Poker Loser in Las Vegas
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/gynyYl5TN_g
Mit einem Schwips und der Erkenntnis, dass die locals
vielleicht noch mehr Pokerbücher gelesen haben als ich, geht es zurück ins
Hotelzimmer.
Frohen Mutes melde ich mich am nächsten Tag bei einem Turnier
im „Ex-calibur" an. Das Hotel ist einer mittelalterlichen Burg
nachempfunden und sieht mit seinen bunten Türmen aus, als wäre es komplett aus
Plastik gebaut. Auf dem Weg zum Pokerfloor sehe ich ein frisch vermähltes
Brautpaar, das in voller Montur stumm nebeneinander vor zwei slot machines
sitzt. Willkommen in Vegas.
Das Turnier selbst ist eine einzige Ent-täuschung. Da ich in
einem Forum bereits gelesen hatte, dass man im „Excali-bur" wohl großer
Fan der Klimaanlage ist, habe ich in einem Rucksack alles aus meinem
Reisegepäck mitgenommen, das einigermaßen warm ist.
Doch die Kälte übertrifft alle Erwartungen. Nach und nach
ziehe ich alles an, was ich dabei habe, und sehe mit der Kombination
„Fleecejacke-über-zwei-Strickpullovern-über-zwei-T-Shirts" irgendwann aus
wie der letzte Vollhonk. Außerdem spricht hier niemand miteinander. Alle
starren verkniffen auf ihre Karten und verziehen keine Miene.
Einen nahezu tiefgreifenden Dialog führe ich mit allein
einem Engländer, der in Flip-Flops neben mir sitzt.
Ich: "Ist Ihnen nicht kalt?"
Er: "Nein."
Ich: „Sie tragen nur Flip-Flops."
Er: ,Ja."
Ich: „Und Sie frieren nicht."
Er: "Nein."
Zu allem Unglück hatte ich mich auch noch für ein
sogenanntes Turboturnier entschieden. Die Einsätze steigen dabei so schnell,
dass sämtliches Geschwafel ä la "Beim Poker setzen sich gute
Entschei-dungen langfristig durch" Makulatur ist. Denn irgendwann haben
alle so wenige Chips, dass ständig jeder all-in gehen muss. Als ich rausfliege,
ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass drei Stunden an einer slot machine
wahrscheinlich erfolgreicher gewesen wären.
Ich beginne zu zweifeln.
Und ändere die Strategie.
Ich spiele cash game.
Beim cash game kann man sich - an-ders als bei einem Turnier
- immer wieder einkaufen, wenn man pleite ist. Aber andererseits kann man auch
jederzeit aufstehen, wenn man entweder durchgefroren ist oder es einfach nicht
gut läuft. Nach zwei Tagen Pokerpause wage ich also einen neuen Versuch. Ich
tausche 200 Euro in Chips ein und setze mich an den Tisch mit den niedrigsten
Einsätzen. Ich brauche jetzt erst einmal ein Erfolgserlebnis.
Leider setzt just an dieser Stelle mein Erinnerungsvermögen
aus. Ich weiß nur noch, dass mein Geld nach einer Stunde weg war und ein dicker
Mann lachte.
In Las Vegas fühlt man sich schnell wie auf einer Party um
fiinf Uhr morgens, wenn nicht mehr klar ist, ob diese Nacht immer weitergehen
soll oder alle schon lange den Absprung verpasst ha- ben. Da laufen halbnackte
Cowboys durch die endlosen, prunkvoll verzierten Flure der Casinos, da hallt
das Kreischen der Mädels beim Junggesellenabschied durch die Nacht. Da schießen
vor dem pompösen „Bellagio" die Wasserfontänen in den Himmel, Cdine Dion
singt aus Lautsprechern „My heart will go on", und Touristinnen aus aller
Welt weinen.
Und obwohl das chinesische Macau inzwischen sieben Mal mehr
umsetzt als Las Vegas und dort die richtigen big games gespielt werden (in
manchen Po-kerrunden geht es in nur einer Hand um mehrere Millionen!), ist Las
Vegas immer noch das Mekka für Polterspieler. Es ist nicht nur diese
„Himmel-so-etwas-er-lebt-man-nur-in-Vegas"-Atmosphäre, sondern es ist eben
auch eine Arena, um sich mit den besten Spielern der Welt zu messen.
Die erfolgreichsten Profis tauchen immer wieder an den high
stakes-Tischen auf (hier braucht man schnell mal mo 000 Dollar; um überhaupt
mitspielen zu dürfen), und Pokerlegenden wie Chris Moneymaker (der heißt
wirklich so!) haben hier Geschichte geschrieben. Moneymaker hatte sich für die
Weltmeisterschaft 2003 mit einem Einsatz von gerade einmal 39 Dollar im
Internet qualifiziert, am Ende gewann er 2,5 Millionen Dollar - und entfachte
einen Pokerboom.
Meinen letzten Versuch, in Las Vegas zu Ruhm, Ehre oder
zumindest ein paar Euros zu gelangen, starte ich im Casino des MGM-Hotels.
Jeden Tag findet hier ein Turnier für siebzig Dollar statt, und
es gehört zu den beliebtesten in ganz Las Vegas. Heute
nehmen sechzig Spieler daran teil, und das Starterfeld wartet alles auf, was
Poker zu Poker macht: Die Spieler tragen Sonnenbrillen, Goldketten oder auch
Rolex-Uhren. (Wahlweise auch eine Kombination aus allen dreien.) Manche haben
sogar extra Sitzkissen dabei. Scheint eine längere Angelegenheit zu werden.
Die Struktur des Turniers (die Einsätze steigen langsam),
die Raumtemperatur (ich friere nicht, yeah!) und die Gegner
(testosterongesteuerte Machos, die alle Karten spielen wollen und deswegen
völlig überreizen) spielen mir in die Hände. Ich mag es kaum sagen, aber: Es
läuft richtig gut. Ich gewinne einen pot nach dem anderen, nehme einen
großspurigen Texaner vom Tisch und lasse mich auch nicht entmutigen, als ich
mit drei Assen in eine Straße laufe. Stunde um Stunde vergeht. Ich bekomme gute
Karten und treffe die richtigen Entscheidungen. Ich ertappe mich dabei, auf die
großen Bildschirme zu sehen, wo die Verteilung des Preisgeldes zu sehen ist.
Ich übe innerlich den Satz ,Ja, ich habe ein Turnier in Las Vegas
gewonnen", bis er mir so flüssig und lässig über die Lippen geht, dass ich
fest davon überzeugt bin, dass dieser Satz schon wahr geworden ist.
Leider kommt ein Tischwechsel dazwischen.
Inzwischen sind wir so wenige Spieler, dass die Tische
zusammengelegt werden. Schon von weitem sehe ich, dass sich an Tisch 3 - der
Tisch, der mir zugeteilt wurde - eine Menschentraube um einen Spieler
versammelt hat. Von nahem sehe ich: Dieser Spieler hat den größten Chipstapel
vor sich, den ich je in meinem Pokerle-ben gesehen habe. „Wie ist er denn dazu
gekommen?", flüstere ich meinem Tischnachbarn zu. „Er ist ein-fach
gut", kommt zur Antwort. „Und er trifft heute alles, was man nur treffen
kann. Er hat schon sieben Leute vom Tisch genommen. Es ist der Wahnsinn."
Die nächsten anderthalb Stunden geht der Wahnsinn weiter -
und ich bin dummerweise mittendrin. Der Mann mit den vielen Chips - er trägt
ein T-Shirt mit einem Toten-kopfaufdruck und der Überschrift ‚The Legend"
- spielt uns alle gegen die Wand. Er ist aggressiv, ohne kopflos zu sein. Und
abWartend, ohne Chancen zu verpassen. Er ist undurchschaubar, durchschaut aber
den Rest des Tisches. Man muss es wohl so sagen: Er spielt einfach verdammt
gutes Poker. Je mehr Chips er gewinnt, desto größer wird die Menschentraube,
die sich um ihn versammelt. Auch bis ins letzte Eck des Casinos hat sich
inzwischen her-umgesprochen, dass da ein dicker Typ sitzt, der alle schonungslos
ausnimmt. „Hey Mann, du musst ins ,Bellagio` gehen, so wie du heute
spielst", sagt ein Zuseher und klopft ihm anerkennend auf die Schulter.
Mir wird klar: Ich bin nur Kanonenfutter einer größeren Mission.
Vollkommen paralysiert beobachte ich, wie mein Chipstapel
immer kleiner wird. Ich verliere einen pot nach dem anderen, lasse mich von
„The Legend" einschüchtern und starte verzweifelt Scheinangriffe, die
prompt als solche enttarnt werden. Irgendwann bin ich ein psychisches Wrack und
starre nur noch benebelt auf die Brüste von Debbie, der Bardame, die einen
Cocktail
nach dem anderen anbringt. Sie trägt ein enges, rotes
Kleid, und ihre Brüste scheinen von
Runde zu Runde größer zu werden. Plötzlich hat der Pokergott
ein
Einsehen mit mir und gibt mir als
Starthand zwei Buben. Jetzt oder
nie, denke ich. Und sage: „All in."
Ich schiebe meine restlichen Chips in die Mitte und spüre,
wie mein Puls steigt. Alle legen ihre Karten weg, nur ,',The Legend" sagt,
ohne mit der Wimper zu zucken: „Call." Er geht also mit. Ich zeige meine
Buben. Er dreht Ass Zehn um. Wenn es nach der Statistik geht, müsste ich nun
gewinnen. In sieben von zehn Fällen liegt meine Kombi-
nation vorne.
Ich habe mein Schicksal nun
nicht mehr in der Hand. In der Hoffnung, dass eine Statistik
zumindest einmal hält, was sie verspricht, sehe ich nervös auf den Tisch.
Denn nun dreht der Dealer nach und nach die fünf
Gemeinschaftskarten um. Schon auf dem Flop, also den ersten drei Karten, kommen
zwei Zehner und ein Ass. ‚The Legend" hat damit ein Full House.
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