Hass. 1649 erschien der Traktat Les Passions de l’âme („Die
Leidenschaften der Seele“, 1649), den Descartes für seine Briefpartnerin, die
pfälzische Prinzessin Elisabeth, verfasst hatte.
Christina von Schweden diskutiert mit René Descartes
Er interpretiert die Leidenschaften als nur allzu natürliche
mentale Ausflüsse der kreatürlichen Körperlichkeit des Menschen, verpflichtet
diesen aber – als ein zugleich mit einer Seele begabtes Wesen – zu ihrer Kontrolle
durch den Willen und zu ihrer Überwindung durch vernunftgelenkte Regungen wie
z. B. selbstlosen Verzicht oder großmütige Vergebung.
Tod
Im Spätsommer 1649 folgte er einer Einladung der jungen
Königin Christina von Schweden, mit der er seit ca. 1645 Briefe wechselte, und
reiste nach Stockholm. Dort musste er jedoch mehrere Wochen auf die abwesende
Königin warten und bekam erst in der zweiten Januarhälfte einige Audienzen
(morgens um fünf Uhr), um der Königin seine Philosophie zu erklären. Anfang Februar
1650 erkrankte er und starb zehn Tage später im Haus seines Gastgebers, des
französischen Botschafters. Die 2009 von Theodor Ebert vorgetragene These,
Descartes sei mit Arsenik vergiftet worden,[3] erhielt die Zustimmung des
Mathematikhistorikers Thomas Sonar,[4] hat insgesamt in Fachkreisen aber keine
breite Anerkennung gefunden. Es wird nach wie vor überwiegend angenommen,
Descartes sei an einer Lungenentzündung gestorben.
Nach mehreren Umbettungen befindet sich das Grab Descartes’
seit dem 26. Februar 1819 in der Abtei Saint-Germain-des-Prés in Paris. Dort
liegt sein Leichnam bis auf den Schädel, den seit 1878 das Pariser Musée de
l’Homme aufbewahrt.
Verbot seiner Schriften
1663 wurden die Schriften Descartes’ vom Heiligen Stuhl auf
den Index Librorum Prohibitorum gesetzt. Nach seinem Tod kamen Klagen auf, er
habe bei seinen naturwissenschaftlichen Studien keinen Raum für Gott gelassen.
Dabei traten die Jesuiten an vorderster Front für das Verbot seines Werks ein.
Auf die Indizierung von 1663 folgte eine lange Reihe von Verboten, darunter
1691 der königliche Bann gegen die Verbreitung aller Lehren Descartes’ an
französischen Schulen.[5]
Werk
Philosophische Methode
Descartes’ Methode ist geprägt von seiner Praxis als
Mathematiker. Die vier Grundregeln der Methode sind in seinen Augen eine
Anwendung der in der Mathematik üblichen Verfahren und Arbeitsmethoden. Die im
Discours de la méthode von Descartes ausführlich formulierte philosophische
Methode wird in vier Regeln (II. 7–10) zusammengefasst:
Skepsis: Nichts
für wahr halten, was nicht so klar und deutlich erkannt ist, dass es nicht in
Zweifel gezogen werden kann.
Analyse:
Schwierige Probleme in Teilschritten erledigen.
Konstruktion: Vom
Einfachen zum Schwierigen fortschreiten.
Rekursion: Stets
prüfen, ob bei der Untersuchung Vollständigkeit erreicht ist.
Dieser stark komprimierten und verkürzten Darstellung stehen
die posthum veröffentlichten Regulae ad directionem ingenii gegenüber – ein
Werk, das unvollendet blieb und daher lediglich 21 der ursprünglich geplanten
36 Regeln darlegt. Descartes’ frühe Methodologie stützt sich mehrfach auf das
Vermögen der Intuition; mit ihrer Hilfe, so Descartes, erfasst der Mensch die
Wahrheit einfachster Aussagen (wie z. B.: ein Dreieck hat drei Seiten) – die
Methode selbst besteht im Wesentlichen darin, komplexe Probleme derart zu
zerlegen, dass ihre einzelnen Elemente qua intuition als wahr erkannt werden
können. Erst später erweitert Descartes seine Konzeption um eine metaphysische
Dimension, indem er hinterfragt, wie die Intuition für die Wahrheit des
Erkannten bürgen könne (man könnte ja, so Descartes, auch in den einfachsten
Dingen stets irren). Die Suche nach einem archimedischen Punkt führt
schließlich zum berühmten cogito ergo sum oder auch „ego sum, ego existo …
quamdiu cogito“ – „Ich bin, ich existiere … im Vollzug des Denkens“,
widerspricht aber der frühen Methodologie in ihren Grundsätzen, so dass
Descartes schließlich die Arbeit an den Regulae einstellte.
Erkenntnistheorie
Eine neue Erkenntnistheorie führt Descartes unter anderen in
seinen sechs Meditationes de prima philosophia von 1641 aus.
Entsprechend seiner Methode handelt der erste Abschnitt von
„dem, woran man zweifeln kann“: Die gängige Annahme, dass wissenschaftliche
Erkenntnis aus sinnlicher Wahrnehmung und Denken entspringt, muss hinterfragt
werden. Keiner der beiden Quellen darf man ungeprüft vertrauen. Unsere Sinne
täuschen uns oft, da wir nicht einfach wahrnehmen, sondern frühere
Wahrnehmungen, die unseren Körper konstituieren, unsere aktuellen Wahrnehmungen
bedingen – wir projizieren. Aber auch dem Denken darf man nicht ungeprüft
vertrauen, denn ein böser Dämon könnte so auf den Verstand einwirken, dass man
falsche Schlüsse zieht und sich täuscht. Deshalb ist zunächst einmal an allem
zu zweifeln.
Zweite Meditation: Doch woher weiß ich, ob das, was mit mir
geschieht, Zweifeln ist, ob ich mich täusche, dass ich „ich“ bin und dass ich
„bin“? Wenn ich aber zweifle, so kann ich selbst dann, wenn ich mich täusche,
nicht daran zweifeln, dass ich zweifle und dass ich es bin, der zweifelt, d. h.
ich bin als Denkender in jedem Fall existent. Der erste unbezweifelbare Satz
heißt also: „Ich bin, ich existiere“ (Original lat.: ego sum, ego existo).[6]
Er ist, so Descartes, „notwendig wahr, so oft ich ihn ausspreche oder denke“.
Descartes analysiert dann dieses zweifelnde Ich und bestimmt es als ein
urteilendes, denkendes Ding: Als res cogitans.
Aurelius Augustinus (354–430) hatte diese Argumentation
schon ähnlich formuliert: „si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec
falli potest“ („Selbst wenn ich mich täusche, bin ich. Denn wer nicht ist, kann
sich auch nicht täuschen.“ Vom Gottesstaat 11,26).
In der dritten Meditation geht Descartes zu einer Theorie
des Absoluten über. Eine Ursache könne nicht weniger vollkommen sein als ihre
Wirkung. Da die eigene Vorstellung von Gott weit vollkommener sei als die
eigene Vollkommenheit und Realität, könne daraus geschlossen werden, dass Gott
existiere.
Danach wird die Inkompatibilität von „betrügerisch“ und
göttlicher Vollkommenheit aufzuzeigen versucht: Ersteres wäre ein Mangel,
letzteres schließt jeden Mangel aus. Gott könne also kein Genius malignus sein,
wie es argumentationshalber in der ersten Meditation noch in Betracht gezogen
worden war.
Das hieße aber auch, so die vierte Meditation weiter, dass
wir auf die (in der ersten Meditation noch angezweifelte) Richtigkeit unserer
empirischen Erfahrungen vertrauen können, weil es Gott gebe und er kein
Betrüger sei. Den Grund, warum der Mensch dennoch in seinem Urteil zu
fehlerhaften Schlüssen kommen kann, sieht Descartes darin, dass die
gottgegebene Wahlfreiheit des Menschen sich auch auf Dinge erstreckt, die der
Verstand nicht klar einsieht, trotzdem er darüber urteilt. Obgleich die Vernunft
die Überlegungen leiten möge, besiegele der Wille letztendlich alle Urteile.
Nicht durch den Willen selbst, sondern dadurch, dass er nicht richtig gebraucht
werde, würden wir zu falschen Urteilen verführt. Wir müssten uns zwar weiterhin
vor Irrtum hüten, könnten aber immerhin auf alles vertrauen, was wir klar und
deutlich („clare et distincte“) eingesehen hätten.
Eingeborene Ideen ideae innatae
Zunächst einmal sah Descartes in den Ideen gleichsam
„Abbilder von Dingen“, die sich unter zwei Aspekten einteilen ließen. So nach
ihrem Ursprung:
Ideen, die auf
Gegenstandswahrnehmungen beruhen: ideae adventitiae
Ideen, die durch
die Einbildungskraft erzeugt werden: ideae factitiae
die eingeborenen
Ideen: ideae innatae[7].
Descartes räumte in seiner Theorie der menschlichen
Erkenntnis den Überlegungen zu den eingeborenen Ideen, ideae innatae, eine
Schlüsselposition ein. Sie seien aber nicht, etwa wie bei Platon, als ein
selbstständig Existierendes zu denken, sondern wären durch das Denken zu
erfassen. Woraus er folgerte, dass die eingeborenen Ideen eng mit dem
denkenden, sich seiner selbst bewussten Subjekt zusammenhingen, da eine zu
erkennende Idee etwas benötigt, das diese denkt. Im cartesianischen Innatismus
wäre eine eingeborene Idee eine gedachte Sache.
Für ihn müssen die angeborenen Ideen (die ideae innatae):
klar und deutlich,
unmittelbar
evident sowie
als Basis für die
Erkenntnisgewissheit apriorisch
sein.
Als wichtigste angeborene Ideen, die auf gar keinen Fall aus
der Erfahrung gewonnen oder ausgedacht werden können, galten für ihn:
die Idee der
unendlichen Substanz (Gott),
die Idee der
endlichen und denkenden Substanz (der menschliche Geist) und
die Idee der
endlichen und ausgedehnten Substanz (Materie)[8].
Mathematik
Seite aus La Geometrie
In der Mathematik ist Descartes vor allem für seine Beiträge
zur Geometrie bekannt: Er verknüpfte Geometrie und Algebra und gehört damit zu
den Wegbereitern der analytischen Geometrie, die die rechnerische Lösung
geometrischer Probleme ermöglicht. Allerdings taucht nirgendwo in seinem Werk
das heute nach ihm benannte, rechtwinklige kartesische Koordinatensystem auf,
als dessen Erfinder mit größerem Recht Apollonios von Perge, Nikolaus von
Oresme, Pierre de Fermat und Johan de Witt gelten können.[9] Der Begriff
kartesisch oder kartesianisch bedeutet allgemein von Cartesius eingeführt und
tritt an verschiedenen Stellen der Mathematik auf, neben dem Koordinatensystem
beispielsweise beim kartesischen Produkt.
Um 1640 leistete er einen Beitrag zur Lösung des
Tangentenproblems der Differentialrechnung. Descartes wählte einen
algebraischen Zugang, indem er an eine Kurve einen Kreis anlegte. Dieser
schneidet die Kurve in zwei Punkten, es sei denn, der Kreis berührt die Kurve.
Damit war es ihm für spezielle Kurven möglich, die Steigung der Tangente zu
bestimmen. Dieser Ansatz fand unter seinen Zeitgenossen große Beachtung, trug
allerdings kaum zur tatsächlichen Lösung des Problems bei, da man auf diese
Weise dem Ableitungsbegriff nicht näher kam.
Es sind auch zwei Sätze nach Descartes benannt. Mit der
Vorzeichenregel von Descartes kann man eine Obergrenze für die Anzahl der
positiven und negativen Nullstellen eines Polynoms in den reellen Zahlen
bestimmen. Der Vier-Kreise-Satz aus dem Jahre 1643 löst ein schon in der Antike
betrachtetes Berührkreisproblem, zu drei sich gegenseitig berührenden Kreisen
einen vierten zu finden, der wiederum die drei anderen berührt.
Physik
Das teleologische Weltbild des Aristoteles wird ersetzt
durch ein kausalistisches, in dem sich innerhalb der Objektwelt (der Welt der
res extensa also) alles notwendig durch Druck und Stoß ergibt. Diese Annahme
ist im Weiteren Voraussetzung für die Theoriebildung in vielen
Erfahrungswissenschaften geworden und allgemein Kennzeichen mechanistischen
Denkens.
Im zweiten Teil (Über die Prinzipien der körperlichen Dinge)
seiner 1644 erschienenen Principia philosophiae beschäftigt sich Descartes mit
den grundlegenden Eigenschaften der Materie und stellt elementare Naturgesetze
auf, die im Folgenden nach einer deutschen Übersetzung wiedergegeben
werden.[10]
Eigenschaften der Materie
Materie = Ausdehnung
Descartes'
Materiebegriff reduziert das Wesen materieller Körper allein auf ihre räumliche
Ausdehnung nach Länge, Breite und Tiefe. Denn nur diese Ausdehnung ist im
Lichte der Vernunft klar und deutlich vorstellbar, wogegen andere Eigenschaften
wie Härte, Gewicht oder Farbe nur auf Sinneswahrnehmungen beruhen, denen als
Erkenntnisquelle grundsätzlich zu misstrauen ist. Für Descartes sind materielle
und geometrische Körper identisch.
Unmöglichkeit eines Vakuums
Da Materie und
räumliche Ausdehnung wesensgleich sind, kann es einen leeren (materiefreien)
Raum (Vakuum) nicht geben.
Unendliche Teilbarkeit
Atome (unteilbare
Körper) kann es nach Descartes nicht geben, da jeder noch so kleine materielle
Körper gedanklich geteilt werden kann.
Unbegrenzte Ausdehnung
Über jeden noch so
großen Raum hinaus ist stets ein noch größerer „wahrhaft vorstellbar“, also
„wirklich“. Dieser unbegrenzte Raum „enthält auch eine endlos ausgedehnte
körperliche Substanz.“
Einheitlichkeit der Materie
Aus der Identität
von Raum und Materie folgt auch, dass die Materie ihrem Wesen nach überall
gleich ist. Insbesondere gibt es keinen Unterschied zwischen irdischer und
himmlischer Materie.
Beweglichkeit
Materie ist nicht
nur beliebig teilbar, sondern auch in ihren Teilen beweglich, so dass sie „all
der Zustände fähig ist, die aus der Bewegung ihrer Teile folgen“.
Bewegungslehre
Relativitätsprinzip
Zwischen Ruhe und
Bewegung gibt es keinen wirklichen Unterschied, da ein Körper (z. B. der
Fahrgast eines Schiffs) relativ zu seiner unmittelbaren Umgebung (Schiff) in
Ruhe sein kann, während er sich relativ zu anderen Körpern (Ufer) bewegt. Wenn
sich ein Körper A relativ zu einem als ruhend gedachten Körper B bewegt, so
kann man dies ebenso gut als eine Bewegung von B relativ zu dem ruhend
gedachten A auffassen. Als erster, der dieses Prinzip formuliert hat, gilt
allerdings Galileo Galilei (1632).[11]
Bewegungserhaltung
Descartes sieht
eines der Vollkommenheitsmerkmale Gottes in seiner Beständigkeit und schließt
daraus, Gott sorge dafür, dass die Menge (quantitas) an Bewegung, die er
anfangs zusammen mit der Materie erschaffen hat, erhalten bleibt. Hierin kann
eine erkenntnismäßige Vorstufe von Impuls- und Energieerhaltungssatz gesehen
werden. Allerdings differenziert Descartes noch nicht nach kinetischer Energie
und Impuls. Seine Quantifizierung der Bewegung als Produkt aus Größe (den
Begriff der trägen Masse kennt Descartes noch nicht) und Geschwindigkeit
entspricht in etwa dem heutigen Begriff Impuls, allerdings unter
Vernachlässigung von dessen vektoriellem (gerichteten) Charakter.
Mit der „Unveränderlichkeit Gottes“ begründet Descartes auch
einige Regeln, die er ausdrücklich als „Naturgesetze“ deklariert.
Trägheitsprinzip
Descartes
definiert dieses später als Erstes newtonsches Axiom bekannt gewordene Gesetz
sinngemäß als Bestreben eines Körpers zur Beibehaltung seiner Form und seines
Bewegungszustandes beim Fehlen einer äußeren Einwirkung.
Geradlinigkeit
Jeder Körper ist
ohne Einwirken äußerer Kräfte bestrebt, seine momentane Bewegung geradlinig
fortzusetzen. Hierdurch erklärt Descartes auch die bei einer erzwungenen
Kreisbewegung auftretende Fliehkraft.
Stoßgesetze
Diese betreffen
den (zentralen) Zusammenstoß zweier Körper und ihr Verhalten danach. Bei einem
Stoßvorgang kann „Bewegung“ von einem auf den anderen Körper übergehen, doch
immer so, dass die Summe der Bewegungsgrößen erhalten bleibt.
Descartes unterscheidet
sieben Fälle, von denen der erste den elastischen Stoß zweier gleich großer
Körper (Descartes nennt sie B und C), die sich mit gleicher Geschwindigkeit
entgegenkommen, korrekt beschreibt. Das von Descartes behauptete Zurückprallen
nach beiden Seiten mit unveränderter Geschwindigkeit entspricht auch aus
heutiger Sicht der (klassisch-physikalischen) Realität.
Problematisch wird
es jedoch schon beim zweiten Fallbeispiel, wo „B ein wenig größer als C, alles
andere aber wie vorher“ ist. Jetzt „würde nur C zurückweichen, und beide würden
nach links mit gleicher Geschwindigkeit sich bewegen“. Dies wäre zwar für den
plastischen Stoß zutreffend, nicht aber für den elastischen.
Die unsaubere bzw.
letztlich fehlende Trennung von plastischem und elastischem Stoß ist einer der
Gründe, warum bis auf die erste alle von Descartes verkündeten Stoßregeln
falsch sind. Ein zweiter Grund liegt in der Nichtbeachtung des vektoriellen
Charakters des Impulses. In seiner vierten Stoßregel behauptet Descartes: „Wenn
C ganz ruht und etwas größer als B ist, so würde B, mit welcher Geschwindigkeit
es sich auch gegen C bewegte, dasselbe doch niemals in Bewegung setzen, sondern
es würde von ihm in entgegengesetzter Richtung zurückgestoßen werden.“ Dies
stünde zwar im Einklang mit dem Energiesatz, würde aber den Impulssatz eklatant
verletzen.
Angesichts
dieser zum Teil gravierend falschen Ergebnisse seiner rationalistischen
Spekulationen haftet Descartes’ Schlussbemerkung zu seinen Stoßgesetzen heute
ein Hauch von Tragikomik an: „Auch bedarf es für diese Bestimmungen keiner
Beweise, weil sie sich von selbst verstehen, und selbst wenn uns die Erfahrung
das Gegenteil zu zeigen schiene, würden wir trotzdem genötigt sein, unserer
Vernunft mehr als unseren Sinnen zu vertrauen.“
Auf der Basis dieser physikalischen Grundlagen entwickelt
Descartes eine komplizierte Theorie zur Entstehung des Kosmos und unseres
Planetensystems, wobei er als Ausgangspunkt lediglich eine von Gott geschaffene
Ansammlung von Materiewirbeln annimmt (Wirbeltheorie). Daraus werden
schrittweise alle beobachtbaren Himmelserscheinungen erklärt. Ebenso versucht
sich Descartes an Erklärungen für die Entstehung der Erde und die auf ihr
beobachteten Naturphänomene, wie Schwerkraft, Aggregatzustände (fest, flüssig),
Eigenschaften von Mineralien, Feuer, Magnetismus und vieles mehr. Besondere
Bedeutung kommt seiner Theorie der Lichtausbreitung zu, wonach diese durch
Druckübertragung zwischen den sogenannten „Himmelskügelchen“ erfolgt. Diese
Vorstellung wirkte in der Hypothese vom Lichtäther fort und bereitete den Boden
für die Wellentheorie des Lichts.
Physiologie
Mechanisches Tier des Jacques de Vaucanson
Für Descartes waren physiologische Modellvorstellungen
integraler Bestandteil seiner Philosophie. Die aristotelische Hervorhebung des
Organischen negiert Descartes. Er reduzierte den lebenden Organismus des
Menschen auf dessen Mechanik und wurde damit zum Begründer der neuzeitlichen
Iatrophysik, in der Menschenmodelle und (versuchte oder gedachte) Konstruktionen
von Menschenautomaten eine wichtige Rolle spielten. Der menschliche Körper wird
einmal als bloße „Gliedermaschine“, dann wieder als „Leichnam“ beschrieben.
Diese Betrachtung hat ihre Fortsetzung in der Denkweise, den Menschen
körperlich als mechanischen Apparat, also als Maschine zu betrachten und sein
Denken heute beispielsweise mit dem Funktionieren von Computern zu vergleichen,
wenn nicht gleichzusetzen.
Aus Furcht vor der Inquisition veröffentlichte Descartes
seine Schrift Traité de l’homme („Abhandlung über den Menschen“, 1632)
zeitlebens nicht; sie erschien erst 1662 unter dem Titel De homine.
René Descartes war allerdings durchaus religiös; seine
Aufteilung des Menschen in einen mechanisch funktionierenden Organismus und
eine Seele ist wohl sein bekanntester und auch meist kritisierter Denkansatz
geblieben. In der zweiten Meditation erklärt Descartes kurioserweise indirekt –
ganz aristotelisch – die Seele als das, was den Unterschied zwischen einem
Leichnam und einem lebendigen Menschen ausmacht. Descartes hat Aristoteles
selbst allerdings kaum rezipiert, sehr wohl aber die Schriften der Scholastik,
in denen man sich vielfach auf Aristoteles bezog.
Wirkungsgeschichte
Descartes hat die Philosophie bis in die Gegenwart hinein
stark beeinflusst, und zwar vorwiegend dadurch, dass er Klarheit und
Differenziertheit des Denkens zur Maxime erhob. Auch die Geisteshaltung des
Szientismus geht zum Teil auf ihn zurück.
Arnold Geulincx entwickelt Descartes Thesen fort und
begründete den Okkasionalismus. Danach sind für Geulincx Körper und Geist
getrennte Bereiche, zwischen denen Gott vermittelt.
Blaise Pascal lehnt die Gottesbeweise als rational
unentscheidbar ab und kritisiert, dass Gott bei Descartes zum bloßen
„Lückenbüßer“ verkommt, der die Verbindung zwischen res cogitans und res
extensa herstellen müsse: „Der Gott Abrahams ist nicht der Gott der
Philosophen“, schreibt Pascal in seinen Pensées. Pascal wandelt Descartes’
Dualismus in eine dreiteilige Systematik ab: An die Seite von res extensa
(Körperliches) und res cogitans (Gedankliches) stellt er das „Herz“ oder den
„Geist des Feinsinnes“.
Kant kritisiert in der Kritik der reinen Vernunft den
„problematische[n] Idealism des Cartesius“ (Immanuel Kant: AA III, 190[12]):
Nach Kant setzt die Sicherheit des Ich denke, bei der Descartes ansetzt, eine
innere Erfahrung (Zeitwahrnehmung) voraus. Für die Bestimmung des Subjekts in
der Zeit sei aber wiederum eine äußere (räumliche) Erfahrung Grundbedingung.
Daher könne die eigene Existenz nicht gewisser sein als die der äußeren
Erfahrung.
In seinen Geschichtsvorlesungen lobt Georg Wilhelm Friedrich
Hegel Descartes ausdrücklich für seine philosophische Innovationskraft: Bei
Descartes fange das neuzeitliche Denken überhaupt erst an, seine Wirkung könne
nicht breit genug dargestellt werden. Hegel kritisiert allerdings, dass
Descartes die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft noch nicht mache.
In Descartes’ archimedischem Denkpunkt des „cogito ergo sum“ sieht Hegel einen
Beleg dafür, dass Denken und Sein eine „unzertrennliche Einheit“ bilden (vgl.
Parmenides), weil an diesem Punkt Verschiedenheit und Identität zusammenfallen.
Hegel übernimmt dieses „Anfangen im reinen Denken“ für seine idealistische
Systematik. Descartes’ Gottesbeweis suchte er in Kritik der Überlegungen Kants
dagegen weiter zu entwickeln (1831).
Franz von Baader formte das Cogito ergo sum um in Cogitor
ergo sum („Ich werde gedacht (vom Absoluten), also bin ich.“).
Auch Friedrich Nietzsche findet zunächst lobende Worte für
Descartes, weil dessen Hinwendung zum Subjekt ein „Attentat auf den alten
Seelenbegriff“ und somit ein „Attentat auf das Christentum“ sei. Descartes und
die Philosophie nach ihm seien also „antichristlich, keineswegs aber
antireligiös“. Er nennt Descartes den „Großvater der Revolution, welche der
Vernunft allein die Autorität zuerkannte“ (Jenseits von Gut und Böse).
Andererseits lehnt Nietzsche aber Descartes’ Dualismus ab und stellt ihm seine
eigene Theorie vom „Willen zur Macht“ gegenüber. Er wehrt sich darüber hinaus
gegen die „dogmatische Leichtfertigkeit des Zweifelns“, und deutet damit an,
dass der radikale Zweifel nicht voraussetzungsfrei stattfinden kann (siehe
weiter unten die Einwände von Peirce und Wittgenstein).
Charles Peirce hält Descartes’ radikalen Zweifelsansatz in
einem Punkt für übertrieben: Jeder formulierte Zweifel setze nämlich eine
„hinlänglich funktionierende Alltagssprache“ voraus. Auch Schelling schlug
bereits in diese Kerbe: Sprache lasse sich nicht aus einer ersten
vorsprachlichen Gewissheit heraus erst neu konstruieren, denn „wo würden wir
beginnen?“
Der frühanalytische Philosoph Bertrand Russell nennt
Descartes in seiner History of Western Philosophy den „Begründer der modernen
Philosophie“, wendet aber wie Heidegger ein, dass er noch vielen scholastischen
Ideen (z. B. Anselms Gottesbeweis) verschrieben sei. Russell schätzt allerdings
seinen zugänglichen Schreibstil und würdigt, dass Descartes als erster
Philosoph seit Aristoteles ein völlig neues Denksystem errichtet habe. Er hebt
dabei v. a. seinen radikalen Zweifelsansatz hervor. Russell hält Descartes’
Erkenntnis für wesentlich, dass alle Objekte bzw. überhaupt jede Art von
Gewissheit gedanklich vermittelt seien. Dieser Gedanke werde eine zentrale
Stellung bei den Rationalisten einnehmen. Während die Idealisten diese Einsicht
„triumphalistisch“ übernähmen, würden die britischen Empiristen sie bedauernd
zur Kenntnis nehmen. Russell kritisiert auch, dass das „Ich denke“ als Prämisse
ungültig sei. In Wirklichkeit müsste Descartes sagen: „There are thoughts.“
(„Es gibt Gedanken“). Schließlich sei das „Ich“ ja nicht gegeben.
In den Cartesianischen Meditationen (CM) übernimmt Edmund
Husserl von Descartes das ego cogito als apodiktisch gewissen Urteilsboden, auf
dem die Philosophie zu begründen sei (CM § 8). Entgegen der descartschen
Zweifelsmethode führt die von Husserl inaugurierte Methode der Epoché jedoch
nicht zu einer innerweltlichen Subjektivität, sondern zu einem extramundanen,
transzendentalen Bewusstsein. Descartes verfehlt nach Husserl also die
transzendentale Wende, weil er in dem apodiktischen Ego immer noch ein „kleines
Endchen der Welt“ gerettet zu haben glaube (CM § 10).
Martin Heidegger sieht in Descartes den Schlüssel zur
Wissenschaftsgenese der Neuzeit. Durch die (anti-aristotelische) Einklammerung
der Qualitäten des Organischen und durch Fixierung auf die Quantifizierung der
Objektwelt stelle seine Philosophie den Beginn der unheilvollen technischen
Beherrschung der Welt dar. Für Heidegger ist der Zweifelsansatz nur scheinbar
neu, denn Descartes sei noch fest in der Scholastik verankert. Im „cogito ergo
sum“ sieht Heidegger die „Pflanzung eines verhängnisvollen Vorurteils“, denn
Descartes erkunde zwar die cogitatio, nicht aber die „Ontologie des sum“.
Auch Ludwig Wittgenstein wendet ein, dass ein absolut sicher
gewusstes (vorsprachliches) Fundament gedanklich nicht vollständig einholbar
sei, denn alles geschehe immer schon innerhalb eines präsupponierten (vorausgesetzten)
Systems.
Von dem Historiker und Philosophen Wilhelm Kamlah wurde
Descartes als erster herausragender Repräsentant der in der oberitalienischen
Werkstättentradition der Renaissance entwickelten „Neuen
Wissenschaft“(-sauffassung) mit ihrer spezifischen methodisch durchgeklärten
Verbindung von mathematischer Theorie und technischer Empirie gewürdigt, die
zur Grundlage des modernen Szientismus wurde. Deswegen werde er als „erster
philosophischer Dogmatiker der Mechanik … sachlich und historisch umfassender“
verstanden denn als „Philosoph des cogito sum, der Entdeckung des Selbst aus
dem Zweifel“.[13]
Der Soziologe Norbert Elias sieht in seiner
wissenssoziologischen Analyse Descartes als einen prototypischen Vertreter der
durch den westeuropäischen Integrations- und Staatsbildungsprozess verursachten
Individualisierung. Descartes’ Philosophie sieht Elias als unreflektierten
Ausfluss der damals noch seltenen und seit dem 19. Jahrhundert in Europa weit
verbreiteten menschlichen Selbsterfahrung als isoliertem Individuum, als „homo
clausus“, als „wir-losem Ich“, die seitdem die klassische Erkenntnistheorie
prägte und begrenzte.
Für Foucault zeigt sich bei Descartes Bild der Maschine
„Mensch“ die erste neuzeitlich-philosophische Grundlage für die Herausbildung
der technokratischen und disziplinierenden Prozesse, die im 18. Jahrhundert
eine neue Politik des Körpers und einer neuen Ökonomie der Macht (Biomacht)
einläuteten.
Die Theologin Uta Ranke-Heinemann greift die
religionsphilosophischen Gedanken von Descartes zum Beweis der Existenz Gottes
und zum Leben nach dem Tod auf. Descartes unterscheidet zwischen hartem und
sanftem Beweisen, d. h. zwischen convaincre von lat.vincere = (mit schlagendem
Beweis) besiegen und persuader von lat.suavis = süß, lieblich. Die Liebe Gottes
lässt sich – wie alle Liebe – nicht „hart“ beweisen. (Vgl. dagegen Blaise
Pascal: „Der Gott Abrahams ist nicht der Gott der Philosophen“).
Erkenntnisleitendes Interesse der Theologin ist die Frage nach einem Leben nach
dem Tod. Denn „Gott ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebendigen“ (Mk
12,27). Nach dem Verlust ihres Glaubens sei ihr „der Anfang und der Schluss des
christlichen Glaubensbekenntnisses: Gott und ewiges Leben“ geblieben: „die
Hoffnung und die Liebe“ (Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen
Christentum. 7. Auflage. München 2007, S. 413 ff.).
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