Nicht immer ist BIO drin, wenn BIO draufsteht
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/7uVYpdQEGWc
Am Wochenende nach dem Neuland-Skandal wartet der Verkäufer
der Fleischerei hinter seiner Theke auf dem Wochenmarkt am Berliner Prenzlauer
Berg vergeblich auf Kunden. Die früheren Käufer sind verunsichert. Jahrelang
hatte der Hauptlieferant konventionelle Hühner unter dem Siegel „Neuland"
verkauft. Es - signalisierte ethisch korrekte Haltung und ökologische Aufzucht.
Die Verbraucher zahlten überhöhte Preise für die vermeintlich hochwertige Ware.
Hunderttausende wurden so betrogen, wie die Wochenzeitung „Die Zeit"
aufdeckte.
Es ist nicht der erste Skandal, der die Bio-Branche
erschüttert. Im Dezember 2011 deklarierte ein italienischer Fäl-scherring 700
000 Tonnen mit Pestiziden behandelte Tomaten, Getreide und Äpfel als Bio-Ware.
Eine Bande aus korrupten Kontrolleuren und Chefs von Lebensmittelfirmen
operierte viele Jahre völlig ungestört und setzte Ware im Wert von mindestens
220 Millionen Euro ab. Der Imageschaden und der Vertrauensverlust wiegen noch
schwerer.
Bio-Produkte können vier Mal so teuer sein wie
konventionelle Ware. Viele Ver-braucher greifen für eine nachhaltige
Pro-duktion gern tiefer in die Tasche. Aber sie wollen ihrer Sache sicher sein.
Das Wachstum der Branche hat sich in den vergangenen drei Jahren abgeschwächt —
nicht zuletzt deshalb, weil die Konsumenten zweifeln, ob „bio" wirklich
„bio" ist.
Zertifikate sollen belegen, wo Setzlinge und Dünger
herkommen, und den Bio-
Bauern von seinem agrochemisch wirt-schaftenden Nachbarn
unterscheiden. Insgesamt gilt dieses System in Deutschland als weitgehend
verlässlich. Doch immer neue und größere Betrugsfälle haben das Image der
Branche zerschrammt. „Wir brauchen Tests, um eine wundersame Vermehrung der
Bio-Ware zu vermeiden", fordert Jochen Neuendorff, Leiter der Göttinger
Gesellschaft für Ressourcenschutz, ein namhafter Zerti-fizierer für Bio-Höfe in
Deutschland.
Ein Wasserzeichen für „Bio"
Inzwischen macht sich die Europäische Kommission für einen
Paradigmenwechsel stark. Zertifikate werden demnach bald nicht mehr für das
Label „Bio" genügen. Handfeste Beweise sollen her, schlägt ein Entwurf für
eine neue Öko-Verordnung vor — ein Wasserzeichen für Bio-Produkte sozusagen.
Doch kann das funktionieren, zumal die Inhaltsstoffe der Waren nicht identisch
sind?
In der Tat arbeiten viele Wissenschaftler weltweit an
Bio-Beweisen. Saskia van Ruth vom Wageningen University and Research Centre in
den Niederlanden ist eine der Pionierinnen in Europa. 2007 kam die
Landesregierung auf sie zu: Van Ruth sollte einen verlässlichen Öko-Test
entwickeln. Sie wagte einen ersten Ver-such. Ihr Team sammelte Tausende Eier
und trennte das Eiklar vom Eigelb. Und tatsächlich: Im Muster der Carotinoide,
jener rund 600 Stoffe, die das Dotter gelb färben können, stieß van Ruth auf
charakteristische Unterschiede.
Das Federvieh bildet diese Farbstoffe nicht selbst, sondern
nimmt sie über das Futter auf. Konventionellem Geflügel dürfen acht
verschiedene Carotinoide
g unter die Körner gemischt werden. Dazu
ef gehören Substanzen wie Lutein, Capsan-thin und
Zeaxanthin. Weil die Nordeuropäer ein hellgelbes und die Südeuropäer ein
gelborangefarbenes Dotter lieben, bringen die Viehzüchter mit dem wohl-
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1 dosierten Zusatz die Lieblingsfarbe ins Ei. Bio-Hühner
dürfen laut Öko-Verord-
• nung
keine Farbstoffe verabreicht bekommen. Die Bauern greifen
deshalb zu Mais und Gras, die reich an natürlichen Carotinoiden sind. Das
schlägt sich im Dotter nieder — allerdings
22 nicht in einem einzigen Farbstoff,
• sondern im
Gesamtmuster der
Ware mit staatlichem Bio-Siegel darf nicht gentechnisch
verändert sein oder mit chemisch-synthetischem Pflanzenschutzmittel,
Kunstdünger oder Klärschlamm angebaut werden.
Carotinoide. Van Ruth spricht vom „Fingerabdruck des
Dotters". Das Ver-hältnis von Lutein zu Zeaxanthin etwa ist in Bio-Eiern
viel höher als in konventionellem Gelege.
Erfolg beim Dottertest
Doch taugt der Fingerabdruck des Dot-ters auch für einen
Öko-Test? 2011 be-sorgte sich van Ruths Team Eier von ins-gesamt 94 Höfen aus
10 Ländern. Die Forscher vermischten jeweils die Dotter von drei Eiern eines
Hofs, um einen ver-lässlichen Mittelwert zu haben. Dann sahen sie sich die
Zusammensetzung der Carotinoide mittels Flüssigkeits-Chroma-tografie an. Bei
diesem Verfahren nutzt man, dass schwere, sperrig gebaute Mole-küle in einer
Flüssigkeitssäule langsamer wandern als Leichtgewichte. So können die
verschiedenen Carotinoide voneinan-der getrennt werden.
Die Eier von Bio-Bauern aus der EU bestimmte van Ruths Team
mit 39 von 40 Treffern fast komplett richtig. Auch bei den konventionellen
Eiern aus der EU war
die Methode mit 27 von 29 „Richtigen" sehr erfolgreich.
Nur österreichische Weideeier, bei denen die Hühner pflanzli-ches Futter
bekommen hatten, wurden fälschlich als „Bio" eingestuft. Auch bel-gische
Eier von einem Hof, der seine Vögel rein pflanzlich fütterte, aber für eine
optimale Dotterfarbe Paprikapulver untermengte, waren konventionell, lan-deten
aber bei dem Test in der Bio-Gruppe. „In der EU hat der Dottertest eine
Verlässlichkeit von über 90 Prozent", resümiert van Ruth.
Bei neun türkischen Öko-Betrieben lagen die Forscher
allerdings sieben Mal daneben. Sie hatten Bio-Eier als Eier aus konventionellen
Betrieben eingestuft. Handelte es sich etwa um Fälschungen? Van Ruths Team hat
keine Antwort auf diese brisante Frage. Die Mitarbeiter hat-ten die Produkte
auf lokalen Märkten be-schafft. Sie trugen keinen Stempel, sodass nicht
zurückverfolgt werden konnte, von welchem Hof sie kamen. Es könnte auch sein,
dass türkische Bio-Züchter anderes landestypisches Futter einsetzen. Künftig
will van Ruth Eier aus der Türkei genauer unter die Lupe nehmen.
Ein holländischer Zertifizierer nutzt den Dottercheck
unterdessen schon. So prüft er die Produkte seiner Öko-Land-wirte einmal im
Jahr, zusätzlich zu den Zertifikaten. Zu den Ergebnissen mag sich van Ruth
nicht direkt äußern. Aber sie lässt durchblicken: „Es gibt Unregel-mäßigkeiten.
Besonders verdächtig sind die Zeiten vor Ostern und Weihnachten." Zu
Ostern sind gefärbte Eier beliebt, und in der Vorweihnachtszeit wird viel
geba-cken, weshalb die Nachfrage in diesen Zeiten exorbitant steigt.
Van Ruth hat vorgemacht, dass ein Bio-Nachweis gelingen
kann. Sie setzt dafür auf den Fingerabdruck von Lebensmitteln, also auf
absolute Messdaten verschiedener Inhaltsstoffe und deren relatives Verhältnis
zueinander. Das menschliche Auge kann dieses Muster im
Flüssigkeits-Chromatogramm allerdings nicht erkennen, sondern Computer müssen
es mit mathematischen Methoden ausmessen. „Profiling" heißt diese
Tech-nik. „Durch die unglaublich leistungs-starken Rechner ist dieses
Forschungsfeld in den letzten Jahren explodiert", be-richtet Johannes
Kahl, ein Spezialist für
ökologische Lebensmittel an der Universität Kassel.
Van Ruth hält das Profiling für die Me-
thode der Wahl. Eine einzelne Substanz sei selten
aussagekräftig genug, argumentiert sie: „Dazu unterscheidet sich die
Öko-Landwirtschaft in zu wenigen Punkten vom landläufigen Anbau." Gerade
sucht ihr Team nach einem Fingerabdruck im Fett von Bio-Schweinefleisch und
konventionellen Steaks. Andere Wissenschaftler konnten mit dem Profiling
bereits Öko-Weizen, -Kaffee und -Orangen von konventioneller Ernte trennen.
Doch Markus Boner, der in Deutsch-
land auf dem Gebiet des Bio-Nachweises führend ist, kann
sich mit dem Profiling nicht recht anfreunden. Den Lebensmit-:elchemiker und
Inhaber des Jülicher Nachweislabors Agroisolab interessieren zharakteristische,
messbare Unterschiede einzelner Substanzen. 2002 kamen ver-,--zhiedene
Einzelhändler auf ihn zu und wollten wissen, wie sich ein Rindersteak
Irland von einem Steak aus Argenti-- _en unterscheidet und
was ein Steak vom --Bauern auszeichnet. Sie sorgten sich Image, weil immer
wieder falsch Produkte auftauchten. Boner - 7.f :legte, was „Bio"
ausmacht. Obst und
Gemüse sind ohne synthetische Pestizide erzeugt. Doch auch
konventionelle Produkte sind mittlerweile oft unter der Nachweisgrenze mit
Pflanzenschutzmitteln belastet, weil nur wenig gespritzt wird und die
Substanzen sich rascher als einst abbauen. Insofern ist Pestizidfreiheit längst
kein Alleinstellungsmerkmal der Bio-Branche mehr.
Der kleine Unterschied
Konventionelle Feldfrüchte werden vor allem mineralisch
gedüngt. Der Bio-Bauer hingegen zieht seine Pflanzen mit Mist, Kompost und
Gülle auf. Mineralischer und organischer Dünger unterscheiden sich merklich im
Gehalt der Stickstoff-Isotope N-14 und N-15. Die 15er-Varian-te ist etwas
schwerer, weil sie über ein zusätzliches Neutron verfügt. Weil Tiere vor allem
das leichtere N-14 verdauen, reichert sich N-15 in Mist, Gülle und Knochenmehl
an. Der schwere Stickstoff sollte deshalb in biologischen Produkten in höheren
Mengen vorkommen, schloss Boner — und nahm die Fährte auf.
Bald sah er, dass der Unterschied winzig war. Während
mineralischer Dünger nahezu Null Promille an N-15 hatte, be
trug dessen Gehalt in tierischen Natur-düngern rund zehn
Promille. Anhand dieser feinen Differenz konnte Boner Tomaten aus
konventioneller und ökologischer Erzeugung unterscheiden. Auch bei anderen
schnell wachsenden, Dünger zehrenden Gemüsesorten wie Brokkoli und Zucchini
funktioniert die Isotopenmetho-de recht verlässlich.
Zwischen 2009 und 2012 prüfte Boner das Verfahren im Auftrag
der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Eier konnte er in dieser
Studie zu 90 Prozent richtig zuordnen. Denn über das Futter finden sich die
Unterschiede in den Isotopenverhältnissen auch in tierischen Produkten wieder.
Milch und Fleisch lassen sich also ebenfalls über die Isotope ihrer Herkunft
zuordnen.
Doch langsam wachsende Pflanzen nehmen weniger Stickstoff
aus dem Boden auf. Entsprechend schwächer fällt der ohnehin geringe Unterschied
zwischen den Stickstoff-Isotopen aus. Weizen, Kartoffeln und Karotten lassen
sich deshalb nur mit einer Treffsicherheit von 70 bis 80 Prozent dem
Anbausystem zuweisen. „Auch Orangen sind schwierig, weil die Bäume tief wurzeln
und kaum oberflächennahen Stickstoff aufnehmen. Bei Bananen funktioniert die
Methode wiederum sehr gut, weil sie viel Dünger brauchen", berichtet
Boner.
Ist ein Fall unklar, gibt der Lebensmittelchemiker nicht
gleich auf. Er hakt nach, womit auf dem Feld gedüngt wurde. Wenn man
Knochenmehl ausgestreut hat, weisen Bio-Möhren entsprechend hohe Werte an N-15
auf. Wurden dagegen Bodenverbesserer wie Klee angebaut, binden diese vor allem
die leichte Stickstoff-Sorte, und die Menge an 15er-Stickstoff ist in den
anschließend angepflanzten Karotten vergleichsweise gering.
Obwohl Spezialisten inzwischen Fleisch, Wurst, Gemüse, Obst
und Milch von konventionellen oder von Bio-Höfen unterscheiden können,
benötigen sie oft zusätzliche Informationen, etwa über den verwendeten Dünger,
um ihre Einschät-zung abzusichern. Der Grund: Unter den konventionellen Anbau
fällt sowohl die hochintensive Landwirtschaft als auch die Almwirtschaft, die
auf mineralischen Dünger verzichtet und damit dem biologischen Anbau in nichts
nachsteht. „Wir werden keine Maschine entwickeln kön-
nen, die anzeigt: Das ist Bio! Aber durchaus eine, die
verrät: Achtung, das ist wahrscheinlich nicht Bio!", verdeutlicht Kahl.
Dann ist es in detektivischer Kleinarbeit möglich, schwarze Schafe aufzuspüren.
„Bei gefälschten Produkten stimmt meistens auch die Herkunft nicht, das heißt,
diese kommen von einem anderen Feld als angegeben", verrät Boner.
Viele Unstimmigkeiten
Die Forscher, die Bio-Nachweismethoden entwickeln, sehen
genauer als staatliche Kontrolleure, wie viel gefälschte Ware in Umlauf ist. Im
Zertifikate-System treten Ungereimtheiten seltener als in einem von 100 Fällen
auf. Immer wieder präsentiert die Branche solche Zahlen voller Stolz. Boner
beobachtet in seinem Labor deutlich häufiger Unstimmigkeiten. Da er jedoch oft
auf einen konkreten Verdacht hin eingeschaltet werde, seien die Zahlen nicht
repräsentativ, sagt er. Zur Größenordnung und zu konkreten Fällen mag er sich
nicht äußern: „Wir sind kein Ab-mahnverein."
Bleibt die Frage, wer zahlt, wenn Bio-Bauern oder Händler
künftig einen Nachweis erbringen müssen. 200 bis 300 Euro
kostet beispielsweise ein Isotopen-Test bei Agroisolab.
Werden diese Kosten auf den Preis umgeschlagen, muss man für Bio-Produkte mehr
bezahlen. Andererseits beobachtet der Ernährungswissenschaftler Georg
Langenkämper vom Max-Rubner-Institut in Detmold, dass allein schon die Forschung
am Bio-Beweis die Betrüger einschüchtert. „Eine echte Alternative gibt es
nicht. Öko-Lebensmittel genießen einen Vertrauensvorschuss. Und der ver-ringert
sich mit jedem Skandal und bedroht das Wachstum der Branche.
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