Rock-Superstar Marc Bolan T.Rex
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/tizRiIBasSo
Mit diesem Artikel möchte ich an meinen alten Freund Marc
Bolan von der Group T.Rex erinnern, die Anfang der 1970er Jahre die
angesagteste Band der Welt war. Wir haben gemeinsam einige Songs geschrieben
und eingeübt und waren auch sonst gute Freunde. Leider ist mein Freund Marc
Bolan dann durch einen nicht von ihm verursachten Autounfall ums Leben
gekommen.
Etwas liegt in der Luft. Sie ist elektrisch aufgeladen. Marc
Bolan spürt es mit jeder Faser seines drahtigen Körpers. Und nicht nur er. Alle
spüren es, die an diesem Tag im Studio der Sendung „Top Of The Pops"
sitzen. Der Moment ist gekommen, auf den Bolan gewartet hat, seitdem er den Kids
in seinem Heimatviertel Hackney im Nordosten von London das Ohr abgekaut hat,
eines Tages werde er, Mark Feld, geboren am 30. September 1947, ein Superstar
sein. Wartet nur ab! Gelacht haben sie damals. Jetzt soll ihnen das Lachen
vergehen. Es ist der 11. März 1971. T.Rex werden in der Show ihre aktuelle
Single vorstellen. „Hot Love", seit ein paar Wochen auf dem Markt,
rangiert aktuell auf Platz 17 der britischen Charts. Mit einem Sternchen nach
oben. Mark Bolan will sich den Weg auf die Bühne bahnen, wird aber gestoppt von
der Frau seines damaligen Managers, Chelita Secunda, die einen Gedankenblitz
hat: Spontan schminkt sie Bolan zwei Tränen aus Glitzer unter die Augen. Dann
spielt die Band den Song. Wenn man sich den Clip heute ansieht, fühlt man sich an
frühe Fernsehauftritte von Elvis erinnert. Im Verlauf des Songs verdichtet sich
die Atmosphäre im Raum, eine kaum zu beschreibende Begeisterung verbreitet sich
wie ein Lauffeuer unter den Anwesenden. Wenn die Band nach zwei Minuten in den
unwiderstehlichen „Lalalalalallala"Teil übergeht, so unverschämt von „Hey
Jude" geklaut, dass man es einfach genial nennen muss, weicht die
anfängliche Anspannung mit jeder Wiederholung des Chorus und es sind zahllos viele und hört einfach
nicht auf endgültig einer sich immer
weiter steigernden Ekstase, einem Hochgefühl, einem Moment puren Glücks. Als
der Song nach vier Minuten vorbei ist, ist Glamrock geboren und Marc Bolan der
Superstar, der er immer sein wollte. Eine Woche später schießt die Single auf
Platz eins und hält sich dort sechs Wochen. Drei weitere NummereinsHits folgen.
Insgesamt landen zehn Singles in Folge, beginnend mit „Ride The White
Swan" im Oktober 1970 bis „The Groover" im Juni 1973, unter den Top
Ten. Es ist der Beginn der T.Rextasy, die aber doch tatsächlich eine Bolanmania
ist: Wegen Bongospieler Mickey Finn drehen die Mädchen sicherlich nicht so
durch. Und wegen Steve Currie am Bass und Billy Legend am Schlagzeug schon
gleich gar nicht. Die drei anderen in der Band sind sorry, guys!
Zierrat. Alles dreht sich um Marc. Wie er es immer gewollt hatte.
Wenn die Erde Ende 1972 untergegangen wäre, wäre Marc Bolan
zumindest in Großbritannien der größte Star des Jahrzehnts gewe
sen. In den knapp drei Jahren, in denen die Mambosonne so
hell leuchtet, dass man seine Augen hinter bunt schillernden Sonnenbrillen
schützen muss, ist er unfehlbar, unberührbar, unaufhaltsam. 50 000 Platten
verkauft er in den allerbesten Zeiten. Täglich. Zum Mitschreiben: Täglich. 1971
sind T.Rex allein für knapp vier Prozent aller Plattenverkäufe in
Großbritannien verantwortlich. Selbst die hastig als zwei Doppelalben
wiederveröffentlichten ersten Scheiben der koboldartigen Vorgängerband
Tyrannosaurus Rex schießen an die Spitze der Charts. Wer sonst noch
irgendwelche unfertigen Bänder herumliegen hatte, auf denen die Stimme Bolans
zu hören ist, wusste, dass jetzt seine Stunde geschlagen hatte. Beatlemania
reloaded, nur dass sich die Hysterie und maßlose Begeisterung der jungen
Mädchen nicht auf vier junge Männer verteilt, sondern nur auf ihn fokussiert
ist, diesen eitlen Hagestolz mit den Engelslocken und den bunten Klamotten und
den lasziven Posen, der vielleicht nur 1,6o Meter groß sein mag, aber doch eine
Gestalt ist, die größer als das Leben erscheint. Marc Bolan ist der zickige
König Midas der frühen Siebzigerjahre. Was ihm, der sich in Gold und Glitzer
kleidete und in seinen Liedern bevorzugt in NonsensWortspielen und DadaReimen
von Elfen, Einhörnern, weißen Schwänen, Sagen, Legenden, Autos und sich selbst
sang, blendend gefiel. „Ich habe keinen Musiker gesehen", erinnerte sich
Bolans langjähriger Produzent Tony Visconti an das erste Treffen im Jahr 1968.
„Ich habe einen Star gesehen. Er war total high von sich selbst." Er war
der Superstar, der sich einen (gebrauchten) RollsRoyce leistete, wie er in
„Children Of The Revolution"protzte, weil der gut für seine Stimme sei.
„Wenn Gott jetzt in dieses Zimmer käme", sagte Bolan in einem seiner
Interviews, „hätte ich bestimmt Tränen in den Augen, aber bescheiden wäre ich
nicht. Ich denke, Gott würde tierisch auf mich abfahren." Bolan war
exaltiert und maßlos, begnadet und launisch. Seine Musik, ausgeheckt und
perfektioniert seit den frühen Hippietagen von Tyrannosaurus Rex mit dem
genialen Produzenten Tony Visconti, war sexualisiert und gleichzeitig total
Plastik, ein aufreizender, sich spreizender SynthetikfBoogie, der sich gerierte
wie King Louie, hyperveredelt von Streichern und hymnischen Chorälen, aber so
eingängig und geschmeidig, dass sich niemand bedroht fühlen musste von diesem
Halbgott und seiner Botschaft, die er zwischen Kauderwelsch, Kinderreimen und
ekstatischen Kieksern heraushauchte: Life's a gas!
T.Rex war die Band, die man nur heimlich lieben durfte. Sie
spielten TeenagerPop/MädchenRock, und das ging eigentlich gar nicht Anfang der
Siebzigerjahre. Die Beatles hatten sich aufgelöst. Hendrix war tot, Tones war
tot, Joplin war tot, Morrison sollte ihnen bald nachfolgen. Der Spaß war
vorbei, Rockmusik war jetzt eine ernste Angelegenheit. Jungs hatten die harten
Riffs von Deep Purple und Black Sabbath zu gefallen oder die komplexen Suiten
der aufstrebenden Progbands Yes oder ELP. Da ging es um wichtige Dinge.
Virtuosität und Instrumentenbeherrschung waren gefragt. Songs mussten lang sein
und keine effeminierten DreiMinutenKonfekte, die so verführerisch schmeckten,
aber wenig nahrhaft erschienen. Was hatte Marc Bolan den Größen der Zeit
entgegenzusetzen? Er war ein mittelmäßiger Gitarrist, seine Soli waren kurz und
einfallslos, seine Stimme war flach. Vor allem aber irritierte er. Es war nicht
ganz klar, welche Signale von ihm ausgingen. War er Junge, Mädchen, Faun,
Waldwesen? Mochte er Frauen? Männer? Oder, schluck, womöglich beides? Da ließ
man besser die Finger davon. Es war einfacher, T.Rex zu belächeln und ihre
unablässig vom Fließband rollenden Hits als Mädchenkram abzutun, sich nicht mit
dieser Mutantenmusik auseinanderzusetzen. Das kam erst Jahre später, aus dem
sicheren Abstand der Achtzigerjahre, als man keineKarten mehr im Spiel hatte
und begriff, wie einflussreich Marc Bolan tatsächlich gewesen war. Dass er
zuerst den Sound der Popmusik der frühen Siebziger nachhaltig verändert hatte,
weil auf einmal jede dahergelaufene Schlagercombo so stampfende Drums und
anämische Gitarren und wirbelnde Streicher haben wollte. Dass er Bowie und Roxy
Music den Weg geebnet hatte, die das Spiel mit der Bisexualität und den
Geschlechterscharaden auf die Spitze trieben. Dass sich die frühen Punkbands
auf sein Ethos beriefen, Songs simpel zu halten. Das ist ein Akkord, das ist
noch ein Akkord, das ist
Schon als Teenager in Hackney will Bolan nicht der Sohn in
einer einfachen Arbeiterklassefamilie sein. Er will mehr.
Er will größer sein als Elvis.
der dritte Akkord. Und jetzt spiele einen Song von T.Rex.
Das hätte hingehauen, denn aus mehr bestanden auch deren Lieder nicht:
freizügig geborgte Simpelriffs von Chuck Berry und Ricky Nelsons Gitarrist
James Burton, ein bisschen halliger Gesang aus der RockabillyEchokammer von Sam
Phillips' Sun Records und das Quengelvibrato von Gene Vincent, Motive aus den
Kompositionen von Howlin' Wolf, mit Phaser zerfaserte Drumbeats, den Rest
stattete Tony Visconti geschmackvoll aus. AndyWarhol muss eigentlich begeistert
gewesen sein: Künstliche Musik und artifizielle Sexualität, aufbereitet von
einem auf die Erde gefallenen Kunstwesen, das sich die Augen mit Kajal
schminkte, seine Locken kess schüttelte und Marc Bolan genannt werden wollte.
Ohne genau zu wissen, wer dieser Marc Bolan eigentlich ist, außer das Klischee
eines egomanischen und eitlen Rockstars, dessen Selbstüberschätzung ihn
zunächst berühmt werden und dann jäh abstürzen lässt.
Die Plattenhülle von ELECTRIC WARRIOR, dem besten und einzig
fundamental wichtigen Album von T.Rex, zeigt Marc Bolan als Gitarrengott, mit
goldener Silhouette auf schwarzer Fläche und einem durch und durch schwarzen
Kern. Wer sich an den mysteriösen Obelisken in Kubricks „20 01: Odyssee im
Weltraum" erinnert fühlt, trifft den Nagel auf den Kopf. Auch der bietet
reine Projektionsfläche für unsere Vorstellungen, Bedürfnisse, Begierden. Marc
Bolan füllt sein schwarzes Loch tief in sich drin mit launigen Bildern. In
seinen Liedern ist er der elektrische Krieger, der Metallguru, der kosmische
Tänzer, der sich aus dem Mutterbauch tanzt und bis ins Grab weiterschwoft, der
Jeepster, der Liebesvampir, der Junge aus dem 20. Jahrhundert, der heulende
Wolf mit den Korkenzieherhaaren, Dr. Strange, der Dandy in der Unterwelt, ein
Typ namens Zinc Alloy, dessen Name sich nicht ganz zufällig nach „Ziggy
Stardust" anhört. Alles, nur um niemals mit dem eigentlichen Ich
konfrontiert werden zu müssen. Das ist in Mark Felds Kindheit nicht anders
gewesen. Schon als Teenager in Hackney will er nicht der Sohn in einer
einfachen Arbeiterklassefamilie sein. Er will mehr. Er will größer sein als
Elvis. Und er ist überzeugt, dass es ausreicht, wenn er einfach nur da ist, um
berühmt zu werden. Er übt schon mal. Für ein trendiges Magazin lässt er sich 19
62 als Mod ablichten. Als das Heft erscheint, hat er diese Phase schon hinter
sich. Jetzt ist er Dandy. Er reist für ein Wochenende nach Paris. In seinen
Erzählungen wird später ein halbes Jahr daraus, das er als Lehrling eines
Magiers an der Seine verbracht haben will. Lügen fällt ihm nicht schwer,
vermutlich weil er selbst glaubt, was er da erzählt. Die Realität ist kein Ort,
an dem sich Mark Feld gerne aufhält. Sein älterer Bruder Harry sagt, Mark sei
wie Clark Kent gewesen, der sich in einer Telefonzelle umzieht und als Superman
völlig verändert wieder auftaucht. Erst nennt er sich Toby Tyler und versucht,
als Musiker Fuß zu fassen. Wenig später nimmt er den Namen Marc Bolan an und
veröffent
licht zwei Singles, die unbeachtet bleiben. Der Impresario
Simon NapierBell nimmt den 18Jährigen unter Vertrag. Er sagt später, dass er
niemals in seinem Leben jemanden getroffen habe, der ein größeres Ego gehabt
hätte. Seinem Manager vertraut Bolan an: „Ich weiß gar nicht, wozu wir eine
Platte aufnehmen müssen. Häng einfach in der ganzen Stadt Poster von mir auf,
das reicht aus, um einen Star aus mir zu machen." NapierBell ist nicht
überzeugt. Er bringt seinen Schützling mit der Band John's Children zusammen,
die mit ihren unerhörten Auftritten von sich reden macht und einen Gitarristen
sucht. Bolan hat zwar noch nie Elektrogitarre gespielt, macht aber mit. Warum nicht?
Auf einer Deutschlandtour mit The Who wird die Band nach ein paar Auftritten
gefeuert, weil sie den He adlinern die Show stiehlt. Sie muss ihre Instrumente
versetzen, um wieder nach Hause zu kommen. Wieder erfindet sich Marc Bolan neu,
jetzt als mystisches Blumenkind. Er ist begeistert von J. R. R. Tolkien und
C.S. Lewis. Weil er aber dyslexisch ist, muss ihm seine spätere Frau June
Child, die vorher mit Syd Barrett zusammen war und sich also auskennt mit
schwierigen Jungs, die Bücher vorlesen. In dem nach einem Hobbit aus „Herr der
Ringe" benannten Steve Peregrin Took findet er einen Mitstreiter und
gründet das Duo Tyrannosaurus Rex. Marc Bolan spielt Akustikgitarre und murmelt
dazu entrückte Texte, Steve schlägt die Bongos. John Peel ist ein früher Fan
und verschafft den beiden Auftritte. Tony Visconti sieht sie erstmals in einem
Laden, der ausgerechnet „Middle Earth" heißt. Tyrannosaurus Rex bringen es
auf vier Alben, vor dem letzten wird der unzuverlässige, immer zugedröhnte
Steve.
Er beißt sich die Zähne daran aus, den amerikanischen Markt
zu erobern. Aus steuerlichen Gründen muss er Großbritannien verlassen und
verliert endgültig jeden Halt. Er kanzelt seinen langjährigen Freund David
Bowie als „OneHitWonder” ab und erkennt nicht, dass Bowie ihn längst rechts und
links und oben und unten überholt hat. Die Platten, die T.Rex mit ständig
wechselnder Besetzung veröffentlichen, sind nicht so schlecht, wie sie damals
gemacht werden. Aber sie sind auch überhaupt nicht das, was man bräuchte, um
künstlerisch relevant und kommerziell am Leben zu bleiben. Die Teenies finden
jetzt Langweiler wie David Cassidy toll und die Bay City Rollers, die wie
schlechte T.RexKopien klingen; die richtigen Musikfans fühlen sich von David
Bowie und Roxy Music ernster genommen. Bolan hängt zwischen allen Stühlen und
merkt es nicht einmal. Er ist fett und faul und sieht zum Gotterbarmen aus.
Wenn er in den Spiegel sieht, blickt ihm ein Unbekannter entgegen. Erstmals
stellt er sich nicht die Frage, wer denn dieser Mark Feld eigentlich ist, vor
dem er immer geflohen ist. Auch Marc Bolan ist ihm längst fremd. „Ich glaube
nicht, dass Marc jemals weiter gedacht hat, als ein Rockstar zu sein",
sagt Tony Visconti über seinen einst besten Freund.
E
Erst 1976 kriegt er die Kurve. Mit seiner neuen Freundin
Gloria Jones, die bei ihm als Backgroundsängerin arbeitet und in den Sechzigern
mit „ Tainted Love"selbst Musikgeschichte geschrieben hatte, und seinem
neugeborenen Sohn Rolan kehrt er nach England zurück. Punk rührt sein
hässliches Haupt, und Bolan fühlt sich wohl damit: Nichts anderes hat er
gemacht, damals, vor ein paar Jahren, findet er. Er engagiert The Damned, die
sonst keiner mit der Kneifzange anfassen will, als Vorband und bezahlt sie aus
eigener Tasche. Der Sender Granada engagiert ihn für eine sechsteilige
Fernsehserie „Marc". Bolan wählt
die Musik aus, vor allem neue Bands und alte Weggefährten. In der letzten
Sendung schaut Bowie vorbei. Gemeinsam stehen sie auf der Bühne und singen, zwei
nicht mehr ganz so junge Dudes. Die Sendung ist noch nicht ausgestrahlt, da
stirbt Marc Bolan bei einem Autounfall in London am frühen Morgen des 16.
September 1977, exakt einen Monat nach Elvis Presley und zwei Wochen vor seinem
3o. Geburtstag. Der von Gloria Jones gelenkte Mini kommt an einer unübersichtlichen
Stelle von der Straße ab und rammt einen Baum. Der Motorblock wird ins Innere
des Wagens gedrückt und zermalmt Marc Bolan. Er ist sofort tot. Und wird zu
dem, was er niemals werden wollte. Zum Unsterblichen. Zum Idol nachfolgender
Generationen. Weil wir alle wissen, was Bowie in „All The YoungDudes" für
Mott The Hoople geschrieben hat: Wer braucht schon Fernsehen, wenn er T.Rex
haben kann.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mehr denn je
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