Montag, 27. Juli 2015

Nicht immer ist BIO drin, wenn BIO draufsteht


Nicht immer ist BIO drin, wenn BIO draufsteht

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/7uVYpdQEGWc

Am Wochenende nach dem Neuland-Skandal wartet der Verkäufer der Fleischerei hinter seiner Theke auf dem Wochenmarkt am Berliner Prenzlauer Berg vergeblich auf Kunden. Die früheren Käufer sind verunsichert. Jahrelang hatte der Hauptlieferant konventionelle Hühner unter dem Siegel „Neuland" verkauft. Es - signalisierte ethisch korrekte Haltung und ökologische Aufzucht. Die Verbraucher zahlten überhöhte Preise für die vermeintlich hochwertige Ware. Hunderttausende wurden so betrogen, wie die Wochenzeitung „Die Zeit" aufdeckte.

Es ist nicht der erste Skandal, der die Bio-Branche erschüttert. Im Dezember 2011 deklarierte ein italienischer Fäl-scherring 700 000 Tonnen mit Pestiziden behandelte Tomaten, Getreide und Äpfel als Bio-Ware. Eine Bande aus korrupten Kontrolleuren und Chefs von Lebensmittelfirmen operierte viele Jahre völlig ungestört und setzte Ware im Wert von mindestens 220 Millionen Euro ab. Der Imageschaden und der Vertrauensverlust wiegen noch schwerer.

Bio-Produkte können vier Mal so teuer sein wie konventionelle Ware. Viele Ver-braucher greifen für eine nachhaltige Pro-duktion gern tiefer in die Tasche. Aber sie wollen ihrer Sache sicher sein. Das Wachstum der Branche hat sich in den vergangenen drei Jahren abgeschwächt — nicht zuletzt deshalb, weil die Konsumenten zweifeln, ob „bio" wirklich „bio" ist.

Zertifikate sollen belegen, wo Setzlinge und Dünger herkommen, und den Bio-

 

Bauern von seinem agrochemisch wirt-schaftenden Nachbarn unterscheiden. Insgesamt gilt dieses System in Deutschland als weitgehend verlässlich. Doch immer neue und größere Betrugsfälle haben das Image der Branche zerschrammt. „Wir brauchen Tests, um eine wundersame Vermehrung der Bio-Ware zu vermeiden", fordert Jochen Neuendorff, Leiter der Göttinger Gesellschaft für Ressourcenschutz, ein namhafter Zerti-fizierer für Bio-Höfe in Deutschland.

Ein Wasserzeichen für „Bio"

Inzwischen macht sich die Europäische Kommission für einen Paradigmenwechsel stark. Zertifikate werden demnach bald nicht mehr für das Label „Bio" genügen. Handfeste Beweise sollen her, schlägt ein Entwurf für eine neue Öko-Verordnung vor — ein Wasserzeichen für Bio-Produkte sozusagen. Doch kann das funktionieren, zumal die Inhaltsstoffe der Waren nicht identisch sind?

In der Tat arbeiten viele Wissenschaftler weltweit an Bio-Beweisen. Saskia van Ruth vom Wageningen University and Research Centre in den Niederlanden ist eine der Pionierinnen in Europa. 2007 kam die Landesregierung auf sie zu: Van Ruth sollte einen verlässlichen Öko-Test entwickeln. Sie wagte einen ersten Ver-such. Ihr Team sammelte Tausende Eier und trennte das Eiklar vom Eigelb. Und tatsächlich: Im Muster der Carotinoide, jener rund 600 Stoffe, die das Dotter gelb färben können, stieß van Ruth auf charakteristische Unterschiede.

Das Federvieh bildet diese Farbstoffe nicht selbst, sondern nimmt sie über das Futter auf. Konventionellem Geflügel dürfen acht verschiedene Carotinoide

g unter die Körner gemischt werden. Dazu

ef gehören Substanzen wie Lutein, Capsan-thin und Zeaxanthin. Weil die Nordeuropäer ein hellgelbes und die Südeuropäer ein gelborangefarbenes Dotter lieben, bringen die Viehzüchter mit dem wohl-

c7

1 dosierten Zusatz die Lieblingsfarbe ins Ei. Bio-Hühner dürfen laut Öko-Verord-

         nung

keine Farbstoffe verabreicht bekommen. Die Bauern greifen deshalb zu Mais und Gras, die reich an natürlichen Carotinoiden sind. Das schlägt sich im Dotter nieder — allerdings

22 nicht in einem einzigen Farbstoff,

         sondern im Gesamtmuster der

Ware mit staatlichem Bio-Siegel darf nicht gentechnisch verändert sein oder mit chemisch-synthetischem Pflanzenschutzmittel, Kunstdünger oder Klärschlamm angebaut werden.

 

Carotinoide. Van Ruth spricht vom „Fingerabdruck des Dotters". Das Ver-hältnis von Lutein zu Zeaxanthin etwa ist in Bio-Eiern viel höher als in konventionellem Gelege.

Erfolg beim Dottertest

Doch taugt der Fingerabdruck des Dot-ters auch für einen Öko-Test? 2011 be-sorgte sich van Ruths Team Eier von ins-gesamt 94 Höfen aus 10 Ländern. Die Forscher vermischten jeweils die Dotter von drei Eiern eines Hofs, um einen ver-lässlichen Mittelwert zu haben. Dann sahen sie sich die Zusammensetzung der Carotinoide mittels Flüssigkeits-Chroma-tografie an. Bei diesem Verfahren nutzt man, dass schwere, sperrig gebaute Mole-küle in einer Flüssigkeitssäule langsamer wandern als Leichtgewichte. So können die verschiedenen Carotinoide voneinan-der getrennt werden.

Die Eier von Bio-Bauern aus der EU bestimmte van Ruths Team mit 39 von 40 Treffern fast komplett richtig. Auch bei den konventionellen Eiern aus der EU war

 

die Methode mit 27 von 29 „Richtigen" sehr erfolgreich. Nur österreichische Weideeier, bei denen die Hühner pflanzli-ches Futter bekommen hatten, wurden fälschlich als „Bio" eingestuft. Auch bel-gische Eier von einem Hof, der seine Vögel rein pflanzlich fütterte, aber für eine optimale Dotterfarbe Paprikapulver untermengte, waren konventionell, lan-deten aber bei dem Test in der Bio-Gruppe. „In der EU hat der Dottertest eine Verlässlichkeit von über 90 Prozent", resümiert van Ruth.

Bei neun türkischen Öko-Betrieben lagen die Forscher allerdings sieben Mal daneben. Sie hatten Bio-Eier als Eier aus konventionellen Betrieben eingestuft. Handelte es sich etwa um Fälschungen? Van Ruths Team hat keine Antwort auf diese brisante Frage. Die Mitarbeiter hat-ten die Produkte auf lokalen Märkten be-schafft. Sie trugen keinen Stempel, sodass nicht zurückverfolgt werden konnte, von welchem Hof sie kamen. Es könnte auch sein, dass türkische Bio-Züchter anderes landestypisches Futter einsetzen. Künftig will van Ruth Eier aus der Türkei genauer unter die Lupe nehmen.

Ein holländischer Zertifizierer nutzt den Dottercheck unterdessen schon. So prüft er die Produkte seiner Öko-Land-wirte einmal im Jahr, zusätzlich zu den Zertifikaten. Zu den Ergebnissen mag sich van Ruth nicht direkt äußern. Aber sie lässt durchblicken: „Es gibt Unregel-mäßigkeiten. Besonders verdächtig sind die Zeiten vor Ostern und Weihnachten." Zu Ostern sind gefärbte Eier beliebt, und in der Vorweihnachtszeit wird viel geba-cken, weshalb die Nachfrage in diesen Zeiten exorbitant steigt.

Van Ruth hat vorgemacht, dass ein Bio-Nachweis gelingen kann. Sie setzt dafür auf den Fingerabdruck von Lebensmitteln, also auf absolute Messdaten verschiedener Inhaltsstoffe und deren relatives Verhältnis zueinander. Das menschliche Auge kann dieses Muster im Flüssigkeits-Chromatogramm allerdings nicht erkennen, sondern Computer müssen es mit mathematischen Methoden ausmessen. „Profiling" heißt diese Tech-nik. „Durch die unglaublich leistungs-starken Rechner ist dieses Forschungsfeld in den letzten Jahren explodiert", be-richtet Johannes Kahl, ein Spezialist für

ökologische Lebensmittel an der Universität Kassel.

Van Ruth hält das Profiling für die Me-

thode der Wahl. Eine einzelne Substanz sei selten aussagekräftig genug, argumentiert sie: „Dazu unterscheidet sich die Öko-Landwirtschaft in zu wenigen Punkten vom landläufigen Anbau." Gerade sucht ihr Team nach einem Fingerabdruck im Fett von Bio-Schweinefleisch und konventionellen Steaks. Andere Wissenschaftler konnten mit dem Profiling bereits Öko-Weizen, -Kaffee und -Orangen von konventioneller Ernte trennen.

Doch Markus Boner, der in Deutsch-

land auf dem Gebiet des Bio-Nachweises führend ist, kann sich mit dem Profiling nicht recht anfreunden. Den Lebensmit-:elchemiker und Inhaber des Jülicher Nachweislabors Agroisolab interessieren zharakteristische, messbare Unterschiede einzelner Substanzen. 2002 kamen ver-,--zhiedene Einzelhändler auf ihn zu und wollten wissen, wie sich ein Rindersteak

Irland von einem Steak aus Argenti-- _en unterscheidet und was ein Steak vom --Bauern auszeichnet. Sie sorgten sich Image, weil immer wieder falsch Produkte auftauchten. Boner - 7.f :legte, was „Bio" ausmacht. Obst und

 

Gemüse sind ohne synthetische Pestizide erzeugt. Doch auch konventionelle Produkte sind mittlerweile oft unter der Nachweisgrenze mit Pflanzenschutzmitteln belastet, weil nur wenig gespritzt wird und die Substanzen sich rascher als einst abbauen. Insofern ist Pestizidfreiheit längst kein Alleinstellungsmerkmal der Bio-Branche mehr.

Der kleine Unterschied

Konventionelle Feldfrüchte werden vor allem mineralisch gedüngt. Der Bio-Bauer hingegen zieht seine Pflanzen mit Mist, Kompost und Gülle auf. Mineralischer und organischer Dünger unterscheiden sich merklich im Gehalt der Stickstoff-Isotope N-14 und N-15. Die 15er-Varian-te ist etwas schwerer, weil sie über ein zusätzliches Neutron verfügt. Weil Tiere vor allem das leichtere N-14 verdauen, reichert sich N-15 in Mist, Gülle und Knochenmehl an. Der schwere Stickstoff sollte deshalb in biologischen Produkten in höheren Mengen vorkommen, schloss Boner — und nahm die Fährte auf.

Bald sah er, dass der Unterschied winzig war. Während mineralischer Dünger nahezu Null Promille an N-15 hatte, be

 

trug dessen Gehalt in tierischen Natur-düngern rund zehn Promille. Anhand dieser feinen Differenz konnte Boner Tomaten aus konventioneller und ökologischer Erzeugung unterscheiden. Auch bei anderen schnell wachsenden, Dünger zehrenden Gemüsesorten wie Brokkoli und Zucchini funktioniert die Isotopenmetho-de recht verlässlich.

Zwischen 2009 und 2012 prüfte Boner das Verfahren im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Eier konnte er in dieser Studie zu 90 Prozent richtig zuordnen. Denn über das Futter finden sich die Unterschiede in den Isotopenverhältnissen auch in tierischen Produkten wieder. Milch und Fleisch lassen sich also ebenfalls über die Isotope ihrer Herkunft zuordnen.

Doch langsam wachsende Pflanzen nehmen weniger Stickstoff aus dem Boden auf. Entsprechend schwächer fällt der ohnehin geringe Unterschied zwischen den Stickstoff-Isotopen aus. Weizen, Kartoffeln und Karotten lassen sich deshalb nur mit einer Treffsicherheit von 70 bis 80 Prozent dem Anbausystem zuweisen. „Auch Orangen sind schwierig, weil die Bäume tief wurzeln und kaum oberflächennahen Stickstoff aufnehmen. Bei Bananen funktioniert die Methode wiederum sehr gut, weil sie viel Dünger brauchen", berichtet Boner.

Ist ein Fall unklar, gibt der Lebensmittelchemiker nicht gleich auf. Er hakt nach, womit auf dem Feld gedüngt wurde. Wenn man Knochenmehl ausgestreut hat, weisen Bio-Möhren entsprechend hohe Werte an N-15 auf. Wurden dagegen Bodenverbesserer wie Klee angebaut, binden diese vor allem die leichte Stickstoff-Sorte, und die Menge an 15er-Stickstoff ist in den anschließend angepflanzten Karotten vergleichsweise gering.

Obwohl Spezialisten inzwischen Fleisch, Wurst, Gemüse, Obst und Milch von konventionellen oder von Bio-Höfen unterscheiden können, benötigen sie oft zusätzliche Informationen, etwa über den verwendeten Dünger, um ihre Einschät-zung abzusichern. Der Grund: Unter den konventionellen Anbau fällt sowohl die hochintensive Landwirtschaft als auch die Almwirtschaft, die auf mineralischen Dünger verzichtet und damit dem biologischen Anbau in nichts nachsteht. „Wir werden keine Maschine entwickeln kön-

 

nen, die anzeigt: Das ist Bio! Aber durchaus eine, die verrät: Achtung, das ist wahrscheinlich nicht Bio!", verdeutlicht Kahl. Dann ist es in detektivischer Kleinarbeit möglich, schwarze Schafe aufzuspüren. „Bei gefälschten Produkten stimmt meistens auch die Herkunft nicht, das heißt, diese kommen von einem anderen Feld als angegeben", verrät Boner.

Viele Unstimmigkeiten

Die Forscher, die Bio-Nachweismethoden entwickeln, sehen genauer als staatliche Kontrolleure, wie viel gefälschte Ware in Umlauf ist. Im Zertifikate-System treten Ungereimtheiten seltener als in einem von 100 Fällen auf. Immer wieder präsentiert die Branche solche Zahlen voller Stolz. Boner beobachtet in seinem Labor deutlich häufiger Unstimmigkeiten. Da er jedoch oft auf einen konkreten Verdacht hin eingeschaltet werde, seien die Zahlen nicht repräsentativ, sagt er. Zur Größenordnung und zu konkreten Fällen mag er sich nicht äußern: „Wir sind kein Ab-mahnverein."

Bleibt die Frage, wer zahlt, wenn Bio-Bauern oder Händler künftig einen Nachweis erbringen müssen. 200 bis 300 Euro

 

kostet beispielsweise ein Isotopen-Test bei Agroisolab. Werden diese Kosten auf den Preis umgeschlagen, muss man für Bio-Produkte mehr bezahlen. Andererseits beobachtet der Ernährungswissenschaftler Georg Langenkämper vom Max-Rubner-Institut in Detmold, dass allein schon die Forschung am Bio-Beweis die Betrüger einschüchtert. „Eine echte Alternative gibt es nicht. Öko-Lebensmittel genießen einen Vertrauensvorschuss. Und der ver-ringert sich mit jedem Skandal und bedroht das Wachstum der Branche.


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