Donnerstag, 23. Juli 2015

Das Gehirn von Zebrafischen


Das Gehirn von Zebrafischen

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/2M2kZolBbdM

Es ist ein schöner Tag im Fluss. Freddy, ein junger Zebrafisch, i

             schwimmt fröhlich herum. Er geht

auf Entdeckungsreise. Seine stecknadel-großen Glubschaugen scannen den Boden ab. Plötzlich wird ihm sehr heiß. Hier scheint die Sonne offenbar besonders stark. Doch Freddy gerät nicht in Panik, sondern schwimmt ruhig auf das linke -g> Flussufer zu. Er weiß, dass er sich dort ab] kühlen kann. Am rechten Ufer ist das nicht möglich — das hat er heute schon ein paar Mal erfolglos ausprobiert. Und 1 schon geht es munter weiter auf Erkundungstour. Der Schein trügt: Nichts ist real an diesem Szenario. Den Fluss gibt es nicht. Freddy schwimmt auch nicht durchs Wasser. Stattdessen bietet sich dem Beob-achter ein bizarrer Anblick: In einem abgedunkelten Raum liegt ein winziger Fischkörper reglos auf einer Petrischale. Das Tierchen ist noch ganz jung — es ist eine Fischlarve, die nicht im Wasser sein muss, um zu überleben. Der Luftsauerstoff kann das Tier am Leben halten, solange sein Körper feucht ist. Ein Paraly-tikum hat es komplett bewegungsunfähig gemacht.

In den Flanken des Jungfischs stecken Mini-Elektroden. Sie messen die Aktivi-tät der motorischen Nervenzellen der Schwanzflosse, mit denen er sich im Wasser vorwärts bewegen kann. Über dem gelähmten Tier schwebt das Objektiv eines 500000 US-Dollar teuren Laser-mikroskops. Unter ihm befindet sich der „Fluss" — er ist nichts weiter als ein Monitor, der einen Film mit vorbeiziehenden Balken zeigt. Und die „Sonne" ist nur ein über der Larve angebrachter Laserstrahler.

Grund der clever inszenierten Illusion: Florian Engert von der amerikanischen Universität Harvard will mit seinen virtu-ellen Fischversuchen in die Gehirne von eine saugute Idee", sagt der Forscher in Zebrafischen schauen, während diese astreinem Bayrisch und verrät damit nach dem Motto „Ich denke, also nicht nur seine Münchner Herkunft, son-schwimme ich" im Dienst der Wissen- dem auch eine gehörige Portion Selbst-

schaft im Einsatz sind.    bewusstsein.

„Die lernen in wenigen Minuten, wie

sie den Laser mit einem Schlag der Experimente im Cyberspace

Schwanzflosse ausschalten können", be-

richtet Florian Engert. Gut 30 000 Zebra- Worauf Florian Engert stolz ist: Er ist der fische beherbergt der quirlige Professor erste Forscher, der Zebrafische in den im muffigen Kellergeschoss des biologi- Cyberspace gesteckt hat. Dort setzt er schen Instituts in Boston. Auf scheinbar Freddy & Co unterschiedlichen Reizen endlos langen Regalreihen stehen 18 000 aus und beobachtet dabei einerseits die Aquarien, jedes ungefähr so groß wie eine Cornflakes-Packung. „Die virtuellen Experimente machen wir nur mit den Babys", schreit Engert gegen den Lärm der Wasserpumpen an. Denn die Jungfische sind durchsichtig, weshalb Engert ihnen direkt ins Gehirn schauen kann.

Flink läuft der in Sandalen und Jeans gekleidete Neuro-wissenschaftler aus Deutschland ein paar Dutzend Aquarien ab, kann gerade aber keine Larven finden. Stattdessen zeigt er auf ein Exemplar, dessen blaugestreifter Bauch deutlich größer ist als der seiner Artgenossen. „Hier stecken sie drin, die Babys, bald gibt's Nachwuchs!" Knapp 200 neue Testtiere wird das Weibchen dem Forscher bescheren. „Nur wenige Tage, nachdem die Larven aus den Eiern geschlüpft sind, kommen sie in die Matrix", sagt Engert.

Der Neuroforscher hat viel vor mit ihnen. Der Name „Matrix", den er seinem vir-

tuellen Aquarium gegeben hat, ist eine Aktivität einzelner Gehirnzellen, ande-Anspielung auf den gleichnamigen rerseits auch die Gesamtaktivität aller Science-Fiction-Film, in dem Menschen, 100 000 Neurone. Hitze, Lärm und Licht deren Gehirne mit einer Cyber-Welt ver- sind Stimuli, die Engerts Matrix mit bunden sind, in futuristischen Einmach- Leben füllen. Der Forscher will etwa he-gläsern leben. Engerts Kunstwelt dient rausfinden, wo bei einem Zebrafisch das dazu, die „größte Herausforderung des „Links", das „Rechts" und das „Anhal-21. Jahrhunderts" zu meistern, wie er ten" codiert sind. Und welche Schaltkrei-sagt: in der Gehirnaktivität eines lebenden se aktiv sind, wenn er Angst hat.

Organismus eine Erklärung für sein Ver-    Andere „Cyber-Forscher" arbeiten lie-

halten zu finden. „Die Matrix ist einfach ber mit Nagetieren. David Tank von der Princeton-Universität etwa setzt _\ !: auf einen rotierenden Ball und läs,7 darauf durch ein virtuelles Labyrinf-. fen, das sich vor ihren Augen auf e.-großen Monitor entfaltet. Doch pocht auf seinen Ansatz. „Ein Mäust: ist eine Million Mal so groß wie das Zebrafischs", erklärt er. Daher lässt mit den Fischen viel leichter arbeiten. dem gibt es gegenwärtig keine Mög keit, die Aktivität der rund 75 Millic Neurone, die ein Mäusehirn ent: gleichzeitig zu visualisieren. Um dieses Zusammenspiel in einem sich bewegenden Fisch (oder in einem, der denkt, er würde sich bewegen) nachzuvollziehen, muss er ins virtuelle Aquarium. „Leider kann ich mit meinem Mikroskop nicht in den Fluss und neben dem Fisch her schwimmen", flachst Engert, während er vor einem zu einer Seite hin offenen schwarzen Kasten steht. Darin befindet sich das selbstgezimmerte Herzstück seiner Forschung: die Matrix. Ganze fünf Exemplare gibt es davon am Institut. Ihre Komponenten sind überschaubar: Es gibt ein Objektiv, das auf mehreren schwarzen Würfeln steckt, in denen sich Spiegel für den Laser befinden, außerdem eine durchsichtige Plexiglas-platte, auf die der Fisch kommt, Halterungen für die Elektroden und einen kleinen Monitor. Kabel verbinden die Einzelteile miteinander.

Wie im Flugsimulator

Kaum vorstellbar, dass dieses etwa ein Meter hohe Konstrukt genügt, um dem Fisch eine „heile Unterwasserwelt" vor-zugaukeln. Doch „ein optischer Reiz reicht aus, um Bewegung zu simulieren", weiß Engert — wie wenn man in einem stehenden Zug sitzt, aus dem Fenster schaut und plötzlich meint, die Fahrt geht los. Dabei ist nur der Zug auf dem Nebengleis losgefahren.

„Sobald wir den Monitor einschalten und das Strichmuster erscheint, will der Fisch schwimmen", erklärt Engert. Ihm ginge es so wie einem Menschen in einem Flug- oder Fahrsimulator: Wenn der etwa nach links will, bewegt sich Monitor mit dem Streifenfilm blitzschr.-nach rechts. „Schwimmt" der Fis_ schneller — die im Fisch steckenden El: troden messen dann eine höhere neun): le „Feuerfrequenz" —, rauschen die Str: fen rasanter unter ihm hindurch. Engert während seiner Experimente un:, dem Mikroskop beobachtete, überrasch-ihn. „Für das Schwimmen sind nur etv 100 Zellen verantwortlich", berichtet Er hatte mit viel mehr gerechnet.

In einem anderen Experiment verlit Engert seinen Fischen Superkräfte. D war einfach — er musste den Streifenfil-nur etwas schneller abspielen, als die A. tivität der Nervenzellen vorgab. „D Fische lernten in wenigen Minuten, ihr Kräfte sparsamer einzusetzen", bericht: er. Umgekehrt führen die Fische bei ein,, zu langsam ablaufenden Unterwasserwe.-viel schnellere „Schwimmbewegunger - aus. Offenbar erscheinen ihnen ihre Mus kein dann ungewöhnlich schwach.

Florian Engert stellte fest: Es gibt eir.: ganze Reihe von Neuronen, die nur diesen Situationen aktiv sind. Offenba-signalisieren sie: Achtung! Hier stimm-etwas nicht! „Eine Gruppe von Zelle- feuert, wenn der Fisch meint, zu viel Kra:-zu haben, eine andere, wenn er meint, z wenig Kraft zu haben", erklärt de: Forscher.

Engert und sein 20-köpfiges Team fanden noch weitere Aktivitätsmuster irr Gehirn der jungen Fische, die spezifisch sind für bestimmte Situationen. So gibt es Nervenzellen, die immer dann feuern. wenn ein Fisch nach mikroskopisch kleinen Beutetieren jagt. Zufrieden ist Engen

‘..3 mit solchen Ergebnissen noch lange nicht. Selbstkritisch vergleicht er die Früchte seiner Arbeit mit einem Radio, das in seine Einzelteile zerlegt wurde: Aus den Bausteinen lässt sich nicht erkennen, wie das Gerät funktioniert. „Wir haben Wissen akkumuliert, aber wenig Verständnis", resümiert er. „Und ich möchte wissen, wie ein Fisch funktioniert."

Wissenschaftliche Neugierde hatte Florian Engert bereits als Schüler. Eines seiner Lieblingsfächer war Physik, wes-halb er sich nach seinem Abitur für ein Physik-Studium entschied. Nach dem Abschluss wechselte er in die Biowissenschaften — was er einem zufälligen Gespräch mit einem Nachbarn zu verdanken hatte, der am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München arbeitete. Der junge Physiker entschied sich, dort mit einer Doktorarbeit über Plastizität im Rattenhirn zu promovieren. Seitdem steht für Engert fest: Er will begreifen, wie das Gehirn arbeitet.

1999 wechselte er an die Universität San Diego in Kalifornien, wo er Kaul-quappen ins Hirn schaute, drei Jahre später begann er in Harvard mit Zebra-fischen zu arbeiten. „,Simplifizierung, Simplifizierung' — das hat Eric Kandel immer gesagt." Mit dem Zitat des berühmten österreichischen Hirnforschers begründet Florian Engert, warum er heute

 

nicht mehr mit Ratten, sondern mit Fi-schen arbeitet. Eine ungewöhnliche Laufbahn — aber sie passt zu Engerts Vorliebe für Risiko und Abenteuer. Der. Wissenschaftler trägt auch während der kalten Ostküstenwinter Muskel-Shirts, fährt ohne Helm Motorrad und wurde 2012 beim Skifahren auf dem Hochglück in Tirol bei gesperrter Piste beinahe unter einer Lawine begraben.

Tennis, Squash und Hockey

Und es gibt wohl kaum einen anderen Harvard-Professor, der mit Rollschuhen zur Arbeit fährt und eine respektable Sammlung von Tennis-, Squash- und Hockey-Schlägern sowie dazu passendes Schuhwerk neben seinem Schreibtisch aufweisen kann. Über Engerts Bürotür hängt eine schwarze Metallstange. „Jeder Besucher muss 20 Klimmzüge machen", witzelt der sportliche Professor — doch ein Blick auf seine freien Oberarme verrät, für wen die Stange gedacht ist.

Zu Beginn seiner Karriere hat die eher konservative Universitätsverwaltung versucht, den hyperaktiven Neuzugang in seine Schranken zu weisen: Plötzlich tauchten Schilder mit „no rollerblading" im Institut auf. Aber diese verschwanden fast über Nacht, als Engert 2009 zum

 

ordentlichen Professor ernannt wurde. „Jetzt kann ich mir fast alles erlauben", sagt Engert augenzwinkernd und ergänzt scherzhaft, er hätte mal gehört, dass in der Hierarchie nach einem Harvard-Professor nur noch Gott komme.

Mit seinem nächsten Projekt „Zebra-fisch Connectom" möchte der Vater zweier Kinder im Alter von 6 und 19 Jahren in die Annalen der Neurowissen-schaften eingehen. Gemeinsam mit dem ebenfalls in Harvard wirkenden Forscher Jeff Lichtman, ein Spezialist für Elektronenmikroskopie, will er eine „Gehirnkarte" erstellen. Sie soll zeigen, wie sämtliche Neurone im Kopf miteinander ver-

bunden sind.

 

 


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