Sonnenwind
Author D.Selzer-McKenzie
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Der Sonnenwind ist ein Strom geladener Teilchen, der ständig
von der Sonne in alle Richtungen abströmt. Im Vergleich zum Sternwind anderer
Fixsterne ist er relativ schwach, muss aber bei der Ursonne stärker gewesen
sein[1].
Gelegentlich wird auch der falsche Begriff Sonnenstaub
(analog zu Sternenstaub) verwendet, was insbesondere bei der Berichterstattung
der Presse zur Genesis-Sonde der Fall war.
Der Sonnenwind besteht hauptsächlich aus Protonen und
Elektronen sowie aus Heliumkernen (Alphateilchen). Andere Atomkerne und
nichtionisierte (elektrisch neutrale) Atome sind kaum enthalten, weshalb der
Sonnenwind ein sogenanntes Plasma darstellt.
Obwohl er aus den äußeren Schichten der Sonne stammt, spiegelt
er die Elementhäufigkeit dieser Schichten nicht exakt wider. Denn durch
Fraktionierungsprozesse (FIP-Effekt) werden manche Elemente im Sonnenwind
angereichert beziehungsweise verdünnt. Im Inneren der Sonne wurden seit ihrer
Entstehung die Elementhäufigkeiten durch die dort ablaufende Kernfusion
geändert; da aber die äußeren Sonnenschichten nicht mit den inneren gemischt
sind, entspricht deren Zusammensetzung noch jener des Urnebels, aus dem sich
das Sonnensystem gebildet hat. Die Erforschung des Sonnenwindes ist deshalb
auch interessant, um sowohl auf die chemische Zusammensetzung als auch auf die
Isotopenhäufigkeiten des Urnebels schließen zu können.
Die Sonne verliert durch den Sonnenwind pro Sekunde etwa
eine Million Tonnen ihrer Masse. Mit zunehmendem Abstand von der Sonne nimmt
die Dichte des Sonnenwindes etwa mit dem Quadrat der Entfernung ab.[2] In
Erdnähe hat der Sonnenwind eine Dichte von ≈ 5 × 106 Teilchen pro Kubikmeter.
Geschwindigkeit und Bewegung
Seitenansicht der Sonne mit idealisiertem Dipolfeld zu einem
Sonnenfleckenminimum: die Feldlinien des Sonnenmagnetfelds (blau) und die
Sonnenwindströmung (rot). In gelb gestrichelt die heliosphärische Stromschicht.
Draufsicht: die unterschiedliche Krümmung der Spiralen des
langsamen (rot) und des schnellen (gelb) Sonnenwinds. In blau die Bahn der Erde
und des Mars.
Man unterscheidet den langsamen und den schnellen
Sonnenwind: Der langsame Sonnenwind verdoppelt seine Geschwindigkeit von 150
km/s im Abstand von 5 Sonnenradien (5·R0) auf 300 km/s im Abstand 25·R0. Im
größten Teil des 30 Sonnenradien großen Beobachtungsfeldes entspricht das einer
konstanten Beschleunigung von 4 m/s².
Der schnelle Sonnenwind, der an den koronalen Löchern
austritt, wird zwischen 1,5·R0 und 2,5·R0 auffallend stark beschleunigt und
besitzt in Bereichsmitte, also bei 2·R0, eine Geschwindigkeit von 300 km/s.
Dabei sind die Sauerstoffionen erheblich schneller als die leichteren Protonen.
Die Messungen durch das Ultraviolet Coronal Spectrometer (UVCS) des
Forschungssatelliten Solar and Heliospheric Observatory ergaben, dass der
schnelle Sonnenwind über den Polen der Sonne erheblich schneller beschleunigt
wird als durch die Thermodynamik erklärt werden kann.[3] Diese Theorie sagt
voraus, dass die Schallgeschwindigkeit etwa vier Sonnenradien über der
Photosphäre überschritten werden sollte. Tatsächlich findet man diese Grenze
bereits in etwa 25 % dieser Distanz. Als Ursache dieser Beschleunigung werden
Alfvén-Wellen angesehen.
Nach seiner anfänglichen rapiden Beschleunigung strömt der
Sonnenwind ab etwa 10 bis 20 Sonnenradien Distanz mit ungefähr konstanter
Überschallgeschwindigkeit weiter. Da die Sonne in ungefähr 27 Tagen eine
Rotation ausführt, strömt der Sonnenwind nicht in gerader Linie, sondern
entlang spiralig gekrümmter Kurven von der Sonne weg, ähnlich dem Wasserstrahl
eines Sprinklers.[4] Je nach ihrer Geschwindigkeit benötigen die Teilchen etwa
1,7 bis 5,7 Tage, um die Region der Erde zu erreichen.[5]
Der schnelle Sonnenwind strömt in steileren Spirallinien als
der langsame Sonnenwind und „holt diesen dadurch ein“. Hierdurch entstehen an
den Kreuzungspunkten Druckwellen, bestehend aus einem vorwärts und einem
rückwärts gerichteten Wellenpaar. Diese werden co-rotating interaction regions
(CIRs) genannt. Mit den Voyager-Sonden wurde entdeckt, dass Gruppen dieser CIRs
ihrerseits miteinander verschmelzen können, wodurch merged interaction regions
(MIRs) entstehen. Diese Interaktionen geschehen typischerweise bis etwa 10 AE.
Jenseits davon bestehen komplexe Strukturen, so dass der Sonnenwind auch in
großer Entfernung kein homogener Fluss ist.[6]
Der Sonnenwind strömt so lange mit Überschallgeschwindigkeit
von der Sonne fort und dünnt sich dabei mit dem Quadrat der Entfernung aus, bis
sein fortwährend geringer werdender Druck den Partikeln und Feldern des lokalen
interstellaren Mediums nicht mehr standhalten kann. An dieser Stelle, die
Termination Shock genannt wird, wird der Sonnenwind abrupt von ca. 350 km/s auf
ca. 130 km/s, und damit auf Unterschallgeschwindigkeit, abgebremst. Dabei
verdichtet er sich und heizt sich auf.[7] Die genaue Form und Größe des
Termination Shocks ist variabel, da sie von Dichteschwankungen des Sonnenwinds
ebenso wie von Stärkeschwankungen des interstellaren Mediums abhängt. Die
Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 erreichten den Termination Shock bei 94 AE
bzw. 84 AE Entfernung.
Außerhalb des Termination Shocks befindet sich die Zone des
Heliosheaths. In dieser vermischen sich die Teilchen des abgebremsten
Sonnenwinds mit denen des lokalen interstellaren Mediums. An der Heliopause
schließlich sind die Sonnenwindteilchen mit dem interstellaren Medium im
Gleichgewicht.
Auswirkungen
Die Magnetosphäre schirmt die Erdoberfläche von den
geladenen Partikeln des Sonnenwindes ab. (nicht maßstabsgetreu)
Eintritt von Sonnenwindpartikeln über die polaren Trichter
Da der Sonnenwind ein elektrisch leitendes Plasma darstellt,
verformt er sowohl das Magnetfeld der Sonne als auch das der Erde. Das irdische
Magnetfeld hält den Teilchenschauer zum größten Teil von der Erde ab. Bei einem
starken Sonnenwind kann das Plasma das Erdmagnetfeld so stark verformen, dass
durch magnetische Rekonnexion geladene Teilchen zur Erde beschleunigt werden
und in den hohen Schichten der Erdatmosphäre Polarlichter hervorrufen. Hierbei
handelt es sich um sogenannte sekundäre Teilchen, da diese nicht von der Sonne
stammen, sondern aus der Magnetosphäre der Erde.
Starke Sonnenwinde haben auch Einfluss auf die Ausbreitung
von elektromagnetischen Wellen und können unter anderem den Kurzwellenfunk und
die Kommunikation mit Satelliten stören. Sonnenwinde und ihre Auswirkungen auf
die Technik sind seit z. B. 1847, 1859, 1921 und 1940 bekannt, weil es zu
Störungen in der Telegraphie, an Signalanlagen der Bahn, bei der
Radiokommunikation und vereinzelt sogar zum explosionsartigen Durchschmoren von
Transformatoren gekommen ist (zu einem Transformatorenausfall ist es z. B. am
13. März 1989 in Quebec gekommen). Es wird für möglich gehalten, dass besonders
starke Sonnenwinde zu einem globalen Totalausfall von Stromversorgung und
Computerfunktionen führen könnten.
Ein deutlich sichtbares Anzeichen für die Existenz des
Sonnenwinds liefern die Kometen: Kometenschweife zeigen immer von der Sonne
weg, denn die Gas- und Staubteilchen, welche die Koma und den Schweif bilden,
werden vom Sonnenwind mitgerissen. Wegen der Spiralform der Sonnenwindströmung
zeigen Kometenschweife nicht exakt von der Sonne weg, sondern in einem leichten
Winkel.
Innerhalb der Heliosphäre gibt es eine Schicht, in der das
Magnetfeld der Sonne seine Polarität ändert. Dadurch entstehen elektrische
Ströme im Sonnenwind, die von Raumsonden gemessen werden konnten. Diese Schicht
ist unregelmäßig geformt und heißt Heliosphärische Stromschicht.
Entdeckung und Erforschung
Bereits beim Carrington-Event von 1859 beobachtete der
Forscher Richard Carrington einen Zusammenhang zwischen Sonnenflares und
zeitlich versetzten irdischen Magnetfeldstürmen, was – obwohl damals
unerklärlich – ein frühes Indiz für die Existenz des Sonnenwindes war. Anfang
des 20. Jahrhunderts vertrat der norwegische Physiker Kristian Birkeland die
Auffassung, die Polarlichter würden durch Teilchenströme von der Sonne
ausgelöst. Seine Idee wurde jedoch ebenso wenig ernst genommen wie die des
deutschen Physikers Ludwig Biermann, der eine „Solare Teilchenstrahlung“
annahm, um die Richtung der Kometenschweife erklären zu können. Astronomen war
aufgefallen, dass die Kometenschweife nicht exakt von der Sonne weg gerichtet
waren, sondern einen kleinen Winkel dazu aufwiesen. Biermann erklärte diese
Eigenschaft 1951 durch die Bewegung des Kometen in einem sich ebenfalls
bewegenden Teilchenstrom, gewissermaßen ein seitliches Abdriften durch die
Strömung. E. N. Parker hat 1959 die englische Bezeichnung solar wind eingeführt
und eine magnetohydrodynamische Theorie zur Beschreibung des Sonnenwindes
vorgeschlagen.
Die Existenz des Sonnenwinds konnte erst 1959 durch die
sowjetische Lunik 1 und 1962 durch die amerikanische Raumsonde Mariner 2 auf
ihrem Weg zur Venus experimentell bestätigt werden. Ein weiterer Meilenstein in
der Erforschung des Sonnenwindes waren die Sonnenwindsegel, die mit Ausnahme
von Apollo 13 und 17 bei allen Mondlandungen aufgestellt wurden und Daten über
die Isotopenhäufigkeiten der Edelgase Helium, Neon und Argon im Sonnenwind
lieferten. Viele weitere Missionen haben zum Verständnis des Sonnenwindes
beigetragen. Die Raumsonden Pioneer 10/11, Voyager 1/2 und die Ulysses-Mission
lieferten Daten des Sonnenwindes außerhalb der Erdumlaufbahn, während Helios
1/2 und die Mariner- und Pioneer-Missionen zur Venus sowie russische
Vega-Sonden Daten von innerhalb der Erdumlaufbahn lieferten. IMP 1–8, AIMP 1/2,
ACE, ISEE 1–3 Sonden sowie das Sonnenobservatorium SOHO und die Raumsonde Wind
lieferten Sonnenwinddaten in Erdnähe. Die Ulysses-Mission lieferte auch Daten
über den Sonnenwind außerhalb der Ekliptik. Im Jahr 2001 wurde die
Genesis-Mission gestartet, bei der hochreine Kristalle in einem der
Lagrange-Punkte (L1) des Erde-Sonne-Systems dem Sonnenwind ausgesetzt wurden
und danach zur Untersuchung zur Erde zurückgebracht werden sollten. Die Mission
schlug bei ihrem Abschluss im Jahr 2004 fehl, weil die Kapsel mit den
Sonnenwindteilchen nicht abgebremst wurde, sondern auf dem Erdboden
zerschellte. Die Raumsonde Voyager 1 hat im Dezember 2004 den Termination Shock
erreicht, und im August 2007 erreichte Voyager 2 diese Grenze und übermittelte
Messdaten.
Es gibt Bemühungen, den Sonnenwind mit Hilfe von
Sonnensegeln zum Antrieb von Raumfahrzeugen zu nutzen.
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