Montag, 27. Juli 2015

Die Messung des Proton


Die Messung des Proton

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/rjZxDCeL7XA

Die Messung des Protonenradius ergab einen Wert, der deutlich vom Standardwert ab-weicht. Entweder ist etwas grundlegend falsch im Verständnis des Protons —oder die Forscher sind einer neuen Physik auf der Spur.

Am Ende seines wissenschaftlichen Kolloquiums an der Universität Heidelberg entfährt es dem Physiker Randolf Pohl: „Ich hoffe natürlich, dass es kein Messfehler ist!" Dabei ist es schon gut vier Jahre her, dass Wissen-schaftler vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik zusammen mit einem internationalen Forscherteam eine ungewöhnliche Entdeckung verkündeten: Das Proton ist kleiner als gedacht!

Gut eine Dekade lang versuchte die CREMA Collaboration (Charge Radius Experiment with Muonic Atoms) etwas Simples: den sogenannten Ladungsradius des Protons nachzumessen. Natürlich ist dieser Wert seit Langem bekannt. Er wird sogar alle vier Jahre aufs Neue bestimmt und im CODATA-Verzeichnis physikalischer Konstanten publiziert, einer Liste des „Committee an Data for Science and Technology". Was in diese Datenbank aufgenommen wird, gilt unter Physikern fast schon als gesichertes Wissen. Allen-falls wird der Datenkanon noch durch eine größere Präzision ergänzt, also mit weiteren Stellen hinter dem Komma.

Die CREMA Collaboration, zu der neben Pohl unter anderem der Physik-Nobelpreisträger Theodor W. Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Aldo Antognini und Franz Kottmann von der ETH Zürich sowie Pohls ehemaliger Doktorand Tobias Nebel gehören, widersprach. Am 8. Juli 2010 verkündeten Randolf Pohl und seine Kollegen in dem renommierten Fachjournal Nature, dass das Proton einen Ladungsradius von 0,84184 plus/minus 0,00067 Femtometer habe, im deutlichen Wider-spruch zum CODATA-Standardwert des Jahres 2010 von 0,8775 plus/minus 0,0051 Femtometer (ein Femtometer entspricht 10-15 Meter). Der neue Wert liegt rund vier Prozent unter dem alten. Das mag einem zwar wenig vorkommen, aber in der Welt der physikalischen Präzisionsmessungen schlug diese Meldung wie eine Bombe ein.

„Was wir entdeckt haben", erinnert sich Randolf Pohl, „war eine totale Überraschung. Aber niemand bezweifelt unse

 

re Messungen." Dafür spricht auch die zehnmal so hohe Präzision der neuen Messung, die bei der großen Diskrepanz allenfalls noch Raum für verborgene systematische Fehler lässt. Aber wie im wirklichen Leben verlangen starke Behauptungen nach starken Begründungen.

Um die Physikkollegen davon zu überzeugen, dass das Kernteilchen tatsächlich so deutlich geschrumpft war, legten Experimentatoren und Theoretiker alles auf den Prüfstand. Neben der akribischen Überprüfung der Daten begann eine intensive Suche nach Erklärungen. Doch bis heute ist das Rätsel ungelöst.

Das einfachste Atom

Seit vor knapp einem Jahrhundert Ernest Rutherford das Proton entdeckte, war es Gegenstand intensiver Forschung. Die seinerzeit noch junge Quantenphysik fand im Wasserstoff-Atom — ein Elektron umkreist ein Proton — das ideale „Experimen-tallabor". Theoretiker und Experimental-physiker konnten es, gerade wegen seiner Einfachheit, präziser analysieren als jedes andere Gebilde. Demnach bewegt sich das Elektron ausschließlich auf ausgewählten Bahnen bestimmter Energie. Springt das elektrische Teilchen zwischen diesen Energieebenen, sendet es Licht ganz bestimmter Frequenzen aus, die Forscher als Spek-trallinien beobachten (siehe „Gut zu wissen: Das Proton Simpel, messbar, berechenbar: Das einfachste aller Atome spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der modernen Physik. So entdeckten 1947 die US-Physiker Willis Lamb und Robert Retherford eine Unstimmigkeit in zwei Energieniveaus des Wasserstoffs, genannt 2S und 2P. Nach der Quantentheorie sollten beide eigentlich die gleiche Energie haben. Doch die Forscher beobachteten im Experiment eine Energiedifferenz.

Die Entdeckung dieser seitdem so ge-nannten Lamb-Verschiebung (englisch „Lamb shift", benannt nach Willis Lamb) beflügelte eine neue physikalische Theorie, die Quantenelektrodynamik, QED. Mit ihr ließ sich der Effekt durch die Wechselwirkung des Elektrons mit dem Vakuum gut erklären. Auch bemerkten Physiker damals, dass das Proton keineswegs ein punktförmiges Partikel war.

Heute weiß man, dass das Proton ein komplexes Innenleben hat. Von außen betrachtet tritt der Wasserstoff-Kern da-gegen als einfaches Gebilde auf: ein „verwaschener Ball positiver Ladung" (Pohl), den ein punktförmiges Elektron in vergleichsweise großer Entfernung umkreist.

 

Dieses Bild belegten die Streuexperimente, bei denen mit Elektronen auf Protonen geschossen wurde. Auch die Vermessung der Spektrallinien und ihrer Lamb-Ver-schiebung lieferten ähnliche Werte. Damit war die Welt der Physik der einfachen Atome noch in Ordnung.

Verwundern könnte es einen schon, dass die Lamb-Verschiebung von einer endlichen Ausdehnung des Protons be-einflusst wird. Den Grund dafür liefern die Quantenphysiker, indem sie zeigen, dass die Metapher vom Atom als einem Planetensystem en miniature nicht immer passt. Kreist ein Elektron etwa in den einfachsten „Umlaufbahnen", den sogenannten S-Niveaus, dann ist sein Aufenthalt in Wahrheit auf das Volumen einer kugelförmigen Wolke verteilt, die das zentrale Proton einschließt. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit saust das Elektron immer wieder mitten durch das Proton hindurch — kein Planetensystem würde das aushalten, denn die Sonne ist un-durchdringbar.

In dieser Phase der Durchdringung spürt das Elementarteilchen vom Atom-kern nur die reduzierte elektrische La

 

dung. „Das schwächt die Bindung zwi-schen Elektron und Proton", erklärt Ran-dolf Pohl. Je mehr Zeit das Elektron im Inneren des Protons verbringt, umso geringer sind die S-Orbitale an das Proton gebunden. „Der. Effekt wächst also mit der Größe des Ladungsradius." Klassisch wäre dies unmöglich, die Quantenphysik zeigt sich hier von ihrer bizarren Seite.

Trick mit Myonen

Messungen mit Elektronen-Streuung engten den Radiuswert auf 0,90 plus/minus 0,02 Femtometer ein, produzierten aber immer noch einen Messfehler von zwei Prozent — zu ungenau für Tests der QED, die nach höherer Präzision verlangen. Das war Anlass für einige Physiker, unter an-derem vom Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen bei Zürich, 1997 ein neues Experiment vorzuschlagen, das versprach, die Genauigkeit um Größenordnungen zu verbessern. Der Trick: Anstatt mit normalem Wasserstoff wollten sie es mit „myo-nisiertem Wasserstoff" versuchen, wobei im Atom das umlaufende Elektron durch ein Myon ersetzt wird. Myonen sind die schweren Geschwister" des Elektrons: ebenso punktförmig und mit derselben elektrischen Ladung, allerdings mit einer 200 Mal so großen Masse.

Auf die Lamb-Verschiebung hat dies eine enorme Auswirkung. Das Myon „kreist" zwar ähnlich wie das Elektron um das Proton, nur im Mittel in einem 200 Mal so kleinen Abstand. Entspre-chend hält es sich länger im Innern des Protons auf: mit einer Wahrscheinlich-keit, die um den Faktor 200' — also mehrere Millionen Mal — so groß ist wie beim Elektron im normalen Wasserstoff. Myo-nischer Wasserstoff ist für die Radiusmes-sung daher eine wesentlich empfindlichere Sonde. Wie Berechnungen zeigten, trägt der Protonenradius in diesem Fall mit zwei Prozent zur Lamb-Verschiebung bei. Beim normalen Wasserstoff ist es lediglich ein Zehntausendstel Prozent.

Geplant hatten die Forscher das Experiment am Paul Scherrer Institut. Dort steht eine Myonenquelle der Spitzenklasse.

 

Was aber 1999 nach der Bewilligung des Experiments durch das PSI eher nach einem anspruchsvollen Routineexperiment aussah, sollte sich zu einer hindernisreichen Marathonstrecke entwickeln. Ein Jahrzehnt lang kämpften die Wissen-schaftler um diese Messung, die bis heute als großes Rätsel der Physik gilt.

Raffiniertes Wasserstoff-Experiment

Zuerst verlief alles nach Plan. Im PSI-Beschleuniger wurden zunächst Pionen erzeugt, die sogleich in die begehrten Myonen zerfallen. Nun ist Eile geboten, den diese Partikel „leben" im Schnitt nur 2,2 Mikrosekunden lang. Danach ist be-reits ein Drittel wieder zerfallen. Einige Hundert Myonen schießen schließlich pro Sekunde in eine 20 Zentimeter große Kammer. Sie ist mit Wasserstoff-Gas gefüllt — bei einem Druck von einem Milli-bar. Jetzt ist bereits eine Mikrosekunde verstrichen, die Zeit wird also knapp.

 

Bei ihren Kollisionen in der Kammer schaffen es ein Prozent dieser Myonen, die Elektronen im Wasserstoff-Atom wegzustoßen, sich an ihre Stelle zu setzen und im metastabilen 2S-Energieniveau um das Proton zu kreisen. Zugleich feuert ein Laser 40 Mal pro Sekunde seitlich in die Messkammer. Der Laserstrahl wird an Spiegeln reflektiert und vielfach durch das Gas gelenkt, um möglichst alle Myonen zu erwischen — damit sie auf das höhere 2P-Energieniveau gehoben werden. Das klappt allerdings nur, wenn der Laser die Myonen mit Wellen der exakt richtigen Frequenz des winzigen Energieunterschieds der 2S- und 2P-Niveaus trifft. Von diesem Level stürzen die Myonen aber sogleich wieder auf das niedrigste 1S-Niveau ab. Das liefert das Erfolgssignal: Beim Übergang von 2P nach 1S entstehen Röntgenphotonen — natürlich nur, wenn die vorherige Anregung geklappt hat und die Laserfrequenz auf den richtigen Wert eingestellt war. Im Erfolgsfall messen die Physiker eine „Resonanz". Aus den ge-wählten Einstellungen und dem Resonanzsignal berechnen die Forscher schließlich den Protonenradius.

Der große Frust

2003 suchten die Physiker erstmals nach dieser Resonanzlinie — natürlich an der Stelle, die dem bekannten Standardwert entsprechen sollte —, jedoch ohne Erfolg. In ihrer Not testeten die Forscher auch geringfügig größere Radiuswerte, denn in diese Richtung hatten Streuexperimente gewiesen. Doch auch dort tat sich nichts. „Als wir nichts fanden, obwohl alles gut funktionierte, war ich sehr enttäuscht", erinnert sich Randolf Pohl. „Heute wissen wir, dass wir schlicht an der falschen Stelle gesucht hatten."

Aber damals, 2003, hatten die Physi-ker das Lasersystem als Fehlerquelle in Verdacht. Es kostete sie mehrere Jahre, um in Zusammenarbeit mit dem Institut für Strahlwerkzeuge in Stuttgart einen neuen Laser zu bauen, diesmal auf Fest-körperbasis, mit — wie sich später erwies —100 Prozent Verfügbarkeit. Alles sollte besser sein und war es auch: Das neue Lasersystem konnte dauerhaft bis zu 500 Mal pro Sekunde feuern.

Die Spiegel wurden ausgetauscht, denn die alten Beschichtungen hatten Alpha-teilchen ausgestoßen und die Sensoren beschädigt. Auch die Analysesoftware wurde neu geschrieben, und weitere mögliche Fehlerquellen wurden ausgemerzt. Pro Sekunde schossen vom Beschleuniger 600 Myonen in die Wasserstoffkammer, 400 konnten die Sensoren detektieren, 230 Lichtpulse feuerte der Laser jede Sekunde ab. Von den Myonen erreichten die besonders langlebigen ihre Wasserstoffziele, die Ereignisrate stieg auf das Fünffache.

j-1       Doch am PSI wuchsen gleichzeitig die

4.; Zweifel, ob das Team es jemals schaffen . könnte. „Damals waren wir das hässliche

Entlein", erinnert sich Randolf Pohl.

„Zum Glück bekam 2005 mein Max-Planck-Chef, Theodor W. Hänsch, den Nobelpreis in Physik. Da ließ man uns weitermachen."

Die Forscher schöpften Hoffnung. Doch als die Messungen 2007 wieder aufnahmen, scheiterten sie abermals. Dann, 2009, erhielt das Team noch einmal Experimentierzeit am Beschleuniger, „unsere letzte Chance". Am 21. Juni 2009 begann die neue Messreihe am P51, womöglich die letzte.

Doch nach einer Woche hektischer Messungen zeigte sich abermals keine Resonanz Allmählich sahen sich die Physiker gezwungen, auch bei anderen Werten zu suchen. Nach einer vergeblichen Woche hielten sie eine Krisensitzung: „Wir müssen bei größeren Protonenradien messen", beschlossen sie. Die Forscher schoben Tag- und Nachtschichten. Teammit-glied Aldo Antognini schlief tagsüber und tauchte erst abends im Labor auf. Der Schweizer Physiker protestierte, kurz bevor die Kollegen die Laserfrequenz wechseln wollten, um nach größeren Protonenradien zu suchen: Sie wären besser beraten, bei kleineren Radien zu messen.

„Wir hatten nur noch Stunden bis zum nächsten Shutdown des Beschleunigers",

 

erinnert sich Pohl. Doch erst einmal war die Anlage für vier Tage stillgelegt, Zeit für letzte Reparaturen und Software-Up-dates der Datenerfassung. Dann kam der 4. Juli 2009. „Da haben wir um unser Leben geforscht. Eine 16-Stunden-Schicht, dann 6 Stunden geschlafen, dann eine 30-Stunden-Schicht — man sieht das am Logbuch III, Seite 65", berichtet der Max-Planck-Forscher. Logbuch-Auszug aus der heißen Phase:

„Um 18:39 Uhr beginnt Messung, auf Kanal Nr. 812, 1 Stunde interrupt

Um 21 Uhr wird der Laser zu längerer Wellenlänge umgestellt

3:08 Uhr Beam shitty, Laser OK, 28 Minuten wackeliger Myonenstrahl

5:46 Uhr Another horrible interrupt

6:08 Uhr We have it"

Das war der Augenblick, in dem die Forscher sicher waren, die Resonanz gefunden zu haben. Auf der Logbuch-Seite vom 5. Juli klebt ein Foto — von einer Flasche Moet & Chandon. Die jahrelange mühsame Suche war zu Ende.

Die Physiker hatten ein deutliches Signal entdeckt — an einer völlig unerwarteten Stelle. Wenn das die Antwort der Natur auf die simple Frage „Wie groß ist

 

das Proton?" war, die alle schon geklärt wähnten, dann bescherte sie der Grundlagenforschung mehr Probleme, als sie löste. Wo war der Fehler? Lag es am Experiment? Hatten sich die Theoretiker geirrt, hatten sie vielleicht einen wichtigen Effekt übersehen?

Experimente mit Deuterium

Doch zunächst konnten sie im Sommer 2009 ihre Experimente fortsetzen — mit myonischem schwerem Wasserstoff: im Atomkern nun Deuterium, das schwere Wasserstoff-Isotop mit einem Proton und einem Neutron. Hieraus ermittelten die Forscher den Ladungsradius des Deute-rons. Inzwischen haben sie die Analyse der Rohdaten zwar abgeschlossen, doch die Daten sind noch nicht publiziert. Auch überarbeiten die Theoretiker derzeit noch ihre Berechnungen des myonischen Deuteriums. Es bleibt also spannend.

Im Juli 2010, nach gut zehn Jahren Arbeit, erschienen die revolutionären Resultate in Nature. Zusammen mit einer zweiten Messung im myonischen Wasserstoff, die Pohls Gruppe im Januar 2013 in Science -;„9' publizierte, steht der Wert des Protonenradius nun bei 0,84087 plus/minus 0,00039 Femtometer. Der Messwert ist zehnmal so genau wie der entsprechende Radiuswert beim gewöhnlichen Wasserstoff von 0,877 plus/minus 0,007 Femtometer.

Eine internationale Jagd nach Fehler-quellen setzte ein. Theoretiker machten sich ans Werk und überprüften ihre komplexen QED-Berechnungen, mit denen der Radiuswert aus der konkreten Fre-quenzmessung der Lamb-Verschiebung hergeleitet wurde:

 

         Einfachste Option: Der offizielle Wert, wie er in der CODATA-Datenbank steht, ist falsch. Er wurde am normalen Wasserstoff mit beiden Verfahren gemessen —Elektron-Streuung am Proton sowie Lamb-Verschiebung. Aber: diese beiden Werte stimmen gut überein. Falls es ein Fehler sein sollte, könnte nur eine systematische Verschiebung in beiden Arten von Experimenten das Dilemma auflösen.

         Ladungsverteilung: Vielleicht ist die elektrische Teilladung im Proton etwas

 

anders verteilt — beschränkt auf einen kleineren Kern, aber umgeben von einem ausgedehnteren Halo, einer Art dünner Hülle. Allerdings widersprechen dieser Hypothese Versuche aus dem Jahr 2011, bei denen der Halo direkt in Streuexperimenten am Elektronenbeschleuniger „Mainzer Mikrotron" gemessen wurde.

         Verschiedene Radien: Vielleicht messen die Streuexperimente einen anderen Protonenradius als die Spektroskopie mit der Lamb-Verschiebung. Doch die Forscher schließen das eigentlich aus.

         Polarisierbarkeit: Wenn das Myon mitten durch das Proton saust, könnte es wie eine Hummel im Bienenschwarm das Proton „virtuell" stärker anregen als bislang gedacht und dabei seine elektrischen Teil-ladungen drastischer verschieben. „Das ist eine der letzten umkämpften Bastionen", kommentiert Randolf Pohl. Berechnungen billigten diesem Effekt bislang allerdings nur ein Zwanzigstel der Größe zu, die es bräuchte, um die Proton-schrumpfung zu erklären.

         Eine Physik jenseits des Standard-modells der Teilchenphysik: Da könnte es um neue Kräfte mit neuen Austauschteilchen gehen, die die Bindung zwischen Proton und Myon verändern würden. Allerdings war die Suche nach passenden Teil-chen bislang erfolglos. Das gilt auch für die Suche nach zusätzlichen räumlichen Dimensionen, wie sie die Stringtheorie prognostiziert (bdw 5/ 2012, „Stringtheo-rie einfach erklärt"). Wären einige davon groß, könnte das im Prinzip den Protonenradius ebenfalls ändern.

Neue Experimente nötig

Wenn Theoretiker sich an einem Problem die Zähne ausbeißen, dann können nur neue Experimente weiterhelfen. Im Dezember 2013 versuchten Pohl und seine Kollegen, die Lamb-Verschiebung am myo-nischen Helium zu messen. Diesmal dauerte das Experiment nicht zehn Jahre, sondern gelang im ersten Anlauf.

Aus der Messung lässt sich der La-dungsradius des Helium-4-Atomkerns, also des Alphateilchens, bestimmen —auch wieder zehnmal so genau wie der bisherige Wert, der aus der Elektronen-Streuung stammt. Wovon die CREMA-Forscher träumen, ist eine komplette Liste von Myonen-Experimenten quer durch die Galerie der leichten Atomkerne: Proton (liegt vor), Deuteron (liegt vor), Tri-tium (offen), Helium-3 (offen), Helium-4 (liegt vor). Bei all diesen Atomkernen fehlen jedoch Streuexperimente mit Myonen.

Die Hoffnungen der Physiker ruhen derzeit auf MUSE. Das ist keine grie-chische Göttin, sondern das Muon Proton Scattering Experiment, das die Streuung

 

von Myonen an Protonen untersucht. Die internationale MUSE-Gruppe umfasst mehrere Dutzend Forscher. In ihrem Projektpapier äußern sie Skepsis an den bisherigen Versuchen, das Protonrätsel zu lösen: „Fast alle werden von der überwältigenden Mehrheit der Forscher für falsch gehalten. Die übrigen sind bestenfalls noch nicht ausgeschlossen, werden aber höchstens von einer Minderheit unterstützt." Also müssen neue Messungen her.

2016 soll MUSE am Paul Scherrer In-stitut in der Schweiz in Betrieb gehen. Im Beschleuniger dort soll diesmal der ge-samte Partikelmix des Teilchenstrahls die Wasserstoff-Atome simultan bombardieren. Das bietet den Vorteil, dass der Wasserstoff zugleich mit Elektronen, Positronen sowie Myonen und Antimyonen beschossen und die Resultate direkt verglichen werden könnten. Das Experiment ist so konstruiert, dass die mysteriösen syste-matischen Fehler, vor denen die Experi-mentalphysiker immer Angst haben, stark reduziert werden: Im direkten Vergleich von Elektronen- und Myonen-Streuung in derselben Messapparatur heben sich die systematischen Fehler größtenteils gegenseitig auf.

Falls sich die heutigen Diskrepanzen bestätigen, dann könnte sich ein Graben öffnen zwischen der Physik mit Elektro-nen und derjenigen mit den schwereren Myonen. Unterschiede zwischen Experi-menten mit Myonen und Elektronen würden, notiert die MUSE-Gruppe, „einen starken Hinweis liefern für eine Physik jenseits des Standardmodells". Das würde die Forscher zwingen, die Quantenelektrodynamik zu überdenken — und somit die Grundlagen einer der am genauesten überprüften physikalischen Theorien

überhaupt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.