Mammografie PSA Darmspieglung
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/D3YNc1cSYuo
Es sieht nicht nach Krebs aus. „Aber wir sollten auf Nummer
sicher gehen", sagt der Frauenarzt zu Erika Schultz. Eine
Röntgenuntersuchung, die sogenannte Mammografie, hat eine Auffälligkeit in der
linken Brust der 59-Jährigen zum Vorschein gebracht. Es könnte Kalk sein,
beschwichtigt der Arzt, während er mit einem Ultraschallgerät die Brust
abtastet und schließlich mit einer Hohlnadel Gewebe herausstanzt. Bei dieser
Biopsie entnimmt er Zellen, die Pathologen später untersuchen.
Als Schultz sich zu Hause selbst die Brust abtastet, kann
sie keinen Knoten spüren. Auch in den Vorjahren war den Ärzten nie etwas
aufgefallen. Trotzdem macht sich die Frau aus Schönebeck in Sachsen-Anhalt
Sorgen.
Einige Tage später ist der Befund da. Ohne Umschweife kommt
der Frauenarzt zur Sache: Es sei Krebs. Sie solle den Tumor schnellstmöglich in
einer Magdebur-ger Klinik entfernen lassen. Erika Schultz ist schockiert. „Ich
war fertig mit der Welt. Ich bin nach Hause gefahren, habe es meiner Tochter
erzählt und geheult", erinnert sie sich später.
Seit 2005 laden die Krankenkassen ..- Frauen zwischen 50 und
69 alle zwei Jahre
zur Früherkennung von Brustkrebs ein. .., Das
Mammografie-Screening ist nur eine von vielen Möglichkeiten zur Vorsorge. Auch
auf Haut-, Darm-, Prostata- und
Gebärmutterhalskrebs können sich Gesunde heute routinemäßig
untersuchen lassen. Ab einem gewissen Alter zahlt das die gesetzliche
Krankenkasse.
Wirksamer behandeln
Hinter dem Mammografie-Screening steht der Gedanke, dass
Brustkrebs oft wirksam und weniger aggressiv behandelt werden kann, wenn er
früh genug erkannt wird. Die Brust bleibt erhalten, und die eigentlich
lebensbedrohliche Gefahr, die Metastasen, haben sich noch nicht gebildet. Vor der
Einführung des Screenings wertete die Bundesregierung randomisier-te Studien
aus, um herauszufinden, ob die Untersuchung den Tod durch Brustkrebs abwenden
kann. Die Antwort war einhellig: Die Mammografie vermindert die Zahl der
Todesfälle um 20 bis 30 Prozent.
Als die Cochrane Collaboration, ein international
angesehenes Netzwerk von Zigtausenden Wissenschaftlern und Ärzten, sich die
Frage einige Jahre später er-
neut vornahm, war der Tenor bewusst kritisch. Doch auch die
Ergebnisse von 2011 zeigen: Die Mammografie senkt die Brustkrebssterblichkeit —
und zwar um 15 Prozent, wie Studien an über einer halben Million Frauen
belegen. Der niedrigere Wert ist wohl teilweise dadurch bedingt, dass auch
jüngere Frauen bei den Untersuchungen berücksichtigt wurden.
„Das Mammografie-Screening kann Frauen vor dem Tod durch
Brustkrebs be-wahren", ist Tatjana Heinen-Kammerer überzeugt. Die
Geschäftsstellenleiterin der Kooperationsgemeinschaft Mammo-grafie betont: „Das
Robert-Koch-Institut hat ausgerechnet, dass es in Deutschland 2000 Frauen pro
Jahr sind. Und das ist ein großer Erfolg."
Immer wieder führen Kritiker Daten ins Feld, die gegen das
Screening sprechen. Und die stammen oft aus nur einer einzigen Studie. „Man
muss immer alle Studien betrachten, wenn man ein Gesamtbild haben will",
kontert Mammo-grafie-Expertin Heinen-Kammerer. Und sie moniert, dass die Gegner
Länder herauspicken, deren Erfahrungen mit dem Screening begrenzt sind.
Heinen-Kammerer stellt klar: „Man kann die Resultate aus
einem Land nicht auf ein anderes übertragen. Jedes Scree-ningprogramm ist
anders." Die Teilneh-merraten und die Qualitätskontrolle etwa weichen oft
deutlich voneinander ab. So hat man „auch nach 30 Jahren Mammo-grafie-Screening
in den USA so gut wie keinen Nutzen gefunden", sagt die Medizinerin Ingrid
Mühlhauser von der Universität Hamburg. Sie stützt sich auf eine
Veröffentlichung im angesehenen New England Journal of Medicine von 2013. In
Finnland hingegen ist die Brustkrebssterblichkeit seit Einführung der
Früherkennung laut Studien gesunken.
Das deutsche Mammografie-Screening ist bisher nicht
abschließend evaluiert, weil es erst seit 2009 flächendeckend läuft. Aber schon
jetzt berichten die Verantwortlichen, dass mehr kleine Geschwüre gefunden
würden. Von 100 Tumoren messen 30 bis 35 weniger als einen Zentimeter. Auch
Erika Schultz' Tumor fällt in diese Gruppe: Er ist nur neun Millimeter groß.
„Solche kleinen Knoten auf-spüren zu können, ist ein großer Erfolg. Örtlich
begrenzte Geschwüre haben die besten Therapiechancen", urteilt Heinen-Kammerer.
Kritiker entgegnen, dass beim Mam-mografie-Screening oft
falscher Alarm geschlagen würde. Tatsächlich haben von 50 angeschriebenen
Frauen nur 8 Krebs. Doch werden die Frauen mit falsch positiver Diagnose
wirklich schweren psychi-
schen Belastungen ausgesetzt, wie Kritiker ins Feld führen?
Und man darf nicht vergessen, dass die meisten Frauen nach dem Screening
beruhigt sind.
Die Gegner der Krebsfrüherkennungs-tests nehmen falsch
positive Befunde zum Anlass, eine ganze Untersuchung als sinnlos hinzustellen.
Beim Prostatakrebstest wird dieser Kritikpunkt besonders oft angeführt. Der
Wert des prostataspezi-fischen Antigens, kurz: PSA, dient als grobe
Richtschnur, ob ein Tumor vorhanden ist. Liegt der Gehalt über vier Nano-gramm
je Milliliter Blut, deutet das auf ei
ne Erkrankung hin. Kritiker bemängeln: Auch Patienten mit
geringerem Wert können krank sein — und solche mit höherem gesund (bild der
wissenschaft 9/14, „Welcher Tumor ist tödlich?").
Aus einer europaweiten Studie mit über 180000 Männern
zwischen 59 und 74 Jahren weiß man, dass drei Viertel derer, die das Limit von
vier Nanogramm je Milliliter überschreiten, keinen Krebs haben. Trotzdem ist
der PSA-Test besser als nichts. Patienten, die sich dem Test alle zwei Jahre
unterziehen, sterben seltener an einem solchen Tumor als Patienten, die sich
nicht untersuchen lassen. „Der Test rettet Leben", bringt es Fritz
Schröder, Krebsforscher von der Erasmus Univer-sität in Rotterdam, auf den
Punkt.
Zweifellos ist der PSA-Test nicht per-fekt. Das renommierte
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen monierte im
März 2013, mit der Methode würden zu oft Tumore gefunden, die nie Beschwerden
verursacht hätten. Doch da bislang niemand weiß, welche Tumore ungefährlich
sind und welche tödlich, ist es sinnvoll, jedes Geschwulst vorsorglich zu
entfernen. „Wir arbeiten hart daran, die gefährlichen von den harmlosen Tumoren
durch eine Korn-
bination von Ultraschall- und Magnet-resonanztomografie zu
unterscheiden", stellt Schröder in Aussicht. Dass das Screening noch nicht
perfekt ist, sollte nicht als Totschlagargument gegen die Vorsorge dienen.
Die meisten Krebsfrüherkennungsver-fahren entdecken Tumore
in frühen Stadien. Bei Darmkrebs ist das anders. Hier werden schon Vorstufen
aufgespürt und können entfernt werden. „Ein Großteil der Tumore lässt sich
damit verhindern. Verglichen mit anderen Krebsarten ist das eine Besonderheit",
sagt Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszen-trum in Heidelberg. Die
verlässlichste Methode ist die Darmspiegelung, die Ko-:oskopie. Eine
Alternative dazu sind immunologische Tests, die auf den roten Blutfarbstoff im
Stuhl ansprechen - die Kassen übernehmen jedoch bislang nicht die Kosten.
Schlägt ein solcher Test an, sollte eine Darmspiegelung folgen. Wenn der Arzt
dabei eine auffällige Wucherung endet, entfernt er diese sofort.
Allerdings gibt es bisher keine rando-isierte Studie zur
Wirksamkeit der Ko-_ l'skopie. Eine derzeit laufende Analyse frühestens Mitte
2020 Ergebnisse __,lern. Lediglich zur Sigmoidoskopie lie-zeri bereits
entsprechende Studien vor. Bei mieser auch als „kleine Darmspiegelung"
-zeichneten Untersuchung wird nur der -17.7.ere Teil des Dickdarms mit dem
Kolo-
skop ausgeleuchtet. „Studien zufolge wird die
Darmkrebssterblichkeit dadurch um etwa ein Drittel gesenkt", berichtet
Brenner. „Wir erwarten, dass die Effekte bei der Koloskopie höher sind, weil
der gesamte Darm angeschaut wird."
Vielen ist es unangenehm, einen Schlauch rektal eingeführt
zu bekommen. Doch dank kurzzeitiger Narkose mit Propofol bekommen die Patienten
davon üblicherweise nichts mit. „Die Risiken der Untersuchung sind sehr
gering", betont Brenner - vorausgesetzt, sie wird von einem erfahrenen
Arzt durchgeführt. Nach dem Abtragen eines Polypen können leichte Blutungen
auftreten. Lästig lediglich das Entleeren des Verdauungstraktes mit
Abführmitteln am Tag zuvor.
Bessere Information tut Not
Keine Frage: Jede medizinische Maßnahme birgt gewisse
Gefahren und kann im Einzelfall sogar nachteilig sein. Umso wichtiger ist es,
dass die Patienten gründlich informiert werden, ehe sie sich für oder gegen
eine Untersuchung entscheiden. Zu allen Vorsorgeprogrammen gibt es Broschüren.
Über Beratungstelefone, etwa das des Deutschen Krebsdienstes, können Fragen
gestellt werden. Betroffe-nenverbände und Interessengruppen geben ihre
Perspektiven und ihre Erfahrungen an die Patienten weiter.
Das Max-Planck-Institut für Bildungs-forschung monierte,
dass viele Ärzte nicht sachgerecht über die Mammografie aufklären würden. Eine
bessere Patienteninformation seitens der Ärzte tut dringend Not, schließt sich
Schröder dieser Kritik an: „Das kostet Zeit, mindestens eine Viertelstunde, für
die oft nur fünf Minuten abgerechnet werden können. Aber wir haben die
Verpflichtung, über Vorteile genau wie über Nachteile aufzuklären." Auch
im neuen Krebsregister- und Krebs-vorsorgegesetz ist die Beratung nicht
ausreichend verankert, kritisiert Mühlhauser.
Eines wird in der Debatte um die Vor-sorgemedizin oft
vergessen: Sie ist freiwillig, lediglich ein Angebot. Und wer die Vorsorge
abschaffen will, nimmt auch anderen die Möglichkeit, sich auf Krebs untersuchen
zu lassen.
Erika Schultz ist froh, das neun Millimeter große Objekt in
ihrer Brust los zu sein. Ob sie wieder am Mammografie-Screening teilnehmen
wird? „Natürlich", sagt sie ohne Zögern. Etwas mulmig ist ihr allerdings,
und sie hofft, dass sie dann zu den Millionen Frauen gehören wird,
die keinen Brief bekommen
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