Kritisches zu Facebook
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/5x0QK1avj7k
Es ist so, ,8 Milliarden Menschen weltweit nutzen so
ziale Medien. Allein beim Marktführer Facebook
sind über eine Milliarde Menschen angemeldet. 33 Millionen
davon sind Deutsche, von denen jeder durchschnittlich rund 300 Freunde hat.
Über den Kurznachrichtendienst Twitter werden täglich eine halbe Milliarde
Tweets verschickt — jeder dreizehnte davon enthält Schimpfwörter. Soziale
Netzwerke verbinden enge Freunde, flüchtige Bekannte, alte Schulfreunde,
Geschäftskontakte und Familienmitglieder. Keine Frage, dass sie das Internet
beeinflussen — aber gilt das auch für den Teil des Lebens, der sich offline abspielt?
Zehn Jahre, nachdem das bislang erfolgreichste soziale Netzwerk Facebook online
ge
gangen ist, ist es Zeit für eine Zwischenbilanz.
Dislike!
Warum Facebook unglücklich macht
Jeder siebte Erdenbürger ist beim sozialen Netzwerk Facebook
aktiv und loggt sich zum Teil mehrmals täglich ein, um sich durch die
Neuigkeiten seiner durchschnittlich 338 Freunde zu scrollen und vieles mit
„Gefällt mir" zu garnieren. Da liegt die Vermutung nahe, dass die Nutzung
von Facebook glücklich macht. Doch Ethan Kross widerspricht: „Wir haben
herausgefunden, dass Menschen sich umso schlechter fühlen, je mehr Zeit sie in
den Stunden zuvor auf Facebook verbracht haben."
Das Team um den Psychologen von der Universität Michigan
ging der Sache auf den Grund. Zwei Wochen lang schickten die Forscher ihren
Probanden fünfmal täg
lich eine SMS, in der sie sich nach deren Wohlbefinden
erkundigten — mit Fragen wie: Wie fühlen Sie sich im Moment? Wie einsam fühlen
Sie sich? Und eben auch: Wie viel Zeit haben Sie, seit wir Sie das letzte Mal
gefragt haben, bei Facebook verbracht?
Das Ergebnis war eindeutig: Die Probanden waren nicht nur
umso unglücklicher, je mehr Zeit sie bei Facebook investiert hatten. Sie waren
auch mit ihrem Leben insgesamt unzufriedener. „Als wir die Studie begannen,
hatten wir keine Ahnung, ob Facebook glücklich oder unglücklich macht",
betont Kross. „Danach waren wir überrascht, wie einheitlich unsere Ergebnisse
waren."
Den negativen Einfluss von Facebook auf das Wohlbefinden
untermauert auch eine kürzlich erschienene Studie zweier österreichischer
Psychologen. Sie fanden durch eine Befragung deutschsprachiger Nutzer heraus,
dass diese umso schlechter gelaunt waren, je mehr Zeit sie zuvor auf Facebook
verbracht hatten. Die Probanden schätzten Facebook im Vergleich zum allgemeinen
Surfen im Netz als weniger sinnvoll, weniger nützlich und als größere
Zeitverschwendung ein. Das Stimmungstief blieb hingegen aus, wenn sie lediglich
im Internet surften, ohne sich dabei in sozialen Netzwerken zu bewegen.
Als Nächstes wollten die beiden Forscher wissen, warum sich
viele Nutzer täglich bei Facebook einloggen, obwohl es sie augenscheinlich
verstimmt. Schuld daran ist offenbar ein psychologisches Phänomen namens
„affektiver Vorhersagefehler". Das bedeutet: Bei den Probanden hapert es
mit der Selbsteinschätzung. Sie glauben, bevor sie auf Facebook gehen,
anschließend glücklicher zu sein
obwohl tatsächlich genau das Gegenteil der Fall ist. Wie die
Psychologen im Fachmagazin „Computers in Human Behavior" schreiben, ist
die schlechte Selbsteinschätzung ein häufiger Fehler — den Millionen
FacebookNutzer täglich begehen.
Aber ganz so einfach ist es nicht. „In diesen Studien wurde
nur die Gesamtnutzungsdauer von Facebook betrachtet", erklärt die
Psychologin Fenne große Deters von der Freien Universität Berlin. „Und darunter
fallen ganz unterschiedliche Aspekte." Denn obwohl soziale Netzwerke sich
rühmen, ihre Nutzer miteinander zu verbinden, verbringen diese weniger als zehn
Prozent ihrer Zeit mit Kommunikation. Stattdessen lassen sie sich berieseln:
Sie browsen durch den Newsfeed, schauen Fotos an oder spielen Videospiele.
Fenne große Deters bat deshalb in einem Experiment ihre Probanden, eine Woche
lang mehr StatusUpdates als gewöhnlich auf Facebook zu veröffentlichen —jene
kurzen Nachrichten, die für alle Freunde sichtbar sind und von diesen
kommentiert werden können. Zwar machte diese Aktivität die Probanden nicht
glücklicher, aber sie fühlten sich weniger einsam als die Teilnehmer der
Kontrollgruppe, die keine solche Anweisung erhalten hatten.
Überrascht war Fenne große Deters nicht: „Es ist bekannt,
dass sich aktive Tätigkeiten positiv auf das Wohlbefinden auswirken, passive
Tätigkeiten hingegen einen eher negativen Effekt haben." Soziale Medien
generell als Stirnmungskiller abzustempeln, wäre also zu einfach — es kommt
ganz darauf an, wie man sie nutzt.
OMG!
Zerstören soziale Medien unsere Sprache?
„ALOAH! Na Süße, wie geht's? War gestern TOLL mit dir!
H.D.G.D.L., Jessi PS: Your like a baby! <: abi="" beachten="" ber="" bis="" dein="" den="" der="" deutscher="" die="" dieser="" du="" folgende="" frag="" freiheiten="" gegen="" genommen="" geschafft="" glich="" grammatikalische="" grenzen_los="" hast.="" hat="" heute="" horror="" ich="" liest="" mich="" nachrichten="" o:p="" ohne="" orthografische="" regeln="" relativ="" sich="" sms="" solche="" sprachbewahrer.="" stilistischen="" t="" twitter="" twitternachricht="" und="" verfasser="" verschickt.="" werden="" whatsapp="" wie="" xd="" zahm:="" zu="" zum="">
Da wundert es nicht, dass der Vorsitzende des Rates für
deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, von „Fetzenliteratur" spricht —
und mit diesem Urteil nicht alleine da steht. Laut einer repräsentativen
Umfrage des Allensbacher Instituts von 2008 sind 65 Prozent der Deutschen der
Meinung, dass die deutsche Sprache immer mehr verkommt. Auf Platz drei der
Gründe nannten sie soziale Medien, sogar noch vor dem traditionellen Buhmann
Fernsehkonsum. 48 Prozent der Sprachbesorgten denken, dass beim Austausch von
SMS oder EMails wenig auf eine gute Ausdrucksweise geachtet wird. Die Frage
liegt daher nahe: Verflacht die dahingeschluderte Kommunikation in sozialen
Medien unsere Sprache?
„Das beantworte ich mit einem relativ starken Nein",
sagt Peter Schlobinski. Der Sprachwissenschaftler von der Universität Hannover
forscht seit Jahren zur computervermittelten Kommunikation. Laut Schlobinski
lässt sich die Kommunikation via SMS, WhatsAppNachrichten, Tweets und Chats nur
bedingt mit anderen Schriftformen wie Briefen, Aufsätzen oder Zeitungsartikeln
vergleichen. „Schriftkommunikation ist in der Regel Kommunikation, bei der die
Antwort des Partners versetzt erfolgt, zum Beispiel beim Schreiben eines
Briefs. Beim Chatten kommunizieren aber beide Partner gleichzeitig miteinander
und sind kognitiv im Zustand der Gesprächssituation." OnlineKommunikation
genügt also eher den Ansprüchen von Gesprächen, die nicht durchdacht und strukturiert
sind wie Festtagsreden.
So vernachlässigen Nutzer Grammatik und Rechtschreibung,
ignorieren Groß und Kleinschreibung, bauen Smileys ein und verschicken
Abkürzungen wie „ OMG" (Oh My God oder Oh Mein Gott) und „lol"
(laughing out loud). „Die Auslassungen haben mit der Knappheit des Mediums zu
tun", sagt Schlobinski. Bei Twitter sind nur 140 Zeichen erlaubt. Die
Kommunikation über soziale Netzwerke hat auch einen positiven Aspekt:
„Jugendliche schreiben viel mehr als noch vor 20 Jahren", sagt
Schlobinski. Für einen Großteil der Alltagskommunikation tippt man heute auf
der Tastatur, wo man früher zum Telefon griff.
Skeptiker könnte auch ein Blick in die Studien der Schweizer
Sprachwissenschaftlerin Christa Dürscheid beruhigen. Sie wollte herausfinden,
ob sich ein Einfluss von internetbasierten Kommunikationsformen auf den
Sprachgebrauch in anderen Bereichen feststellen lässt —also ob Jugendliche
verlernt haben, wie man richtig schreibt. Dafür verglichen Dürscheid und ihre
Kollegen rund 1000 Aufsätze Schweizer Schüler mit deren Mitteilungen in
sozialen Netzwerken. Das Ergebnis: Die Jugendlichen unterscheiden sehr wohl
zwischen den unterschiedlichen Kommunikationsformen und Anforderungen und
passen ihren Schreibstil entsprechend an.
Gleich getalctet
Welchen Einfluss haben OnlineFreunde?
Soziale Medien sind in dem Sinn ansteckend, dass uns Freunde
dort genauso beeinflussen wie Menschen, mit denen wir nichtvirtuell
kommunizieren. So können uns Freunde auf Facebook mit ihrer schlechten Laune
sogar den Tag vermiesen. Wie genau die „emotionale Ansteckung" über
OnlineKontakte funktioniert, hat ein Team amerikanischer Wissenschaftler
untersucht. Facebook stellte die nötigen Daten zur Verfügung, um die Frage zu
beantworten: Beeinflusst ein Regentag nicht nur die Stimmung eines Nutzers,
sondern auch die seiner Freunde, die bei herrlichem Sonnenschein in einer
anderen Stadt vor dem Bildschirm sitzen?
Die Forscher beobachteten die StatusUpdates über einen
Zeitraum von drei Jahren in den 100 einwohnerstärksten USamerikanischen Städten
und werteten sie auf positive oder negative Emotionen hin aus. Dabei stellten
sie unter anderem fest: An einem durchschnittlichen Re
gentag verringert sich der Anteil positiver Posts um 1,19
Prozent, und der negativer Posts erhöht sich um 1,16 Prozent. Dass das kein
großer Unterschied ist, geben die Forscher zu. Aber ihnen ging es vor allem
darum, ob sich diese Posts auf die Freunde der Betroffenen auswirkten —und das
taten sie. Jeder negative Post führte zu 1,29 mehr negativen Posts bei
Freunden, und jeder positive Post sogar zu 1,75 mehr positiven Posts. Konkret
heißt das: Ein Regentag in New York generierte durchschnittlich 1500
zusätzliche negative StatusUpdates von New Yorkern und weitere 700 negative
Updates von Freunden, die in einer anderen Stadt lebten.
Insgesamt ergab die 100StädteStudie ein Verhältnis von
indirekten zu direkten Posts von 1 zu 1,5. Bei einer Untersuchung der
Mobilisierung von Wählern auf Facebook lag das Verhältnis sogar bei 1 zu 4. Das
heißt, jede Person, die sich über Facebook dazu bekannte, zur Kongresswahl zu
gehen, mobilisierte vier weitere Wähler (siehe Interview „Unsere Freunde werden
uns immer ähnlicher".
Demnach breiten sich Emotionen tatsächlich in sozialen
Netzwerken aus. Sollten sich die Befunde bestätigen. hätte dies erhebliche
Konsequenzen. Schließlich sind wir inzwischen global vernetzt. Dadurch sind
weltweite Synchronisationseffekte denkbar. Man sollte vielleicht vorsichtig
sein, wenn man die nächste Freundschaftsanfrage von einem Griesgram erhält.
Keine Panik!
Welche Gefahr geht wirklich von Cybermobbing aus?
Die Kommunikation in sozialen Medien hat auf jeden Fall ihre
Schattenseiten: Vor allem Jugendliche werden im Netz leicht Opfer von
Cybermobbing. Statt im Klassenzimmer, auf dem Pausenhof oder an der
Bushaltestelle traktiert zu werden, bekommen sie beleidigende oder bedrohliche
Nachrichten. Die Täter machen sich über sie lustig oder verbreiten Gerüchte.
Die Öffentlichkeit reagiert besonders dann beunruhigt, wenn
ein Teenager wegen Cybermobbing Selbstmord begeht, wie die 15jährige Kanadierin
Amanda Todd. Sie veröffentlichte im September 2012 ein Video auf YouTube, in
dem sie beschrieb, wie sie über ihre Webcam erpresst wurde, ihre Brüste zu
entblößen. Als sie sich auf weitere Erpressungsversuche nicht einließ, wurden
die Bilder an ihre Schulkameraden geschickt, und die Hetze über das Internet
begann. Trotz mehrerer Umzüge und Schulwechsel nahm das Mobbing kein Ende, denn
Amanda Todds Peiniger verfolgten das Mädchen online und verbreiteten die Bilder
immer weiter. „Das ist glücklicherweise ein sehr seltener und dramatischer
Fall", meint Sonja Perren von der Universität Konstanz. Die Psychologin
hat mit 820 Schweizer Schülern eine sechsmonatige Studie durch
geführt, in der sie die Schüler zu traditionellem Mobbing
und zu Cybermobbing befragte.
Perrens gute Nachricht: „Cybermobbing ist nur ein Drittel so
häufig wie andere Mobbingformen." Viele internationale Studien ziehen den
gleichen Schluss. Demnach sind rund fünf Prozent der Jugendlichen Opfer von
Cybermobbing, das sich allerdings stark mit traditionellem Mobbing deckt: Ein
Jugendlicher wird selten ausschließlich über das Internet gemobbt. Neun von
zehn Cybertätern verfolgen ihre Opfer auch direkt. Den Ursprung hat
Cybermobbing oft in der Schule. Die starke Überlappung lässt Wissenschaftler
hoffen, dass Initiativen und Maßnahmen gegen traditionelles Mobbing auch gegen
Cybermobbing wirken.
Faules Engagement
Wann bringt ein Klick nichts?
Im März 2012 erregte das „Kony2012"Video weltweit
Aufmerksamkeit. Die Organisation „Invisible Children" hatte das knapp
30minütige Video produziert und damit die "Stop Kony"Kampagne
gestartet. Deren Ziel war es, bis Ende 2012 den flüchtigen afrikanischen
Kriegsverbrecher Joseph Kony weltweit bekannt zu machen, damit er noch
innerhalb des Jahres gefasst würde. Bis heute wurde das Video über 99 Millionen
Mal auf YouTube angeklickt. Einige Tage im März 2012 war es das beherrschende
Thema im Internet.
Lässt sich mithilfe eines eindringlichen OnlineVideos die
Welt zum Besseren verändern? Schon damals wurde
Kritik am Vorgehen von Invisible Children laut: Das Video
Kony2012 befördere lediglich „Slacktivism" — frei übersetzt: „Aktivismus
für Faule". Slacktivism ist die Bereitschaft, mit wenig Aufwand die
Unterstützung für irgendetwas zu bekunden — etwa ein Video anzuschauen, eine
OnlinePetition zu unterzeichnen oder der FacebookGruppe einer wohltätigen
Organisation beizutreten.
Der kanadische Forscher Kirk Kristofferson von der
Universität British Columbia hat das Phänomen des Slacktivism zusammen mit
Kollegen in mehreren Studien untersucht und seine Ergebnisse kürzlich im
Fachmagazin „Journal of Consumer Research" vorgestellt. Die Forscher
hatten mehrere Szenarien offline sowie auf Facebook getestet. Zunächst baten sie
die Probanden, einen guten Zweck mit wenig Aufwand zu unterstützen, etwa mit
dem Beitritt zur FacebookGruppe einer wohltätigen Organisation. Anschließend
forderten sie die Testpersonen auf, dieselbe Sache engagierter zu unterstützen durch eine Geldspende etwa oder durch
freiwilliges Engagement in der Organisation.
Dabei sorgte Kristofferson für zwei unterschiedliche
Randbedingungen: Eine Gruppe machte ihre anfängliche Unterstützung öffentlich,
ihr Beitritt zur FacebookGruppe war somit für alle Freunde sichtbar. Die zweite
Gruppe äußerte ihre Unterstützung nur privat, der Beitritt war nicht sichtbar.
Das Ergebnis war über alle Studien hinweg gleich: Probanden, deren anfängliche
Unterstützung öffentlich erkennbar war, waren zu weniger tatsächlichem
Engagement bereit als Probanden, deren Unterstützung ihre Privatsache blieb.
„Wenn jemand auf Facebook zum Beispiel etwas zur
Unterstützung einer Kampagne gegen Brustkrebs schreibt, geschieht das sicher
nicht nur, um vor anderen gut da zu stehen", sagt Kristofferson. „Aber er
engagiert sich anschließend weniger, weil seine Motivation dafür bereits
befriedigt wurde." Für NonprofitOrganisationen oder Kampagnen, die auf die
tatkräftige Unterstützung von freiwilligen Helfern angewiesen sind, sieht der
Forscher nur eine Chance: Sie sollten die Menschen darum bitten, die
öffentlichen „Gefällt Mir"Buttons und inspirierenden FacebookNachrichten
wegzulassen und sich stattdessen im Privaten zu engagieren.
Diese Erfahrung machten auch die „Stop
Kony"Organisatoren: Sie riefen am 20. April 2012 zur Aktion „Cover the
Night" auf, bei der die Unterstützer Flyer und Poster in ihrer Stadt
verteilen sollten. Das Ergebnis war ernüchternd: In Brisbane kamen 200
Unterstützer zusammen, in Vancouver nur ganze 17. In den meisten Städten suchte
man vergebens nach Postern der Kampagne
und Joseph Kony ist weiterhin auf freiem Fuß.
Vorsicht, ansteckend!
Verbreiten sich Daten im Netz wie echte Viren?
Neue Informationen
aber auch banale Katzenvideos durchdringen manchmal rasend schnell das
Internet, und plötzlich spricht jeder darüber. Das liegt häufig auch daran,
dass die klassischen Medien sie aufgreifen. Zum Beispiel bei der
#aufschreiKampagne, die die Netzfeministin Anne Wizorek Anfang 2013 über den
Kurznachrichtendienst Twitter startete: Auslöser für #aufschrei (sprich:
Hashtag aufschrei) war Wizoreks Begegnung mit FDPPolitiker Rainer Brüderle. Die
Kampagne, die sich gegen Sexismus richtete, zog innerhalb weniger Tage
Zehntausende von Tweets nach sich und eine umfassende mediale Berichterstattung.
Das führte schließlich zu einer öffentlichen Debatte über Sexismus im Alltag.
Eine derartige Streuung geschieht über Videos, Fotos,
Artikel oder sogenannte Hashtags auf Twitter
Schlagwörter mit vorangestelltem Doppelkreuz, die den Inhalt eines
Tweets nennen. Nicht nur Forscher interessieren sich für diese „virale"
Verbreitung, auch Unternehmen und deren Marketingabteilungen wollen
herausfinden, wann genau etwas im Internet beliebt wird, und somit innerhalb
kurzer Zeit ein großes Publikum erreicht.
Forscher machen dazu sogenannte Netzwerkanalysen. Darin
werden Nutzer als Kr.,:tenpunkte dargestellt, die miteinander ved.s=.den sind.
Bei der Analyse der so entstehen. Netze fanden Forscher heraus, dass es P2zzle
len zwischen der Informationsverbrer_ arm.
Internet und der Ausbreitung ans:e..zimme Krankheiten gibt.
„Wenn etwas
pflanzt es sich durch ein Netzwerk :r
ist es egal, ob es sich um die Grippe cx Information
handelt", sagt Manut: ranz, Informatiker an der Aufmimme sität Madrid.
„Beides erreiraii zentralen Knotenpunkte. Je m2tr mand kennt, desto
wahrsz"..
er sich mit einer Grippedas genauso: Je mehr OnlineKontakte
jemand hat, desto wahrscheinlicher ist
es, dass er neue OnlineTrends frühzeitig mitbekommt und sie weiter verbreitet.
GarciaHerranz und seine Kollegen untersuchten, wie sich
solche ansteckenden Ausbrüche in sozialen Netzwerken frühzeitig aufspüren
lassen. Dafür griffen sie auf mehr als eine halbe Milliarde Tweets von 40
Millionen Nutzern zurück. Als Einheit der Information verwendeten sie einzelne
Hashtags und verfolgten deren zeitliche Ausbreitung durch das soziale Netzwerk.
Da Analysen des gesamten Netzwerks aufgrund der riesigen
Datenmengen unmöglich sind, behalf sich GarciaHerranz mit einem Trick, der auf
dem sogenannten Freundschaftsparadoxon basiert. Das besagt: Im Durchschnitt
haben deine Freunde mehr Freunde als du selbst. Die simple Erklärung lautet:
Man freundet sich lieber mit Menschen an, die viele Freunde haben.
Um eine Stichprobe der zentralen Knotenpunkte zu erhalten,
wählte GarciaHerranz zunächst zufällig 50 000 Nutzer aus. Dann suchte er von
diesen Nutzern jeweils einen Freund willkürlich heraus. Auf diese Weise erhielt
er die sogenannte Sensorgruppe. Anschließend verglich er die Tweets dieser
Nutzer mit denen einer zufälligen Stichprobe. Es zeigte sich, dass die
Sensorgruppe die relevanten Hashtags durchweg früher benutzte als die
Kontrollgruppe. In manchen Fällen betrug der Zeitunterschied zwar nur wenige
Stunden, teilweise aber auch 20 Tage.
Dieses Muster stimmt mit der Ausbreitung von ansteckenden
Krankheiten überein. 2009 hatten Wissenschaftler von der Universität Harvard
das Ausbreitungsmuster eine Grippewelle unter Studenten untersucht. Auch in
diesem Fall lieferte die Sensorgruppe fast 14 Tage vor der Kontrollgruppe Hinweise
auf die kommende Grippewelle. Vereinfacht gesagt: Jemand. der 5000 Freunde hat,
fängt sich eher die Grippe ein, als jemand, der nur 5 Freunde hatGarciaHerranz
sagt: „Am Anfang unserer Studie wollten wir herausfinden, ob die
Informationskaskaden wie biologische Viruskaskaden funktionieren. Wir hatten
erwartet, dass sie diesen nur ein_ bisschen ähneln würden. Doch was wir
gefunden haben, sieht tatsächlich fast genauso aus." In Zukunft könnte mit
dieser Methode eine Art Frühwarnsystem für virale Inhalte im Netz entstehen..
was nicht nur für das nächste lustige YouTubeVideo Relevanz hätte, sondern auch
helfen könnte, globale Stimmungsschwankungen und Trends nachzuvollziehen. Eine
große Einschränkung gibt es allerdings: „Wir können nicht anhand des Inhalts voraussagen,
ob etwas viral wird", sagt GarciaHerranz. „Das ist mehr oder weniger
zufällig."
Eine unglaubliche Geschichte: Die Nachricht vom tunesischen
Straßenhändler Mohamed Bouazizi, der sich aus Protest gegen die Regierung
selbst verbrannte und damit eine Protestwelle auslöste, schwappte von Tunesien
nach Ägypten und verbreitete sich von dort in Nordafrika und dem Mittleren
Osten. Die Infrastruktur dafür lieferten Twitter und Facebook. Proteste wurden
über soziale Netzwerke organisiert und Bilder und Videos an den Massenmedien
vorbei direkt in die Herzen der Protestler gespielt. Haben soziale Medien also
eine ernstzunehmende politische Macht?
Erkenntnisse dazu lieferte eine Befragung von rund 1000
Demonstranten auf dem TahrirPlatz, kurz nachdem der ägyptische Präsident Hosni
Mubarak zurückgetreten war. Über die Hälfte der Demonstranten hatte ein Konto
bei Facebook, und viele von ihnen nutzten es auch, um Fotos und Videos von den
Protesten in Umlauf zu bringen. Daraus schlossen die Autoren der Studie, dass soziale
Netzwerke eine wichtige Rolle bei der Revolution gespielt hätten. Die hohe
Produktion und Verbreitung der Inhalte, die ungefähr von der Hälfte der
Befragten kam, zeigt, dass es für das Regime schwierig wurde, Informationen
über die Proteste zu unterdrücken.
Aber das ist nicht immer so: Jürgen Pfeffer und Kathleen
Carley von der Carnegie Mellon Universität untersuchten anhandvon
Medienberichten, wie sich soziale Medien in den Arabischen Frühling einordnen
lassen. Sie analysierten, wann welche Medien über die Proteste berichtet hatten
und nutzten dafür Daten aus rund 700 Zeitungen in 18 Ländern und auch Tweets.
Ihr Ergebnis: „Das Muster der Revolutionsausbreitung passt nicht zum Muster der
Nutzung sozialer Medien." Auch der Politikwissenschaftler Phil Howard von
der Universität Washington sagt: „Es hat keinen Sinn, beim Arabischen Frühling
von Facebook oder TwitterRevolutionen zu sprechen." Trotzdem meint der
Forscher: „Die Geschichte des Arabischen Frühlings lässt sich ohne den Beitrag
der sozialen Medien kaum erzählen."
Howard und seine Kollegen haben ein entsprechendes Modell
des Arabischen Frühlings erstellt. Darin nahmen sie alle 20 Länder auf, in
denen die Mehrheit der Bevölkerung Muslime sind. Und sie bestimmten, inwiefern
dort politische Proteste stattfanden und erfolgreich waren. Anschließend legten
sie mehrere Faktoren fest, die maßgeblich den Erfolg von Protesten
beeinflussen: zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, den Anteil an
Jugendlichen, die Arbeitslosenquote und die Verbreitung des Internets. Keiner
dieser Faktoren allein kann politische Proteste auslösen — aber das richtige
Verhältnis mehrerer Faktoren schon.
„Der Arabische Frühling wurde nicht durch soziale Medien
verursacht", sagt Howard. „Aber soziale Medien kombiniert mit einem hohen
Anteil an jungen, arbeitslosen Bürgern in einem autoritären Regime, das
schwerfällig reagiert, liefert die Erklärung für das, was in Nordafrika und im
Mittleren Osten passiert ist." Facebook hat derzeit rund 1,2 Milliarden
Nutzer. Das Unternehmen steht einsam an der Spitze der sozialen Netzwerke. Zum
Vergleich: Während Facebook im Februar 2014 rund 509 Millionen Seitenaufrufe
verzeichnete, wurde Google+ auf Platz 2 nur 31 Millionen Mal aufgerufen und
Twitter 24,7 Millionen Mal. Bisher ging es für das Unternehmen stets nach oben.
Hinweise darauf, dass Facebooks Höhenflug nicht ewig währen
könnte, liefert allerdings die Tatsache, dass einigen Jugendlichen die Lust auf
das soziale Netzwerk vergangen ist: So verlor Facebook Ende 2013 den Status als
beliebtestes soziales Netzwerk unter amerikanischen Jugendlichen an Twitter.
Außerdem nutzen ein Viertel weniger USAme
rikaner im Alter von 13 bis 17 Jahre Facebook als noch vor
drei Jahren. Auch die 17 bis 24Jährigen wenden sich al (siehe Grafik links). Und
diejenigen, die im Netzwerk bleiben, loggen sich seltener ein.
Allerdings gibt es in allen Alterssegmenten jenseits der 25
Zuläufe: Vor allem bei den über 55Jährigen verzeichnet Facebook Zuwächse von
über 80 Prozent. Und das mag auch ein Grund für die Abkehr der Jugend sein: Für
Teenager ist Facebook weniger cool, seit sie Freundschaftsanfragen ihrer Eltern
und Großeltern bekommen.
Dazu passen die Ergebnisse zweier Forscher der Universität
Princeton, die die Nutzung sozialer Netzwerke mit dem Verlauf ansteckender
Krankheiten verglichen: So wie man sich von einer Grippe erholt, verlässt man
irgendwann auch ein soziales Netzwerk. Der Trend verstärkt sich, je mehr dem
Netzwerk den Rücken kehren. Die Wissenschaftler erstellten ein entsprechendes
Modell, das den Verlauf einer solchen „Epidemie" beschreibt. Als
Gradmesser der Infektions und Erholungsrate verwendeten sie Daten von
Suchmaschinen, also wie oft nach dem Begriff „Facebook" gesucht wurde, um
die Seite anschließend im Browser aufzurufen.
Ein Test mit der inzwischen ziemlich verlassenen
OnlinePlattform MySpace bestätigte die Aussagekraft des Modells. Dann war
Facebook an der Reihe: Laut dem Modell hat das soziale Netzwerk seinen
Höhepunkt bereits 2012 überschritten und wird in den kommenden Jahren rapide an
Nutzern verlieren — bis 2017 nur noch 20 Prozent übrig sind.
Chance oder Bedrohung?
Obwohl Facebook vermutlich immer mehr an Popularität
einbüßen wird und auch Twitter, Google+ oder WhatsApp nicht für die Ewigkeit
gemacht sind, ist es unwahrscheinlich, dass soziale Medien aus dem Alltag
wieder verschwinden werden. Schließlich haben auch andere Medien wie das
Telefon und das Fernsehen überlebt. Die langfristigen Auswirkungen auf unser
Leben sind allerdings schwer abzuschätzen. Klar ist: Ein Großteil des
mitmenschlichen Austauschs, der früher auf dem Schulhof, am Küchentisch oder in
der Kneipe zwischen Freunden, Bekannten und Verwandten stattfand, hat sich in
eine elektronische Umgebung verlagert, wo die Kommunikation gespeichert wird
und potenziell wiederverwertet und für wirtschaftliche Interessen genutzt
werden kann. Ist das nun eine Chance oder eine Bedrohung — oder beides? •
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