Mehr Grün in der City
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/gbZpc-krRVA
So eine Gelegenheit
kommt nicht oft: Vor einiger Zeit hat die Stadt Frankfurt
einen Fördertopf geöffnet und den Wohnungseigentümern eines Straßenabschnitts
im Altbauquartier Bockenheim ein Angebot gemacht. Sie wollte den Asphalt
aufreißen und Bäume
pflanzen. Eine kleine Allee sollte entste-hen. Die tristen
Waschbetonkübel, in denen - von Laienhand bepflanzt - Lavendel, Rosen, ein
ausgesetzter Weihnachtsbaum und Gestrüpp vor sich hin wachsen, würden Bäumen
mit stattlicher Krone weichen. Die Eigentümer sollten sich mit einer winzigen
Summe beteiligen. Sie lehnten ab und argumentierten mit dem ohnehin schon
knappem Parkraum, dunklen Erdgeschosswohnungen im Sommer und bevormundeten
Mietern. .Überhaupt waren die Bäume der Mehr-heit der Versammelten verdächtig.,
Erst kommt das. Grün, dann die Gentrifizie-Fachmann vom Grünflächenamt blieb
unerhört. Die Bäume, gab dieser zu bedenken, würden zukünftig das Klima in der
Straße an heißen Tagen erträglicher machen. Unnötig, befanden die Eigentümer.
Nun klettern die Temperaturen zum zweiten Mal in dieser
Saison in der Mit-tagszeit weit über die 30-, teils bis über die 4o-Grad-Marke,
und nicht nur in jener Straße Frankfurts spendet kein Baum nennenswert
Schatten. Auch an vielen anderen Orten des Landes flirrt die Hitze über dem
Asphalt. Die Luft steht, und Passanten schleichen durch die Straßen. „Halbtote
auf den Gehwegen, die wie Streichholzköpfe glühen", sang die amerikanische
Popgruppe Lovin' Spoonful vor fast so Jahren in ihrem zeitlosen Hit „Summer in
the City" über heiße Tage in der Großstadt.
„Wir bekommen allmählich eine Ah-nung davon, was durch den
Klimawandel in den Städten auf uns zukommt", sagt Monika Steinrücke. Die
Geographi von der Ruhruniversität Bochum ist Fachfrau in der Frage, mit welchen
Strategien man Städte an das sich wandelnde Klima anpassen kann. In Bochum,
erzählt Stein-rücke, gibt es seit gut wo Jahren eine Messstation - an zentraler
Stelle, nicht irgendwo draußen auf dem Land wie sonst üblich. Über Jahrzehnte
hat man dort im Mittel vier heiße Sommertage mit Temperaturen von mehr als 3o
Gradgemessen. Aktuell sind es zehn. In Zukunft wer-den es wohl zo bis 3o Tage
sein, sagen Forscher wie sie.
Schon seit Jahrzehnten setzten sich Lokalpolitiker, Planer
und Wissenschaftler damit auseinander, dass sich dicht bebaute Flächen während
des Sommers weit stärker aufheizen als das Umland und die Städte zu Hitzeinseln
werden. Doch nun wird das Problem drängender, denn die Städte durchleben eine
rasante Wachstumsphase. Internationale Studien gehen davon aus, dass bis 2030
etwa 3o Prozent der Weltbevölkerung in den Metropolen lebt. Das heißt, dass
sich das Häuser-meer ausbreitet, Straßen gebaut und Flächen versiegelt werden.
Die Speichermasse für Hitze nimmt zu, während vielerorts Grün verschwindet.
Das hat schon jetzt dazu geführt, dass des Sommers in vielen
Quartieren die Luft nachts nicht mehr abkühlt. Wählend draußen vor den Toren
der Stadt auch an einem sehr heißen Sommertag gegen Mitternacht die Temperatur
auf 17 bis i8 Grad sinkt, bleibt sie in den dicht bebauten Innenstädten um die
io wenn nicht mehr Grad höher. Dieses Problem wird sich verschärfen, wenn die
heißen Tage mehr werden, sagen Kli-maforscher. „Dann wird nicht nur in
Fußgängerzonen, Hochhausvierteln und Stadtquartieren mit Blockrandbebauung.
die Temperatur nachts nicht mehr sin-ken, sondern auch in
anderen Stadttei-len", warnt Monika Steinrücke. Die hei-zen sich bisher
langsamer auf,•weil dort weniger Gebäude stehen und die Hitze-perioden nach zwei,
drei Tagen wieder vorbei sind. Wenn die Hitzewelle aber eine Woche dauert,
„wird es kritisch", sagt sie. Hitze am Tag ist nicht das Pro-blem, aber
wenn es auch nachts wäh-rend der Ruhephase heiß bleibt, fehlt die Erholung -
und das kann vor allem für alte und kranke Menschen tödliche Folgen haben.
So bekannt wie die Probleme sind auch die Lösungen: mehr
Grün, mehr Wasserflächen und bloß nicht die Frisch-luftschneisen verbauen, um
dem Aufheizen der Metropolen entgegenzuwirken und die kühle Luft aus dem Umland
wenigstens bis in die Außenbezirke der Stadt zu leiten, raten die Fachleute.
Und wo möglich, verbindet man besten bestehende Grünflächen. Das ist einfacher
gesagt als getan. Stehen doch die Großstädte angesichts des Zustroms unter
Druck, Bauland aufzutreiben, Brachen zu bele-ben und nachzuverdichten, um
Wohn-raum zu schaffen. Auf nächtlichen Frischluftschneisen wie alten
Gleisfel-dern wachsen Wohnklötze in die Höhe. In den Hinterhöfen der
Altbauviertel
entstehen Mehrfamilienhäuser - in Städten wie Frankfurt,
Köln und Hamburg bleibt derzeit kaum eine Lücke frei. Mittlerweile sind selbst
Schrebergärten und Grünflächen zwischen Wohnblocks als Bauland ins Visier
geraten. Doch wie viel Dichte verträgt das Klima?
Hartmut Welters beschäftigt sich ah Architekt und
Stadtplaner ständig mit dieser Frage. Er sagt: „Klar, Nachverdichtung um jeden
Preis geht nicht." Denn jedes zusätzliche Gebäude bedeutet grundsätzlich
weitere Flächenversiegelung und Verschattung. Das kann Folgen für die
Temperatur und die Windströme vor Ort haben.
Vor dem Bau in Großstädten müssten eigentlich mögliche
klimatische Folgen untersucht werden - vor allem, wenn es um größere Projekte
geht. Doch das passiert nach Beobachtung des Stadtplaners noch zu selten. Kaum
eine Stadt gehe so weit wie Saarbrücken und analysiere ihre Freiflächen bis hin
zur kleinsten Einheit unter klimatischen Gesichtspunkten. Dabei kann
herauskommen, dass nicht jede Grünfläche und jede Schrebergartenanla-ge einen
unverzichtbaren Beitrag fürs Stadtklima leistet. „Das ist nicht immer leicht zu
vermitteln", sagt Welters, „denn für das individuelle Wohngefühl ist Grün
ein Gewinn." So spitzt sich der Konflikt zu: Auf der einen Seite hält der
- auch aus klimapolitischen Gründen, um Verkehr zu reduzieren - gewünschte
Zuzug in die Stadt an, auf der anderen kämpfen Bewohner um Freiräume. „Doch
Verdichtung und mehr Grün schließt sich gar nicht unbedingt aus", sagt
Friedrich von Borries. Der Berliner Architekt entwickelt Begrü-nungskonzepte
für Kommunen, zum Beispiel auch für Frankfurt. Er fordert, man müsse anfangen,
vorhandene Potentiale zu erkennen. Welche Orte besitzen schon
Aufenthaltsqualitäten, die in Zukunft noch stärker genutzt und entwickelt
werden könnten? Friedhöfe zum Beispiel sind grüne Oasen und heute schon Orte der
Kontemplation. Ließe sich das nicht weiterentwickeln? Oder Schulhöfe, die sind
einen Großteil des Tages und am Wochenende verwaist, auch Sportflächen werden
nur eingeschränkt genutzt. „Ich weiß, da gibt es jede Menge Haken und zum Teil
auch berechtigte Einwände, aber wir werden anfangen müssen, uns mit solchen
Fra-gen zu beschäftigen und Dinge vielleicht anders zu machen", sagt der
Planer:
So, wie viele Städte zum Beispiel die Dächer als grüne
Ausgleichsflächen entdeckt haben. Stuttgart ist, gezwungen durch seine
Kessellage, schon lange Vor
reitet Das von Starkregen geplagte Hamburg hat sich jüngst
ebenfalls ein beeindruckendes Gründachprogramm verordnet. Auch über die
Fassaden als grüne Ausgleichsflächen sollte man noch stärker nachdenken, meint
Borries. Wären also mehr Gebäude wie zum Beispiel die beiden spektakulären
Wohntürme „Bos-co Verticale" eine Lösung, oder die grünen Mauern, wie sie
der Franzose Patrick Blanc anlegt? Das von Stefano Boe-
Cool town, evening in the city Dressing so fine and looking
so pretty Cool cat, looking für a kitty
Gonna look in every corner of the city Till I'm wheezing
like a bus stop Running up the stairs, gonna meet you an the rooftop
Aus „Summer in the City" von Lovin' Spoonful
ri entworfene Ensemble in Mailand er-hielt im vergangenen
Jahr den Internationalen Hochhauspreis. Kritiker schwärmten angesichts des
vertikalen Waldes - in Kübeln wachsen an die 20 000 Pflanzen, darunter 800
Bäume, an den Fassaden empor - von zukunftsweisender Architek-
tur. Andere sind da zurückhaltender. Bor-ries und
Stadtplaner Welters beurteilen den Bosco Verticale eher als singulären Luxus-
und Imagebau. „Ob das gesamtplanerisch der Hit ist, wage ich zu
bezweifeln", sagt Welters. Wenn es um das Stadtklima geht, hält er ohnehin
weniger von Einzelprojekten als von Quartiersent-wicklung. „Denn davon haben
mehr Menschen etwas."
Auch Klimaforscherin Monika Stein-rücke schränkt die
Begeisterung ein: „Alles, was bei Einzelprojekten an Grün über die vierte Etage
hinausgeht, ist nur noch gut für das Haus selbst." Immerhin, kann man
einwenden. Denn wer unter einem grünen Dach lebt, profitiert in der heißen Zeit
des Jahres, von dieser natürlichen Klimaanlage. Kritisch bewertet die
Forscherin immergrüne Fassadenpflanzen wie Efeu, denn die schirmen mit ihrem
Laub auch im Wmter die Hauswand gegen die Sonnenstrahlen ab. Dann jedoch ist
das Aufheizen der Fassade erwünscht. Das spricht aus Monika Steinrückes Sicht
auch gegen eine ganz enge Bebauung nach mediterranem Vorbild: „Die Sommer
werden heißer, aber die Wmter bleiben bei uns kalt."
Vom Süden kann man sich dennoch einiges abschauen, wenn es
darum geht, notfalls auch ohne Grün mit der Hitze besser fertig zu werden.
Helle Fassaden zum Beispiel. Angesichts der Klimapro-gnosen dürften Trendfarben
wie Dunkelrot und Anthrazit ihre beste Zeit schon wieder hinter sich haben.
Auch hellere Dachziegel sind sinnvoll. Da die aber nicht unbedingt zur hiesigen
Bautradition passen, könnten dunlde, aber glänzende Schindeln eine Lösung sein.
„Denn eine glänzende Oberfläche reflektiert besser", erläutert Monika
Steinrücke.
Wer als Bewohner eines Hauses auf all das keinen Einfluss
hat, dem bleibt noch, alles zu verdunkeln und Pflanzen aufzustellen, wo immer
es geht: draußen auf der Fensterbank, auf dem Balkon und womöglich auch auf dem
Gehweg. Auch das hilft ein bisschen. So gesehen, machen sogar kümmerliche
Gewächse in Waschbetonkübeln wie in Frankfurt-Bo-ckenheim das Stadtldima
vielleicht ein ganz klein wenig erträglicher. Bäume hätten aber mehr gebracht.
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