Seit 25 Jahren Zertifikate an der Börse
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/nH0wjztTikA
DER ZERTIFIKATEMARKT 2015
Im Mai 2015 gab es in Deutschland mehr als 1,4 Millionen
verbriefte Derivate. Davon zählten gut 800.000 zu den Hebelprodukten. Hierunter
werden beispielsweise Optionsscheine, MiniFutures und Turbos zusammengefasst.
Mehr als 600.000 Wertpapiere waren den Anlageprodukten, also den Zertifikaten
und strukturierten Anleihen, zuzuordnen. Während die Anzahl der Hebelprodukte
die der Zertifikate übersteigt, ist der Anteil von Optionsscheinen, MiniFutures
oder Turbos am Marktvolumen eher gering, er liegt bei rund 3 Prozent.
Die Vielfalt der angebotenen Produkte ist so groß wie nie
zuvor. Der Open Interest, also die Summe der investierten Gelder, war seit der
Finanzkrise jedoch rückläufig. Dem DDV zufolge betrug das Marktvolumen am
hiesigen Derivatemarkt Ende April 2015 rund 75 Milliarden Euro. Zum Vergleich:
Im Jahr 2007 hatte das Marktvolumen in der Spitze bei fast 140 Milliarden Euro
gelegen.
Die hohe Zahl der Produkte wird von Kritikern gern moniert.
Doch letztlich gibt sie Anlegern die Möglichkeit, ein Investmentprodukt
auszuwählen, das auf die persönliche Markterwartung und die Risikoneigung
zugeschnitten ist. Emittenten wie Goldman Sachs stellen auf ihren Websites
Hilfsmittel für die Auswahl bereit.
INNOVATIONSMOTOR
In den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten war die
Zertifikatebranche von hoher Innovationskraft geprägt. Den Anfang machten
PartizipationsZertifikate, die es ermöglichten, in kleiner Stückelung
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Zertifikat Aktie
flexibel und vergleichsweise kostengünstig in bestimmte
Indizes zu investieren. Damals waren diese Produkte mit einer fixen Laufzeit
ausgestattet. Es sollte etwa ein Jahrzehnt vergehen, ehe mit den
OpenEndZertifikaten Produkte mit prinzipiell unbegrenzter Laufzeit eingeführt
wurden.
Partizipations oder OpenEndZertifikate waren es häufig, die
neue Basiswerte für Privatinvestoren überhaupt zugänglich machten. So wurden
die Aktienmärkte vieler Schwellenländer oder auch Rohstoffe und Rohstoffindizes
auch mit kleinen Geldbeträgen investierbar. Auch für verschiedene Branchen
waren solche Zertifikate oft das erste Anlagevehikel.
Wenn es darum ging, mögliche Trends investierbar zu machen,
kreierten Banken in Zusammenarbeit mit Indexanbietern einen bestimmten Index,
der das Anlagethema abdeckt. In den ersten Jahren der Zertifikatehistorie
begann man zunächst mit statischen Baskets, in denen Aktien eines bestimmten
Sektors, eines Landes oder eines Anlagethemas gebündelt wurden. Allerdings
waren hier Zusammensetzung und Laufzeit gewöhnlich fix.
Neue Basiswerte sind nur die eine Seite der
Innovationsmedaille. Auf der anderen Seite entstanden immer neue Strukturen,
mit denen Investoren bestimmte Marktmeinungen umsetzen konnten. Diese neuen
Produkte sollten einen bestimmten Mehrwert bieten. Beispielsweise bieten
DiscountZertifikate die Chance, auch in seitwärts tendierenden oder moderat
fallenden Märkten positive Erträge zu erzielen.
GEBURTSSTUNDE DER SEITWÄRTSRENDITE Unter den ersten
strukturierten Produkten, die sich in den 1990er Jahren am hiesigen Markt
etablierten, waren DiscountZertifikate und Aktienanleihen. Beide boten die
Möglichkeit, in den Aktienmarkt zu investieren und auch bei gleichbleibenden
Kursen positive Erträge zu generieren. Lange bevorzugten viele Anleger
DiscountZertifikate, weil sie in Deutschland steuerlich besser gestellt waren
als Aktienanleihen. Erst mit Einführung der Abgeltungssteuer änderte sich das.
Mit DiscountZertifikaten können Anleger eine Aktie oder
einen anderen Basiswert mit einem Preisnachlass (Discount) erwerben. Der
Discount bietet einen Risikopuffer, der mögliche Kursverluste abfedert.
Gleichzeitig sorgt er in einem Seitwärtsmarkt für einen Gewinn, den der Anleger
mit einer direkten Investition in den Basiswert nicht erzielt hätte. Zum
Ausgleich für den Discount ist die Partizipation an der Kursentwicklung des
Basiswerts nach oben durch einen Cap begrenzt. An weiteren Kursanstiegen über
den Cap hinaus würde der Anleger nicht mehr teilnehmen.
Bei Aktienanleihen erhalten Anleger statt des Discounts
einen überdurchschnittlich hohen Zinssatz. Dafür geht der Investor auch hier
das Risiko fallender Aktienkurse und das Emittentenrisiko ein (vgl. dazu Seite
48). Am Laufzeitende bekommt der Inhaber der Aktienanleihe neben dem Zinsbetrag
den Nominalbetrag ausbezahlt, wenn die Aktie auf oder über dem Basispreis
notiert. Ansonsten kommt es zur Lieferung von Aktien, wobei Verluste möglich
sind.
In einem Seitwärtstrend spielen Aktienanleihen also ihre
Stärken aus. In fallenden Märkten kann es jedoch zu Verlusten kommen, wenn das
Minus des Basiswerts den Zinssatz übersteigt. An dieser Stelle
setzen BarriereAktienanleihen an. Der Vorteil: Die
Wahrscheinlichkeit, dass der Investor einen Geldbetrag erhält, ist bei einer
BarriereAktienanleihe höher als bei der barrierelosen Variante. Denn der
Investor erhält einen zusätzlichen Sicherheitspuffer. Bis zur Barriere ist der
Anleger vor Verlusten geschützt. Verbleibt die zugrundeliegende Aktie stets
über der Barriere, erhält der Anleger den Nominalbetrag bei Fälligkeit
ausbezahlt — auch wenn die Aktie unter dem Basispreis notiert. Im Juni 2015 bot
Goldman Sachs mehr als 4.900 Aktienanleihen und weitere rund 2.500 BarriereAktienanleihen
an. Darüber hinaus standen mehr als 3.400 DiscountZertifikate zur Auswahl.
TEILABSICHERUNG UND BONUSCHANCE Die Möglichkeit, eine
positive Seitwärtsrendite zu erzielen, bieten auch BonusZertifikate. Sie haben
in ihrer ursprünglichen Form drei Vorteile: die Chance auf
eine Bonuszahlung, eine partielle Absicherung gegen
Kursverluste und die Möglichkeit, nicht nur von steigenden, sondern auch von
leicht fallenden oder seitwärts tendierenden Kursen zu profitieren. Ein
BonusZertifikat besitzt eine Barriere und einen Bonuslevel. Solange der Kurs
des Basiswerts die Barriere während der Laufzeit des Zertifikats nicht
verletzt, erhält der Anleger gin Laufzeitende mindestens den Bonusbetrag, der
sich am Bonuslevel orientiert.
So sind am Ende der Laufzeit zwei unterschiedliche
Auszahlungsprofile möglich, abhängig davon, ob der Kurs des Basiswerts während
der Laufzeit des Zertifikats die Barriere verletzt hat oder nicht. Hat der
zugrundeliegende Basiswert zu keinem Zeitpunkt die Barriere berührt oder unterschritten,
erhält der Anleger mindestens den Bonusbetrag. Sollte der Basiswert am
Laufzeitende, konkret am letzten Bewertungs tag, über dem Bonuslevel notieren,
nimmt der Investor an dieser Wertentwicklung des Basiswerts vollständig und
unbegrenzt teil. Er bekommt dann eine Rückzahlung, die sich am Kurs des
Basiswerts orientiert.
Verletzt der Basiswerts während der Laufzeit auch nur einmal
kurzfristig die Barriere, so verliert der Anleger den Anspruch auf den
Bonusbetrag. Er nimmt zum Lauf
zeitende an der Kursentwicklung des Basiswerts unbegrenzt
und vollständig teil. Sollte sich der Kurs des Basiswertes dann nicht mehr
deutlich erholen, kann es zum Verlust des eingesetzten Kapitals kommen, bis hin
zum Totalverlust, wenn der Basiswert bis auf null fallen sollte.
Ähnlich funktionieren sogenannte CapBonusZertifikate.
Allerdings nimmt der
Investor hier nicht mehr unbegrenzt an den Kursgewinnen
teil. Die mögliche Wertentwicklung ist von vornherein durch eine
Gewinnbegrenzung (Cap) eingeschränkt. Ansonsten funktioniert die
„gecappte" Variante genau wie ein klassisches BonusZertifikat. Für den
Renditeverzicht durch den Cap bieten BonusZertifikate mit Cap in der Praxis
komfortablere Absicherungen, also einen größeren Abstand zur Barriere, oder
üppigere Bonuszahlungen als vergleichbare Produkte ohne Cap. Sie werden oftmals
genutzt, um die Seitwärtsrendite zu optimieren.
BonusZertifikate gibt es seit 2003. Sie wurden anfangs meist
als Zeichnungsprodukte angeboten. Goldman Sachs war mit einem BonusZertifikat
auf den japanischen Nikkei225Index einer der ersten Anbieter solcher Produkte
überhaupt. Später folgten auch BonusZertifikate auf EmergingMarkets und
RohstoffIndizes, auf den EURO STOXX 50® und einzelne Aktien. Der DAX®
etablierte sich als Basiswert von BonusZertifikaten erst etwas später, da hier
die Dividenden in den Performanceindex mit eingerechnet werden. Die erwarteten
Dividenden können daher nicht zur Finanzierung der Produktstruktur genutzt
werden, weshalb DAX®BonusZertifikate mit einem Aufpreis gegenüber dem Indexkurs
angeboten werden müssen.
Inzwischen sind Zeichnungen von BonusZertifikaten eher
selten. Stattdessen finden Anleger eine Vielzahl solcher Produkte, die sie
börsentäglich im Sekundärmarkt handeln können. Goldman Sachs bot im Juni 2015
mehr als 11.000 BonusZertifikate mit und ohne Cap an.
RENDITE IM RÜCKWÄRTSGANG
Was im Zertifikatemarkt lange Zeit fehlte, waren
Anlageprodukte, mit denen Anleger auf fallende Kurse setzen können. Wer „short
gehen" wollte, musste mit PutOptionsscheinen oder anderen Hebelprodukten
vorliebnehmen. Inzwischen hat sich für solche Markterwartungen eine
Produktgattung etabliert: ReverseBonusZertifikate. Sie existieren in der
Variante mit
und ohne Cap und wenden das Bonuskonzept in
spiegelverkehrter Form an.
Während Käufer von klassischen BonusZertifikaten prinzipiell
von steigenden Kursen des Basiswerts ausgehen, ist der Blick bei der
ReverseVariante nach unten gerichtet. Der Inhaber dieses Zertifikats nimmt zum
Laufzeitende eins zu eins des Basiswerts teil. Darüber hinaus findet der
Bonusmechanismus in umgekehrter Form Anwendung. So liegt das Bonuslevel zum
Emissionszeitpunkt gewöhnlich unterhalb des Kurses des Basiswerts. Die Barriere
ist oberhalb angesiedelt. Denn hier soll eine Absicherung für den Fall
erfolgen, dass sich der Basiswert entgegen der Erwartung des Anlegers aufwärts
bewegt.
Verbleibt der Basiswert unterhalb der Barriere, bekommt der
Inhaber des Zertifikats den Bonusbetrag. Bei ReverseBonusZertifikaten ohne Cap
kann sich die Rückzahlung weiter erhöhen, wenn der Basiswert am letzten
Bewertungstag unter dem
Bonuslevel notiert. Sollte der Basiswert die Barriere
überschreiten, geht die Teilabsicherung verloren. Dann kann es zu Verlusten
kommen. Schlimmstenfalls ist der Totalverlust möglich, wenn der Basiswert bei
Fälligkeit auf oder über dem Reverselevel notiert.
KAPITALSCHUTZ, EXPRESS & MORE
Eine weitere bedeutende Kategorie sind
KapitalschutzZertifikate. Sie schützen Anleger zum Laufzeitende vor
unerwünschten Kursentwicklungen. Es entsteht kein Verlust, wenn der Basiswert
eine negative Wertentwicklung bei Fälligkeit aufweist, da Inhaber dieser
Zertifikate dann in der Regel den Nominalbetrag als Rückzah
lungsbetrag erhalten. An der positiven Wertentwicklung nimmt
der Anleger mit einer bestimmten Partizipationsrate teil.
Der Kapitalschutz greift allerdings nur zum Laufzeitende.
Während der Laufzeit kann der Kurs unter den Mindestrückzahlungsbetrag sinken.
Das sollten Investoren bedenken, die möglicherweise zwischendurch verkaufen
möchten. Ein weiteres Problem kommt aktuell hinzu: die niedrigen Zinsen. Ein
Kapitalschutzprodukt setzt sich für gewöhnlich aus einer Anleihekomponente und
aus Optionen zusammen. Die Anleihekomponente sichert per Fälligkeit die
Mindestrückzahlung. Da die Zinsen aktuell sehr niedrig sind, wäre die
Anleihekomponente für ein Kapitalschutzprodukt recht teuer. Das macht die
Konditionen aktuell nicht besonders attraktiv.
ExpressZertifikate verfügen indes meist über eine
Teilabsicherung. Diese Produkte bieten Anlegern an bestimmten Terminen die
Möglichkeit der vorzeitigen Rückzahlung. Dann erhalten sie neben dem
Nominalbetrag eine Zusatzzahlung. Am Laufzeitende schützt eine Barriere
teilweise vor Kursverlusten.
ExpressZertifikate werden auch als Autocallables bezeichnet.
Es handelt es sich dabei um strukturierte Produkte, die unter bestimmten
Bedingungen die vorzeitige Rückzahlung eines bei Laufzeitbeginn festgelegten
Betrags bieten: Zu einer automatischen vorzeitigen Rückzahlung kommt es, wenn
der zugehörige Basiswert, beispielsweise der EURO STOXX 50®, an einem
bestimmten Bewertungstag auf oder über dem sogenannten Triggerlevel notiert.
Der Inhaber des Zertifikats erhält dann den Nominalbetrag, beispielsweise 100
Euro, plus einen Zusatzbetrag. Damit kann ein ExpressZertifikat ein
interessantes Auszahlungsprofil bei seitwärts tendierenden bzw. leicht
steigenden Markterwartungen bieten.
Neben den bisher vorgestellten Zertifikatearten gibt es
weitere Anlageprodukte, die aktuell aber weniger bedeutend sind. Hierzu zählen
Outperformance, HiScore, TwinWin oder auch RainbowZertifikate. Einen kompletten
Überblick finden Sie in unserem ZertifikateKompass, der in Kürze in einer
überarbeiteten Version erscheinen wird.
GEMEINSAMKEITEN
Um Zertifikate und strukturierte Anleihen zu erwerben,
benötigen Anleger ein Depot, das sie in Bankfilialen oder auch bei Onlinebanken
eröffnen können. Die meisten Depotbanken bieten ihren Kunden neben dem Handel
über einen bestimmten Börsenplatz auch die Möglichkeit des Direkthandels mit
dem Emittenten. Der Direkthandel wird auch als außerbörslicher Handel
bezeichnet. Hierbei kommt ein Geschäft direkt zwischen einem
Direkthandelspartner und dem Emittenten zustande.
Zum Handel beispielsweise von Aktien gibt es bei
Zertifikaten allerdings einen
entscheidenden Unterschied: Der Preis, zu dem der Kauf oder
Verkauf abgewickelt wird, ist nicht das Ergebnis von Angebot und Nachfrage in
dem jeweiligen Wertpapier, sondern resultiert in der Regel aus mehreren
Einflussfaktoren, wie z.B. Basiswertkurs, Volatilität, Zinsen und vor allem
Auszahlungsprofil des Produkts. Auch für Zertifikate, bei denen es tagelang
keine Umsätze gibt, sorgt der Emittent für Liquidität, indem er börsentäglich
An und Verkaufskurse (Geld und Briefkurse) stellt.
Bei sämtlichen Zertifikaten und strukturierten Anleihen
handelt es sich aus rechtlicher Sicht um Inhaberschuldverschreibungen. Daher
kommt neben dem Kursrisiko noch eine weitere Komponente hinzu: das
Emittentenrisiko (vgl. dazu Seite 48).
Sollte es zu einer Insolvenz der Emittentin und der Garantin
des Zertifikats kommen, entsteht dem Anleger ein Totalverlust.
Genau wie bei Unternehmens oder Staatsanleihen kann es also
auch bei Zertifikaten und strukturierten Anleihen zum Zahlungsausfall kommen.
Neben den Ratings von bekannten Agenturen wie Standard & Poor's, Moody's
oder Fitch spielen hier auch Faktoren wie Credit Default Swap Spreads
(CDSSpreads), die Kernkapitalquote (Tier1Ratio)
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