Die Stadt der Zukunft
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/9tbwD6PTExQ
Intelligente Parkautomaten berechnen den Preis abhängig von
der Nachfrage nach Parkplätzen. Elektronische Ver-kehrsschilder passen
Geschwindigkeits-vorgaben Wetter- und Verkehrsverhält-nissen an. Öffentliche
Mülleimer teilen der Stadtverwaltung mit, wann die Tonne voll ist — und nur
dann macht sich das • Müllauto auf den Weg, was Kosten spart. Das sind erste
Ansätze der vernetzten Stadt der Zukunft, in der fast alle Vorgänge von
Computern entschieden werden. Denn im Alltag fallen immer mehr Daten an, auf
deren Grundlage sich das Zusammenleben effektiver organisieren lässt. Die
Bürger sind schon heute durch ihre Smartphones wandelnde Sensoren: Die Geräte
können messen, wer sich mit welcher Geschwindigkeit wo bewegt, sie können
Geräusche und Vibrationen re-gistrieren und vieles mehr.
All diese Sensoren sollen vernetzt und durch weitere ergänzt
werden, fordern Zukunftsforscher. „Wir haben Millionen von Augen und Ohren auf
der Straße", formuliert es Michael Flowers, Chefana-lytiker von New York
City. Man müsste diese Daten zusammenführen und aus-werten, um den Verkehr zu
reduzieren, die Luftqualität zu verbessern und Unfäl-le zu reduzieren, so seine
Vision, kurz: „um schneller, sauberer und sicherer zu leben". In Boston
teilt beispielsweise eine App der Stadtverwaltung mit, wenn eine Straße ein
Schlagloch hat — ermittelt allein durch die Sensoren von Handys.
Erste Ansätze einer solchen Vernet-zung gibt es auch in Europa.
Vorbild vie
ler Projekte ist die spanische Stadt Santan-der, die zum
EU-geförderten Smart-City-Labor geworden ist: 12 000 Sensoren installierten
Forscher der Universität von Cantabrien in der 180 000-Einwohner-Stadt. Dort
„melden sich" freie Parkplätze bei Autofahrern, der Stadtpark gibt im
Rathaus Bescheid, wenn die Erde zu trocken ist, und große Kreuzungen schlagen
Alarm, wenn Schadstoffe oder Lärm überhand nehmen.
Smarte Zusammenarbeit
Auch in Deutschland wird im aktuellen Wissenschaftsjahr
unter dem Motto „Stadt der Zukunft" viel zum Thema ge-forscht. Doch
hierzulande gibt es keine derart radikale Lösung wie in Santander.
In Deutschland sind die Zuständigkeiten bei der
Stadtverwaltung meist streng nach Abteilungen getrennt. Deshalb kommt es vor, dass
ein Unternehmen ein Loch gräbt, um Wasserrohre zu erneuern — und wenige Minute
später der Energieversorger die gleiche Stelle aushebt, um Kabel zu verlegen.
„Die Prozesse sind unflexibel, weil jeder nur in seinem Fachgebiet denkt",
sagt Karsten Hunger von der Deutschen Kommission für Elektrotechnik, Elektronik
und Informations-technik (DKE). Parallel zur technologischen Entwicklung müssen
wir lernen, übergreifend zu denken. Smart City heißt auch smarte
Zusammenarbeit.
Im badischen Wiesloch bei Heidelberg beispielsweise denkt
man bei Straßenlaternen an weit mehr als an Beleuchtung.
Eine Bürgergenossenschaft will die gesamte
Straßenbeleuchtung nicht nur auf LED-Technik umstellen, die 3700 Laternen der
Stadt sollen auch automatisch gesteuert und mit Internetanschluss und Sensoren
versehen werden. Unter anderem sollen sie dann nachts erkennen, wo und mit
welcher Geschwindigkeit sich Menschen auf der Straße bewegen und die
Beleuchtung an den Bedarf anpassen. Die Masten fungieren außerdem als Router
für ein öffentliches Wlan-Netz.
Obwohl der Antrag auf eine Förderung im Rahmen eines
EU-Projektes abgelehnt wurde, hält die Stadt an ihren Plänen fest: „Wir rechnen
mit einer Kostensenkung bei der Straßenbeleuchtung von 400 000 auf 110 000 Euro
pro Jahr", sagt Oberbürgermeister Franz Schaid- hammer. Lokalpolitiker
müssen auf die Kosten schauen. „Wenn man etwas mit Sensoren ausstattet, spart
man erst einmal wenig", gibt Hunger zu bedenken. Am Anfang steht die
Investition. „Echte Einsparungen zeigen sich erst nach einigen Jahren."
Hier setzt das Projekt „Morgenstadt" der
Fraunhofer-Gesellschaft an. Die Forscher haben seit 201,1 über 100 Beispiele
aus aller Welt analysiert, die als Vorbild für die Stadt der Zukunft dienen
können. „Jede Stadt ist anders, jede muss ihren eigenen Weg gehen und passende
Lösungen finden", sagt Alanus von Radecki, Leiter der
Morgenstadt-Initiative. Welche Lösungen für Europa taugen, untersuchen die
Forscher im Projekt Triangulum an Beispielen in Eindhoven, Stavanger und
Manchester.
Ein Haupthindernis sind die noch unbekannten Risiken. „Es
fehlen Präzedenzfälle dafür, welche Probleme noch kommen können und ob sich
bestimmte Konzepte langfristig lohnen." Die Forscher analysieren das und
übertragen mögliche Lösungen auf sogenannte Beobachterstädte, zu denen et-wa
Leipzig gehört. Die Beobachterstädte verfolgen die Entwicklungen der drei
Vorreiter und prüfen mit den Forschern, welche Lösungen für die eigene
Situation prak-tikabel sind. In späteren Projekten sollen sie dann umgesetzt
werden.
Autarkes Energienetz für Studenten
Ein anderes Beispiel ist Manchester: Dort wird ein zentrales
studentisches Viertel mit 72 000 Bewohnern mit einem autarken Energienetz
ausgestattet. Zudem sollen alle konventionellen Fahrzeuge aus dem Quartier
verbannt werden. Nur noch elektrische Fahrzeuge, Fahrräder und die städtische
E-Tram dürfen dort verkehren. Ein virtuelles dreidimensionales Modell erlaubt
es den Fraunhofer-Forschern derzeit, anhand realer Daten zu simulieren, was
geschieht, wenn einzelne Parameter geändert werden, beispielsweise wenn eine
Straße gesperrt oder die Energie gedrosselt wird. Auch der Energiebedarf wird
virtuell geplant. Nicht benötigte elektrische Energie wird entweder in
Batterien gespeichert oder in thermische Energie umgesetzt. „Hier wird erstmalig
ein virtuelles Kraftwerk im Quartiermaßstab umgesetzt", sagt von Radecki.
Den gesamten Stadtteil kann man künftig in 24 Stunden vom
Netz abkoppeln, ohne dass es zum Blackout kommt — eine
'c2- wichtige Sicherungsmaßnahme, denn Da-
2 ten im Internet sind nie ganz sicher. Gerade wenn die
Stromversorgung virtuell gesteuert wird und man dabei Daten via Internet
verschickt, besteht die Gefahr von Hackerangriffen. Sollten diese die
Stromversorgung lahm legen, wird das schnell zum lebensbedrohlichen Risiko —vor
allem weil sich ein Krankenhaus im Quartier befindet. Die Menschen davor zu
schützen, ist eine der zentralen Heraus-forderungen, wenn es um das Internet
der Dinge geht.
Große Projekte wie in Santander sind in Mitteleuropa schwer
umzusetzen. Das Problem ist die dichte Bebauung, denn es ist aufwendig,
intelligente Systeme in be-stehende Strukturen einzubauen. Doch wo in
Deutschland neue Quartiere errichtet werden, stehen Smart-City-Konzepte hoch im
Kurs. Beispielsweise bei der neuen Hamburger Hafencity, wo die Bewegungen von
Menschen, Schiffen, Containern und Fahrzeugen anhand möglichst vieler Daten
perfekt aufeinander abgestimmt werden sollen.
Zusammen mit dem US-Technologie-unternehmen Cisco wollen die
Verant
wortlichen die Hafencity in eine smarte Stadt verwandeln:
Sensoren zeigen dann freie Parkplätze an und schicken die Infos direkt auf die
Handys der Autofahrer — abhängig davon, wie viele gerade wo einen Parkplatz
suchen. Und Container sollen künftig dank GPS-Sensoren „wissen", in
welcher Reihenfolge sie idea-lerweise auf welches Schiff verladen werden. Das
erhöht die Umschlag-möglichkeiten am Hafen, da mithilfe maschineller
Optimierung effizienter gearbeitet und beladen werden kann.
150 Kameras überwachen den Verkehr und sorgen dafür, dass
sich Staus künftig verhindern lassen: Fahren die Autos an einer Stelle zu
dicht, wird diese Information an ein Verkehrsleitsystem übertragen, das in
Echtzeit alternative Routen berechnet und den Verkehr mittels intelligenter
Anzeigetafeln entsprechend steuert. Ob diese Daten ausreichen, um jeden
Verkehrskollaps in einer Großstadt zu vermeiden, wird die Zukunft zeigen.
Bei diesen Daten wird es nicht bleiben: Neben der Hafencity
sollen in Hamburg
elf weitere Pilotprojekte mit Cisco umgesetzt werden, unter
anderem intelligente Straßenlaternen und Ampeln, die über das Internet
miteinander verbunden sind. Die Ampeln erhalten Informationen aus den Daten
aller verfügbaren Kameras und Sensoren und regeln den Verkehr optimiert, sodass
im Durchschnitt alle möglichst rasch ans Ziel kommen und niemand länger als
nötig an einer roten Ampel warten muss. Je mehr Daten in ein solches System
einfließen, umso eher kann die Lebensqualität der Bürger verbessert werden,
hofft der Regierende Bürgermeister Olaf Scholz.
Auch in Berlin will Cisco die intelligente Vernetzung
vorantreiben: auf dem Euref-Campus — einer früheren Industriebrache, auf der
einst der Gasspeicher Schöneberg stand. Dort investiert der US-Konzern 21
Millionen Euro in ein neues Innovationszentrum. Auf dem Campus sollen smarte
Prozesse in der Produktion, im Verkehr sowie in der Logistik erforscht und
erprobt werden. Berlin erhofft sich dadurch eine Vorreiterrolle in Europa und
nicht zuletzt große Chancen durch das Wagniskapital, das Cisco in hiesige
Start-up-Unternehmen investieren will, um zur Vision der vernetzten Welt
beizutragen.
Damit will sich Cisco einen Platz auf den Märkten der
Zukunft sichern. Bei dem Konzern geht man davon aus, dass sich weltweit in den
nächsten Jahrzehnten bis zu 14,4 Billionen Dollar zusätzlich durch das Internet
der Dinge erwirtschaften lassen, 700 Milliarden Dollar allein in Deutschland.
Den Löwenanteil davon macht die gesteigerte Effizienz aus, mit der die
Industrie dank einer intensiven Vernetzung produzieren kann.
Der gläserne Bürger ist tabu
Aber hierin steckt reichlich Konfliktstoff. Radecki hält die
Vision, alles zu vernetzen, für stark industriegetrieben: „Die Städte haben
einen anderen Blickwinkel. Bei ihnen geht es darum, wie sich die Lebensqualität
der Bürger steigern lässt." Das sei häufig mit vielen kleinen Projekten
direkter möglich — eine spätere Vernetzung natürlich nicht ausgeschlossen. Und
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es gibt einen weiteren kritischen Punkt: „Die Städte wollen
den gläsernen Bürger vermeiden", sagt Radecki. „Sie werden nur Projekte
mit entsprechender Datensicherheit unterstützen." In der Industrie sei der
Trend gegenläufig: „Daten werden als Rohstoff gehandelt."
Wie heikel der Umgang mit Daten ist, zeigt das Thema
„Predictive Policing". („vorhersagende Polizeiarbeit"), das ebenfalls
Teil der Vision einer intelligenten Stadt ist: Dabei werden auf der Grundlage
verschiedener Daten — vom Wetter über die Einbruchsstatistik bis hin zu den
Bewegungen der Bürger — Verbre-chen vorhergesagt und die Polizeipräsenz entsprechend
geplant. Sagt die Software aufgrund dieser Daten einen Einbruch in einem
Viertel voraus, werden dort Polizisten auf Streife geschickt, um die Straftat
möglichst zu verhindern. In München und Nürnberg ist eine Software namens
„Pre-cob" bereits im Einsatz, in die aber bislang lediglich Einbruchsdaten
einfließen. Datenschützer fürchten, dass solche Programme in Zukunft auch
Personendaten nutzen könnten, wie in Teilen der USA bereits üblich.
Diese Art der Polizeiarbeit werfe zu-dem ethische Probleme
auf, kritisiert der Informatiker Kave Salamatian von der französischen
Universität Savoie, der sich mit der Ethik von Algorithmen beschäftigt: „Warum
sollten zum Beispiel reiche Stadtviertel bevorzugt bewacht werden?” Außerdem
besteht bei der vorhersagen
den Polizeiarbeit die Gefahr, in eine statistische Falle zu
laufen, warnt der französische Informatiker: „Das Risiko, dass eine Person
Terrorist ist, sagt nichts konkret über diese Person aus." Trotzdem muss
ein Verdächtiger mit den Konsequenzen leben — beispielsweise überwacht zu
werden. Salamatian plädiert deshalb dafür. Informatiker in Themen wie Statistik
und soziale Verantwortung besonders zu schulen. Szenarien wie im Film „Minority
Report" von Steven Spielberg, in dem Menschen verhaftet werden, bevor sie
ein Verbrechen begehen, bleiben also hoffent-
lich Science-Fiction.
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