Apps im Operationssaal
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/kMA-TfjKh04
Apps sind in Krankenhäusern nichts Neues. Mit den einfach
anzuwendenden Programmen auf Tablet-Computern und Smartphones werden angehende
Mediziner geschult, und sie unterstützen den Informationsaus-tausch von Ärzten
und Pflegern. Nun sollen sie auch bei Operationen helfen.
Ganz vorne mit dabei ist das Univer-sitätsklinikum Yokohama
in Japan. Die Ärzte Itaru Endo und Ryusei Matsuyma-ma planen dort seit Jahren
ihre Eingriffe an der Leber mithilfe von 3D-Bildern, die vorher mit einem
Computertomografen aufgenommen wurden — und einer deutschen Software. Sie
rechnet aus, wie in der erkrankten Leber des Patienten das verästelte System
aus Adern und Venen verläuft, durch das pro Minute rund eineinhalb Liter Blut
fließen — eine wichtige Information, um zum Beispiel das Skalpell beim
Entfernen eines Tumors richtig anzusetzen. Doch dabei gibt es ein Problem:
Während der Operation haben die Chirurgen die Bilder und Planungsdaten nicht
vor Augen, sondern müssen sich auf ihre Erinnerung oder auf Papierausdrucke
verlassen.
Itaru Endo nahm daher Kontakt mit MEVIS auf, dem
Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medien in Bremen, dessen Wissenschaftler
die Software entwickelt hatten — und MEVIS-Informatiker Alexander Köhn reiste
für drei Monate nach Japan. Das Ergebnis ist eine Tablet-App, die es den Ärzten
erlaubt, den OP-Verlauf direkt am Operationstisch mit den Planungsdaten zu
vergleichen. Vor allem aber lässt sich mit der Kamera des Tablets die Leber
während der OP filmen, um dann den errechneten Verlauf der Blutgefäße in das
reale Bild einzublenden. „Mit dieser Funktion können die Ärzte quasi wie mit
Röntgenblick in das Organ hin-einschauen und das Gefäßsystem sehen",
erläutert Köhn.
Per Fingertipp zum Blutgefäß
Die App bietet noch mehr Möglichkeiten: So kann der Arzt mit
einem Fingertipp auf den Touchscreen ein Blutgefäß auswählen. Die App berechnet
das davon abhängige Lebergewebe und zeigt es an. Wenn aufgrund einer weiteren
Metastase dieses Gefäß durchtrennt werden muss, kann
der Chirurg einen neuen Schnitt planen und das damit
verbunden Risiko direkt im Operationssaal abschätzen.
15 Operationen haben Itaru Endo und sein Team bis Mitte Juni
mit dem MEVIS-System ausgeführt. „Es sieht so aus, als würde sich im Vergleich
zu vorherigen vergleichbaren Eingriffen die Operationszeit verkürzen und der
Blutverlust verringern", berichtet MEVIS-Pressereferentin Bianka Hofmann
und beruft sich dabei auf Fachvorträge der japanischen Ärzte. Diese wollen insgesamt
50 Mal mit Unterstützung des MEVIS-Systems operieren, bevor sie ein Resümee
ziehen. In Deutschland hatte die App ihren ersten Einsatz im August 2013 bei
einer Leberoperation durch ein Chirurgenteam der Asklepios Klinik Barmbek.
Chefarzt Karl Oldhafer attestierte der Methode danach großes Potenzial.
Auch Urologen der SLK-Kliniken in Heilbronn und der
Universitätsklinik Heidelberg um Jens Rassweiler erproben derzeit bei
Operationen eine spezielle Kombination von Tablet-Computer und App. Das
sogenannte SurgeryPad, entwickelt am Deutschen Krebsforschungs-zentrum (DKFZ)
in Heidelberg, nutzt die Kamera eines iPad, um die Körperoberfläche des
Patienten zu filmen. Auf das Bild dieser Oberfläche projiziert die App eine
3D-Darstellung der Organe, die aus zuvor aufgenommenen computertomo-grafischen
Bildern berechnet wurde. Dabei sieht der Arzt beispielsweise die virtuelle
Niere immer genau aus demselben Blickwinkel, aus dem er auch den Patienten
betrachtet. Denn mithilfe von farbigen Markierungen auf der Haut des Patienten
gleicht die App die räumliche Ausrichtung des iPad innerhalb von
Sekundenbruch-teilen mit der virtuellen Ansicht aus dem Körperinneren ab.
Aufgrund dieser automatischen Überlagerung von Bilddaten
bezeichnet Entwickler Michael Müller vom DKFZ das SurgeryPad als „weltweit
einzigartig". Beim MEVIS-System erfolgt die Überlagerung dagegen manuell.
„Eine vollautomatische Anpassung würde eine Erwartung an die Genauigkeit
hervorrufen, die das iPad und wenige Markierungen außen auf der Leber nicht
leisten können", erklärt Andrea Schenk, Leiterin Leberforschung am
Fraunhofer MEVIS,
„weil dieses Organ weit verformbarer ist als etwa die
Niere."
Die Entwicklung des SurgeryPad er-folgte mit Blick auf ein
Operationsver-fahren, das Mediziner häufig anwenden, um große Nierensteine zu
entfernen: Die Ärzte stechen mit einer Nadel durch die Haut und dringen dann
unter Röntgenkontrolle zu dem Stein vor.
Ob dabei das SurgeryPad hilfreich ist, haben zwei erfahrene
Operateure und ein Assistenzarzt 2013 getestet — an einem Modell aus der Niere
eines toten Schweins, umhüllt von einem Gelatine-Block. Das Ergebnis war
positiv: Der Assistenzarzt brauchte mit dem Surgery-Pad rund 20 Prozent weniger
Zeit für die Nierenpunktion als ohne das System. Und: Die Ärzte konnten die
Röntgenstrahlung während der Nadel-Navigation verringern.
Aufgrund dieses ermutigenden Ergebnisses erfolgten erste
Eingriffe an Nierenstein-Patienten. Derzeit läuft eine klinische Studie, die
die Urologin Marie-Claire Rassweiler von der Universitätsklinik Mannheim
koordiniert. „Nach den Erfahrungen der bisherigen 25 Nierenstein-
Auf dem Tablet wird der Verlauf der Blutgefäße während einer
Leberoperation eingeblendet (links: Karl Oldhafer, Chefarzt an der Asklepios
Klinik Hamburg-Barmbek).
Operationen denken wir, dass der Einsatz des SurgeryPad bei
komplizierten Fällen sinnvoll ist — etwa bei anatomischen Besonderheiten oder
Organschäden aufgrund früherer Operationen", sagt sie. Für eine endgültige
Beurteilung sei es aber noch zu früh.
Zwei Apps, ein Navi und eine Datenbrille
Das DKFZ hat das SurgeryPad als Exponat auf dem
Ausstellungsschiff „MS Wissenschaft" platziert, das derzeit fünf Monate
lang durch Deutschland tourt. iPad-Hersteller Apple schlägt derweil die
Wer-betrommel für das MEVIS-System: Der TV-Spot „Life an iPad" zeigt eine
Operationsszene unter Tablet-Einsatz.
Beide Operations-Apps müssen sich gegen High-Tech-Konkurrenz
durchset-zen. So waren die Forscher am Fraunhofer MEVIS auch an der Entwicklung
des inzwischen zertifizierten Navigationssystems des schweizerischen
Unternehmens CAScination aus Bern beteiligt. Dabei werden Ultraschallbilder mit
3D- Modelldaten des Patienten abgeglichen, die aus radiologischen Bildern vor
der Operation berechnet wurden. Außerdem arbeiten MEVIS-Wissenschaftler daran,
3D-Bilder und Planungsdaten direkt auf ein Organ oder das OP-Tuch zu
projizieren. Vielversprechend ist vor allem die Datenbrille „Glass" des
Internet-Giganten Google, die in Europa möglicherweise Ende 2014 auf den Markt
kommen wird. Sie scheint wie geschaffen für einen Einsatz im Ope-
rationssaal.
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