Die Folgen der Erderwärmung
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/GwERTY79jV8
Die Meereisbedeckung der Arktis erreicht jährlich im Herbst
die geringste Ausdehnung. Das „September-Minimum" gilt als Gradmesser für
den Zustand der Arktis bei der globalen Erwärmung. In den letzten Jahren jagte
ein Rekordminimum das andere. Wie sieht es 2014 aus, Herr Notz? Dirk Notz: Wir
haben zum Ende dieses Sommers wieder extrem wenig Meereis in der Arktis.
Wissenschaftlich ist aber unerheblich, ob wir unter dem bisher geringsten Wert
von 2012 landen werden. Als Klimaforscher interessiert uns in erster Linie die
längerfristige Entwicklung, bei der wir seit mehreren Jahrzehnten eine klare
Abnahme des Arktischen Meereises beobachten.
Im Rahmen einer solchen längerfristigen Abnahme sind
Einzelereignisse von untergeordneter Bedeutung. Das gilt sowohl für einen
Sommer mit extrem wenig Eis als auch für einen, in dem wir eine Zunahme der
Eisbedeckung im Vergleich zum Vorjahr beobachten: Für diese kurzfristigen
Schwankungen ist das Wetter im Sommer ausschlaggebend, während der deutliche
langfristige Trend die Veränderung des Klimas widerspiegelt.
Wie müssen wir uns die Arktis künftig vorstellen?
Als ich ein kleiner Junge war, hielt ich die Arktis immer
für einen mystischen Ort: unwirtlich, menschenfeindlich, faszinierend. Um zum
Nordpol zu gelangen, musste man allerhand Entbehrungen auf sich nehmen. Die
Entdeckergeschichten der Arktis stecken voller heroischer Taten und totalem
Scheitern. Wenn sich die derzeitige Klimaerwärmung fortsetzt, werden unsere
Kinder schon bald ein ganz anderes Bild haben. In wenigen Jahrzehnten würde
dann das arktische Meereis im Sommer komplett abschmelzen. Der Nordpol wäre ein
Punkt mitten in einem weiten Ozean, den man leicht mit dem Schiff erreichen
kann. Im Lauf des nächsten Jahrhunderts könnte es dann auf der Erde so warm
werden, dass sich auch im Winter kein Meereis mehr bildet. Der Arktische Ozean
wäre das ganze Jahr über eisfrei. Parallel zu dieser Entwicklung würde der
Eispanzer Grönlands weiter abschmelzen. Als Folge dürfte sich die Arktis in
fast allen Aspekten gravierend verändern. Der Schiffsverkehr entlang der
nördlichen Seewege würde wohl stark zunehmen. Schließlich sind die Routen von
Europa nach Ostasien oder zur Westküste Amerikas über den Nordpol deutlich
kürzer als die durch den Suez- oder den Panamakanal. Auch der Abbau von
Bodenschätzen im Arktischen Ozean dürfte stark zunehmen, weil unter den
riesigen Schelfgebieten in der Nähe der Küsten gewaltige Öl- und Gasvorkommen
liegen. Viele Tierarten werden vermutlich aussterben, andere werden vom
wärmeren Wasser im Nordmeer profitieren. Die Lebensweise der indigenen Völker
wird sich gravierend verändern müssen. So werden die Eskimos ihre
traditionellen Hundeschlitten in Zukunft kaum noch als Transportmittel nutzen
können.
Laut unseren Modellsimulationen könnte es aber auch in
Zukunft noch das ganze Jahr über Meereis in der Arktis geben. Doch dazu dürften
wir nur noch etwa ein Drittel der bekannten Öl-, Kohle- und Gasvorräte
verbrennen. Die Entscheidung über die Zukunft des Klimas liegt tatsächlich zu
großen Teilen bei uns Menschen.
Welchen Effekt hat all das aufs Weltklima?
Wir sehen sowohl in den Messdaten als auch in allen unseren
Modellsimulationen, dass sich die Arktis deutlich schneller erwärmt als der
Rest der Erde, unter anderem weil der Sonnenlichtspiegel des Meereises immer
kleiner wichtigste Frühwarnsystem des Erdklimas. Veränderungen im Klimasystem
der Arktis sind häufig Vorboten von be-vorstehenden Veränderungen im globalen
Klimagefüge.
Möglicherweise spüren wir schon heute hier in Mitteleuropa
erste Auswirkungen der Veränderung in der Arktis. Denn durch die starke
Erwärmung dort nimmt der Temperaturunterschied zu unseren Breiten ab, was
Auswirkungen auf die Stärke des Jetstreams hat. Dieses Windsystem, das in
großer Höhe Luft von Nordamerika nach Europa weht, wird vor allem vom
Temperaturunterschied zwischen der Arktis und den mittleren Breiten
angetrieben.
Wenn er abnimmt, schwächt sich auch
der Jetstream ab. Das bedeutet, dass
Flugzeuge auf ihrem Weg nach Europa
weniger Rückenwind haben.
Aber auch aus klimatischer Sicht hätte eine Abnahme des
Jetstreams spürbare Folgen. Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass ein
schwächerer Jetstream stärker mäandrieren würde —das heißt: Ausbuchtungen nach
Norden oder Süden entwickeln würde. Durch eine Ausbuchtung nach Süden kann etwa
im Winter Luft aus der Arktis leichter in unsere Breiten gelangen, sodass wir
plötzlich inmitten der Klimaerwärmung bei uns einen eisig kalten Winter
bekommen. Im Umkehrschluss gelangt auf der Rückseite der Ausbuchtung warme Luft
in die Arktis, wo es dann einen extrem warmen Winter gibt.
Die Schwächung des Jetstreams könnte auch dazu führen, dass
einzelne Wettersysteme längere Zeit über einer bestimmten Region verharren. Sie
werden sozusagen nicht mehr so effektiv vom Jetstream weitergepustet. Laut
einigen jüngeren Studien könnte das im Mittel zu konstanteren Wetterlagen bei
uns führen.
Eine heiße Wetterlage könnte damit ebenso stabiler sein
wie eine regenreiche Wetterlage — mit entsprechenden
Folgen zum Beispiel für die Landwirtschaft und den Was-
serspiegel der Flüsse: Dürren würden länger anhalten
und schlimmere Folgen haben, und auch das Ausmaß
von Überschwemmungen würde zunehmen.
In den letzten Jahre wurde vor enormen Mengen an Methan-Gas
gewarnt, das tauende arktische Permafrostböden frei-setzen. Das könnte den
Klimawandel massiv antreiben. Hat sich das bestätigt? Tatsächlich können aus
tauenden Permafrostböden große
_ Mengen des Treibhausgases Methan in die Atmosphäre
gelangen. Dieses Gas kann Wärme etwa 30 Mal so effektiv aufnehmen und zur Erdoberfläche
zurückstrahlen wie
2 Kohlendioxid, ein Kilogramm Methan in der Atmosphäre
erwärmt also die Erde genauso stark wie 30 Kilogramm
Kohlendioxid. Wie sehr das Methan aus Permafrostböden die künftige Entwicklung
des Erdklimas beeinflussen kann, hängt aber stark davon ab, wie schnell es
freigesetzt wird. Denn Methan verbleibt nur wenige Jahrzehnte in der Atmosphäre
und zerfällt schließlich in das weniger effektive Treibhausgas Kohlendioxid.
Falls der Methan-Ausstoß aus Permafrostböden also sehr schnell vonstatten
ginge, könnte das Methan seine volle Wirkung aufs Erdklima entfalten. Bei einer
langsamen Freisetzung würde die Konzentration von Methan in der Atmosphäre
deutlich weniger steigen, weil ständig auch Methan zerfiele.
Die meisten mit diesem Thema befassten Wissenschaftler gehen
im Moment davon aus, dass die Freisetzung von Methan aus Permafrostböden
relativ langsam verlaufen wird, sodass zumindest in näherer Zukunft durch
Methan keine schlimmen Folgen für das Klimasystem der Erde zu erwarten sind.
Das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Methan in seiner
Gesamtwirkung auf das Klimasystem derzeit nach Kohlendioxid das
zweiteffektivste Treibhausgas ist.
Der globale Meeresspiegelanstieg würde sich massiv
beschleunigen, wenn der heute relativ langsam schmelzende Eispanzer auf
Grönland instabil wird. Ein komplettes Abschmelzen könnte den Pegel um sieben
Meter anschwellen lassen. Bisher galt: Es würde mehrere Jahrtausende dauern,
bis der grönländische Eisschild vollständig abtaut. Ist das noch haltbar?
Es ist nach wie vor schwierig, die Geschwindigkeit, mit der
das mehrere Kilometer dicke Eis auf Grönland schmilzt, genau vorherzusagen.
Sicher ist, dass es auch bei einer deutlichen Erwärmung viele Jahrhunderte
dauern wird, bis das gesamte Eis verschwunden ist. Für dieses Jahrhundert
erwarten wir, dass schmelzendes Eis aus Grönland bis zu etwa 10 Zentimeter zum
Meeres-spiegelanstieg beiträgt.
Einen ähnlichen Beitrag erwarten wir durch ein beginnendes
Abschmelzen des antarktischen Eisschildes. Hierbei gibt es aber eine
Besonderheit: Eine Reihe von Studien deuten darauf hin, dass es in der
Antarktis Teile des Eisschildes gibt, bei denen sich ein einmal begonnenes
Abschmelzen — genauer gesagt, ein Abfließen in den Ozean — ab einem bestimmten
Schwellenwert nicht mehr stoppen lässt. Das hängt damit zusammen, dass aufgrund
der geografischen Verhältnisse in Teilen der westlichen Antarktis das Eis umso
schneller vom Landesinneren in den Ozean fließt, je weiter sich die Eiskante
zurückzieht.
Ab einem bestimmten Rückgang der Eiskante ließe sich das
komplette Abrutschen der Eismasse dahinter nicht mehr aufhalten, sodass ein
Meeresspiegelanstieg um einige Meter im Verlauf der nächsten
Jahrhunderteunausweichlich wäre. Zurzeit versuchen wir herauszufinden, ab
welchem Grad der globalen Erwärmung das Eis anfängt, unaufhaltsam abzurutschen.
Wie unterscheidet sich sonst die Entwicklung der Antarktis
von der im hohen Norden? Und was sind die Gründe dafür? Wir sehen vor allem
beim Meereis einen deutlichen Unterschied zwischen Arktis und Antarktis: In der
Arktis geht es rapide zurück, in der Antarktis dehnt es sich sogar leicht aus.
Dies liegt daran, dass in der Arktis das Eis ringsum fast vollständig von Land
eingeschlossen ist. Seine Ausdehnung hängt daher primär davon ab, wie sehr es
im Sommer schmilzt. In der Antarktis treibt das Eis hingegen frei auf dem Ozean.
Seine Ausdehnung wird stark von den ablandigen Winden bestimmt. Die haben in
einigen Regionen des südlichen Ozeans in den letzten Jahren zugenommen und
verteilen entsprechend dort das Eis im Winter über eine größere Fläche.
Auch Veränderungen der Ozeanzirkulation könnten eine Rolle
bei der Zunahme des Meereises in der Antarktis spielen: Im Südlichen Ozean gibt
es laut Modellsimulationen natürliche Schwankungen in den Strömungen, die sich
auf Zeitskalen von mehreren Jahrzehnten abspielen. Die Zunahme der ablandigen
Winde in manchen Regionen der Antarktis ist eindeutig, und gerade in diesen
Regionen sehen wir auch eine Zunahme des Meereises.
Zurzeit versuchen wir zu verstehen, was die Veränderungen in
den Windsystemen verursacht hat. Ein Antrieb scheint das Ozonloch über der
Antarktis zu sein, das in höheren Schichten der Atmosphäre in den letzten
Jahrzehnten zu einer Abkühlung geführt hat. Das beeinflusst indirekt auch die
bodennahe Zirkulation, was — wie Simulationen ergaben — die Zunahme der Winde erklären
konnte. Noch ist aber unklar, wie robust dieses Ergebnis ist. Da bleibt für uns
Forscher noch einiges zu tun.
Wie wird es mit dem Eis in der Antarktis wohl weitergehen?
Unsere Simulationen sagen bei zunehmender Erwärmung in der
Antarktis eine Abnahme des Meereises voraus. Schon heute schmilzt regelmäßig im
Sommer fast das gesamte Meereis dort ab: Es driftet, vom Wind getrieben,
langsam immer weiter nordwärts, gerät in wärmeres Wasser und schmilzt. Wenn in
Zukunft die Eismenge abnimmt, die sich im Südlichen Ozean im Winter bildet,
wird das vor allem Auswirkungen auf die globale Ozeanzirkulation haben. Man
muss dazu wissen, dass sich nur im Südlichen Ozean und vor der Küste Grönlands
Meerwasser bildet, das schwer genug ist, um auf den Grund zu sinken. Denn nur
dort ist das Wasser dazu kalt und salzig genug. Das ist auch der Grund, warum
selbst auf Hawaii das Wasser am Meeresboden kalt ist: Auch dieses Wasser stammt
aus den Polarregionen und hat sich in den Tiefen der Ozeane über die halbe
Erdkugel ausgebreitet.
Im Südlichen Ozean hängt die Tiefenwasserbildung direkt vom
Meereis ab, das nur einen Salzgehalt von wenigen Promille hat. Bei seiner
Bildung wird das Meersalz zu einem Großteil ins Wasser abgegeben, das dadurch
salziger wird und absinkt. Wenn sich weniger Meereis bildet, wird auch weniger
Salz frei, und die Bildung von Tiefenwasser nimmt ab. Zurzeit ist die räumliche
Auflösung unserer Modelle noch zu ungenau, um detailliert vorhersagen zu
können, welche Folgen das für die globale Ozeanzirkulation haben wird. Die eine
oder andere Überraschung dürfte uns also noch bevorstehen
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