W-Lan Wüste Deutschland
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/BpMvAqWRKHY
In ganz Europa gibt es fast überall frei zugängliches W-Lan.
Nur in Deutschland nicht - weil wir Angsthasen sind.
Ein Klick genügt, dann baut sich die Internetseite auf,
blitzschnell, selbst die Fotos sind gut l
zu erkennen. Zu Hause, im
Büro ist das kein Problem. Aber wehe dem, der unterwegs ist,
womöglich noch am Stadtrand oder gar auf dem platten Land. Der kann mit seinem
Smartphone wieder zurückgehen zu den Anfängen der mobilen Telefonie, als Handys
noch hauptsächlich dazu dienten, Menschen anzurufen. Internetseiten öffnen sich
nur quälend langsam, wenn überhaupt. Viel häufiger erscheint der verstörende
Hinweis: Diese Internetseite kann nicht geöffnet werden. Willkommen im
Hoch-technologieland Deutschland.
Tatsächlich gehört der Ausbau der In-ternetverbindungen zu
den Themen, in denen in Deutschland das Drucksen beginnt, die
Erklärungsversuche und Ausflüchte. Besonders beim offenen W-Lan (kurz für
„Wireless Local Area Network") hinkt Deutschland den anderen großen
Industrienationen hinterher. In den Vereinigten Staaten, Korea, Japan oder auch
Nordeuropa gibt es solche drahtlosen lokalen Netzwerke zuhauf, häufig unter dem
Begriff WiFi. Sie haben den Charme, dass man sich mit einem Smartphone oder
Tabletcomputer in einen solchen „Hotspot" einwählen und kostenlos im
Internet unterwegs sein kann. Das hat Potential, findet auch die
Bundesregierung. Der Plan: In deut-schen Städten soll mobiles Internet über
W-Lan für jeden verfügbar sein. Nebenbei könnte so auch die digitale
Grundversorgung gewährleistet werden für alle diejenigen, die sich zu Hause
kein eigenes W-Lan-Netz leisten können.
Das klingt nach Fortschritt, doch da-von ist man hierzulande
noch weit ent-fernt. Derzeit gibt es etwa eine Million solcher Hotspots, viele
davon stellt die
meisten verschlüsselt und deshalb nur nutzbar, wenn man
zahlt oder anderweitig das Passwort kennt. Alle anderen müssen draußen bleiben,
nur etwa 15 000 Netze sind für jedermann frei zugänglich. Sie können ohne Registrierung
und ohne Passwort in maximal wo Meter Entfernung benutzt werden. Zum Vergleich:
Die Spitzenreiter Südkorea und Großbritannien haben dagegen knapp zoo 000
Hotspots, die Vereinigten Staaten mehr als 150 000 - und noch dazu unzählige
private Anbieter, die ihr Netz zur Verfügung stellen.
Selbst in Hotels kann man hierzulande selten unbeschwert
surfen. Etwa 65 Prozent bieten überhaupt W-Lan an, in Europa sind es 8o
Prozent. Selbst wenn es diese Möglichkeit gibt, wünscht der Betreiber meist
Kontrolle: Nur an der Rezeption gibt es die Informationen für das Passwort,
häufig eine Kombination mit der Zimmernummer. So ist nicht nur die
Individualität gewahrt, sondern auch die Rückverfolgbarkeit.
Als „W-Lan-Wüste Deutschland" bezeichnet der Verband
der deutschen In-ternetwirtschaft Eco den derzeitigen Status quo. Was die
Anzahl der verfügbaren offenen W-Lan-Netze und Hotspots angeht, steht
Deutschland in etwa auf einer Stufe mit Russland, wie eine Eco-Erhe-bung über
die weltweite Verbreitung dieser Technologie ergab.
Das ist erschütternd, hat aber handfeste Gründe,
juristischer und gesellschaftlicher Art. Am einfachsten aus dem Weg zu räumen
sind wohl die juristischen, denn die resultieren aus einer Besonderheit der
Rechtsprechung. Besteht der Verdacht, dass von dem Anschluss aus illegal Musik
oder Filme heruntergeladen wurden, muss genau nachvollzogen werden können, wer
es war. Sonst wird der Betreibendes Hotspots herangezogen - und das kann teuer
werden. Denn nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr
2010 müssen Anbieter dieser offenen W-Lans für ihre Nutzer haften, sollten die
illegal Musik oder Filme herunterladen. Damit müssen sie für alles
geradestehen, was nicht anderen Leuten angelastet werden kann. Das ist zwar
praktisch für Künstler und Autoren, deren Urheberrechte verletzt werden. Selbst
wenn der Täter unerkannt ent--• wischt, können sie sich immer noch an
denjenigen halten, der das Netz zur Verfügung stellt. Aber für den großzügigen
Anbieter des kostenlosen Surfens ist diese Rechtsprechung ein Desaster.
Das wird schon lange heftig kritisiert, schließlich steht
Deutschland mit dieser Rechtsprechung ziemlich alleine da. Alle
anderen Länder sind da nicht so streng. Deshalb sind dort
die Menschen auch großzügiger, wenn es darum geht, ihre Internetverbindung mit
anderen zu teilen. Auch die Bundesregierung hat das schon als Nachteil erkannt
und im Koalitionsvertrag versprochen, Abhilfe zu schaffen. „Rechtssicherheit
für W-Lan-Betreiber ist dringend geboten", stellten die Koalitionsparteien
fest. Doch die lässt noch auf sich warten. Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel hatte lange Zeit befürchtet, diese offene Zone werde ein „Freiraum für
Kriminalität". Mit einiger Verzögerung hat er jetzt einen Gesetzesentwurf
zur Änderung des Telemediengesetzes vorgelegt, der je-doch nach Meinung der
Verbände wie Eco oder auch Bitkom das Problem allenfalls unzureichend löst.
Auch Freifunk-initativen laufen Sturm gegen die Regeln. Solche
Bürgerinitiativen arbeiten mit Leidenschaft daran, die Netze von Privatpersonen
zu verknüpfen, damit alle sie nutzen zu können. Die Idee: Jeder stellt seinen
W-Lan-Router für den Datentransfer der anderen zur Verfügung, damit eine freie
Infrastruktur entsteht.
Das ist allerdings gar nicht so einfach im durchreglementierten
Deutschland:
„Die Neuregelung verhindert weiterhi eine flächendeckende
Versorgung mit oi
fenen W-Lan-Netzen in Deutschland`
schimpft die Initiative Freifunk in einen Schreiben, mit dem
sie gar die Europäi
sche Kommission bittet, einzuschreiten Zu unklar, zu
kompliziert seien die neu en Vorschriften, lautet das übereinstim mende Urteil.
Ohnehin wird es woh noch einige Zeit dauern, bis die Regek in Kraft treten
können. Derzeit ist immer von Herbst die Rede.
In anderen Ländern läuft es besser, das fällt besonders.zur
Ferienzeit immer wieder auf. Das liegt vor allem daran, dass andere Staaten
sich diesen Service für die Bürger etwas kosten lassen und selbst Geld in den
Ausbau stecken. Denn solche lückenlose Abdeckung mit Hotspots einzurichten ist
nicht billig. Doch Städte wie Barcelona oder Warschau bieten öffentliche
Gratis-Hot-spots an vielen Stellen in der Innenstadt - ganz ohne Cafe oder
Hotel in. der Nähe. In Dänemark wirbt der öffentliche Nahverkehr mit seiner
schnellen Verbindung, und in Helsinki ist die ganze Stadt ein offenes Netz.
In Deutschland hält sich der Staat jedoch zurück und lässt
die Unternehmen Telekom als größten Anbieter der Hot-spots. Sie betreibt die
W-Lan-Netze von vielen Unternehmen wie der Deutschen Bahn und McDonald's,
natürlich kosten-pflichtig, denn die technische Ausstattung gibt es nicht
umsonst. „Das W-Lan fällt ja nicht vom Himmel", heißt es bei der Deutschen
Telekom launig, schließlich muss die Infrastruktur, vor allem in Form von
Glasfaseranbindungen, bereitgestellt werden.
Die Unternehmen entscheiden dann, ob sie wiederum ihren
Kunden zur Kasse bitten, oder ob sie den Internetzugang kostenlos zur Verfügung
stellen: Die Deutsche Bahn hat sich dazu entschieden, dies nur für die Kunden
der ersten Klasse zu tun. Alle anderen müssen be-zahlen. Am Flughafen Frankfurt
und München gibt es diesen Service dagegen umsonst, bei McDonald's sind die
ersten zwei Stunden kostenfrei. Wer es sich mit seinem Computer bei Polnnies
und Cola länger auf den Plastikstühlen gemütlich machen möchte, muss zahlen.
In diese Lücken, die im W-Lan-Netz klaffen, könnten
Privatleute stoßen und zwar einfach dadurch, dass sie ein Netz zu Hause öffnen
für alle die, die gerade daran vorbeispazieren. Das ist allerdings nicht nur
rechtlich heikel, es gibt auch technische Probleme. Denn offene W-Lan-Netze
sind auch eine willkommene Einladung an Hacker, E-Mails mitzulesen und
Kontodaten abzufischen. Dagegen schützen sich viele, indem sie ihr Netz für
alle verschließen und nur mit einem Passwort zugänglich ' machen. Schließlich
wollen sie nicht aus reiner Nächstenliebe darauf verzichten, zu Hause im
geschützten Bereich ihr Online-Banking zu nutzen.
Das ist durchaus sinnvoll, denn man schließt ja die Haustür
zu, damit nicht jeder reinkommen kann. Allerdings gibt es inzwischen die
Möglichkeit, für andere einen separaten Nebeneingang einzurich-ten. Eine solche
Lösung biett das spanische Unternehmen Fon mit Firmensitz in London an. Es
nimmt für sich in Anspruch, am größten offenen W-Lan-Netz der Welt zu arbeiten,
mehr als 16 Millionen Mitglieder habe diese eingeschworene Gemeinde schon,
heißt es auf der Internetseite. Das System funktioniert ganz nach dem Prinzip
„Teile und
profitiere". Denn genauso wie seine Wohnung kann man
natürlich auch sein W-Lan-Netz mit Menschen aus der ganzen Welt teilen. Dazu
muss man nur sein eigenes Netz anderen zur Verfügung stellen und bekommt dafür
umgekehrt Zugang zu den Netzen der anderen Teilnehmer auf der ganzen Welt. Eine
Bedingung gibt es allerdings hier in Deutschland: Man muss Kunde der Deutschen
Telekom sein, denn nur die ist Vertragspartner von Fon.
Wer sich auf diesen Deal einlässt, muss nicht fürchten, dass
er nun Opfer von kriminellen Hackerbanden wird. Denn der freie Teil seiner
Leitung wird abgekoppelt und über eine eigene IP-Adresse in einem getrennten
System angeboten. Die eigenen Daten sollen damit sicher sein, aber auch vor
einer Haftung sind diese Kunden geschützt, beteu-ert die Deutsche Telekom.
Schließlich müssen sich Fon-Teilnehmer registrieren. Damit ist jederzeit nachvollziehbar,
wer von welchem Netz aus welche illegalen Inhalte heruntergeladen hat. Hier
stellt sich die Frage der Haftung also gar nicht erst.
Umgekehrt müssen sich natürlich auch W-Lan-Nutzer überlegen,
wie sie sich schützen, wenn sie sich in offenen Netzen bewegen. Das können sie
tun, indem sie Sicherheits-Apps wie Virtual Private Network (VPN)
herunterladen, die wichtige Daten verschlüsseln. Ohne besondere Vorkehrungen
ist es nicht einmal ratsam, E-Mails zu lesen. Schon so manche Urlauber wurden
böse davon überrascht, dass während der sorglosen Nutzung Hacker in ihr
E-Mail-Programm eindrangen und von dort aus munter Zahlungsaufforderungen an
alle dort gespeicherten Adressen losschickten. Gerade in der Urlaubszeit häufen
sich solche Vorfälle.
Jüngst wurden drei Politiker des britischen Parlaments
gehackt, während sie das frei zugängliche W-Lan-Netz in London nutzten. Hacker
klauten ihnen Passwörter für ihr E-Mail-Konto und den Online-Bezahldienst
Paypal, außerdem hörten sie Telefonate ab. Der Scha-den hielt sich in Grenzen,
weil die Hacker, allesamt Mitarbeiter der finnischen Sicherheitsfirma F-Secure,
ihre Opfer vorher warnten. Schließlich ging es ihnen nur um ein Ziel: zu
zeigen, dass offene W-Lan-Netze gefährlich sein können, wenn man sich nicht
schützt.
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