Matthew Boulton 1728-1809
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/g1NK1vjfOTs
Matthew Boulton (* 3. September 1728[1] in Birmingham; † 18.
August 1809 in Birmingham) war ein englischer Ingenieur und Unternehmer der
frühen Industriellen Revolution. Gemeinsam mit James Watt entwickelte und
vertrieb er Dampfmaschinen. Unter dem Einfluss von Joseph Priestley, Thomas Day
und anderen Freunden, die den Gedanken Jean-Jacques Rousseaus nahestanden,
führte Boulton in seinen Fabriken eine Sozialversicherung für seine Mitarbeiter
ein.
Boulton wurde als zweiter Sohn des Unternehmers Matthew
Boulton sen. im Hause seiner Eltern in der damaligen Whitehouse Lane (heute:
Steelhouse Lane) geboren. Sein Vater betrieb auf Snow Hill als toymaker eine
Manufaktur für hochwertige metallische Verzierungen wie Knöpfe und
Schwertscheiden.
Boulton wurde an der öffentlichen Schule Birminghams
unterrichtet, griff aber auch auf die große Bibliothek seines Vaters zurück.
Die damals modischen Experimente mit Elektrizität und Batterien, die sein Vater
wie viele gebildete Personen seiner Zeit unternahm, fachten seinen Wissensdurst
weiter an. Ohne studiert zu haben, kannte er sich in kurzer Zeit in fast allen
wissenschaftlichen Bereichen seiner Zeit aus, legte aber seinen Schwerpunkt auf
die Anwendung der Wissenschaften in der Metallurgie. In seinen Notizbüchern
finden sich viele Ideen und Verfahren, die er entwickelt oder wesentlich
verbessert hatte mit dem Ziel, die Produktionsmethoden seines Vaters zu
optimieren. Mit 17 Jahren verließ Boulton die Schule und trat in die Firma des
Vaters ein. An seinem 21. Geburtstag ernannte der ihn zum gleichberechtigten
Partner.
Im Februar 1749, ein halbes Jahr zuvor, hatte Boulton seine
entfernte Cousine Mary Robinson, die Tochter des begüterten Landeigners Luke
Robinson sen. in Lichfield geheiratet. Mary brachte in die Ehe eine große (in
den Quellen nicht bezifferte) Erbschaft ein, die sie von ihrer Patentante
erhalten hatte. Als ihr Vater im Jahr 1750 starb, erbte sie weitere 3.000 £
(nach heutigem Wert etwa 300.000 €)[2]. Zusätzlich standen Mary nach dem Tod
der Mutter weitere 14.000 £ (etwa 1,5 Millionen €) aus dem Familienvermögen
zu.[3] Damit war der finanzielle Grundstein für die Erfüllung des
unternehmerischen Ehrgeizes Boultons gelegt: Nach dem damaligen Eherecht fiel
das Vermögen der Frau bei der Heirat ihrem Ehegatten zu. Im August 1759 starb
auch Mary überraschend, möglicherweise an Kindbettfieber,[4] und wurde im
Familiengrab in Whittington beigesetzt.
Im selben Jahr wie Mary starb auch Boultons Vater. Dadurch
wurde er zum alleinigen Besitzer des gemeinsamen Unternehmens, dessen Geschicke
er bereits seit 1757 maßgeblich bestimmt hatte. Die Werkstätten des Vaters auf
Snow Hill wurden zu klein, doch das ererbte Vermögen genügte nicht, um den
Bestand der Firma dauerhaft zu sichern.
Weniger als ein Vierteljahr nach Marys Tod begann Boulton,
um deren Schwester Anne zu werben. Er bemühte sich erfolgreich um die
Zustimmung seiner Schwiegermutter. Dagegen lehnte sein Schwager Luke ihn als
Mitgiftjäger ab. Im Mai 1760 erkrankte Annes Mutter schwer und verstarb kurz
darauf, womit an Anne ein Erbe von etwa 28.000 £ fiel. Boulton machte sich
altes englisches Recht zu eigen, „entführte“ seine Braut nach London und
heiratete sie am 25. Juni 1760. Dann versteckte sich das Paar vier Wochen lang
vor allen Menschen. Danach war die Einspruchszeit verstrichen und die Ehe nach
kirchlichem und weltlichem Recht untrennbar. Das Ehepaar bezog Boultons Haus in
Birmingham.
The Soho Manufactory – Von Werkstätten zur Fabrik
→ Hauptartikel: Soho Manufactory
Soho Manufactory in einer zeitgenössischen Ansicht: das
Torhaus
Die zusätzlichen finanziellen Mittel ermöglichten Boulton,
seine Pläne für eine neue, größere Manufaktur zu verwirklichen. Um die
Arbeitseffizienz zu steigern, wollte Boulton ein zentrales Gebäude für alle
Arbeiten errichten. Diese Idee hatte bereits sein Konkurrent John Taylor 1759,
ebenfalls in Birmingham, mit einigem Erfolg verwirklicht. Boulton kopierte und
erweiterte das Konzept um die Möglichkeit des zentralen Maschineneinsatzes, der
eine Massenproduktion, wie sie Boulton vorschwebte, unterstützte und zum Teil
erst ermöglichte.
Drei Kilometer nordwestlich von Birmingham fand sich bei dem
Dorf Handsworth ein passendes Grundstück, das Boulton pachtete. Er ließ die
vorhandenen Gebäude abreißen und neue Fabrikationsgebäude, ein Walzwerk sowie
eine Arbeitersiedlung errichten. Ein bereits existierendes Herrenhaus, das Soho
House, wurde als Zentrale für die Überwachung der Bauarbeiten umgebaut und
später durch einen Neubau ersetzt. Da die Arbeiten zeitaufwendig und teuer
waren, zugleich aber die Arbeiten an der alten Produktionsstätte im Stadtteil
Snow Hill weiter liefen, nahm Boulton 1762 einen Partner in die Firma auf, der
die Bauüberwachung vor Ort übernahm. Mit diesem Partner, John Fothergill,
führte er die Manufaktur bis 1781.
Bis 1764 waren die meisten Gebäude errichtet worden und die
Produktion lief an. Seine Erfahrungen mit der Zentralisierung von Maschinen
führten Boulton zu der Planung eines weiteren Baus, der nicht nur
Maschinenräume, Ateliers und Wohnungen für die Familien der leitenden Angestellten
beinhaltete, sondern durch eine zweistöckige Durchfahrt und einen Uhrenturm als
Repräsentationsbau ausgestaltet wurde. Als 1764 das benötigte Geld zur
Verfügung stand, ließ Boulton seine Planung umsetzen. Dieses Gebäude wurde das
Symbol der Soho Manufactory, die 1765 offiziell eröffnet wurde und rasch
hochrangige Besucher aus aller Welt anlockte, die den Gedanken eines zentralen
Fabrikgebäudes mit maschineller Ausstattung rasch in viele Länder trugen.
Soho Manufactory wurde zum Vorbild für weitere Manufakturen,
die auf ihrem Gelände alle notwendigen Arbeitsplätze und Maschinen
konzentrierten; so arbeitete Boulton an der Planung der Fabrikstadt seines
Freundes Josiah Wedgwood, Etruria, mit. Der finanzielle Erfolg der Fabrik war
aber nicht beständig, obwohl Arbeiten aus Soho in ganz Europa und den
überseeischen Kolonien Englands sehr beliebt waren. Vielmehr experimentierte
Boulton in seiner Fabrik ständig mit neuen, sehr teuren Maschinen, die die
Firma Boulton & Fothergill stark belasteten und oft an den Rand des Ruins
brachten. Während Boulton seine Gelder aus anderen Unternehmungen, zum Beispiel
der Vermietung von Dampfmaschinen, ausgleichen konnte, war es seinem Kompagnon
Fothergill nicht möglich, den für die Partnerschaft aufgenommenen Kredit
zurückzuzahlen. Dies wurde erst 1782, nach Fothergills Tod, von Boulton
übernommen.
Als letzten Schritt zur Konzentration der Arbeitsprozesse
konnte Boulton 1773 die Londoner Eichstelle dazu bewegen, einen Ableger in
Handsworth einzurichten, wo der Edelmetallgehalt seiner Produkte geprüft und
beurkundet werden konnte.
Bei allem öffentlichen Zuspruch wurde wohlwollend ignoriert,
dass Boulton die Grenzen des von ihm gepachteten Geländes eigenmächtig und ohne
finanziellen Ausgleich auf einen Teil der Gemeinweide des Dorfes Handsworth
ausgeweitet hatte. Dies war kein Versehen oder ein Unfall, wie ein 25 Jahre
später von Boulton selbst geschriebener Brief zeigt, in dem er die
Inbesitznahme als wohltätigen Akt darstellt, weil er damit tausend Arbeitern
eine saubere, gesunde Heimstätte geboten hätte, wo zuvor nur einige zerlumpte
Dörfler durch Diebstahl und ebendiese Gemeinweide irgendwie ihr Leben gefristet
hätten. Er würde diese Vorgehensweise weiterempfehlen.[5] Derartige „wilde
Privatisierungen“ von Gemeindeflächen zu Lasten der armen Bevölkerungsteile
waren in Boultons Tagen weit verbreitet, hatten sogar eine eigene Bezeichnung
(„enclosures“). Allerdings wurden diese Flächen sonst zur intensiven
landwirtschaftlichen Bearbeitung genutzt. Boultons Vorgehen war insofern ungewöhnlich.[6]
Boulton & Watt – „what all the world desires to have:
power“
→ Hauptartikel: Boulton & Watt
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Nachdem die Manufaktur nunmehr in Betrieb und innerhalb
kürzester Zeit durch die Qualität und die Bezahlbarkeit der Produkte, die sie
hervorbrachte, in ganz Großbritannien zu großer Bekanntheit gelangte war,
begann Boulton sich über die Effizienzsteigerung seiner Maschinen Gedanken zu
machen. Die mit Wasserkraft betriebenen Geräte waren langsam und von der
Witterung abhängig. Zudem konnten sie ausschließlich an Orten aufgestellt
werden, an denen ein Wasserlauf aufgestaut werden konnte. Dies begrenzte den
Einsatz von Maschinen erheblich.
Schon 1762 hatte Boultons Freund Erasmus Darwin, der
Hausarzt der Familie seiner Frauen, mit Boulton über ein mit einer
Dampfmaschine betriebenes Lokomobil korrespondiert, allerdings unter dem Siegel
der Verschwiegenheit.[7] Die Experimente führten zwar zu keinem brauchbaren
Ergebnis, doch fand Boulton in diesem Projekt die Lösung für sein Problem:
Dampfmaschinen. Sie konnten an beliebigen Orten aufgebaut werden und waren
wetterunabhängig.
Die brauchbaren Konstruktionen arbeiteten mit
Dampfüberdruck, um einen Kolben zu bewegen, der dann die gewünschte Arbeit
ausführte. Aufgrund der damaligen Verarbeitungstechnik konnten aber die Geräte
dem Druck nicht immer standhalten und explodierten. Boulton schloss daher diese
Maschinen als unzuverlässig aus.
Eine andere Konstruktionsart für Dampfmaschinen hatte der
Ingenieur Thomas Newcomen um 1710 entwickelt: die Unterdruck-Dampfmaschine.
Hier wurde der Dampf in die Kammer mit dem Kolben geleitet und kondensierte
dort. Dadurch entstand ein Unterdruck, der den Kolben bewegte. Diese Maschinen
waren aber sehr ineffizient, weil sie einem ungelösten konstruktiven Problem
unterlagen: Um das Vakuum durch die Kondensation des Dampfes zu erzeugen,
musste der Dampfraum kühl sein, doch um die Energie des Dampfes zu nutzen,
musste der Kolben heiß bleiben. Unterdruck-Dampfmaschinen wurden aber trotz
ihrer Ineffizienz eingesetzt, weil sie im Bergbau das in die Schächte
eindringende Grundwasser abpumpen konnten. Aufgrund ihrer Konstruktion konnten
sie sicher, ohne zu platzen, kontinuierlich arbeiten und garantierten so, dass
die Gruben nicht überflutet wurden. Durch ihren sehr hohen Brennstoffbedarf
waren sie aber im Unterhalt sehr teuer.
Watts Dampfmaschine im Modell
Eine Lösung für dieses Problem hatte der Schotte James Watt
gefunden. Er erweiterte den Unterdruckbereich durch eine separate Kammer, in
welcher der Dampf kondensieren konnte, ohne dass die Hauptkammer mit dem Kolben
gekühlt zu werden brauchte. Im April 1765 baute er ein funktionsfähiges Modell
seiner Idee einer Dampfmaschine mit separatem Kondensor, das nun noch in eine
funktionsfähige große Maschine übertragen werden musste. Durch die Vermittlung
eines Freundes fand er finanzielle Unterstützung durch den Kohleminenbesitzer und
Eisenproduzenten Dr. John Roebuck, der die Effizienz seiner Newcomen-Maschinen
steigern wollte. Er bot Watt die Finanzierung seiner Forschung an. Im Gegenzug
wollte er dafür zwei Drittel der Rechte an der Dampfmaschine erhalten. Watt
willigte ein.
Doch was im Modell funktioniert hatte, ließ sich nicht in
die Praxis übertragen. 1766 musste Watt seine Versuche, eine funktionsfähige
Maschine zu erstellen, vorläufig aufgeben. Doch seine Arbeit mit billigeren
Modellen erbrachte neue Ideen, die Watts Dampfmaschine immer kräftiger und
effizienter werden ließen. So leitete er wechselseitig Dampf in das Kolbenrohr
und ersparte damit nicht nur den mechanischen Mechanismus, der den Kolben in
die Ausgangsstellung zurückbrachte, sondern erreichte zugleich mehr und
gleichmäßigere Leistung bei erneut geringerem Energieverbrauch. Am 9. August
1768 reichte Watt ein Patent auf seine Konstruktion ein, das im folgenden Jahr
erteilt wurde.
Roebuck, der die Konstruktionen Watts bezahlt hatte, und
Boulton, der aufstrebende Unternehmer aus Birmingham, waren Geschäftspartner.
So dauerte es nicht lange und Boulton erfuhr von Watts Versuchen und Ideen.
Boulton zeigte Interesse an dem Kauf der Wattschen Ideen, doch Roebuck bot ihm
nur einen Lizenzvertrag an, den Boulton ablehnte. Stattdessen nahm er Kontakt
zu Watt auf, um sich direkt beim Erfinder über die Möglichkeiten seiner
Konstruktion zu erkundigen. Ab 1768 standen die beiden in Kontakt miteinander,
der sehr rasch von einer geschäftlichen auf eine freundschaftliche Basis wechselte.
Boulton bewunderte gegenüber seinen Freunden offen das Genie und die
Erfindungsgabe seines neuen Freundes Watt, während Watt die
Menschenfreundlichkeit und den gleichzeitigen Geschäftssinn Boultons lobte. Bei
beiden hielt die Hochachtung bis ans Lebensende; Watt wird nach Boultons Tod
versichern, dass sie in 35 Jahren engster Zusammenarbeit nicht die kleinste
Differenz gehabt hätten.[8]
Als Roebuck in wirtschaftliche Turbulenzen geriet, lieh er
sich von Boulton 1.200 £., die er bis zu seinem Konkurs 1772 schuldig blieb.
Boulton hielt sich schadlos, indem er die Zwei-Drittel-Eigentümerschaft an
Watts Patent übernahm. Im selben Jahr starb Watts erste Frau; der Erfinder
siedelte daraufhin nach Birmingham um.
Gemeinsam planten die beiden Freunde eine neue Fabrik,
diesmal nicht für Knöpfe, sondern für Dampfmaschinen. Sie entschlossen sich,
die Einzelteile ihrer Dampfmaschinen von Subunternehmern herstellen und
anliefern zu lassen, und gründeten 1775 ihre gemeinsame Firma: Boulton &
Watt. Beide Partner waren gleichberechtigt, will heißen: Boulton gab seine
Zwei-Drittel-Mehrheit am Patent auf und beanspruchte nur noch einen 50 %
Anteil. Er nutzte seine Beziehungen zu Mitgliedern des britischen Parlaments
und erreichte eine Verlängerung des Patents von 6 auf 30 Jahre. Boulton und
Watt behinderten nachfolgend erfolgreich die Weiterentwicklung der
Dampfmaschine durch konkurrierende Ingenieure. So verklagten sie den Erfinder
der Hornblower-Dampfmaschine, welche einen höheren Wirkungsgrad möglich machte,
wegen Patentverletzung und konnten so eine Weiterentwicklung stoppen. [9][10]
Das Gelände der ehemaligen Dampfmaschinenfabrik Soho Foundry
im Jahr 2007.
Watts Dampfmaschine war etwa viermal stärker als ihr
Vorläufer und wurde von Grubenbesitzern eingesetzt, um ihre Stollen frei von
Grundwasser zu halten. Da Watt durch die Menge an Arbeit überlastet war,
suchten die Freunde nach einem weiteren ideenreichen Konstrukteur. Sie fanden
ihn 1777 in der Person von William Murdoch, ebenfalls Schotte wie Watt. Murdoch
bereicherte die Firma mit einer Vielzahl von Verbesserungen an bestehenden
Konstruktionen und mit völlig neuen Erfindungen. Schließlich brachte Boulton
& Watt eine Variante der Wattschen Dampfmaschine heraus, mit der die zuvor
ausschließlich lineare Bewegung des Antriebs in eine Rotation überführt wurde.
Dadurch war der nahezu beliebige Einsatz der Maschine für jede denkbare Aufgabe
möglich; die bereits angelaufene Industrialisierung Großbritanniens bekam so
ihren entscheidenden Anstoß. Bis 1790 standen in den Bergwerken und Fabriken
der Insel mehr als 500 Dampfmaschinen aus dem Hause Boulton & Watt sowie
hunderte weitere aus anderen Fabriken.
Der Erfolg der Firma führte schließlich zur Gründung einer
eigenen Fabrik in Smethwick: der Soho Foundry, die 1848 in James Watt & Co
umbenannt und 1895 in einen größeren Konzern eingegliedert wurde. Das Gelände
wird heute zum Teil als Schrottplatz genutzt.
Geld durch Geld: die Soho Mint
Sobald die Dampfmaschinenfabrik aus den
Anfangsschwierigkeiten heraus war, sah Boulton sich nach neuen Projekten um.
Dabei geriet ihm ein bereits 20 Jahre zuvor erfolglos verfolgter Gedanke erneut
in den Sinn: Die britische Wirtschaft verlangte nach kleinwertigen Münzen,
besonders Kupfermünzen. Pläne für eine eigene Münzprägeanstalt begannen in
Boulton zu reifen. Durch große Überproduktion waren seine Kupfergruben
unrentabel und standen kurz vor der Schließung; in seiner Soho Manufactory war
die Kunst der Metallverarbeitung zu Hause, und für die schwere Prägearbeit
standen ein wasserkraftbetriebenes Walzwerk für die Blechproduktion,
dampfkraftbetriebene Stanzen für die Herstellung der Münzrohlinge und
Dampfmaschinen zum Prägen der Münzen zur Verfügung. Diese Bereiche mussten nur
zusammengeführt und um wenige neue Vorrichtungen ergänzt werden.
Bei einer Geschäftsreise nach Frankreich besuchte Boulton
die Pariser Münzanstalt und lernte dabei den Graveur und Konstrukteur Jean
Pierre Droz kennen. Droz hatte einige Verbesserungen vorgeschlagen, die aber
von der königlichen Münze abgelehnt worden waren. So wollte er die Münzen
während der Prägung in einen starken Rahmen einbinden, der mit gravierten
Mustern und Schriftzügen ausgestattet werden konnte. So wäre sichergestellt
worden, dass alle Münzen gleiche Durchmesser und gleiche Höhe hätten, was die
Verfälschung der Münzen durch Abfeilen von Edelmetall an den Rändern nahezu
unmöglich machte. Boulton übernahm nicht nur die Idee, sondern auch den Mann.
Ab 1787 arbeitete Droz in Handsworth und begann, dort fälschungssichere Münzen
zu gestalten.
Erster Kunde für die neuen Maschinen war die East India
Company für ihren Handel auf Sumatra. Sie bestellte 1786, noch vor der
Fertigstellung des neuen Maschinenhauses, 100 Tonnen Kupfermünzen, die Boulton
rasch und in der gewünschten Qualität lieferte. Weitere Aufträge folgten
umgehend; so bestellten die amerikanischen Kolonien Kupfergeld bei Boulton, und
auch Frankreich, Russland und Sierra Leone ließen bei ihm Münzgeld prägen. Auch
reiche Privatleute verlangten nach eigenen Münzen. So ließ der erfolgreiche Kanonenproduzent
John Wilkinson 1787 eigene Münzen in der Soho Mint herstellen, die zum Symbol
der Änderungen der Machtverhältnisse durch die Industrielle Revolution wurden:
Zum ersten Mal in der Geschichte des englischen Münzwesens prangte das Porträt
eines ungekrönten Hauptes, eines Unternehmers, auf einer Münze. Umrahmt wurde
Wilkinsons Porträt von seinem Namen und seinem Beruf: „John Wilkinson Iron
Master“.
In einem 1788 neu errichteten Werkgebäude für seine Soho
Mint ließ Boulton statt der bis dahin üblichen langsamen und schweren manuellen
Prägepressen, die von zwei starken Männern bedient werden mussten,
Dampfmaschinen mit Stempelkolben aufstellen, die später im Dauereinsatz nur von
je einem zwölfjährigen Jungen überwacht werden mussten; einzige Aufgabe der
Jungen war, die Maschinen ein- oder auszuschalten. Boulton ließ diese Jungen in
weißer Dienstkleidung arbeiten, die einmal wöchentlich gewaschen wurde, um so
zu verdeutlichen, dass die Jungen keine körperliche Arbeit zu leisten hatten.
Zusätzlich wurde die Arbeitsdauer der Jungen auf 10 Stunden pro Tag festgelegt
– wesentlich weniger als die sonst üblichen Arbeitszeiten der Epoche. So
demonstrierte Boulton nicht nur die Effizienz seiner neuen Dampfmaschinen und
ihre „kinderleichte“ Bedienung, sondern konnte zugleich die Rousseauschen
Gedanken der Entlastung der Kinder von Arbeit verwirklichen. Durch zusätzliche
automatische Zuführung von Rohlingen und dem maschinellen Ausstoß der fertigen
Münzen erzeugten die Prägemaschinen in dieser ersten Serienproduktion zwischen
50 und 120 Münzen pro Minute, abhängig von der Größe der zu prägenden Münzen.
Erst 1797 erfolgte der erste Prägeauftrag des britischen
Parlaments über Kupfermünzen[11]. Es handelte sich dabei um einen Auftrag über
45 Millionen Pennys und Twopence-Münzen.[12], die unter dem Namen Cartwheel
Pennys bekannt wurden. Damit war der geschäftliche Erfolg auch dieser
Unternehmung dauerhaft sichergestellt.
Nicht nur Münzgeld wurde in der Soho Mint geprägt. Rasch
wurden auch Künstler auf die Möglichkeiten aufmerksam, die die neuen
Prägemaschinen boten. Es dauerte nicht lange und eine Flut von Medaillen und
Gedenkmünzen zu allen möglichen Ereignissen und Personen ergoss sich auf den
Markt, wo sie reißenden Absatz fanden. Und wieder war Boulton der Auslöser
dieser Mode: So konnte er weitere Vorräte des sonst schwer verkäuflichen
Kupfers aus seinen Minen in Gold umwandeln und zugleich die Skulpteure und
Bildhauer, die die Münzen gestalteten, sinnvoll beschäftigen, wenn es keine
anderen Münzaufträge gab.
The Lunar Society – Ein Thinktank
→ Hauptartikel: Lunar Society
Boulton war in einem Umfeld aufgewachsen, das ihm den Wunsch
nach Bildung nicht nur nahebrachte, sondern seine bereits vorhandene Neugier
förderte, nicht aber sättigen konnte. Boulton hatte, größtenteils im
Selbststudium, später auch mit eigenen Experimenten, Wissen aus allen Bereichen
der damaligen Wissenschaften gesammelt, das er dann in Form von Verbesserungen
seiner Produkte einsetzte. Dadurch konnte er die Qualität seiner Waren so weit
steigern, dass er sich mit seiner Firma nicht nur in England und seinen
Kolonien einen Namen machte, sondern auch auf dem europäischen Kontinent. Dies
förderte, neben der Neugier und dem ausgeprägten Geschäftssinn, einen weiteren
wesentlichen Charakterzug Boultons: seine Ruhmsucht. Sein Freund James Watt
würde später diesen Wesenszug sogar über den Geschäftssinn Boultons stellen.[8]
Diese drei wichtigen Wesenszüge Boultons fanden in einer
zufälligen Begegnung einen Unterstützer, der nicht nur in der Lage war, sie zu
erkennen, sondern auch, sie zu formen: Erasmus Darwin, hochgebildeter Mediziner
und Forscher aus Lichfield. Darwin war der Arzt der Familie Robinson, aus der
Boultons Frauen stammten. Der genaue Zeitpunkt ihres ersten Treffens ist nicht
überliefert, doch bereits 1762 ist ihr Briefwechsel so sehr von freundschaftlicher
Nähe und gemeinsamem Forschungsdrang geprägt, dass Darwin dem Geschäftsmann
Boulton unter dem Siegel der Verschwiegenheit von seinen Experimenten zur
Konstruktion eines dampfgetriebenen Fahrzeuges erzählt.
In jenen Tagen entwickelten sich die Grundzüge der heutigen
Wissenschaft aus den Traditionen der vergangenen Jahrhunderte mit ihren stark
religiös geprägten und begrenzten Vorstellungen. In vielen Gegenden Europas
trafen sich begüterte und gebildete Personen – soll heißen: manchmal auch
Frauen und sogar Kinder – zu regelmäßigen Gesellschaften, in denen über neue
Beobachtungen, Ideen und Folgerungen aus den Bereichen der Natur- und
Geisteswissenschaften gesprochen wurde. Gelegentlich kam es sogar zu
Vorführungen; so waren zum Beispiel öffentliche Experimente auf dem Gebiet der
frisch entdeckten Elektrizität mit all ihren spektakulären Funken und Effekten
eine ausgeprägte Modeerscheinung in jenen Zirkeln.
Auch Boulton und Darwin wollten den Grundstein für solch
einen Zirkel legen, der aber weniger der amüsanten Zerstreuung als dem
gemeinsamen, effektiven Forschen und der Suche nach neuen Wahrheiten dienen
sollte. Nachdem Boulton seine Soho Manufactory in Betrieb genommen hatte,
schien den beiden der richtige Zeitpunkt gekommen, einen solchen Zirkel ins
Leben zu rufen. Da sie sich immer zu Vollmond am nächstliegenden Montag treffen
wollten, um in den Straßen ohne Beleuchtung gut heimzufinden, nannten sie ihre
Gruppe The Lunar Society, sich selbst augenzwinkernd Lunatics – „Wahnsinnige“.
Der Gedanke fiel auf fruchtbaren Boden. Innerhalb kürzester
Zeit etablierte sich ein Kreis von Philosophen und Wissenschaftlern,
Unternehmern und Künstlern der Umgebung, die aufeinander einwirkten, ihre
Möglichkeiten kombinierten und so Natur- und Geisteswissenschaften, aber auch
die englische Wirtschaft und ihre Industrialisierung nachhaltig beeinflussten.
So konstruierte der Instrumentenbauer (wir würden ihn heute als Feinmechaniker
bezeichnen) John Whitehurst ein Thermometer, das auch die Temperaturen von
geschmolzenem Eisen sehr genau ermitteln konnte. Boulton finanzierte die
Entwicklung und profitierte umgekehrt durch verbesserte Produktionsmethoden
sowohl in seinen kunstgewerblichen Produkten als auch in der Herstellung der
Dampfmaschinen.
Doch auch die Geisteswissenschaften prägten die Gespräche
der Lunatics; besonders die humanistischen Vorstellungen des französischen
Philosophen Jean-Jacques Rousseau waren in der Gruppe hoch angesehen. Auch sie
formten Boultons Vorstellungen davon, was er als Herr seiner Arbeiter und deren
Familien – so sah er sich: als merkantilen Fürsten – für deren Wohlergehen
bewirken konnte. Ihnen entsprang zum Beispiel Boultons Idee, eine
Sozialversicherung für seine Arbeiter einzuführen. Im Jahr der Erklärung der
Menschenrechte, 1792, führte er die Soho Insurance Society in seinen Werken
ein. Sie funktionierte, wie die modernen Sozialsysteme, nach dem
Solidaritätsprinzip: Jeder Arbeiter zahlte ein Sechzigstel seines Lohnes in
eine gemeinsame Kasse ein, aus der er bis zu 80 % seines Lohnes als Fortzahlung
bekam, wenn er krank oder verletzt war. Im Todesfall war die Familie seines
Arbeitnehmers mit dem gleichen Betrag abgesichert. Boulton bürgte freiwillig
mit seinem Privatvermögen, um mögliche Unterdeckungen zu verhindern.
Ebenfalls aus dem Rousseauschen Gedankengut entsprang
Boultons Weigerung, billige Kinderarbeiter einzustellen. Kinder gehörten seiner
Meinung nach in eine Schule. Damit war Boulton, weit vor der Einführung der
allgemeinen Schulpflicht in England, ein Vorreiter der Kinderrechte geworden.
Allerdings wurde damals der Begriff Kind etwas anders gesehen; so beschäftigte
Boulton in seiner Münze zwölfjährige Jungen, wenn auch ausschließlich, um die
Prägemaschinen an- und abzustellen, also ohne körperliche Anstrengungen. Zum
Vergleich: In England wurden zum selben Zeitpunkt Vierjährige für schwere
körperliche Arbeiten in Bergwerken eingesetzt; dies galt als völlig normal.
Boulton, der trotz seiner starken beruflichen Belastungen
selbst mit eigenen Experimenten und Überlegungen nützlich zu sein versuchte,
wurde am 24. November 1785 in die Royal Society gewählt.[13] Auf seiner
Wahlbestätigung finden sich auch drei Unterschriften von Freunden aus der Lunar
Society: Joseph Priestley, John Whitehurst und Josiah Wedgwood. Eine besondere
wissenschaftliche Leistung wurde dabei nicht hervorgehoben.[14]
Tod und Nachruhm
Die „Golden Boys“: Statue von Boulton, Murdoch und Watt in
Birmingham
Boulton starb achtzigjährig am 18. August 1809 in seinem
Haus in Birmingham. Er wurde, wie später auch seine Partner und Freunde Watt
und Murdoch, auf dem Friedhof der St. Mary's Church in Handsworth (heute
Birmingham) beigesetzt.
Die Firma Boulton & Watt war bereits im Jahr 1800, ein
Jahr nach Ablauf des Schutzmonopols der Watt'schen Dampfmaschine, in die Hände
der beiden Söhne der Gründer übergegangen. Matthew Robinson Boulton und James
Watt jr. stellten die Besucherführungen ein und bauten langsam die sozialen
Errungenschaften der Gründer wieder ab. Die Firma wurde 1910 liquidiert.
Nach dem Tode James Watts jr. im Jahr 1842 wurde Soho
Manufactory geschlossen und ab 1848 größtenteils abgerissen; das Wohnhaus der
Boultons sowie einige Nebengebäude blieben erhalten. Das Anwesen Soho House ist
heute ein Museum. Auf dem Gelände der ehemaligen Manufaktur wurden Reihenhäuser
errichtet, die auch das Herrenhaus weitgehend umschließen.
Ein umfangreiches Archiv von Boultons Briefen und Notizen
befinden sich in der Birmingham Central Library. Es wurde 1910 angelegt, als
die Firma Boulton & Watt liquidiert und die Geschäftsunterlagen der Stadt
übereignet wurden. Ebenso sind dort private Briefe Boultons archiviert.
Inzwischen werden Briefe und Notizbücher aus diesem Archiv systematisch in
elektronisch lesbare Form übertragen und im Internet verfügbar gemacht.
In Birmingham erinnern auch die so genannten Mondsteine an
den Mitbegründer der Lunar Society; ebenso existieren eine Statue von ihm, Watt
und Murdoch von 1956[15], das nach ihm benannte Matthew Boulton College und die
Boulton Road, ebenfalls alle in Birmingham. Auch in Smethwick existiert eine
Boulton Road. Boulton gilt bis heute als einer der wichtigsten Pioniere der
frühen Industriellen Revolution, der aber im Schatten des Ruhmes seines
Partners James Watt steht.
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