Fracking
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/XCXePhZ8KU8
Häuser äuser aus rotem Backstein, Äcker so weit das Auge
reicht, ab und an ein Windrad: Böter-sen ist ein typisch niedersächsisches Dorf
mit rund 1000 Einwohnern. Am Ortsrand befindet sich ein Betonplatz, etwa so
groß wie ein Fußballfeld, umrankt von einer mannshohen Hecke und mit
Stachel-drahtzaun gegen unerwünschte Eindringlinge gesichert. In der Mitte des
Platzes steht eine Fördereinheit, ungefähr drei Meter im Durchmesser. Aus 4800
Metern Tiefe holt sie Erdgas, das sich vor Jahrmillionen in den Poren von
Sandstein gesammelt hat. Das geförderte Gas strömt nur wenige Meter in einer
oberirdischen Leitung, danach wird es unter den Äckern zu einer zentralen
Reinigungsstation in einigen Kilometern Entfernung transportiert.
Es sind Plätze wie dieser, die Deutschland ein wenig
unabhängiger von russischem Erdgas machen sollen. Denn gut
Kompakt
Fracking zur Erdgasgewinnung wird in Deutschland bereits
seit 1961 eingesetzt.
Eine Verunreinigung des Trinkwassers ist aus
geowissenschaftlicher Sicht aus-zuschließen.
Forschungsbedarf besteht vor allem hinsichtlich der
Erdgasmengen, die sich wirtschaftlich fördern lassen.
ein Drittel des hierzulande verbrauchten Erdgases stammt aus
dem Osten. Zweitgrößter Lieferant ist gleich danach Norwegen mit einem Anteil
von 31 Prozent. Doch dort wie in anderen westeuropäischen Ländern geht die
Förderung kontinuierlich zurück. Das gilt auch für Erdgas in Deutschland,
dessen Fördermenge nur 12 Prozent des Verbrauchs abdeckt.
Reichlich Gas unter deutschem Boden
Dabei wäre unter deutschem Boden genug Erdgas vorhanden: Auf
bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter schätzen Experten der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover allein das in Schiefergestein
gespeicherte Gas. Mitte 2015 soll es eine neue Abschätzung geben. Die Prognose
wird darin laut BGR-Präsident Hans-Joachim Kümpel wohl etwas nach unten
korrigiert. Dennoch könnten vermutlich 60 Jahre lang jährlich zwölf Milliarden
Kubikmeter Erdgas in Deutschland gewonnen werden. Das entspricht bei heutigen
Preisen einem Wert von 240 Milliarden Euro. Hinzu kommt das Erdgas, das in
Sandsteinschichten la-gert und das in Niedersachsen bereits seit rund 50 Jahren
gewonnen wird. Das Problem: Um an die verbleibenden Reserven zu kommen, genügt
einfaches Bohren nicht. Denn das Gas ist im Gestein so fein verteilt, dass
dieses zunächst aufgebrochen werden muss.
Doch das hydraulische „Fracking" ist '1 in Verruf.
Maria Krautzberger, Leiterin :1 des Umweltbundesamts, spricht von einer
„Hochrisikotechnologie". 95 Prozent der Deutschen befürchten dadurch eine
Verunreinigung des Trinkwassers, so eine aktuelle Studie des Leipziger Helmholtz-Zentrums
für Umweltforschung. Bürgerinitiativen vermuten gar, dass Fracking Erdbeben
auslösen kann. Aus den USA, wo es bereits mehr als 10 000 Frack-Boh-rungen (
„Fracks" ) zur Gas- und vor allem zur Erdölgewinnung gibt, kommen
alarmierende Meldungen zur Verseuchung von Luft, Böden und
Oberflächengewässern. Bei flüchtiger Betrachtung kann es
nur einen Schluss geben: Fracking sollte hierzulande
verboten werden, so wie es Bulgarien und Frankreich bereits getan haben.
Erstaunlich jedoch: Viele Geologen halten die Risiken zumindest für
beherrschbar.
Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung und
wissenschaftlicher Einschätzung verlangt nach Aufklärung. Hilfreich ist da eine
Reise nach Niedersachsen, denn dort lagert nicht nur ein großer Teil der
Sandstein- und Schiefergasvorkommen — von Fachleuten zusammen mit Kohle-flözgas
als „unkonventionelle Quellen"
bezeichnet. In Niedersachsen wird bereits seit 1961 mit
Fracking gearbeitet. Allein 2008, im bisherigen Rekordjahr, wurden in ganz
Deutschland 35 Frack-Bohrungen niedergebracht.
Mitte 2011 erfolgte dann ein Moratorium: Seither bearbeiten
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen keine Genehmigungsanträge mehr. Ursache
für das Einfrieren der Fracking-Aktivitäten War der Plan der Bundesregierung.
für
Fracking erstmals gesetzliche Besir -
gen zu erlassen, die über das nc:77-i..t Bergbaugesetz
hinausgehen. Zuvordie Branche weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit
gearbeitet.
Gefrackt wird in Deutschland trotz-dem, wenn auch nicht zur
Erdgasgewinnung. Am 16. Juni 2014 „stimulierten" Techniker der Firma
Halliburton in dem kleinen Ort Saal in Mecklenburg-Vorpommern eine
Erdölbohrung. Dazu pumpten sie 450 Kubikmeter Flüssigkeit unter hohem Druck in
eine 2700 Meter tiefe Lagerstätte, um den Abfluss des Erdöls zu verbessern.
Auftraggeber war das deutsch-kanadische Unternehmen Central European Petroleum
(CEP).
Spezialdienstleister, die Wasserqualität und seismische
Aktivitäten beobachteten,
begleiteten das Experiment. Alle zehn Minuten wurden
Wasserproben entnommen und sofort im Labor untersucht. Dutzende von Sensoren
registrierten jede Erschütterung. Ergebnis: Es gab weder verseuchtes
Trinkwasser noch ein Erdbeben.
Dass Fracking hierzulande ein so negatives Image hat, liegt
wohl auch an dem Film „Gasland", den der US-Regisseur Josh Fox 2010
produziert hat. Der Streifen, der für einen Oscar nominiert wurde, zeigt unter
anderem brennende Wasserhähne und schlammige Mondlandschaften voller
Fördertürme — als Folge von Fra-cking. Obwohl viele der Aussagen des Films später
revidiert werden mussten
Einer der Orte in Deutschland, wo bereits in tiefen
geologischen Schichten gefrackt wird: das niedersächsische Völkersen.
— so rührte ein brennender Wasserhahn von einer undichten
Gasleitung im Haus her —, bestimmen sie die Bilder in den Köpfen vieler
Menschen.
Harald Kassner hat das selbst erlebt. Seit vielen Jahren
begleitet der Chemiker für seinen Arbeitgeber Exxon Mobil Deutschland die
Erdgasförderung in Niedersachsen. „Unseren Leuten schlägt manchmal der blanke
Hass entgegen", berichtet er. In Einzelfällen hätten die Kinder von
Mitarbeitern sogar die Schule wechseln müssen.
Erst spät ging Kassners Arbeitgeber in die Offensive und
informierte die Bevölkerung mit mobilen Ständen und Veranstaltungen über
Streitthemen wie den Landschaftsverbrauch. Der hängt schlicht davon ab, wie
viele Bohrungen von einem Bohrplatz aus vorgenommen werden können. In ihren
Anfängen war die Erdöl-und Erdgasindustrie darauf angewiesen, ein größeres
Reservoir mit einer Vertikal-bohrung direkt zu treffen. In den USA werden
derzeit nach Expertenschätzung noch rund 70 Prozent aller Bohrungen rein
vertikal ausgeführt.
Doch schon in den 1930er-Jahren entwickelten John Eastman
und George Fai-ling in den Vereinigten Staaten die Grundlagen der Horizontalbohrung
— einer Methode, die zunächst für die konventionelle Förderung entwickelt wurde
und die heute zum Standardrepertoire der Förderunternehmen gehört. Für das
Erschließen von deutschem Schiefergas ist horizontales Bohren die einzige
wirtschaftliche Methode, denn die Gesteinsschichten sind oft nicht besonders
dick. Die „Mächtigkeit" beträgt beim Posidonienschiefer, einer der
potentesten Lagerstätten hierzulande, lediglich 20 bis 50 Meter.
Aus technischen Gründen verläuft die Bohrung beim
horizontalen Verfahren ohne Knick, sondern folgt einer Kurve mit relativ großem
Radius. Die Ablenkung beträgt maximal 15 Grad auf 30 Meter, in der Praxis sind
es sogar oft nur 3 Grad. Und die Horizontalltechnik hat einen
weiteren Vorteil: Von einem Bohrplatz aus lassen sich verschiedene
Reservoire anzapfen. Der Geowissenschaftler Rolf Emmermann, emeritierter
Gründungs-direktor des Geoforschungszentrums Potsdam, schätzt, dass je Platz
bis zu 20 Bohrungen vorgenommen werden können. „Damit ist es möglich, ein
Gebiet von zehn Quadratkilometern abzudecken", sagt der Experte.
Hunderte Tonnen Zement ins Loch
Für den Umweltschutz entscheidend ist die
„Bohrlochintegrität". So nennen Ingenieure die Abdichtung der Bohrung
gegenüber dem durchstoßenen Erdreich sowie an der Erdoberfläche. Sie
verhin-dert, dass die beim Fracking verwendete Flüssigkeit, aber auch das
sogenannte Lagerstättenwasser oder Erdgas, in die Umwelt gelangen.
Armin Wicker, der weltweit für alle Bohrungen des
Explorationsunterneh-mens Dea verantwortlich ist, erläutert den Stand der
Technik anhand des Erdgasfelds Völkersen — es ist das zweitgrößte in
Deutschland. Als Erstes wird ein Stahlrohr von 75 Zentimeter Durchmesser bis zu
80 Meter tief in die Erde gerammt. Dieses Rohr stellt den äußeren Mantel für
die eigentliche Bohrung dar, die zunächst bis in etwa 1400 Meter Tiefe
vorstößt. In diese Bohrung werden auf den ersten 30 Metern Rohre von 45
Zentimeter Durchmesser einzementiert — von unten nach oben, bis der Zement oben
austritt.
„So stellen wir sicher, dass der Beton durchgängig
abschließt", erklärt Wicker. Auf den nächsten 30 Metern folgt das gleiche
Spiel mit etwas dünneren Rohren. Die Zementierung überlappt sich an den Enden.
Nach unten hin verjüngen sich die :2. ebenfalls zementierten Rohre in immer
größeren Abständen, sie sind an den Übergängen zusätzlich mit Gummielementen
gegeneinander abgedichtet. Allein im obe-`2, ren Bereich einer Bohrung werden
so rund '2- 250 Tonnen Zement verarbeitet.
Erst wenn die komplette Bohrung fertiggestellt und auf
Dichtigkeit geprüft ist, kommt es zum eigentlichen Fracken. Dabei werden bis zu
2,5 Millionen Liter einer Flüssigkeit unter hohem Druck in die Lagerstätte
gepumpt, um das Gestein aufzubrechen.-Doch der natürliche Druck in einer
Schieferschicht ist so hoch, dass sich die bis zu 300 Meter langen Risse sofort
wieder schließen würden. Daher enthält die Flüssigkeit kleine Kügelchen aus
Bauxit, die die Risse abstützen.
Was hat es nun mit dem häufig er-wähnten
„Chemikalien-Cocktail" auf sich, aus dem die Flüssigkeit besteht? Der Hauptbestandteil
des Fluids ist mit über 98 Prozent Wasser. Zugesetzt werden vor allem
Komponenten, die die Reibung vermindern sollen, damit die Kügelchen sich gut in
den Rissen verteilen. Daneben ent
hält die Frackflüssigkeit Stabilisatoren, die dafür sorgen,
dass sich das Gemisch bei den erhöhten Temperaturen im Erdinneren nicht
zersetzt.
Eine noch im Test befindliche neue Mischung für die
Schiefergasgewinnung setzt nur zwei Komponenten ein: 0,06 Prozent
Butoxyethoxyethanol und 0,14 Prozent Cholinchlorid. In dieser Ver-dünnung ist
die Frackflüssigkeit nicht mehr wassergefährdend im Sinne der europäischen
Wasserschutzrichtlinie. Die bisher verwendeten Mischungen haben zwar eine etwas
schlechtere Umweltbilanz, sind aber alle in der Wassergefähr-dungsklasse 1 eingestuft,
also als „schwach wassergefährdend".
Bei der etablierten Erdgasgewinnung aus Sandstein ist es
eine andere Flüssig-keit, die Umweltwissenschaftlern Sorgen
macht: das natürliche Lagerstättenwasser. Denn das über
Jahrmillionen eingelagerte Tiefenwasser ist nicht nur sehr salzhaltig, sondern
darin befinden sich auch teils krebserregende Stoffe wie Benzol. Da das
Lagerstättenwasser unter hohem Druck steht, entweicht es durch die Bohrung und
muss an der Erdoberfläche aufgefangen werden. Bis zu 90000 Kubikmeter pro
Bohrung und Jahr fallen an.
Ende des Moratoriums in Sicht
Anders als in manchen US-Bundesstaaten wird das
Lagerstättenwasser in Deutschland aufgefangen und in Kalksteinforma-tionen in
etwa 1000 Meter Tiefe wieder verpresst. Beim Transport von Lagerstät-tenwasser
über Pipelines kam es in der Vergangenheit allerdings vereinzelt vor, dass
Benzol durch die Kunststoffleitungen nach außen dringen konnte — überwiegend
bei Lagerstätten aus konventioneller Erdgasförderung. Durch eine entspre-chende
Leitungskonstruktion lassen sich solche Unfälle vermeiden. Gegen das Fra-cking
von Schiefergestein sprechen sie aber sowieso nicht, denn Schiefer enthält kaum
Wasser.
Nachdem fünf breit angelegte wissenschaftliche Studien mit
so unterschiedlichen Auftraggebern wie der acatec (Akademie für
Technikwissenschaften) und dem Umweltbundesamt zu dem Schluss gekommen sind,
dass Fracking gegenüber anderen Fördertechniken kein erhöhtes Risikopotenzial
besitzt, ist in Deutschland ein Ende des Moratoriums absehbar.
Die Anwendung der Technik in Tiefen von über 3000 Metern
wird wohl unter einer Reihe von Auflagen wieder zugelassen. Damit kann die
etablierte Förderung aus dem tieferliegenden Sandstein wie bisher fortgeführt
werden. Oberhalb von
e.5 3000 Meter Tiefe soll Fracking nur zu Forschungszwecken
erlaubt werden. So
ce- sieht es ein Gesetzentwurf vor, auf den sich das
Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium geeinigt haben.
Jede Bohrung muss von einer Exper-tenkommission genehmigt
werden, die aus sechs Wissenschaftlern besteht. Zeigen die Forschungsarbeiten,
dass keine Gefährdung von einer Bohrung ausgeht, darf
die kommerzielle Förderung nicht ver-boten werden. Doch ob
sie stattfindet, hängt auch vom Gaspreis ab. Und der ist in den letzten
Monaten, parallel zum Öl-preis, deutlich gesunken.
Außerdem ist entscheidend, wie viel Gas sich aus dem dichten
Gestein wirt-schaftlich fördern lässt. Denn alle Ab-schätzungen zu den
Schiefergasvorkom-men beruhen derzeit auf Hochrechnun-gen aus Analysen
einzelner Bohrkerne. Der Geophysiker Martin Bachmann, Vor-standsmitglied beim
Kasseler Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall, dämpft denn auch die
Erwartungen: „Die Anwen-dung von Fracking in deutschem Schiefer muss erst noch
erforscht werden."
Das gilt umso mehr, weil Erdgas nicht gleich Erdgas ist: Je
nach Zusammenset-zung kann der Wert einer Lagerstätte deutlich schwanken. Neben
Methan —dem Hauptbestandteil von Erdgas — können auch wertvolle komplexere
Kohlen-wasserstoffe enthalten sein. Vielleicht liegt das eigentliche Risiko der
„Hochrisiko-technologie" darin, dass sich eine Förderung mit Fracking in
Deutschland gar
nicht lohnen könnte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.