Zeitmaschine in die Zukunft
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/vO1BC9HlIlU
Mit der Zukunft zu kommunizieren, ist ein Traum der
Menschheit. Jetzt könnte er in Erfüllung gehen: Im Salzkammergut baut Martin
Kunze eine Zeitmaschine —mit jahrtausendealter Technologie.
Das Tor in die Zukunft befindet sich im ältesten Bergwerk
der Welt. In den Salzminen beim österreichischen Hallstatt haben Menschen schon
vor 7000 Jahren Mineralien abgebaut. Jetzt errichtet der Keramiker Martin Kunze
dort ein einzigartiges Archiv. Es soll Daten unserer Zivilisation für Menschen
in ferner Zukunft aufbewahren.
Die Tunnel der Hallstätter Bergwerke sind taghell
erleuchtet. Salzkristalle überziehen den Fels wie eine Haut und glitzern im
Kunstlicht. Martin Kunze geht zielstrebig durch das Labyrinth aus Schächten und
Stollen. Seit Menschengedenken wird hier Salz geschürft — und das
Menschengedenken ist es, das ihm Kopfzerbrechen bereitet.
Mit einem Klick vernichtet
Kunze verweist auf den zunehmenden Datenverlust in unserer
Alltagskultur durch das Verwenden digitaler Technik. Das Fotoalbum auf dem
USBStick, die Bildcollage aus Bits und Bytes, das digitale Klavier auf dem
Tablet — für den Kunsthandwerker aus Gmunden sind das Beispiele für eine
hochentwickelte Kulturstufe, die an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt. „Digitale
Daten gehen schnell verloren", sagt der Österreicher. „Ganze Fami lienchroniken
lassen sich, wenn sie nur digital bestehen, mit einem Klick vernichten."
In Internetforen kursiert bereits ein Name für dieses Phänomen: „Digital Dark
Age" — dunkles digitales Zeitalter.
Diesem digitalen Vergessen hat der DiplomKeramiker den Kampf
angesagt. Sein Archiv in den Minen des Salzkammerguts soll das kollektive
Gedächtnis der Menschheit bergen. „Memory of Mankind" (MOM) heißt das
Projekt. Sein Erfinder setzt auf Analoges: gebrannten Ton. Denn Keramik hält
Kunze für das am besten geeignete Material, um Daten über Jahrtausende haltbar
zu machen.
Die Sumerer haben es vorgemacht. Kunze verweist auf das
älteste Schriftsystem der Welt, die Keilschrift, die sich auf gebrannten
Tontafeln über 5000 Jahre lang erhalten hat und heute lesbar ist wie am ersten
Tag. Martin Kunze erzählt auch von den farbigen Fliesen auf den Moscheekuppeln
von Taschkent und Samarkand, die selbst nach Jahrhunderten nicht verblichen sind,
weil das Trägermaterial die Farbkörper umschließt.
Das soll auch das Archiv des MOM können. Möglich ist das
durch eine junge Technologie, mit der Farbbilder und kleinste Schriftzeichen
auf keramische Platten gebrannt werden. Ein Wiener Glasurwerk hat spezielle
Farbkörper entwickelt, die es erlauben, Siebdrucktechnik
auf Laserdruckern einzusetzen. Diese wiederum können Träger
bedrucken, die für das Siebdruckverfahren bislang nicht infrage kamen. Dazu
gehört ein mit Gelatine beschichtetes Papier. Legt man einen derartigen
Ausdruck ins Wasser, trennt sich die Gelatineschicht ab, und sie kann auf den
Träger, eine handelsübliche Steinzeugfliese, geschoben werden. Die kommt
anschließend bei 850 Grad Celsius in den Brennofen. Das Ergebnis sieht aus wie
die Seite eines quadratischen Buchs,
fühlt sich aber an wie eine Badezimmerkachel. Das Verfahren
verspricht, für die Ewigkeit zu sein.
In Salz eingelegt
Martin Kunze hat das Ziel seines Wegs durch die Salzschächte
erreicht. In eine Felswand ist eine Nische getrieben. Noch sind die Abbauspuren
frisch, doch in den Graten und Riefen lagert sich schon wieder frisches Salz ab
und zeichnet weißeStreifen in das Gestein. Hier wächst das Lager von MOM.
Mehrere Dutzend Kisten aus Keramik — Kunze nennt sie Kokons — sind in der
Nische gestapelt, einige wurden bereits mit Fliesen gefüllt. Auch die neue
Ladung wird nun in einen Kokon einsortiert. Wenn es nach Martin Kunze geht,
bleibt sie hier bis in alle Ewigkeit.
Etwa 400 Tafeln sind derzeit gesammelt. Über ihren Inhalt
bestimmen die Verfasser. Und das kann jeder sein. Über die Website des Projekts
melden sich Interessierte an und geben eine Fliese in Auftrag. Für rund 300
Euro stellt Kunze zwei Erinnerungstücke her, lagert eines ein und versendet
eines an den Auftraggeber.
In den Kisten entsteht eine Mixtur aus wissenschaftlichem
Bericht und privatem Fotoalbum. Das Naturhistorische Museum Wien hat die 100
wichtigsten Exponate auf je einer Tafel archivieren lassen. Auf einer
präsentiert sich ein Mädchen in Tracht bei ihrer Konfirmation, auf einer
anderen ein Paar Arm in Arm beim Segeln. Die Geschichte der Stadt Gmun
a den ist ebenso deponiert wie die Darstel
glung einzelner Unternehmen.
Manche entwickeln eigene Ideen angesichts der Möglichkeit,
in die Zukunft zu denken. Claudia Theune, Dekanin an der Universität Wien,
belohnt Absolventen damit dass sie die besten Dissertationen des Semesters auf
Tafeln brennen und in Hall
statt einlagern lässt. Die neue keramische Technologie
ermöglicht auch das: Ein Buch von etwa 250 Seiten passt auf zehn Fliesen —
Bücherwürmer können daran ebenso wenig nagen wie der Zahn der Zeit.
Zivilisationskabinett für die Zukunft
Martin Kunzes Vision vom Erhalt unserer kulturellen
Identität ist ein Traum, den viele träumen, auch Künstler und Wissenschaftler.
Schon 1936 legten Forscher der Oglethorpe University im USBundesstaat Georgia
die „Crypt of Civilization" (zu Deutsch: „Gruft der Zivilisation")
an. In einem ausgedienten Swimmingpool
schlossen die Wissenschaftler ausgewählte Objekte ein,
darunter Audioaufnahmen von Franklin D. Roosevelt, Adolf Hitler und der
Zeichentrickfigur Popeye. Die Gruft soll im Jahr 8113 geöffnet werden. Diese
Zahl errechneten die Forscher aus der zeitlichen Distanz zwischen 1936 und dem
damals ältesten bekannten Datum im ägyptischen Kalender, dem Jahr 4241 v.Chr.
Auch die deutsche Bundesregierung beteiligte sich mit einem
Projekt am Unternehmen Kultursicherung. 1975 begann das Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe damit, die wich auf Mikrofiche zu
kopieren. Damals, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, war die Angst vor einem
Nuklearkrieg groß.
Sie trieb die Behörden dazu, 600 Millionen Aufnahmen in 1400
Edelstahlfässern in einem alten Silberbergwerk einzulagern. nie Stollen bei
Oberried im Schwarzwald enthalten noch heute Sicher
heitskopien des Textes des Westfälischen Friedens aus dem
Jahr 1648 und der Krönungsurkunde Ottos des Großen von 936. 500 Jahre lang soll
das Material die Daten sichern.
Für Martin Kunze ist das zu wenig. Der Gmundner plant, mit
MOM viel größere Zeiträume zu überbrücken. Einige Zehn
tausend Jahre sollen es schon sein. Denn Kunze hält nicht
nur digitales Vergessen für möglich. Er rechnet auch mit Katastrophen: einer
globalen Epidemie, dem Ausbruch eines Supervulkans oder einem Asteroideneinschlag.
Kunze betont: „Je weiter wir in die Zukunft denken, desto höher wird die
Wahrscheinlichkeit, dass so etwas eintreten kann." Das MOM soll auch
„Weltuntergänge" überdauern — dank seiner Geologie. Das Salz liegt wie ein
elastischer Kern im Berg. Explodiert ein Himmelskörper darüber, könnten die
Minerallager wie Stoßdämpfer wirken und den Schlag bis zu einer gewissen Wucht
abfedern. Auch die Lagerstätte selbst birgt einen Vorteil, auf den Archive in
anderen Bergwerken verzichten müssen: Das Salz wuchert und umschließt die
Platten. „In etwa 40 Jahren", schätzt Martin Kunze, „wird sich eine
schützende Schicht aus Kristallen um die Kokons gelegt haben."
Ein schweres Erbe
„Er macht alles richtig", sagt Cornelius Holtorf über
Martin Kunze. Der deutsche Forscher ist Professor für Archäologie an der
LinneUniversität im schwedischen Kalmar — und ebenso wie Kunze von der Relevanz
der Vergangenheit für die Zukunft überzeugt. Das gehört für Holtorf durchaus
zur Aufgabe eines Altertumsforschers: „Unsere Disziplin beschäftigt sich mit
Zeitverhältnissen, nicht nur mit der Vergangenheit."
Mit diesem Credo suchte Holtorf Kontakt zur schwedischen
Kernindustrie. Denn die, so meint der Forscher, hinterlässt mit ihrem nuklearem
Abfall ein
schweres Erbe, das noch in einigen Tausend Jahren für
Menschen gefährlich werden kann. „Insbesondere, wenn niemand mehr weiß, wo die
Endlager eingerichtet wurden." Mit diesem Problem beschäftigt sich eine
ganze Forschungsrichtung, die Atomsemiotik. Ihr Ziel ist es, ein Zeichensystem
zu entwickeln, das noch in Jahrtausenden vor AtommüllEndlagern warnt. Aber dazu
muss man erst einmal wissen, für wen man über den Abgrund der Zeit hinweg
Signale senden will. „Uns geht es zunächst um das Sammeln von
Zukunftsbildern", erklärt Holtdorf. Erst wenn die Forscher erahnen können,
wie künftige Gesellschaften aussehen werden, wollen sie darüber nachdenken,
welche Botschaften sie für die Zukunft einlagern.
Wie aber können Forscher in die Zukunft blicken? Holtorf
erklärt: „Zum Beispiel mithilfe der Umweltgeschichte. Wir können erforschen,
wie sich Umweltbedingungen über lange Zeiträume verändert haben. Viele der
Entwicklungen werden sich in Zukunft fortsetzen." Das ist auch bei
Bevölkerungstrends möglich, ist der Archäologe überzeugt. „Wir können davon
ausgehen, dass im Laufe dieses Jahrhunderts die Migrantenströme weiter wachsen
werden und sich das Bild unserer Gesellschaft entsprechend verändern
wird."
Auch in Paris suchen Forscher den Horizont der Zukunft ab.
Bei der Nuclear Energy Agency (NEA) innerhalb der OECD, der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sammelt Claudio Pescatore
Möglichkeiten, künftige Generationen über Lager mit radioaktivem Müll zu
informieren. Als er von dem Projekt im Hallstätter Bergwerk hörte, reiste er
nach Österreich, um sich vor Ort mit Martin Kunze zu treffen.
Gegen das Vergessen
„MOM könnte einer der Wege sein, auf dem wir Erinnerung
haltbar machen können. Eines Tages könnten dort möglicherweise Informationen zu
radioaktiven und anderen Abfällen gelagert werden. Das MOM Informationslager
ist kein Archiv im normalen Sinne des Wortes, sondern eine mögliche zukünftige
archäologische Stätte", sagt Pescatore. Der Physiker hält die Lage für
hervorragend gewählt. Denn die Region um Hallstatt gehört seit 1997 zum
Weltkulturerbe der Unesco. Er erklärt: „Der Ort steht unter dem Schutz einer
internationalen Organisation. Eine gute Voraussetzung dafür, dass das
MOMInformationslager nicht schon nach wenigen Generationen zerstört wird."
Um den Anforderungen der NEA gerecht zu werden, muss jedoch
eine ganze Reihe von Vorgaben erfüllt sein. Darunter ist die Möglichkeit, die
Inhalte des Archivs stets auf den neuesten Stand zu bringen. „Schon innerhalb
von 50 Jahren werden sich die Inhalte verändern. Neue AtommüllEndlager könnten
hinzukommen. Teile der Technologie könnten aus
getauscht werden", sagt Pescatore. Eins ist sicher:
Nichts altert so schnell wie die Zukunft.
Ein System, das all diesen Anforderungen genügt, gibt es
bisher nicht. Die französische nationale Agentur für die Endlagerung
radioaktiver Abfälle ANDRA hat ein eigenes System entwickeln lassen, das
derzeit den Status eines Prototyps erreicht hat: Es besteht aus Saphirplatten.
Bei diesen Datenträgern handelt es sich nicht etwa um flach geschliffene Edelsteine.
Vielmehr nutzt ihr Erfinder, der Franzose Alain Ray, die Eigenschaften von
Aluminiumoxid für die Herstellung der Platten — und dieses Material kann zu
einem durchsichtigen Produkt geschmolzen werden, das auch unter dem Namen
„synthetisches Saphirglas" bekannt ist.
Die Platten aus Frankreich sind teuer. Ein einziges Stück
herzustellen und Daten
einzugravieren, verschlingt einen fünfstelligen EuroBetrag.
Dafür erhält der Käufer ein Stück Datensicherheit mit Jahrtausendgarantie: Die
Rillen der Gravuren werden mit Platin gefüllt, das einen hohen
Korrosionswiderstand hat. Überdies schmelzen die Entwickler eine zweite Platte
auf die Gravuren auf. Insgesamt sollen so viele winzige Bilder, Symbole und
Worte auf ein Exemplar passen wie auf 10 000 Buchseiten.
Allerdings hat das vielversprechende Zukunftsmedium zwei
Nachteile: Zum einen müssen neue Platten hergestellt werden, um Daten zu
aktualisieren — und das ist teuer. Zum anderen müssen die Menschen der Zukunft
die winzigen Zeichen auf lesbare Dimensionen vergrößern, zum Beispiel mit einem
Mikroskop oder — einfach, aber intelligent — mit Wassertropfen. Doch weder die
Technologie noch dasgeistige Potenzial, um sie anzuwenden, wollen die
Zukunftsforscher voraussetzen.
Im Gegenteil — Martin Kunze, Cornelius Holtorf und Claudio
Pescatore rechnen mit dem Schlimmsten: Untergang der Zivilisation und
Degenerieren der heutigen Kulturstufe. Holtorf zweifelt: „Wir versuchen mit
Lebewesen in 100 000 Jahren zu kommunizieren. Vielleicht kann man dann nicht
einmal mehr von Menschen sprechen." Entsprechend fragwürdig erscheint es
dem Archäologen, dem Physiker und auch dem Keramiker Menschheitsarchive
einzurichten, deren Benutzung eine hoch entwickelte Technologie erfordert.
Nichts für Steinzeitmenschen
Dazu gehört die künstliche DNA. Nach einem im Januar 2013
vorgestellten Verfahren ist es möglich, Daten in synthetisch hergestellten
DNASträngen zu speicherh. Der Vorteil: Die Methode ist platzsparend. Denn auch
in künstlich hergestellter Form sind DNAStränge winzig klein. Etwa 100
Millionen Stunden hoch auflösende Videos passen in eine einzige Kaffeetasse,
gefüllt mit dem grauem Pulver. Etwa 2000 Tassen würden ausreichen, alle Daten
der Welt zu speichern. Aber die Methode setzt voraus, dass unsere Nachfahren
mindestens auf der heutigen Technologiestufe leben werden, um überhaupt zu
erkennen, was sie da vor
sich haben. Martin Kunze meint augenzwinkernd:
„Möglicherweise wird ein Nichteingeweihter ein solches Archiv entdecken. Und
was macht der mit einem Pulver in einer Tasse? Er prüft, nach was es schmeckt.
Damit wäre möglicherweise die gesamte Kunstgeschichte in einem Schluck
vernichtet."
Kunze richtet sein „Memory of Mankind" bewusst so ein,
dass es von Menschen einer steinzeitlichen Zivilisation nicht entdeckt werden
kann. „Es bedarf schon gewisser Fähigkeiten, um überhaupt zu wissen, was man da
vor sich hat." Steinzeitmenschen der Zukunft, so Kunze, würden die Bedeutung
des Archivs möglicherweise überhaupt nicht erkennen und die Fliesen mit dem
kollektiven Gedächtnis der Menschen dazu nutzen, den Boden einer Wohnhöhle
auszulegen. Um das zu verhindern, versteckt Kunze das Archiv tief im Berg und
legt eine Spur, die von überall auf der Welt nach Hallstatt weisen soll — die
eben kein HighTech braucht, aber wissenschaftliches Denken voraussetzt.
Wer in dem Ort im Salzkammergut übernachtet, findet im
Hotelzimmer einen Umschlag mit einer kleinen Keramikplakette. Auf der Plakette
ist der Umriss des Hallstätter Sees zu erkennen und eine Markierung, die das
Lager des MOMArchivs in den nahe liegenden Bergen anzeigt. Der Umriss des Sees,
so Martin Kunze, werde in einigen Tausend Jahren
vermutlich anders aussehen als heute. „Wer ihn dann
identifizieren will, muss über ein gewisses geologisches, geografisches und
technisches Wissen verfügen. das ihn auch dazu befähigt, das Archivfinden und
entziffern zu können."
. Auch in dieser Beziehung erweist sich der Lagerort
Hallstatt als gute Wahl: Jährlich verzeichnet die Gemeinde etwa 40 000
Übernachtungen von Gästen aus aller Welt. Viele von ihnen nehmen Martin Kunzes
Plakette mit nach Hause — und legen damit automatisch eine Spur für künftige
Generationen, die in das Salzkammergut weist.
Martin Kunzes Archiv soll der Zeit Stand halten. Es
widersetzt sich schon heute fast allen Argumenten von Skeptikern. Einen Einwand
jedoch konnte der Keramiker aus Gmunden nicht entkräften. Bei einem Besuch im
MOM winkte ein österreichischer Wissenschaftler ab: „Das Ganze werden wir
niemals brauchen, denn in der Zukunft werden wir ohnehin in der Zeit reisen
können.
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