Kann man dem Iran trauen?
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/FjsWRfpSfRc
In dem Roman „Wer die Nachtigall stört" von Harper.
Lee, der gerade wieder in aller Munde ist, gibt Atti-cus Finch seiner Tochter
den weisen Rat, sie müsse, wenn sie jemals einen anderen Menschen verstehen
wolle, in dessen Haut schlüpfen und darin umhergehen.
Ist diese Empfehlung schon im Privatleben schwer genug
umzusetzen - wie viel mehr dann erst auf der Ebene von Staaten, Regionen und
Machtblöcken.
Und, Hand aufs Herz: Will man es denn? Kaum etwas stiftet im
Leben so viel Gewissheit und Sicherheit wie die Unterscheidung von „wir"
und „die". Ich gehöre einer Generation an, die in Westdeutschland mit
einem extrem identitätsstiftenden „Wir" aufgewachsen ist, einem
amerikanischen, atlantischen, demokratischen, westlichen Wir, das an der Elbe
nach Osten hin endete und das vielleicht von keinem Volk so jubelnd und fraglos
gelebt worden ist wie von uns Deutschen, die, was mir damals natürlich nicht
klar war, soeben erst großzügig in dieses „Wir" aufgenommen worden waren,
nachdem sie (mindestens) zwölf Jahre lang für den größten Teil der Welt das
ultimative „Die" gebildet hatten.
Wer „wir" sind und wer „die", das entscheiden die
Vereinigten Staaten von Amerika, so habe ich das mit der Muttermilch aufgesogen
und nie mehr wirklich im Innersten hinterfragt oder gar in Frage gestellt. Das
schließt Protest und Kritikfähigkeit im Übrigen keineswegs aus, natürlich habe
ich wie jeder andere denkende Mensch vieles von der Politik der Vereinigten
'Staaten ünd Europas und Deutschlands gegenüber der restlichen Welt für
schlecht bis idiotisch befunden, für gefährlich, für kontraproduktiv, für nicht
zielführend. Aber ich habe immer in derselben Richtung gedacht: von „uns"
auf „die".
Ohnehin haben die Amerikaner nie wieder so viel Glück gehabt
mit ihren Feinden wie mit Deutschland und ja pan. Nicht nur hat man sie
besiegt, sie haben die Niederlage auch akzeptiert und aufgehört zu kämpfen. Und
mehr als das: Sie haben die Demokratie und die Lebensweise und die Marktwirt-schaft
übernommen und einen so unverbrüchlichen Bund mit ihren Überwin-dem
geschlossen, dass niemand mehr die Grundprinzipien dieser Verbindung
bestreitet, als da sind: „Wir" entscheiden, wie viel eines unserer
Menschenleben gegenüber dem eines, sagen wir, Arabers wert ist: zirka zehn bis
hundert Mal so viel. „Wir" entscheiden, wer von „denen" die Guten
sind und wer die Bösen, ;,wir" sind die Messlatte von richti-2em Leben,
Handeln und Denken, von sen alle anderen, die es noch nicht ka-piert haben oder
nicht wollen, um-schwenken müssen -- zu ihrem eigenen Besten.
So sauber wie bei uns hat diese Logik seither nirgendwo mehr
geklappt.
Und wenn ich den Charakter von uns Deutschen gegenüber den
Amerikanern, was mir ab und zu passiert, als hündisch empfinde, so muss ich mir
doch sofort selbst entgegenhalten, dass jeder Kynologe mich darüber aufklären
wird, echte Freundschaft zwischen Herr und Hund sei durchaus möglich und sogar
die Regel. Die"-Schema zum ersten Mal wirklich erschüttern zu lassen. Zum
ersten Mal gelang es mir dort, nicht nur die Sichtachse umzudrehen, sondern
tatsächlich in die _ Haut von „denen" zu schlüpfen, und das hat mein Leben
und mein Denken erheblich verändert. Um die Offenbarung in wenigen Worten
zusammenzufassen: Nicht nur sieht der dortige Hund sich nicht als Hund, er ist
auch keiner. Er ist ein Mensch. Und vielleicht ist mir das nirgendwo so bewusst
geworden wie im 5000 Jahre alten Kulturland Iran.
Wenn man mich also heute fragt: Was hältst du vom
Atomabkommen? Kann man den Iranern trauen? Ist das-ein Beleg, dass sich Boykott
doch lohnt? Dann frage ich dort nach, wie die letzten Tage verlaufen sind, und
mache mir das umgekehrte Wir-die"-Schema zu eigen. Dann sehe ich das
größte Reich der Antike, sehe viele tausend Jahre Kultur und
Wissenschaft, sehe den Stolz auf persi-sche Geschichte, wie
er sich im Schabna-
me, dem großen Nationalepos, manifes-
tiert, sehe die Selbstbehauptung gegen-über den Arabern auch
in islamischer
Zeit und sehe im zo. Jahrhundert eine Zeit der Erniedrigung
und Kolonialisie-rung, kulminierend im korrupten und amerikahörigen Regime Reza
Pahlavis.
Ich sehe zwei Versuche der Befreiung, den niedergeschlagenen
in den fünfziger
Jahren, als die CIA Mossadegh stürzte,
und den geglückten 1979, als die Revolution die Amerikaner
hinwegfegte. Dann
sehe ich ein Volk, das vom Regen in die
Traufe kommt und feststellen muss, dass das Regime der
Mullahs noch menschen-
schinderischer und korrupter ist als das
des Schahs, dass dessen Modernisierung des Landes zwar
weitergeführt wird,
aber die Profite in den Taschen einer kri-
minellen Führungselite verschwinden. Ich sehe eine
zunehmende Trennung
von Staat und Bevölkerung, eine zuneh-mende Isolierung von
außen, Hass, Verachtung und schließlich Boykott und Quarantäne durch den
Westen.
Ich kann die lächelnde Genugtuung der das Abkommen in den
Straßen fei-
ernden Menschen darüber nachvollzie-
hen, dass Außenminister Zarif der EU-Außenbeauftragten
zugerufen haben
soll: „Drohen Sie niemals einem Ira-
ner!", und .darüber, dass auf Augenhöhe verhandelt
worden ist, dass der amerika-
nische mit dem iranischen Präsidenten sprach. Warum nicht
gleich so?, fragen die Iraner.
Welche Hoffnungen verbinden sich dort mit dem Deal?
„Wirtschaftliche, ausschließlich wirt-schaftliche",
sagt ein Bekannter. „Günstigere Wechselkurse. Mehr Produktion.
Mehr Jobs. Weniger Arbeitslosigkeit. Mehr Produkte. Mehr
Handel. Mehr Konsum. Fallende Preise. Auch die Wohnungen werden billiger. Man
kann Familien gründen. Und dringend benötigte Medikamente und medizinische Gerätschaften
kommen wieder ins Land."
Ein Deutscher, der in Iran arbeitet, erklärt mir: „Die alles
entscheidende Frage ist, ob europäische Banken jetzt wieder Büros in Iran
eröffnen werden. Das ist ein politisches Risiko. Da die amerikanischen Behörden
jedes Geldinstitut, das auch in Dollar handelt - also quasi jedes -,
amerikanischem Recht unterwerfen, sahen sich in den vergangenen Jahren
zahlreiche europäische und deutsche Banken aufgrund des amerikanischen
Totalembargos gegenüber Iran mit Strafbefehlen in dreistelliger Millio-nenhöhe
aus den Vereinigten Staaten konfrontiert und zahlten lieber einen Vergleich,
als es auf Gerichtsurteile an-kommen zu lassen. Und natürlich stoppten sie ihre
Iran-Geschäfte. Eine Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten für deutsche
Banken könnte eigentlich nur die deutsche Regierung erwirken, aber es ist
fraglich, ob sie dafür den Mumm. hat. Wahrscheinlicher ist, dass deutsche
Banken warten, bis auch amerikanische sich wieder in Iran engagiert
haben."
Das Volk auf den Straßen freut sich vor allem darüber, dass
die internationale Isolation endet. „Sie haben uns zum Paria gemacht wegen
einer unbewiesenen Spekulation. Atombombe ja oder nein. Dabei ist die Atomkraft
nicht relevant für die nationale Energieversorgung. Es war, seit Siemens vor
der Revolution einen Atomreaktor bauen wollte und dann nicht durfte, immer nur
eine politische Frage. Darf Iran autonom entscheiden oder nicht?"
Deswegen halten deutsche Wirt-schaftsfachleute in Iran auch
die Sanktio
nen für völlig verfehlt: „Sie haben die Mittelschicht und
die Privatwirtschaft geschädigt und für eine zunehmende politische
Radikalisierung gesorgt. Ohne Sanktionen hätte es gar kein
Ahmadine-schad-Regime gegeben."
Und daher ist das Abkommen innen-politisch ein großer Sieg
der liberalen Regierung Rohani gegen die Hardliner-Fraktion um den
Ahmadineschad-Clan. Dessen „Partei der Besorgten" sorgt sich in Wahrheit
vor allem um die Milli-arden, die dem Clan an Schwarzmarkt-Gewinnen
verlorengehen, wenn die Wirtschaftssanktionen enden. Und jeder politische Sieg
der liberalen Gruppe hilft den Menschen einen Fußbreit wei-teriukoMmerififter
Gewinnung persrir--- licher Freiheiten.
Und die Atombombe?, frage ich ei-nen Freund aus dem
Intellekm eilenmi-lieu. einen erklärten Regimegegner. Ja. warum soll Iran
eigentlich keine Atom-bombe haben?", ist seine Gegenfrage. Nicht nur die
großen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben sie ganz selbstverständlich.
Auch Israel, Pakistan und Indien haben sie. Warum nicht wir? Wir sind ein
unabhängiger Staat und eine Regionalmacht. Und wer garantiert uns, dass Israel
nicht uns angreift?"
Es fällt nicht leicht, das „Wir-die--Schema umzudrehen. Aber
es ist, und das ist das Einzige, dessen ich mir sicher bin, etwas, das uns im
21. Jahrhundert noch öfter abverlangt werden wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.