Killerzellen gegen Krebs
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/h5LQVaBjWtk
Eine „Kinderei" urteilte Jules Bordet, vor 120 Jahren
einer der bedeu-4
tendsten Immunologen der Welt.
Was ihm missfiel, war eine Zeichnung seines deutschen
Kollegen Paul Ehrlich. Sie zeigte eine rundliche Zelle mit vielen kleinen
Ausstülpungen. Mit diesen „Seitenketten", behauptete Ehrlich, könne die
Zelle fremde Stoffe erkennen und sich wie Schlüssel und Schloss mit ihnen
verbinden. Gleich darauf beginne sie mit der Massenproduktion ähnlicher Seitenketten,
sogenannter Antikörper, die sie im Blut auf Streifzug schickt, wo sie nach 2.
g passenden Strukturen, den Antigenen, 2 fahnden. Die
Vorstellung Ehrlichs aus
dem Jahr 1897 erregte Widerspruch —Enicht nur bei seinem
belgischen Kontra-
henten Bordet.
i Ehrlich glaubte, die Seitenketten
seien
1 wichtige Waffen des Immunsystems, um Schadstoffe
abzuwehren. Dazu zählte
• °-' Ehrlich
nicht nur Eindringlinge wie Bak-
terien oder Viren. Auch körpereigene Zel-
len, die sich den Wachstumskontrollen ,g. des Organismus
entzogen und in Krebs-
zellen ‘_3 verwandelt haben, könne das Im- munsystem
eliminieren: Ständig entstün-den Krebszellen im menschlichen Körper, schrieb
Ehrlich im Jahr 1909 in seinem Bericht „Über den jetzigen Stand der
Kar-zinomforschung". Dank der „Schutzvorrichtungen des Organismus"
blieben die alltäglichen Zellentgleisungen aber meist folgenlos. Krebs könne
nur dann entstehen, wenn das Immunsystem versagt. Auch mit dieser Annahme stand
Paul Ehrlich lange allein.
Ersatz für Chemo- und Strahlentherapie
Heute werden im Labor hergestellte Anti-körper als
Medikamente eingesetzt, um Tumorzellen aufzuspüren und zu zerstö-ren. Die
Antikörper-Therapie gilt als das erfolgreichste Konzept der Immunthera-pie, die
Strategien der körpereigenen Ab-wehr nutzen will, um Krebszellen un-schädlich
zu machen. Alle anderen Versuche, die Schutzvorrichtungen des Organismus im
Kampf gegen Krebs zu aktivieren, sind weitgehend gescheitert. Doch im Buch der
Krebsimmuntherapie ist ein neues Kapitel aufgeschlagen: Immunologische
Therapien gelten zurzeit als die größten Hoffnungsträger der Krebsmedizin, das
Fachblatt „Science" feierte sie gar als „wissenschaftlichen Durchbruch des
Jahres 2013".
Was das renommierte Magazin das große Wort „Durchbruch"
wagen lässt, sind neue Methoden, die offenbar das Immunsystem dazu bringen
können, Tu-more ohne Zögern anzugreifen. Von den neuen Therapieversuchen
profitieren bis-lang nur sehr wenige Patienten mit be-stimmten
Krebserkrankungen. Dennoch
sprechen Experten von einem
„Paradigmenwechsel". Denn nicht
mehr die Tumorzellen selbst werden
mit Zellgiften oder Strahlen traktiert. Stattdessen werden
die körpereigenen Abwehrspezialisten sensibilisiert, kompromisslos gegen die
zellulären Amokläufer vorzugehen. Dem Krebs wird damit der wohl einzige Gegner
gegenübergestellt, der ihm an Flexibilität ebenbürtig ist.
Die Geschichte der Immuntherapie be-ginnt vor über 100
Jahren mit einem ge-heimnisvollen Extrakt bakterieller Gifte, die der
amerikanische Arzt William Coley Tumorpatienten verabreichte. Warum das
„Coley-Toxin" gelegentlich wirkte, wusste niemand. Vermutlich stimulierte
es das Immunsystem — doch das war bis in die 30er-Jahre noch Terra incognita.
Andere Verfahren wie die Chemo- und Strahlentherapie rückten in den Vordergrund
—das Immunsystem wurde kaum mehr beachtet. Hinzu kam, dass die meisten Forscher
davon überzeugt waren, Tumore seien „von Natur aus" kein Angriffsziel für
das Immunsystem. Jede Tumorzelle gehe schließlich aus einer Zelle des Körpers
hervor, und das wichtigste Lernziel der Immunzellen während ihrer Ausbildung
laute, Körpereigenes niemals anzu-greifen: Eine Immunzelle, die sich nicht
daran hält, wird gnadenlos aussortiert.
Auftrieb erfuhr die Tumorimmu-nologie erst ab den
1950er-Jahren, als sich bei Untersuchungen mit Tieren zeigte, dass die Abwehr
sehr wohl auf entartete Zellen reagiert — zwar nur schwach, aber deutlich
messbar. Auch beim Menschen ist das der Fall. Doch auch hier arbeitet das
Immunsystem mitangezogener Bremse. Die Frage ist: Kann man das mächtige körpereigene
System dazu „überreden", seine verhängnisvolle Duldsamkeit aufzugeben und
einen Tumor genauso bedingungslos anzugreifen wie zum Beispiel eine
transplantierte Leber, die es ohne weitere Schutzmaßnahmen innerhalb weniger
Tage zerstört?
Immunzellen in Schockstarre
Das Einzige, was die körpereigene Ab-wehr braucht, um derart
radikal vorzugehen, ist ein „Antigen", ein Molekül, das Immunzellen
eindeutig als körperfremd erkennen. Diese Eindeutigkeit lassen Tumorzellen zwar
vermissen — dennoch verraten sie sich. Wie die Forscher heute wissen, erfährt
eine gesunde Zelle auf dem
Weg zur Krebszelle viele genetische Veränderungen. Die Folge
sind veränderte Proteinprodukte, die als Antigene auf der Oberfläche von
Tumorzellen auftauchen. Es sind zumeist subtile Zeichen — aber sie existieren:
auf Blut- und Nierenkrebs-zellen beispielsweise oder auf Zellen des schwarzen
Hautkrebses. Allerdings können Krebszellen ihre sonst so schlagkräftigen
Gegenspieler in perfider Weise bis hin zur Schockstarre manipulieren oder in
den Selbstmord treiben. So produzieren Krebszellen beispielsweise
„Abschaltmoleküle" und deponieren sie vorsorglich in ihrer Zellmembran.
Wenn sich nun eine T-Kil-lerzelle nähert — der Zelltyp des Immunsystems, der
Tumorzellen am gefährlichsten werden kann — schaltet die entartete Zelle die
angreifende Zelle einfach ab und vermehrt sich unbehelligt weiter.
1987 entdeckten französische Forscher ein Protein, das sie
CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen-4) nannten. Es steckt wie eine kleine
Antenne in der
Membran von T-Zellen. Empfängt die Antenne das zugehörige
Signal, stellt die T-Zelle ihren Angriff ein — selbst dann, wenn sie einen
Gegner bereits fest im Visier hat (siehe Grafik links unten). CTLA-4 wirkt wie
eine Bremse. Mitte der 1990er-Jahre kamen amerikanische Forscher auf die Idee,
Antikörper zu basteln und damit die CTLA-4-Antennen der T-Zellen von den
Abschaltsignalen der Tumorzellen abzuschirmen. In Untersuchungen mit Tieren
erwies sich die Bremsblockade als erstaunlich effektiv: Ihre Tumore
verschwanden. Auch bei Patienten, die an metastasiertem schwarzen Hautkrebs
erkrankt waren, schlug eine Behandlung mit Ipilimumab an, dem Antikörper gegen
CTLA-4.
Ein weiteres prominent gewordenes Protein, das T- Zellen
davon abhält, ihr zerstörerisches Potenzial zu entfalten, ist PD-1 (
„Programmed Death 1"). Auch dieser Anfang der 1990er-Jahre von japanischen
Forschern entdeckte molekulare Bremsklotz lässt sich mit eigens kreierten
Antikörpern (Nivolumab) lösen.
Aufgerüstete Chimären
Weltweit suchen Forscher derzeit nach weiteren Molekülen,
die Angriffsziele von immunmodulierenden Wirkstoffen sein könnten. Solche
Wirkstoffe haben jedoch vermutlich nur dann Erfolg, wenn sich im Körper spontan
T-Zellen gegen den Tumor bilden. Der Patient muss die angriffslustigen
Immunzellen also bereits mitbringen, damit deren Bremsen gelockert und sie zur
ungehemmten Attacke veranlasst werden können. Das ist bei manchen Patienten der
Fall, bei anderen aber leider nicht.
Den Erfolg weniger dem Zufall über-lassen will ein anderer
immuntherapeutischer Ansatz, die sogenannte CAR-Therapie. Dazu werden den
Patienten T-Zellen entnommen und im Labor so verändert, dass sie einen Rezeptor
tragen — den „Chimären Antigen Rezeptor" oder CAR. Die Chimäre vereinigt
die Fähigkeit eines Antikörpers, sein Zielmolekül präzise aufzuspüren, mit der
zerstörerischen Kraft der T-Zelle. Aufgerüstet mit dem passenden
Antikörperfragment, kann die T-Zelle agieren, ohne dem regulatori-schen
Signalwerk des Immunsystems unterworfen zu sein. Mit individuell konstruierten
CAR-T-Zellen, die sich gegen das Antigen CD19 auf Blutkrebszellen richten,
waren amerikanische Forscher kürzlich erfolgreich.
Auch im Deutschen Krebsforschungs-zentrum (DKFZ) in
Heidelberg arbeiten die Forscher an neuen Verfahren, um das Immunsystem in den
Kampf gegen Krebs einzuspannen. Philipp Beckhove und seine Mitarbeiter von der
DKFZ-Abteilung „Translationale Immunologie" haben kürzlich eine Methode
entwickelt, die Im-muntherapien wirksamer machen könnte. So verhindern Tumore
oft, dass die Zellen der Blutgefäße auf ihrer Oberfläche Moleküle bilden, die
wie Anker funktionieren. An ihnen können sich vor-beischwimmende Immunzellen
festhalten und das Gefäß Richtung Tumor verlassen.
„Mit einer örtlich verabreichten niedrigen Strahlendosis
können wir das Wachstum von Ankermolekülen in der Gefäßwand auslösen",
sagt Beckhove. „Damit machen wir den Immunzellen den Weg frei."
Killerzellen aus dem Labor
Nahezu ein Dutzend weiterer Moleküle, die bei den Reaktionen
des Immunsystems gegenüber Tumoren eine Rolle spielen, haben die
Wissenschaftler des Krebs-forschungszentrums in der Zwischenzeit identifiziert.
Ihr Ziel ist es, sie gemeinsam mit Pharmafirmen zu neuen Wirkstoffen
weiterzuentwickeln.
Dirk Jäger, Leiter der klinischen Ko-operationseinheit
Angewandte Tumorim-munität und Direktor im Nationalen Cen-trum für
Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, will schon im Jahr 2015 mit einer
klinischen Studie beginnen, in der Pa-tienten eine individuelle Therapie mit
gen-
technisch optimierten T-Zellen angeboten wird. Dazu
ermitteln die Wissenschaftler vorab alle genetischen Veränderungen, die den
Tumor eines Patienten kennzeichnen. „Das ist heute in ein bis zwei Wochen
machbar", erklärt Jäger. Idealerweise richten sich die eigens konstruierten
T-Zellen dann gegen die individuell ermittelten Tumorantigene des Patienten.
Ob die Ansätze halten, was sie ver-sprechen, muss die
Zukunft zeigen. „Das Immunsystem ist hochkomplex", sagt Jäger. „Aber je
besser wir es kennenlernen, desto vielfältiger sind die Möglichkeiten."
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