Ausgestorbene Tiere Klonen
Author D.Selzer-McKenzie
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Es könnte tatsächlich gelingen, einzelne Exemplare
ausgestorbener Tiere zu klonen —mithilfe molekulargenetischer Techniken. Doch
die Wiederauferstehung von Tierarten, die vor Millionen Jahren lebten, wird
Science-Fiction bleiben.
Anmutig, schlank und ungewöhnlich schön — Martha war ein
Star, benannt nach der ersten First Lady der USA, Martha Washington. Doch sie
war die Letzte ihrer Art. Der viel zu spät gestartete Versuch, Ectopistes
migratorius — besser bekannt als Wandertaube — in Gefangenschaft zu züchten,
scheiterte vor rund 100 Jahren. Martha verendete im September 1914 im Zoo von
Cincinnati, Ohio. Nach ihrem Tod reiste die auf Eis gelegte Schönheit mit dem
Zug nach Washington und wurde dort nach allen Künsten der Zunft präpariert.
Heute wird sie in den Sammlungen des Smitho-nian's National Museum of Natural
His-tory verwahrt.
Einst flatterten etwa drei bis fünf Mil-liarden Wandertauben
durch Nordamerika. Die nomadisch lebenden Schwärme verdunkelten den Himmel, und
Berichten zufolge dauerte es Tage, bis ein „gefiederter Sturm"
vorbeigezogen war. Doch Ectopistes migratorius hielt der Jagd durch den
Menschen nicht stand — die letzte frei lebende Wandertaube wurde am 24. März
1900 getötet. Übrig geblieben sind rund 1500 Bälge, präpariert und konserviert
für die Nachwelt, verstaut in verschiedenen Museen rund um den Globus, darunter
auch das Berliner Museum für Naturkunde.
Doch nicht nur Museumsbesucher begeistern sich für die
Präparate. Sie sind auch begehrte Forschungsobjekte, denn sie bergen Reste von
Erbsubstanz, für die sich eine neue Forschungsdisziplin interessiert: die
Museogenomik. Dabei arbeiten Wis-senschaftler an der Schnittstelle von
Disziplinen zusammen, die lange nichts voneinander wissen wollten:
Molekulargene-tiker und Museumstaxonomen, die Tiere beschreiben, benennen und
ihre systematische Verwandtschaft erforschen.
Mit einem Zebra fing alles an
Der neue Forschungszweig geht auf die Arbeit von Allan
Wilson an der University of California in Berkeley zurück, der gemeinsam mit
Russell Higuchi Anfang der 1980er-Jahre einige Hundert Basenpaare der
Erbsubstanz des Quagga ermittelte, einer Ende des 19. Jahrhunderts in
Süd-afrika ausgerotteten Zebraart. Was damals noch eine Sensation war, ist in
der Museo-genomik heute Routine. Wissenschaftler haben die Technik zur
Sequenzierung der Erbsubstanz kontinuierlich verfeinert und Abschnitte der DNA
von einigen längst ausgestorbenen Tierarten bestimmt. Ein Problem bei der
Arbeit mit sogenannter aDNA (a von „ancient", „alter" DNA) ist der
rasche Zerfall der Erbsubstanz nach dem Tod eines Tieres. „Wir können diese
Genome theoretisch vollständig auslesen", sagt Johannes Krause, Professor
für Paläogenetik an der Universität Tübingen. „Allerdings sind die Frag-mente
so kurz, dass wir nicht wissen, wie wir das Puzzle komplett zusammensetzen
sollen." Zudem ist die DNA meist mit dem Erbmaterial von Mikroorganismen
verunreinigt, die sich auf den organischen Resten der verstorbenen Tiere
angesiedelt haben. Und unter der Erbmasse von Pilzen und Bakterien nach den
DNA-Bruchstücken der ausgestorbenen Art zu suchen, gleicht der sprichwörtlichen
Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Gut gelingt die DNA-Rekonstruktion bei Tieren wie dem
Höhlenbär oder dem Mammut, deren Überreste sich in kühlen Höhlen oder im
Permafrostboden Sibiriens erhalten haben. Denn unter diesen Bedingungen
zersetzt sich die DNA nur langsam. Solcherart konserviert und Jahrtausende
später sequenziert wurden auch das Erbmaterial des 5300 Jahre alten Eis-manns
Ötzi sowie das eines 70000 Jahre alten Neandertalers.
Wie sehr die neuen technischen Mög- ‘A‚ lichkeiten die
Fantasie der Menschen
anregen, zeigen Spielfilme wie Steven itT, Spielbergs
„Jurassic Park". Dort wird in Bernstein konserviertes Dinosaurier-Erb-
gut von Forschern benutzt, um die Urzeit-
ti
riesen wieder zum Leben zu erwecken. Wir wissen natürlich
mittlerweile, dass das nicht möglich ist, weil es von Dinosauriern keine DNA
mehr gibt. Im Laufe der Jahrmillionen hat sie sich zersetzt",
.;-, sagt Krause. „Unter extrem guten Bedin-gungen kann DNA
von Wirbeltieren the-oretisch bis zu einer Million Jahren erhal-
g ten bleiben, aber nicht länger." Das min-destens 65
Millionen Jahre alte Erbmaterial von Dinosauriern hat da keine Chance.
Die ältesten DNA-Funde sind ein paar Hunderttausend Jahre
alt, beispielsweise die 400 000 Jahre alten Überreste von Höhlenbären und
Hominiden, die in der spanischen Höhle Sima de los Huesos ge-funden wurde.
Leipziger Paläogenetiker am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
haben es 2013 entschlüsselt. Den Rekord hält aktuell das 700 000 Jahre alte
komplette Erbgut eines Pferdes, das ein Team um Ludovic Orlando vom
Naturkundemuseum in Dänemark ebenfalls 2013 entzifferte. Sämtliche vermeintlich
ältere DNA entpuppte sich hingegen als modernes Erbgut, das die Probe
verunreinigt hatte.
So war man davon ausgegangen, in Bernstein aus der
Dominikanischen Republik 30 bis 40 Millionen Jahre alte DNA von fossilen
Pflanzen entdeckt zu haben — was sich Anfang des Jahres als
Labor-Verunreinigung erwies. Auch die angeblichen Funde von 30 Millionen Jahre
alter Termiten-DNA oder gar 130 Mil-
lionen Jahre altem Bienen-Erbgut konnten näherer Prüfung
nicht standhalten.
„Aber selbst wenn wir DNA-Fragmente von Tyrannosaurus Rex
hätten, könnten wir sie nicht richtig zusammenfügen", erklärt Krause. „Wir
haben kein genetisches Gerüst, an dem wir uns orientieren könnten. Der nächste
moderne Verwandte des Tyrannosaurus Rex ist das Haushuhn. Doch das ist
genetisch bereits sehr weit entfernt. Es wäre, als hätte man ein Puzzle mit
einer Milliarde Teilen, aber kein Bild als Vorlage."
Kampf um Marthas Wiedergeburt
Hoffnung wecken dagegen jüngere aus-gestorbene Arten, von
denen es in Natur-kundemuseen noch gut erhaltene Fundstücke und damit auch
Reste von Erbsubstanz gibt. Zu diesen Exemplaren gehören auch die Wandertaube
Martha und die 1500 anderen ausgestopften Vertreter ihrer Art.
Molekulargenetiker um Ben Novak und Beth Shapiro von der
University of California in Santa Cruz haben bereits knapp die Hälfte des
Genoms von Ecto-pistes migratorius sequenziert. Sobald ihr komplettes Erbgut
entschlüsselt ist, soll es mit dem ihrer noch lebenden nächsten Verwandten
verglichen werden — der Fel-sentaube sowie der in Westamerika heimischen Schuppenhalstaube.
Passagen, die
sich unterscheiden, sollen dann aus der Erbsubstanz der
Wandertaube heraus-geschnitten und in das Genom der verwandten Arten
eingeflickt werden.
Das dabei entstandene Erbmolekül könnte mittels
biotechnologischer Verfahren in die zuvor entkernte Eizelle einer lebenden
Felsen- oder Schuppenhalstaube eingebaut werden. Durchaus denkbar, dass diese
dann ahnungslos ein Ei ausbrütet, aus dem ein Wandertauben-Küken schlüpft.
Allerdings: Das Verfahren, wie es beispielsweise beim Klonschaf Dolly
er-folgreich angewandt wurde, hat bisher aus ungeklärten Gründen bei keiner
lebenden Vogelart funktioniert, geschweige denn bei einer ausgestorbenen.
Womöglich handelt es sich also auch hier um eine
Zukunftsvision im Stil von „Jurassic Park", die unter Science-Fiction
einzuordnen ist. Denn eine ganze Reihe technischer Probleme steht der
Realisierung des Projekts entgegen. Bei der Klo-nierung der ausgestorbenen
Wandertaube würden Großteile der DNA von einer anderen Tierart stammen. Es ist
unklar, ob Befruchtung und Entwicklung über die Artgrenzen hinweg überhaupt
funktionieren. Auch wenn das erhaltene Genom genau dem der Wandertaube
entspricht, bleibt die Chance gering, dass die Zellmaschine-rie samt
Proteinbildung der heute lebenden Art korrekt funktioniert, wenn die
ge-netische Anweisung von einer ausgestor-benen Art stammt. Und selbst wenn die
Klonierung zunächst erfolgreich ist, gibt es immer noch eine hohe
Wahrscheinlichkeit für Missbildungen und Krankheiten.
Experte Michael McGrew, der als Embryologe am Roslin
Institute in Edinburgh arbeitet — jener Forschungseinrichtung, an der Klonschaf
Dolly gezüchtet wurde —, befürchtet deshalb: „Wir verfügen nicht über die
Technologie, um eine ausgestorbene Art wiederzubeleben."
Abgesehen von allen technischen Hindernissen stellt sich die
Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, ausgestorbene Arten wiederzubeleben. Denn
bereits jetzt räumen wir der Tierwelt bedrohlich wenig Platz auf unserem
Planeten ein. So befürchten Experten wie Stuart Pimm, Professor für Umwelt- und
Artenschutz an der Duke University im US-amerikanischen Dur-
' ham, dass sämtliche Großsäuger mit mehr als 10 Kilogramm
Körpergewicht bis Mitte des Jahrhunderts aussterben. Seit Jahr-
:e z• ehnten gelingt es nicht, in Afrika und
E Asien die Bestände von Elefanten, Nas-hörnern, Löwen,
Leoparden und Tigern zu erhalten. Aktuell gelten laut jüngstem IUCN-Bericht 70
000 Tierarten weltweit
rc% als vom Aussterben bedroht.
Angesichts dieses Artensterbens kann es kaum vernünftig
sein, einzelne Exem-
Dickhäutige Vorfahren: Das Mammut (hinten) ist mit heutigen
Elefanten näher verwandt als das Mastodon (vorne).
plare von Mammut, Wollnashorn oder Wandertaube unter großem
technischen Aufwand zu klonen. „Es soll auch nicht das Gefühl entstehen, dass es
kein Pro-blem ist, wenn Tiere aussterben, weil man sie ohnehin einfach im
Reagenzglas zu-rückzüchten kann", sagt Krause.
Dennoch messen Wissenschaftler den neuen gentechnischen
Verfahren große Bedeutung bei — allerdings nicht für die Rückzüchtung ausgestorbener
Arten, sondern für die Grundlagenforschung. Die in Museen lagernden Überreste
aus-gestorbener oder gefährdeter Arten sind oft zwei oder mehr Jahrhunderte alt
und liefern Erkenntnisse über stammesge-schichtliche und biogeografische
Zusam-menhänge einzelner Arten quer durch das Tierreich Goldene Zeiten für
Museogenomiker
Die Ergebnisse aus Sequenzierungen die-ser bisher weitgehend
ungenutzten DNA-Datenbanken und Genom-Bibliotheken sind derzeit fast täglich
Thema in Fach-Publikationen. Mithilfe von Gen-Analy-sen zeigte beispielsweise
2003 ein internationales Team um Alan Cooper, mittlerweile Direktor des
ACAD (Australian Centre for Ancient DNA), dass weibliche Moas 280 Prozent des Körpergewichts ihrer männlichen Artgenossen aufwiesen. Ursprünglich hielt man
ACAD (Australian Centre for Ancient DNA), dass weibliche Moas 280 Prozent des Körpergewichts ihrer männlichen Artgenossen aufwiesen. Ursprünglich hielt man
männliche und weibliche Tiere der aus-gestorbenen Vogelart
aus Neuseeland für Vertreter unter-
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