Montag, 20. Juli 2015

Mehr Grün in der City


Mehr Grün in der City

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/gbZpc-krRVA

So eine Gelegenheit

kommt nicht oft: Vor einiger Zeit hat die Stadt Frankfurt einen Fördertopf geöffnet und den Wohnungseigentümern eines Straßenabschnitts im Altbauquartier Bockenheim ein Angebot gemacht. Sie wollte den Asphalt aufreißen und Bäume

pflanzen. Eine kleine Allee sollte entste-hen. Die tristen Waschbetonkübel, in denen - von Laienhand bepflanzt - Lavendel, Rosen, ein ausgesetzter Weihnachtsbaum und Gestrüpp vor sich hin wachsen, würden Bäumen mit stattlicher Krone weichen. Die Eigentümer sollten sich mit einer winzigen Summe beteiligen. Sie lehnten ab und argumentierten mit dem ohnehin schon knappem Parkraum, dunklen Erdgeschosswohnungen im Sommer und bevormundeten Mietern. .Überhaupt waren die Bäume der Mehr-heit der Versammelten verdächtig., Erst kommt das. Grün, dann die Gentrifizie-Fachmann vom Grünflächenamt blieb unerhört. Die Bäume, gab dieser zu bedenken, würden zukünftig das Klima in der Straße an heißen Tagen erträglicher machen. Unnötig, befanden die Eigentümer.

Nun klettern die Temperaturen zum zweiten Mal in dieser Saison in der Mit-tagszeit weit über die 30-, teils bis über die 4o-Grad-Marke, und nicht nur in jener Straße Frankfurts spendet kein Baum nennenswert Schatten. Auch an vielen anderen Orten des Landes flirrt die Hitze über dem Asphalt. Die Luft steht, und Passanten schleichen durch die Straßen. „Halbtote auf den Gehwegen, die wie Streichholzköpfe glühen", sang die amerikanische Popgruppe Lovin' Spoonful vor fast so Jahren in ihrem zeitlosen Hit „Summer in the City" über heiße Tage in der Großstadt.

„Wir bekommen allmählich eine Ah-nung davon, was durch den Klimawandel in den Städten auf uns zukommt", sagt Monika Steinrücke. Die Geographi von der Ruhruniversität Bochum ist Fachfrau in der Frage, mit welchen Strategien man Städte an das sich wandelnde Klima anpassen kann. In Bochum, erzählt Stein-rücke, gibt es seit gut wo Jahren eine Messstation - an zentraler Stelle, nicht irgendwo draußen auf dem Land wie sonst üblich. Über Jahrzehnte hat man dort im Mittel vier heiße Sommertage mit Temperaturen von mehr als 3o Gradgemessen. Aktuell sind es zehn. In Zukunft wer-den es wohl zo bis 3o Tage sein, sagen Forscher wie sie.

Schon seit Jahrzehnten setzten sich Lokalpolitiker, Planer und Wissenschaftler damit auseinander, dass sich dicht bebaute Flächen während des Sommers weit stärker aufheizen als das Umland und die Städte zu Hitzeinseln werden. Doch nun wird das Problem drängender, denn die Städte durchleben eine rasante Wachstumsphase. Internationale Studien gehen davon aus, dass bis 2030 etwa 3o Prozent der Weltbevölkerung in den Metropolen lebt. Das heißt, dass sich das Häuser-meer ausbreitet, Straßen gebaut und Flächen versiegelt werden. Die Speichermasse für Hitze nimmt zu, während vielerorts Grün verschwindet.

Das hat schon jetzt dazu geführt, dass des Sommers in vielen Quartieren die Luft nachts nicht mehr abkühlt. Wählend draußen vor den Toren der Stadt auch an einem sehr heißen Sommertag gegen Mitternacht die Temperatur auf 17 bis i8 Grad sinkt, bleibt sie in den dicht bebauten Innenstädten um die io wenn nicht mehr Grad höher. Dieses Problem wird sich verschärfen, wenn die heißen Tage mehr werden, sagen Kli-maforscher. „Dann wird nicht nur in Fußgängerzonen, Hochhausvierteln und Stadtquartieren mit Blockrandbebauung.

die Temperatur nachts nicht mehr sin-ken, sondern auch in anderen Stadttei-len", warnt Monika Steinrücke. Die hei-zen sich bisher langsamer auf,•weil dort weniger Gebäude stehen und die Hitze-perioden nach zwei, drei Tagen wieder vorbei sind. Wenn die Hitzewelle aber eine Woche dauert, „wird es kritisch", sagt sie. Hitze am Tag ist nicht das Pro-blem, aber wenn es auch nachts wäh-rend der Ruhephase heiß bleibt, fehlt die Erholung - und das kann vor allem für alte und kranke Menschen tödliche Folgen haben.

So bekannt wie die Probleme sind auch die Lösungen: mehr Grün, mehr Wasserflächen und bloß nicht die Frisch-luftschneisen verbauen, um dem Aufheizen der Metropolen entgegenzuwirken und die kühle Luft aus dem Umland wenigstens bis in die Außenbezirke der Stadt zu leiten, raten die Fachleute. Und wo möglich, verbindet man besten bestehende Grünflächen. Das ist einfacher gesagt als getan. Stehen doch die Großstädte angesichts des Zustroms unter Druck, Bauland aufzutreiben, Brachen zu bele-ben und nachzuverdichten, um Wohn-raum zu schaffen. Auf nächtlichen Frischluftschneisen wie alten Gleisfel-dern wachsen Wohnklötze in die Höhe. In den Hinterhöfen der Altbauviertel

 

entstehen Mehrfamilienhäuser - in Städten wie Frankfurt, Köln und Hamburg bleibt derzeit kaum eine Lücke frei. Mittlerweile sind selbst Schrebergärten und Grünflächen zwischen Wohnblocks als Bauland ins Visier geraten. Doch wie viel Dichte verträgt das Klima?

Hartmut Welters beschäftigt sich ah Architekt und Stadtplaner ständig mit dieser Frage. Er sagt: „Klar, Nachverdichtung um jeden Preis geht nicht." Denn jedes zusätzliche Gebäude bedeutet grundsätzlich weitere Flächenversiegelung und Verschattung. Das kann Folgen für die Temperatur und die Windströme vor Ort haben.

Vor dem Bau in Großstädten müssten eigentlich mögliche klimatische Folgen untersucht werden - vor allem, wenn es um größere Projekte geht. Doch das passiert nach Beobachtung des Stadtplaners noch zu selten. Kaum eine Stadt gehe so weit wie Saarbrücken und analysiere ihre Freiflächen bis hin zur kleinsten Einheit unter klimatischen Gesichtspunkten. Dabei kann herauskommen, dass nicht jede Grünfläche und jede Schrebergartenanla-ge einen unverzichtbaren Beitrag fürs Stadtklima leistet. „Das ist nicht immer leicht zu vermitteln", sagt Welters, „denn für das individuelle Wohngefühl ist Grün ein Gewinn." So spitzt sich der Konflikt zu: Auf der einen Seite hält der - auch aus klimapolitischen Gründen, um Verkehr zu reduzieren - gewünschte Zuzug in die Stadt an, auf der anderen kämpfen Bewohner um Freiräume. „Doch Verdichtung und mehr Grün schließt sich gar nicht unbedingt aus", sagt Friedrich von Borries. Der Berliner Architekt entwickelt Begrü-nungskonzepte für Kommunen, zum Beispiel auch für Frankfurt. Er fordert, man müsse anfangen, vorhandene Potentiale zu erkennen. Welche Orte besitzen schon Aufenthaltsqualitäten, die in Zukunft noch stärker genutzt und entwickelt werden könnten? Friedhöfe zum Beispiel sind grüne Oasen und heute schon Orte der Kontemplation. Ließe sich das nicht weiterentwickeln? Oder Schulhöfe, die sind einen Großteil des Tages und am Wochenende verwaist, auch Sportflächen werden nur eingeschränkt genutzt. „Ich weiß, da gibt es jede Menge Haken und zum Teil auch berechtigte Einwände, aber wir werden anfangen müssen, uns mit solchen Fra-gen zu beschäftigen und Dinge vielleicht anders zu machen", sagt der Planer:

So, wie viele Städte zum Beispiel die Dächer als grüne Ausgleichsflächen entdeckt haben. Stuttgart ist, gezwungen durch seine Kessellage, schon lange Vor

 

reitet Das von Starkregen geplagte Hamburg hat sich jüngst ebenfalls ein beeindruckendes Gründachprogramm verordnet. Auch über die Fassaden als grüne Ausgleichsflächen sollte man noch stärker nachdenken, meint Borries. Wären also mehr Gebäude wie zum Beispiel die beiden spektakulären Wohntürme „Bos-co Verticale" eine Lösung, oder die grünen Mauern, wie sie der Franzose Patrick Blanc anlegt? Das von Stefano Boe-

Cool town, evening in the city Dressing so fine and looking so pretty Cool cat, looking für a kitty

Gonna look in every corner of the city Till I'm wheezing like a bus stop Running up the stairs, gonna meet you an the rooftop

Aus „Summer in the City" von Lovin' Spoonful

ri entworfene Ensemble in Mailand er-hielt im vergangenen Jahr den Internationalen Hochhauspreis. Kritiker schwärmten angesichts des vertikalen Waldes - in Kübeln wachsen an die 20 000 Pflanzen, darunter 800 Bäume, an den Fassaden empor - von zukunftsweisender Architek-

 

tur. Andere sind da zurückhaltender. Bor-ries und Stadtplaner Welters beurteilen den Bosco Verticale eher als singulären Luxus- und Imagebau. „Ob das gesamtplanerisch der Hit ist, wage ich zu bezweifeln", sagt Welters. Wenn es um das Stadtklima geht, hält er ohnehin weniger von Einzelprojekten als von Quartiersent-wicklung. „Denn davon haben mehr Menschen etwas."

Auch Klimaforscherin Monika Stein-rücke schränkt die Begeisterung ein: „Alles, was bei Einzelprojekten an Grün über die vierte Etage hinausgeht, ist nur noch gut für das Haus selbst." Immerhin, kann man einwenden. Denn wer unter einem grünen Dach lebt, profitiert in der heißen Zeit des Jahres, von dieser natürlichen Klimaanlage. Kritisch bewertet die Forscherin immergrüne Fassadenpflanzen wie Efeu, denn die schirmen mit ihrem Laub auch im Wmter die Hauswand gegen die Sonnenstrahlen ab. Dann jedoch ist das Aufheizen der Fassade erwünscht. Das spricht aus Monika Steinrückes Sicht auch gegen eine ganz enge Bebauung nach mediterranem Vorbild: „Die Sommer werden heißer, aber die Wmter bleiben bei uns kalt."

Vom Süden kann man sich dennoch einiges abschauen, wenn es darum geht, notfalls auch ohne Grün mit der Hitze besser fertig zu werden. Helle Fassaden zum Beispiel. Angesichts der Klimapro-gnosen dürften Trendfarben wie Dunkelrot und Anthrazit ihre beste Zeit schon wieder hinter sich haben. Auch hellere Dachziegel sind sinnvoll. Da die aber nicht unbedingt zur hiesigen Bautradition passen, könnten dunlde, aber glänzende Schindeln eine Lösung sein. „Denn eine glänzende Oberfläche reflektiert besser", erläutert Monika Steinrücke.

Wer als Bewohner eines Hauses auf all das keinen Einfluss hat, dem bleibt noch, alles zu verdunkeln und Pflanzen aufzustellen, wo immer es geht: draußen auf der Fensterbank, auf dem Balkon und womöglich auch auf dem Gehweg. Auch das hilft ein bisschen. So gesehen, machen sogar kümmerliche Gewächse in Waschbetonkübeln wie in Frankfurt-Bo-ckenheim das Stadtldima vielleicht ein ganz klein wenig erträglicher. Bäume hätten aber mehr gebracht.

 


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