Mittwoch, 29. Juli 2015

Mammografie PSA Darmspieglung


Mammografie PSA Darmspieglung

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/D3YNc1cSYuo

Es sieht nicht nach Krebs aus. „Aber wir sollten auf Nummer sicher gehen", sagt der Frauenarzt zu Erika Schultz. Eine Röntgenuntersuchung, die sogenannte Mammografie, hat eine Auffälligkeit in der linken Brust der 59-Jährigen zum Vorschein gebracht. Es könnte Kalk sein, beschwichtigt der Arzt, während er mit einem Ultraschallgerät die Brust abtastet und schließlich mit einer Hohlnadel Gewebe herausstanzt. Bei dieser Biopsie entnimmt er Zellen, die Pathologen später untersuchen.

Als Schultz sich zu Hause selbst die Brust abtastet, kann sie keinen Knoten spüren. Auch in den Vorjahren war den Ärzten nie etwas aufgefallen. Trotzdem macht sich die Frau aus Schönebeck in Sachsen-Anhalt Sorgen.

Einige Tage später ist der Befund da. Ohne Umschweife kommt der Frauenarzt zur Sache: Es sei Krebs. Sie solle den Tumor schnellstmöglich in einer Magdebur-ger Klinik entfernen lassen. Erika Schultz ist schockiert. „Ich war fertig mit der Welt. Ich bin nach Hause gefahren, habe es meiner Tochter erzählt und geheult", erinnert sie sich später.

Seit 2005 laden die Krankenkassen ..- Frauen zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre

zur Früherkennung von Brustkrebs ein. .., Das Mammografie-Screening ist nur eine von vielen Möglichkeiten zur Vorsorge. Auch auf Haut-, Darm-, Prostata- und

 

Gebärmutterhalskrebs können sich Gesunde heute routinemäßig untersuchen lassen. Ab einem gewissen Alter zahlt das die gesetzliche Krankenkasse.

Wirksamer behandeln

Hinter dem Mammografie-Screening steht der Gedanke, dass Brustkrebs oft wirksam und weniger aggressiv behandelt werden kann, wenn er früh genug erkannt wird. Die Brust bleibt erhalten, und die eigentlich lebensbedrohliche Gefahr, die Metastasen, haben sich noch nicht gebildet. Vor der Einführung des Screenings wertete die Bundesregierung randomisier-te Studien aus, um herauszufinden, ob die Untersuchung den Tod durch Brustkrebs abwenden kann. Die Antwort war einhellig: Die Mammografie vermindert die Zahl der Todesfälle um 20 bis 30 Prozent.

Als die Cochrane Collaboration, ein international angesehenes Netzwerk von Zigtausenden Wissenschaftlern und Ärzten, sich die Frage einige Jahre später er-

 

neut vornahm, war der Tenor bewusst kritisch. Doch auch die Ergebnisse von 2011 zeigen: Die Mammografie senkt die Brustkrebssterblichkeit — und zwar um 15 Prozent, wie Studien an über einer halben Million Frauen belegen. Der niedrigere Wert ist wohl teilweise dadurch bedingt, dass auch jüngere Frauen bei den Untersuchungen berücksichtigt wurden.

„Das Mammografie-Screening kann Frauen vor dem Tod durch Brustkrebs be-wahren", ist Tatjana Heinen-Kammerer überzeugt. Die Geschäftsstellenleiterin der Kooperationsgemeinschaft Mammo-grafie betont: „Das Robert-Koch-Institut hat ausgerechnet, dass es in Deutschland 2000 Frauen pro Jahr sind. Und das ist ein großer Erfolg."

Immer wieder führen Kritiker Daten ins Feld, die gegen das Screening sprechen. Und die stammen oft aus nur einer einzigen Studie. „Man muss immer alle Studien betrachten, wenn man ein Gesamtbild haben will", kontert Mammo-grafie-Expertin Heinen-Kammerer. Und sie moniert, dass die Gegner Länder herauspicken, deren Erfahrungen mit dem Screening begrenzt sind.

Heinen-Kammerer stellt klar: „Man kann die Resultate aus einem Land nicht auf ein anderes übertragen. Jedes Scree-ningprogramm ist anders." Die Teilneh-merraten und die Qualitätskontrolle etwa weichen oft deutlich voneinander ab. So hat man „auch nach 30 Jahren Mammo-grafie-Screening in den USA so gut wie keinen Nutzen gefunden", sagt die Medizinerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg. Sie stützt sich auf eine Veröffentlichung im angesehenen New England Journal of Medicine von 2013. In Finnland hingegen ist die Brustkrebssterblichkeit seit Einführung der Früherkennung laut Studien gesunken.

Das deutsche Mammografie-Screening ist bisher nicht abschließend evaluiert, weil es erst seit 2009 flächendeckend läuft. Aber schon jetzt berichten die Verantwortlichen, dass mehr kleine Geschwüre gefunden würden. Von 100 Tumoren messen 30 bis 35 weniger als einen Zentimeter. Auch Erika Schultz' Tumor fällt in diese Gruppe: Er ist nur neun Millimeter groß. „Solche kleinen Knoten auf-spüren zu können, ist ein großer Erfolg. Örtlich begrenzte Geschwüre haben die besten Therapiechancen", urteilt Heinen-Kammerer.

Kritiker entgegnen, dass beim Mam-mografie-Screening oft falscher Alarm geschlagen würde. Tatsächlich haben von 50 angeschriebenen Frauen nur 8 Krebs. Doch werden die Frauen mit falsch positiver Diagnose wirklich schweren psychi-

 

schen Belastungen ausgesetzt, wie Kritiker ins Feld führen? Und man darf nicht vergessen, dass die meisten Frauen nach dem Screening beruhigt sind.

Die Gegner der Krebsfrüherkennungs-tests nehmen falsch positive Befunde zum Anlass, eine ganze Untersuchung als sinnlos hinzustellen. Beim Prostatakrebstest wird dieser Kritikpunkt besonders oft angeführt. Der Wert des prostataspezi-fischen Antigens, kurz: PSA, dient als grobe Richtschnur, ob ein Tumor vorhanden ist. Liegt der Gehalt über vier Nano-gramm je Milliliter Blut, deutet das auf ei

 

ne Erkrankung hin. Kritiker bemängeln: Auch Patienten mit geringerem Wert können krank sein — und solche mit höherem gesund (bild der wissenschaft 9/14, „Welcher Tumor ist tödlich?").

Aus einer europaweiten Studie mit über 180000 Männern zwischen 59 und 74 Jahren weiß man, dass drei Viertel derer, die das Limit von vier Nanogramm je Milliliter überschreiten, keinen Krebs haben. Trotzdem ist der PSA-Test besser als nichts. Patienten, die sich dem Test alle zwei Jahre unterziehen, sterben seltener an einem solchen Tumor als Patienten, die sich nicht untersuchen lassen. „Der Test rettet Leben", bringt es Fritz Schröder, Krebsforscher von der Erasmus Univer-sität in Rotterdam, auf den Punkt.

Zweifellos ist der PSA-Test nicht per-fekt. Das renommierte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen monierte im März 2013, mit der Methode würden zu oft Tumore gefunden, die nie Beschwerden verursacht hätten. Doch da bislang niemand weiß, welche Tumore ungefährlich sind und welche tödlich, ist es sinnvoll, jedes Geschwulst vorsorglich zu entfernen. „Wir arbeiten hart daran, die gefährlichen von den harmlosen Tumoren durch eine Korn-

bination von Ultraschall- und Magnet-resonanztomografie zu unterscheiden", stellt Schröder in Aussicht. Dass das Screening noch nicht perfekt ist, sollte nicht als Totschlagargument gegen die Vorsorge dienen.

Die meisten Krebsfrüherkennungsver-fahren entdecken Tumore in frühen Stadien. Bei Darmkrebs ist das anders. Hier werden schon Vorstufen aufgespürt und können entfernt werden. „Ein Großteil der Tumore lässt sich damit verhindern. Verglichen mit anderen Krebsarten ist das eine Besonderheit", sagt Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszen-trum in Heidelberg. Die verlässlichste Methode ist die Darmspiegelung, die Ko-:oskopie. Eine Alternative dazu sind immunologische Tests, die auf den roten Blutfarbstoff im Stuhl ansprechen - die Kassen übernehmen jedoch bislang nicht die Kosten. Schlägt ein solcher Test an, sollte eine Darmspiegelung folgen. Wenn der Arzt dabei eine auffällige Wucherung endet, entfernt er diese sofort.

Allerdings gibt es bisher keine rando-isierte Studie zur Wirksamkeit der Ko-_ l'skopie. Eine derzeit laufende Analyse frühestens Mitte 2020 Ergebnisse __,lern. Lediglich zur Sigmoidoskopie lie-zeri bereits entsprechende Studien vor. Bei mieser auch als „kleine Darmspiegelung" -zeichneten Untersuchung wird nur der -17.7.ere Teil des Dickdarms mit dem Kolo-

 

skop ausgeleuchtet. „Studien zufolge wird die Darmkrebssterblichkeit dadurch um etwa ein Drittel gesenkt", berichtet Brenner. „Wir erwarten, dass die Effekte bei der Koloskopie höher sind, weil der gesamte Darm angeschaut wird."

Vielen ist es unangenehm, einen Schlauch rektal eingeführt zu bekommen. Doch dank kurzzeitiger Narkose mit Propofol bekommen die Patienten davon üblicherweise nichts mit. „Die Risiken der Untersuchung sind sehr gering", betont Brenner - vorausgesetzt, sie wird von einem erfahrenen Arzt durchgeführt. Nach dem Abtragen eines Polypen können leichte Blutungen auftreten. Lästig lediglich das Entleeren des Verdauungstraktes mit Abführmitteln am Tag zuvor.

Bessere Information tut Not

Keine Frage: Jede medizinische Maßnahme birgt gewisse Gefahren und kann im Einzelfall sogar nachteilig sein. Umso wichtiger ist es, dass die Patienten gründlich informiert werden, ehe sie sich für oder gegen eine Untersuchung entscheiden. Zu allen Vorsorgeprogrammen gibt es Broschüren. Über Beratungstelefone, etwa das des Deutschen Krebsdienstes, können Fragen gestellt werden. Betroffe-nenverbände und Interessengruppen geben ihre Perspektiven und ihre Erfahrungen an die Patienten weiter.

 

Das Max-Planck-Institut für Bildungs-forschung monierte, dass viele Ärzte nicht sachgerecht über die Mammografie aufklären würden. Eine bessere Patienteninformation seitens der Ärzte tut dringend Not, schließt sich Schröder dieser Kritik an: „Das kostet Zeit, mindestens eine Viertelstunde, für die oft nur fünf Minuten abgerechnet werden können. Aber wir haben die Verpflichtung, über Vorteile genau wie über Nachteile aufzuklären." Auch im neuen Krebsregister- und Krebs-vorsorgegesetz ist die Beratung nicht ausreichend verankert, kritisiert Mühlhauser.

Eines wird in der Debatte um die Vor-sorgemedizin oft vergessen: Sie ist freiwillig, lediglich ein Angebot. Und wer die Vorsorge abschaffen will, nimmt auch anderen die Möglichkeit, sich auf Krebs untersuchen zu lassen.

Erika Schultz ist froh, das neun Millimeter große Objekt in ihrer Brust los zu sein. Ob sie wieder am Mammografie-Screening teilnehmen wird? „Natürlich", sagt sie ohne Zögern. Etwas mulmig ist ihr allerdings, und sie hofft, dass sie dann zu den Millionen Frauen gehören wird,

die keinen Brief bekommen

 


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