Zielgenaue Krebs-Bekämpfung
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/SUYU9KgS1Y8
Bevor der Chirurg im Operations-
saal zum ersten Schnitt ansetzt, um
Tumore oder Zysten zu entfernen, muss er punktgenau wissen,
wohin die Reise geht. Die Angaben dazu holt er sich auf einen Bildschirm neben
dem Operationstisch. Röntgenbilder und Aufnahmen, die mittels Computer- oder
Mag-netresgnanztomografie (CT oder MRT) gemacht wurden, liefern Details zu der
Lage von Knochen, Gefäßen, Muskeln und der Geschwulst im Körper.
Doch selbst mit den modernsten bildgebenden Verfahren stoßen
die Chirurgen mitunter an Grenzen. Denn es gibt Tumore in komplexen Organen,
die die Mediziner sich nicht zu behandeln trauen — auch wenn sie die Geschwulst
auf Bildern exakt orten können. Ein solches Organ ist die Leber, ein
Schwergewicht im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Mit 1,5 Kilo-gramm ist
sie das massivste Organ im menschlichen Körper — und in ihrer Vielfältigkeit
wird sie lediglich vom Gehirn übertroffen.
Als lebendes biochemisches Labor wandelt die Leber die
Nährstoffe aus dem Magen-Darm-Trakt radikal um, damit sie der Körper als
Lebensenergie in Form von Glykose, einer Zuckerverbindung, aufnehmen kann.
Diesen Stoffwechsel wickelt die Leber mithilfe zahlreicher verschiedener
Blutgefäße ab. Die Nährstoffe erreichen das Organ über die Pfortader, werden
dort entgiftet, in andere Substanzen umgewandelt und danach in der Leber
eingelagert, bis sie über die Hohlvene in den Körperkreislauf gelangen. Für
diese aufwendigen Prozesse benötigt die Leber sehr viel frisches Blut.
Das Herz schickt über die Leberarterie in jeder Minute rund
1,5 Liter des Lebenssafts — und wendet dafür ein Viertel seiner Pumpleistung
auf. Außerdem produziert die Leber Galle, die sie in einem speziellen
Gefäßsystem in die Gallenblase leitet. Galle ist jener Saft, der es dem Darm
ermöglicht, Fette zu verdauen.
Routinesuche nach Metastasen
So bekommt die blutdurchströmte Leber stets genau mit, was
im Körper abläuft. Das hat auch Nachteile: Bildet sich irgendwo ein
Krebsgeschwür, dauert es nicht lange, bis über das Blut ein Ableger in die
Leber vordringt und sich dort einnistet. Routinemäßig wird heute bei den
meisten Krebsdiagnosen auch nach Metastasen in der Leber gesucht. Sind sie vor-
handen, bereiten sie den Operateuren häufig Kopfzerbrechen. Wo die Metastasen
in der Leber genau sitzen, erfährt der Chirurg per Computertomografie oder —
anschaulicher — nach wenigen Tagen aus hochgerechneten 3-D-Bildern. Darauf
sieht er oft etliche gelb markierte Metastasen an schwer zugänglichen Stellen,
halb verdeckt von blau gefärbten Blutgefäßen.
Der Arzt zögert dann oft, dort das Messer anzusetzen oder
mit der Ablati-onsnadel einen Blindflug in die Leber zu wagen, um die
Krebsableger mit Hitze zu veröden. Denn der Schaden, den er dabei anrichten
kann. L'roht viel größer zu sein als der Nutzen.. well '*ei dem komplizierten
Eingriff ieters•*-.c-hrige Blutgefäße verletzt werden körnen_ Deshalb gelten
heute von wettwetz -.ihrinch rund 500 000 Patienten mit Lear.rrzereasen etwa
350 000 als operativ nicht behandelbar. Sie erhalten bis zu
ihrem Tod nur schmerz-lindernde palliative Medikamente.
In sieben europäischen Krebszentren — darunter deutsche
Kliniken in Hamburg, Mainz und Stuttgart — sowie in einem Zentrum in Brasilien
gibt es nun neue Hoffnung für diese Patienten. Denn dort ließen sich Chirurgen
auf einem innovativen Navigationsgerät schulen, das Schweizer Forscher aus Bern
entwickelt haben. Damit ist es möglich, während einer Operation die zuvor
erstellte 3-D-Darstellung der Leber etwa mit der veränderten Lage des Patienten
auf dem Operationstisch in Übereinstimmung zu bringen. Mit der neu-artigen
Navigationshilfe kann der Chirurg das Skalpell oder die Ablationsnadel sicher
und zielgenau zum Krebsherd führen, ohne dabei Gefäße zu verletzen.
Es war kein Zufan. Jass gerade in Bern der Weg dahin geebnet
wurde. Vor über einem Jahrzehnt begannen sich dort Mediziner am Institut für
Biomedizinische Technologie und am Artorg Center des universitären Inselspitals
auf Navigationstechniken für Hirn- und Wirbelsäu-lenoperationen zu
spezialisieren. Die von den Berner Medizinern entwickelten Verfahren
ermöglichen es, medizinische Instrumente sicher durch die Schädeldecke zu
führen oder heikle Eingriffe an der Wirbelsäule vorzunehmen, ohne dass
wichtiger Nerven beschädigt werden könnten.
Die Navigation für den OP funktioniert ähnlich wie das
GPS-Navi im Auto. Statt Satelliten wie beim GPS befindet sich über dem
Operationstisch eine Stereo-
kamera, die auf das Operaticr ge-
richtet ist. Und statt eines .-.7:-_±,sr.ab-schnitts zeigt
der Bildschirm d:=r CT errechnete 3-D-Darstellung des Körper-inneren. Die
Kamera verfolgt prä7ise das Instrument in den Händen des Chirurgen. während
dieser den Patienten operiert. Dazu sitzen auf dem OP-Bes7t,-:k
dreilichtreflektierende Kugeln, über die sich die Position der Instrumente
millimetergenau berechnen und mit der 3-D-Aufnahme vergleichen lässt. Mithilfe
der Darstellung auf einem Bildschirm kann der Chirurg seine Instrumente sicher
im Körper führen.
Das funktioniert gut, solange das Ope-rationsfeld mit dem
Ausschnitt auf der 3-D-Darstellung übereinstimmt. Verändert oder verschiebt
sich das Operationsfeld aber, ergeht es dem Chirurgen wie einem Fahrzeuglenker,
der von seinem Navi in eine Sackgasse oder Einbahnstraße geleitet wurde, weil
der aktuelle Straßenverlauf nicht mehr mit dem Karteneintrag übereinstimmt. Bei
der Leber ist eine solche Veränderung nicht zu vermeiden. Sie ist ein weiches,
geschmeidiges Organ, das sich leicht verformt, wobei sich seine Blutgefäße
elastisch dehnen und gegeneinander verschieben. Sobald der Chirurg die
Bauchdecke öffnet, deformiert sich daher die Leber und muss
zunächst mit der genauen Darstellung auf dem Monitor in Übereinstimmung
gebracht werden.
Der Biomedizin-Ingenieur Stefan Weber, der von der TU
München ins Team am Artorg Center kam, brachte erste Ansätze mit, um dieses
Problem zu lösen: Er verwendet Ultraschall, mit dessen Hilfe sich Vorgänge im
Körperinneren in Echtzeit abbilden lassen. Ultraschall wird seit mehr als 50
Jahren genutzt, um Organe wie das Herz während der Bewegung zu untersuchen. Die
meisten schwangeren Frauen sehen heute ihr im Bauch heranwachsendes Kind zum
ersten Mal per Ultraschall. Die hochfrequenten Schallwellen, die den Körper
durchdringen, werden überall dort reflektiert, wo sich die Gewebedichte ändert
— vorzugsweise an Stellen, wo verschiedene Gefäße oder Organe
aufeinandertreffen.
Stefan Webers Idee erwies sich als richtig, doch die
technische Umsetzung war knifflig. Aussagekräftige Ultraschallmessungen sind
nur während der Operation direkt an der Leber möglich. Anfangs war zudem
unklar, welche Teile der Leber als markante Punkte per Ultraschall anzupeilen
sind, um das Organ mit der computer-tomografischen 3-D-Darstellung
synchronisieren zu können.
Eine enge Zusammenarbeit mit Chirurgen war unabdingbar, um
das Verfahren praxisreif zu machen. „Wir hatten das Glück, mit Daniel Candinas
einen Chirurgen zu finden, der dieser neuen Technik aufgeschlossen
gegenüberstand", sagt Weber. Viszeralchirurg Candinas, Leiter des Bauchzentrums
im Berner Inselspital, betont, dass manche Eingriffe ohne exakte Orientierung
über bildgebende Verfahren gar nicht denkbar sind: „Es gibt Tumore, die wir mit
den bisherigen Methoden kaum lokalisieren können und die sich nicht von
gesundem Gewebe unterscheiden lassen."
Zwei Monitore am OP-Tisch
Den größten Teil der rund vier Jahre dau-ernden
Entwicklungszeit des Leber-Navi-gationssystems leistete der Elektrotechniker
Matthias Peterhans im Rahmen seiner Doktorarbeit. Bis heute ist Peterhans oft
bei Operationen präsent. So begleitete der Experte die Berner Chirurgin Pascale
Tinguely bei einem Eingriff mit dem Ziel, bei einer 40-jährigen Patientin 30
Metas-tasen in der Leber mittels Ablationsnadel zu veröden. Zuvor war der
Patientin bereits in einer ersten Operation der Primärtumor entfernt worden,
der einen Darmverschluss verursacht hatte.
Während der Leberoperation waren zwei Bildschirme an der
Front des Ope-rationstischs installiert. Als der Bauchraum der Patientin
geöffnet war, zeigte der linke Bildschirm die 3-D-Ansicht der Leber mit den
stark verzweigten Ästen der blau gefärbten Blutgefäße, hinter denen die gelb
markierten Metastasen zu erkennen waren. Akribisch fuhr Tinguely mit der
Ultraschallsonde mehrmals über die Leber, auf der Suche nach markanten Punkten.
Den Verlauf ihrer Suche konnte sie währenddessen auf dem rechten Bildschirm
live verfolgen.
Hatten die Artorg-Ingenieure anfangs markante Außenformen
als Orientierungspunkte im Visier, so zeigte die Erfahrung im Operationssaal,
dass solche Markierungen nicht immer verlässlich und präzise genug sind.
Stattdessen gelang es, Blutgefäße im Inneren der Leber durch Ultraschall zu
erkennen, was die Präzision deutlich verbesserte: „Beim Abgleich der
Ultraschalldaten mit den CT-Daten sind wir jetzt rund fünf Millimeter
genau", sagt Pascale Tinguely - auch weil das System inzwischen in der
Lage ist, 20 Ultraschallbilder pro Sekunde zu analysieren.
Es dauerte eine Weile, bis die Chirurgin die geeignete
Stelle gefunden hatte und die Nadeln fii2- die Ve:odung ansetzen konnte. Bei
jedem Einstich wechselte ihr Blick
vom Bildszh= Orürarionsfeld.
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Durchmesser zu veröden. Am schwierigs-ten war es, mehrere
Metastasen unschädlich zu machen, die sehr tief saßen. Peter-hans richtete dazu
das 3-D-Modell auf dem Bildschirm auf einen besonders guten Zugang aus und
grenzte jene Blutgefäße auf dem Modell ab, die der Ultraschall in der Leber zum
Abgleich ausfindig machen sollte. Tinguely fuhr dann mit der Sonde ein paar Mal
über die betroffene Leberstelle, bis das System die Gefäße erkannt hatte. Auf
diese Weise konnte sie das Ultraschallbild mit dem Modell kom-binieren - und es
gelang ihr, die Metasta-sen an der heiklen Stelle zu veröden. In-zwischen wurde
das System, die soge-nannte Cascination, auch an der Univer-sitätsmedizin Mainz
eingeführt. Kosten: rund 150 000 Euro.
Zudem hat das Team von Matthias Peterhans und Stefan Weber
mit der „in-terventionellen Radiologie" ein weiteres Anwendungsgebiet für
die Körper-Navi-gationstechnik erschlossen. Erscheint eine Operation zu
riskant, nimmt der Radiolo-ze die operative Entfernung bei Leber-, L -.ins:en-
oder Nierenmetastasen direkt
die Haut vor. Bisher mussten die Mediziner dafür den
richtigen Ort an-hand einer CT-Darstellung anpeilen, da-"21a, das Resultat
über ein erneutes CT t.ccn-o:ieren und falls nötig korrigieren.
Das neue OP-Navi aus Bern ermög-licht jetzt ein genaueres
und weniger strahlenbelastendes Vorgehen. Dazu werden für die Ablation auf der
Haut des Patienten Markierungspunkte angebracht, und anschließend folgt eine
Untersuchung per Computertomografie. Aus der CT-Aufnahme erstellt die
Cascination-Soft-ware ein dreidimensionales Modell mit den Markierungen, von
denen aus der Winkel und die Tiefe für die Ablations-nadel genau berechnet
werden. Beim Eingriff unterstützt dann das Navi den Arzt. Für das System
dürften sich wohl bald auch Lungen- und Nierenkrebs-
spezialisten interessieren.
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