Uralte Felsmalereien
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/F_fMvFfxRXs
Tiere, Riten, Jagd und Tanz — die Szenerie der Steinzeit ist
über ganz Afrika verteilt. Prähistorische Menschen haben ihre Lebens- und
Traumwelt in Fels graviert. Doch nun droht ein Teil dieser Gravuren und
Malereien zerstört zu werden — durch Diebstahl, Bergbau und Vandalismus. David
Coulson versucht zu retten, was zu retten ist. Zwar stehen ihm dazu digitale
Foto-grafie und Vermessungstechnik zur Ver-fügung. Doch die Arbeit, die er
leistet, ähnelt derjenigen vor 6000 Jahren: die Gedanken und Bilder der Vergangenheit
erhalten, bevor sie verschwinden.
Idealist, Schatzsucher, Fotograf, Aus-gräber — auf die Frage
an David Coulson, was er eigentlich sei, erhält man eine lapidare Antwort: „Ich
bin kein Wissenschaftler." Alles andere trifft zu. Der britische
Diplomatensohn lernte schon als Kind fremde Länder kennen. Er wurde in Paris
geboren, wuchs in Washington D.C., Stockholm und Genf auf. Seinen ersten
Kontakt mit Afrika hatte er als Angestellter einer großen europäischen Firma,
die ihn nach Südafrika schickte. Schon damals, in den frühen 1970er-
Jahren, ging es um Bilder: Coulson war Vertreter für
Kopiergeräte.
In seiner Freizeit holperte er in einem türkisfarbenen
VW-Bus durch Busch, Steppe und Savanne und konnte nicht genug bekommen von dem,
was er sah. „Also fing ich an, meine Eindrücke zu verarbeiten und wurde
Fotograf und Schriftsteller", erinnert sich der heute 65-Jährige.
Sehnsucht nach der Savanne
Ein Entschluss mit Folgen. Coulson reiste durch Südafrika,
Namibia, Angola und Simbabwe. „In der Nähe von Harare sah ich zum ersten Mal
Felsbilder", sagt er. „I was exposed" ( „Ich wurde belichtet" ),
beschreibt er die Gefühle jenes Augenblicks im Fachjargon der Fotografen. „Die
Schönheit der Bilder hat mich bewegt. Es war, als könnte ich durch ein Fenster
in die Vergangenheit sehen." Die Felskunst Afrikas ließ den Briten nicht
mehr los.
Coulsons Versuch, nach Paris zurückzukehren, scheiterte,
weil seine Gedanken bei den Felsbildern in der Sahara und der Savanne blieben.
Ein gut bezahlter Job in
der Seinestadt und eine Wohnung mit Blick auf den Eiffelturm
konnten nicht ablenken von der Amour fou in der Wiege der Menschheit. Am Ende
war die Sehnsucht stärker als die Vernunft. David Coulson tauschte die Seine
endgültig gegen den Niger, um die Mona Lisa der Vorgeschichte zu suchen.
Was er fand, waren Menschen: den Archäologen Alec Campbell,
der Coul-sons Freund wurde und mit ihm 25 Jahre lang Felsbilder aufspürte und
dokumentierte, und die Archäologin Mary Leakey, Entdeckerin vieler
frühmenschlicher Fossilien und der Fußspuren von Laetoli. Bei ihrer Arbeit
vornehmlich in Tansania hatte die Grande Dame der Paläoanthro-pologie immer
wieder Felsbilder entdeckt. Sie fragte David Coulson, ob er sich vor-stellen
könne, die prähistorische Kunst zu dokumentieren. „Ich sagte ihr, dass ich kein
Archäologe bin. Sie erwiderte: ,Nein. Aber du hast mehr von Afrika gesehen als
jeder Wissenschaftler.'" Für David Coul-son kam das einem Ritterschlag
gleich. Er packte den VW-Bus und fuhr los, um möglichst viele Fenster in die
Vergangenheit aufzustoßen. Das war vor annähernd drei Jahrzehnten. Heute blickt
David Coulson auf das Ergebnis seiner Bemühungen zurück: ein Archiv voiL 25 000
Fotografien aus 20 afrikanischen Staaten. Den Kilometerzähler seines Autos hat
er mehrfach überdreht, den eigenen wohl auch. „Dreimal um den Globus" ist
er nach eigener Einschätzung schon gefahren.
Der VW-Bus hat seinen Veteranenplatz im Garten von Coulsons
Haus in Nairobi, Kenia, gefunden. Coulson selbst aber hat die Handbremse nicht
angezogen. Wie viel gibt es noch zu tun da draußen? Coul-son lacht. „Eines
meiner Probleme ist, dass die Leute nicht wissen, wie groß Afrika ist. Wir
haben gerade mal an der Oberfläche gekratzt."
Flusspferde im Sand
Unter diesen ersten Kratzern legte der Fotograf Bilder einer
versunkenen Welt frei. Mancherorts ist diese Welt allerdings gar nicht
versunken, sondern vertrocknet. Zum Beispiel in der Sahara: Mitten in der Wüste
haben Menschen Bilder von Fischen in den Fels geritzt. Nebenan tauchen
lebensgroße Bilder von Flusspferden aus dem Sand auf. Heute ist weit und breit
kein Wasser mehr zu sehen, in den knochentrockenen Flussbetten rinnt nur die
Zeit.
Diese Bilder erzählen von einer Ära, in der Nordafrika noch
grün war. Während der Eiszeiten kam es mehrfach zu Klimaveränderungen. Das Eis
taute, und die Klimazonen verschoben sich — die Tropen wanderten nach Norden,
die Wüste wurde grün. Ein kurzfristiges Phänomen: Schon nach wenigen Tausend
Jahren kehrte sich der Effekt um, und die Wüste kam zurück, zuletzt vor etwa
5000 Jahren. Ein Glücksfall für die Felsbilder. Was Steinzeitkünstler in der
„grünen Periode" schufen, liegt seither in einem unzugänglichen Gebiet und
ist vor Diebstahl und Vandalismus geschützt — vor Fotografen.
sind", erzählt Coulson, „manchmal berichten mir
Forscher, wo sie vor 50 Jahren über ein Felsbild gestolpert sind. Aber manchmal
ist es auch einfach Intuition." Er erzählt davon, wie er mit Alec
Camp-bell und einem Tuaregführer an Seilen vor einer Felswand im algerischen
Teil der Sahara hing und in der flimmernden Hitze am Horizont einen anderen
Berg ausmachte. „Ich dachte: Wenn es hier Felsbilder gibt, warum nicht auch
dort? Wir sind dann dorthin gefahren, haben alles abgesucht — und welche
gefunden."
Felskunst unter Artenschutz
Wenn es um Felskunst geht, hat David Coulson den richtigen
Riecher. „Die Sahara hat die höchste Felsbilddichte auf der Welt", schätzt
er. „Das Gebiet ist so groß wie die USA, nur die Straßen fehlen." Einen
Weg zum Erhalt afrikanischer Felskunst hat sich David Coulson selbst gebahnt. Gemeinsam
mit Mary Leakey und seinen Freunden Alec Campbell, Tom Hill und Bruce Ludwig
gründete er 1996 den „Trust for African Rock Art" (Tara) und richtete
dessen Hauptquartier in Nairobi ein. Die Organisation fasst ihre Arbeit in vier
Worten zusammen: Finden, Konservieren, Dokumentieren, Sensibilisieren. Damit,
so hofft das Team von Tara, kann
ein Teil der noch existierenden Felsbilder Afrikas
wenigstens in Kopien erhalten werden.
Die Originale gehen verloren, da machen sich die Mitarbeiter
von Tara keine Illusionen. Afrika sei zu groß, die einzelnen Orte zu
unkontrollierbar, um die Bilder zu schützen. Die Liste bedrohter Felsbilder ist
lang. In Kondoa, Tansania, gruben Schatzsucher ein Loch unter eine
Im Südosten von Algerien liegt Afrikas „El Dorado" der
Felsbilder. Dazu gehören auch kleine Schätze wie der Jäger mit Hund.
mit Bildern geschmückte Felswand, weil sie glaubten, dort
sei das Gold deutscher Kolonialisten versteckt. Die Wand stürzte ein. In
Nordkenia wurden kürzlich Vorkommen von Erdöl entdeckt. Die Förderung wird die
darüber liegende Felskunst zerstören. In Ägypten bedroht Eisenerz-bergbau
prähistorische Gravuren am Wadi Abu Subeira. „Das kann Bilder, die Tausende von
Jahren überdauert haben, in einem Augenblick vernichten." Doch die größte
Bedrohung ist laut David Coul-son die Ignoranz. Was ohnehin kaum jemand wahrnimmt,
ist dem Untergang geweiht.
Tara arbeitet gemeinnützig. Deshalb braucht die kleine
Organisation große Freunde, die immer wieder mit Geld helfen. Nelson Mandela
stärkte Tara den Rücken und warb Mittel ein für den Erhalt des afrikanischen
Erbes. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan steht hinter der
Organisation. Bei der Unesco hat man ein offenes Ohr, wenn David Coulson
anruft. Der französische Früh-geschichtler Jean Clottes, der in seinerHeimat
die Bildhöhlen Chauvet und Cos-quer untersucht, weist immer wieder auf die
Bedrohung afrikanischer Felskunst hin. Und im Herbst 2014 klinkte sich ein
weiteres Schwergewicht in das Projekt ein: Das British Museum überträgt das
gesamte Tara-Archiv auf seine Server und stellt die Bilder dort weltweit kostenlos
zur Verfügung.
Das Interesse ist groß, doch es muss noch weiter wachsen.
„Taras wichtigste Mission ist nicht zu forschen, sondern Aufmerksamkeit zu
erregen", hält David Coulson fest. Ebenso oft wie er unter
Fels-vorsprüngen „in 1000 Jahre altem Fleder-mausdreck" herumkriecht,
steht der Brite in Schulen und Gemeindezentren und berichtet Kindern und
Erwachsenen von dem kulturellen Erbe in ihrem Hinterhof. „Nur wenn die
Felsbilder als Teil der eigenen Geschichte erkannt werden, hütet man sie auch",
schildert Coulson seine Erfahrungen. Dass die uralte Kunst auch Touristen
anlockt und damit Geld in die Gemeindekassen spült, macht die Felskunst für die
Anwohner noch attraktiver. Aber bedeutet Öffentlichkeit nicht auch Gefahr?
„Die Bilder, deren Orte wir bekannt machen, mögen für die
jeweilige Region bedeutend sein. Allerdings sind sie nicht so imposant wie das,
was man in der
Sahara findet", erklärt David Coulson. Dort, so der
Fotograf und Forscher, würde er zwar alles dokumentieren, was ihm vor die Linse
kommt. „Aber weder in Büchern noch in Archiven schreibe ich ein Wort darüber,
wo diese einzigartigen Stücke zu finden sind. Das ist Taras Goldene
Regel."
Kaum zu deuten, schwer zu datieren
Zu solchen gefährdeten Exemplaren gehören lebensgroße Bilder
von Elefanten und Giraffen, die an einem geheimen Ort in Algerien zu finden
sind. Eine der Giraffen, eine Gravur von neun Metern Höhe, ist das gewaltigste
einzelne Felsbild, das bislang auf dem Kontinent entdeckt wurde. Das Tier hat
Verwandte: „Die Giraffe ist das häufigste dargestellte Tier der Frühgeschichte
in Afrika", erklärt Coul-son. „Wir finden die Bilder über alle Länder und
Klimazonen verteilt." Zeichen eines Jagdzaubers oder schlicht Faszination
von der Schönheit der Natur? Bei der Deutung des Phänomens ist der Experte
zurückhaltend. „Wir können davon ausgehen, dass Schamanismus dahinter steckt.
Aber welcher Art — das werden wir niemals herausfinden."
Der Blick durch das Fenster der Zeit bleibt verschwommen.
David Coulson
genügt das. Ihm gefällt die Steinzeitkunst, und er empfindet
Ehrfurcht vor ihrem Alter. Wissenschaftler seien da jedoch anderer Ansicht.
„Forschung ist präzise, Felskunst ist es nicht. Das ist ein Problem."
Coulson glaubt, dass Archäologen die Felsbilder Afrikas bis vor wenigen Jahren
vernachlässigt haben, weil die Darstellungen keine glaubhaften Informationen
enthalten. „Welcher Teil davon ist Fantasie, welcher Wirklichkeit? Wir können
nicht entscheiden, ob sich jemand etwas ausgedacht hat oder nicht. Wenn es nach
mir geht, sollten die Leute die Bilder einfach als solche betrachten."
Die riesige Schafherde auf einem etwa 7000 Jahre alten
Felsbild in Ägypten — sie war vielleicht nur der Wunschtraum eines Hirten. Doch
jeder bemalte Stein hat einen wahren Kern. Die Schafe werden von einem Hund
gehütet, und der ist einer der frühesten nachweisbaren Vertreter seiner Art in
Nordafrika. Ebenso sind Pferde und Kamele Exoten, deren Einwanderung in Stein
gemeißelt ist: Die Felsbilder helfen, den Zeitraum festzulegen, an dem sie aus
Asien eingewandert sind.
Dazu muss das Alter des Felsbilds be-stimmt werden.
Entdecken Coulson und seine Freunde eine neue Stätte, untersuchen sie zunächst
den Boden mit archäologischen Methoden. Manchmal fördem sie Steinwerkzeuge und
Keramik zutage. Der Abfall aus dem Steinzeit-Atelier hilft, die Bilder zu
datieren und ihre Urheber besser kennenzulernen. Dann erst kommen die Kameras
zum Einsatz.
Um die uralten Bilder zu fotografieren, ist die aktuelle
Technik gerade gut genug. „Als ich vor einigen Jahrzehnten als Einzelkämpfer
anfing, hatte ich nur eine analoge Kamera und arbeitete mit handelsüblichem
35-mm-Film", erzählt Coulson und lacht. „Da kam ich nach mehreren Wochen
aus der Wüste zurück und wusste nicht, ob die Aufnahmen gelungen waren. Hitze
und Kälte setzten der Filmoberfläche zu, Sand geriet ins Kameragehäuse, der
Belichtungsmesser spielte verrückt. Und wenn ich dann daheim im Labor vor den
unterbelichteten Ergebnissen stand, gab es nicht einmal die Möglichkeit, die
Katastrophe mit digitaler Bildbearbeitung zu beheben. Ich habe in der
fotografischen Steinzeit gelebt." Trotzdem blieb die analoge Nikon-Kamera
noch bis 2009 Coul-sons zuverlässigster Begleiter. Erst seit fünf Jahren
arbeitet Tara mit Digitaltech-
nik, die auch zum exakten Vermessen der Felsbilder angewendet
wird.
Stets ist David Coulson bemüht, die Landschaft in seine
Fotografien einzubeziehen. Denn er ist überzeugt: Die Bilder müssen in
Zusammenhang mit der Natur gesehen werden, auch dann, wenn sich Flora und Fauna
längst verändert haben. Ohne die ihn umgebende Wüste würde das Bild des Fisches
in der Sahara den Betrachter im Regen stehen lassen.
Alles eine Frage des Alters?
Afrikas Felskunst steht im Schatten der europäischen
Bilderhöhlen. Die französischen Grotten von Chauvet und Lascaux, die spanischen
Höhlen von Altamira und El Castillo gelten als Belege für den Beginn
menschlichen Kunstschaffens. Ihre Qualität ist zwar nicht besser als die der
afrikanischen Funde, aber sie sind älter. Bis zu 40 000 Jahre reichen die
Datierungen der europäischen Bilder zurück. Ihr Alter wird anhand von
Mineralschichten be-stimmt, die sich in den abgeschlossenen Höhlensystemen über
den Bildern abgelagert haben und diese konservierten. Das älteste heute noch
erhaltene Felsbild Afrikas ist hingegen „nur" 24 000 Jahre alt, die meiste
Felskunst etwa 6000 Jahre. Wenn Afrika die Wiege der Menschheit war, scheint
Europa der Kreißsaal der Kultur gewesen zu sein.
Aber davon ist David Coulson nicht überzeugt. Er verweist
auf die Funde in der Blomboshöhle in Südafrika. Dort
entdeckten Forscher Ockersteine mit Ritzlinien. Sie sind 77
000 Jahre alt. Der Archäologe Christopher Henshilwood nannte sie in einer
Studie von 2002 die ältesten Zeugnisse menschlichen Kunstschaffens überhaupt.
Mithilfe des Ockers war es überdies möglich, Farben aufzutragen. Ob Haut, ob
Stein, ob Holz — das Trägermaterial ist nicht überliefert. „Es könnte
Body-Painting gewesen sein, oder das Färben von Kleidung, aber natürlich auch
ein Felsbild", sagt David Coulson.
Zwischen der Blomboshöhle und dem ältesten Felsbild Afrikas
klafft eine Lücke von 50 000 Jahren. Coulson ist überzeugt: „Wir werden noch
Bilder finden, die so alt sind wie die in Europa. Ich könnte mir vorstellen,
dass es überall auf der Welt ein gemeinsames Zeitalter der Fels-kunst gegeben
hat, wir wissen es nur
noch nicht."
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