Montag, 27. Juli 2015

Rock-Superstar Marc Bolan T.Rex


Rock-Superstar Marc Bolan T.Rex

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/tizRiIBasSo

Mit diesem Artikel möchte ich an meinen alten Freund Marc Bolan von der Group T.Rex erinnern, die Anfang der 1970er Jahre die angesagteste Band der Welt war. Wir haben gemeinsam einige Songs geschrieben und eingeübt und waren auch sonst gute Freunde. Leider ist mein Freund Marc Bolan dann durch einen nicht von ihm verursachten Autounfall ums Leben gekommen.

 

Etwas liegt in der Luft. Sie ist elektrisch aufgeladen. Marc Bolan spürt es mit jeder Faser seines drahtigen Körpers. Und nicht nur er. Alle spüren es, die an diesem Tag im Studio der Sendung „Top Of The Pops" sitzen. Der Moment ist gekommen, auf den Bolan gewartet hat, seitdem er den Kids in seinem Heimatviertel Hackney im Nordosten von London das Ohr abgekaut hat, eines Tages werde er, Mark Feld, geboren am 30. September 1947, ein Superstar sein. Wartet nur ab! Gelacht haben sie damals. Jetzt soll ihnen das Lachen vergehen. Es ist der 11. März 1971. T.Rex werden in der Show ihre aktuelle Single vorstellen. „Hot Love", seit ein paar Wochen auf dem Markt, rangiert aktuell auf Platz 17 der britischen Charts. Mit einem Sternchen nach oben. Mark Bolan will sich den Weg auf die Bühne bahnen, wird aber gestoppt von der Frau seines damaligen Managers, Chelita Secunda, die einen Gedankenblitz hat: Spontan schminkt sie Bolan zwei Tränen aus Glitzer unter die Augen. Dann spielt die Band den Song. Wenn man sich den Clip heute ansieht, fühlt man sich an frühe Fernsehauftritte von Elvis erinnert. Im Verlauf des Songs verdichtet sich die Atmosphäre im Raum, eine kaum zu beschreibende Begeisterung verbreitet sich wie ein Lauffeuer unter den Anwesenden. Wenn die Band nach zwei Minuten in den unwiderstehlichen „Lalalalalallala"Teil übergeht, so unverschämt von „Hey Jude" geklaut, dass man es einfach genial nennen muss, weicht die anfängliche Anspannung mit jeder Wiederholung des Chorus  und es sind zahllos viele und hört einfach nicht auf  endgültig einer sich immer weiter steigernden Ekstase, einem Hochgefühl, einem Moment puren Glücks. Als der Song nach vier Minuten vorbei ist, ist Glamrock geboren und Marc Bolan der Superstar, der er immer sein wollte. Eine Woche später schießt die Single auf Platz eins und hält sich dort sechs Wochen. Drei weitere NummereinsHits folgen. Insgesamt landen zehn Singles in Folge, beginnend mit „Ride The White Swan" im Oktober 1970 bis „The Groover" im Juni 1973, unter den Top Ten. Es ist der Beginn der T.Rextasy, die aber doch tatsächlich eine Bolanmania ist: Wegen Bongospieler Mickey Finn drehen die Mädchen sicherlich nicht so durch. Und wegen Steve Currie am Bass und Billy Legend am Schlagzeug schon gleich gar nicht. Die drei anderen in der Band sind  sorry, guys!  Zierrat. Alles dreht sich um Marc. Wie er es immer gewollt hatte.

Wenn die Erde Ende 1972 untergegangen wäre, wäre Marc Bolan zumindest in Großbritannien der größte Star des Jahrzehnts gewe

 

sen. In den knapp drei Jahren, in denen die Mambosonne so hell leuchtet, dass man seine Augen hinter bunt schillernden Sonnenbrillen schützen muss, ist er unfehlbar, unberührbar, unaufhaltsam. 50 000 Platten verkauft er in den allerbesten Zeiten. Täglich. Zum Mitschreiben: Täglich. 1971 sind T.Rex allein für knapp vier Prozent aller Plattenverkäufe in Großbritannien verantwortlich. Selbst die hastig als zwei Doppelalben wiederveröffentlichten ersten Scheiben der koboldartigen Vorgängerband Tyrannosaurus Rex schießen an die Spitze der Charts. Wer sonst noch irgendwelche unfertigen Bänder herumliegen hatte, auf denen die Stimme Bolans zu hören ist, wusste, dass jetzt seine Stunde geschlagen hatte. Beatlemania reloaded, nur dass sich die Hysterie und maßlose Begeisterung der jungen Mädchen nicht auf vier junge Männer verteilt, sondern nur auf ihn fokussiert ist, diesen eitlen Hagestolz mit den Engelslocken und den bunten Klamotten und den lasziven Posen, der vielleicht nur 1,6o Meter groß sein mag, aber doch eine Gestalt ist, die größer als das Leben erscheint. Marc Bolan ist der zickige König Midas der frühen Siebzigerjahre. Was ihm, der sich in Gold und Glitzer kleidete und in seinen Liedern bevorzugt in NonsensWortspielen und DadaReimen von Elfen, Einhörnern, weißen Schwänen, Sagen, Legenden, Autos und sich selbst sang, blendend gefiel. „Ich habe keinen Musiker gesehen", erinnerte sich Bolans langjähriger Produzent Tony Visconti an das erste Treffen im Jahr 1968. „Ich habe einen Star gesehen. Er war total high von sich selbst." Er war der Superstar, der sich einen (gebrauchten) RollsRoyce leistete, wie er in „Children Of The Revolution"protzte, weil der gut für seine Stimme sei. „Wenn Gott jetzt in dieses Zimmer käme", sagte Bolan in einem seiner Interviews, „hätte ich bestimmt Tränen in den Augen, aber bescheiden wäre ich nicht. Ich denke, Gott würde tierisch auf mich abfahren." Bolan war exaltiert und maßlos, begnadet und launisch. Seine Musik, ausgeheckt und perfektioniert seit den frühen Hippietagen von Tyrannosaurus Rex mit dem genialen Produzenten Tony Visconti, war sexualisiert und gleichzeitig total Plastik, ein aufreizender, sich spreizender SynthetikfBoogie, der sich gerierte wie King Louie, hyperveredelt von Streichern und hymnischen Chorälen, aber so eingängig und geschmeidig, dass sich niemand bedroht fühlen musste von diesem Halbgott und seiner Botschaft, die er zwischen Kauderwelsch, Kinderreimen und ekstatischen Kieksern heraushauchte: Life's a gas!

 

T.Rex war die Band, die man nur heimlich lieben durfte. Sie spielten TeenagerPop/MädchenRock, und das ging eigentlich gar nicht Anfang der Siebzigerjahre. Die Beatles hatten sich aufgelöst. Hendrix war tot, Tones war tot, Joplin war tot, Morrison sollte ihnen bald nachfolgen. Der Spaß war vorbei, Rockmusik war jetzt eine ernste Angelegenheit. Jungs hatten die harten Riffs von Deep Purple und Black Sabbath zu gefallen oder die komplexen Suiten der aufstrebenden Progbands Yes oder ELP. Da ging es um wichtige Dinge. Virtuosität und Instrumentenbeherrschung waren gefragt. Songs mussten lang sein und keine effeminierten DreiMinutenKonfekte, die so verführerisch schmeckten, aber wenig nahrhaft erschienen. Was hatte Marc Bolan den Größen der Zeit entgegenzusetzen? Er war ein mittelmäßiger Gitarrist, seine Soli waren kurz und einfallslos, seine Stimme war flach. Vor allem aber irritierte er. Es war nicht ganz klar, welche Signale von ihm ausgingen. War er Junge, Mädchen, Faun, Waldwesen? Mochte er Frauen? Männer? Oder, schluck, womöglich beides? Da ließ man besser die Finger davon. Es war einfacher, T.Rex zu belächeln und ihre unablässig vom Fließband rollenden Hits als Mädchenkram abzutun, sich nicht mit dieser Mutantenmusik auseinanderzusetzen. Das kam erst Jahre später, aus dem sicheren Abstand der Achtzigerjahre, als man keineKarten mehr im Spiel hatte und begriff, wie einflussreich Marc Bolan tatsächlich gewesen war. Dass er zuerst den Sound der Popmusik der frühen Siebziger nachhaltig verändert hatte, weil auf einmal jede dahergelaufene Schlagercombo so stampfende Drums und anämische Gitarren und wirbelnde Streicher haben wollte. Dass er Bowie und Roxy Music den Weg geebnet hatte, die das Spiel mit der Bisexualität und den Geschlechterscharaden auf die Spitze trieben. Dass sich die frühen Punkbands auf sein Ethos beriefen, Songs simpel zu halten. Das ist ein Akkord, das ist noch ein Akkord, das ist

Schon als Teenager in Hackney will Bolan nicht der Sohn in einer einfachen Arbeiterklassefamilie sein. Er will mehr.

Er will größer sein als Elvis.

der dritte Akkord. Und jetzt spiele einen Song von T.Rex. Das hätte hingehauen, denn aus mehr bestanden auch deren Lieder nicht: freizügig geborgte Simpelriffs von Chuck Berry und Ricky Nelsons Gitarrist James Burton, ein bisschen halliger Gesang aus der RockabillyEchokammer von Sam Phillips' Sun Records und das Quengelvibrato von Gene Vincent, Motive aus den Kompositionen von Howlin' Wolf, mit Phaser zerfaserte Drumbeats, den Rest stattete Tony Visconti geschmackvoll aus. AndyWarhol muss eigentlich begeistert gewesen sein: Künstliche Musik und artifizielle Sexualität, aufbereitet von einem auf die Erde gefallenen Kunstwesen, das sich die Augen mit Kajal schminkte, seine Locken kess schüttelte und Marc Bolan genannt werden wollte. Ohne genau zu wissen, wer dieser Marc Bolan eigentlich ist, außer das Klischee eines egomanischen und eitlen Rockstars, dessen Selbstüberschätzung ihn zunächst berühmt werden und dann jäh abstürzen lässt.

Die Plattenhülle von ELECTRIC WARRIOR, dem besten und einzig fundamental wichtigen Album von T.Rex, zeigt Marc Bolan als Gitarrengott, mit goldener Silhouette auf schwarzer Fläche und einem durch und durch schwarzen Kern. Wer sich an den mysteriösen Obelisken in Kubricks „20 01: Odyssee im Weltraum" erinnert fühlt, trifft den Nagel auf den Kopf. Auch der bietet reine Projektionsfläche für unsere Vorstellungen, Bedürfnisse, Begierden. Marc Bolan füllt sein schwarzes Loch tief in sich drin mit launigen Bildern. In seinen Liedern ist er der elektrische Krieger, der Metallguru, der kosmische Tänzer, der sich aus dem Mutterbauch tanzt und bis ins Grab weiterschwoft, der Jeepster, der Liebesvampir, der Junge aus dem 20. Jahrhundert, der heulende Wolf mit den Korkenzieherhaaren, Dr. Strange, der Dandy in der Unterwelt, ein Typ namens Zinc Alloy, dessen Name sich nicht ganz zufällig nach „Ziggy Stardust" anhört. Alles, nur um niemals mit dem eigentlichen Ich konfrontiert werden zu müssen. Das ist in Mark Felds Kindheit nicht anders gewesen. Schon als Teenager in Hackney will er nicht der Sohn in einer einfachen Arbeiterklassefamilie sein. Er will mehr. Er will größer sein als Elvis. Und er ist überzeugt, dass es ausreicht, wenn er einfach nur da ist, um berühmt zu werden. Er übt schon mal. Für ein trendiges Magazin lässt er sich 19 62 als Mod ablichten. Als das Heft erscheint, hat er diese Phase schon hinter sich. Jetzt ist er Dandy. Er reist für ein Wochenende nach Paris. In seinen Erzählungen wird später ein halbes Jahr daraus, das er als Lehrling eines Magiers an der Seine verbracht haben will. Lügen fällt ihm nicht schwer, vermutlich weil er selbst glaubt, was er da erzählt. Die Realität ist kein Ort, an dem sich Mark Feld gerne aufhält. Sein älterer Bruder Harry sagt, Mark sei wie Clark Kent gewesen, der sich in einer Telefonzelle umzieht und als Superman völlig verändert wieder auftaucht. Erst nennt er sich Toby Tyler und versucht, als Musiker Fuß zu fassen. Wenig später nimmt er den Namen Marc Bolan an und veröffent

 

licht zwei Singles, die unbeachtet bleiben. Der Impresario Simon NapierBell nimmt den 18Jährigen unter Vertrag. Er sagt später, dass er niemals in seinem Leben jemanden getroffen habe, der ein größeres Ego gehabt hätte. Seinem Manager vertraut Bolan an: „Ich weiß gar nicht, wozu wir eine Platte aufnehmen müssen. Häng einfach in der ganzen Stadt Poster von mir auf, das reicht aus, um einen Star aus mir zu machen." NapierBell ist nicht überzeugt. Er bringt seinen Schützling mit der Band John's Children zusammen, die mit ihren unerhörten Auftritten von sich reden macht und einen Gitarristen sucht. Bolan hat zwar noch nie Elektrogitarre gespielt, macht aber mit. Warum nicht? Auf einer Deutschlandtour mit The Who wird die Band nach ein paar Auftritten gefeuert, weil sie den He adlinern die Show stiehlt. Sie muss ihre Instrumente versetzen, um wieder nach Hause zu kommen. Wieder erfindet sich Marc Bolan neu, jetzt als mystisches Blumenkind. Er ist begeistert von J. R. R. Tolkien und C.S. Lewis. Weil er aber dyslexisch ist, muss ihm seine spätere Frau June Child, die vorher mit Syd Barrett zusammen war und sich also auskennt mit schwierigen Jungs, die Bücher vorlesen. In dem nach einem Hobbit aus „Herr der Ringe" benannten Steve Peregrin Took findet er einen Mitstreiter und gründet das Duo Tyrannosaurus Rex. Marc Bolan spielt Akustikgitarre und murmelt dazu entrückte Texte, Steve schlägt die Bongos. John Peel ist ein früher Fan und verschafft den beiden Auftritte. Tony Visconti sieht sie erstmals in einem Laden, der ausgerechnet „Middle Earth" heißt. Tyrannosaurus Rex bringen es auf vier Alben, vor dem letzten wird der unzuverlässige, immer zugedröhnte Steve.

Er beißt sich die Zähne daran aus, den amerikanischen Markt zu erobern. Aus steuerlichen Gründen muss er Großbritannien verlassen und verliert endgültig jeden Halt. Er kanzelt seinen langjährigen Freund David Bowie als „OneHitWonder” ab und erkennt nicht, dass Bowie ihn längst rechts und links und oben und unten überholt hat. Die Platten, die T.Rex mit ständig wechselnder Besetzung veröffentlichen, sind nicht so schlecht, wie sie damals gemacht werden. Aber sie sind auch überhaupt nicht das, was man bräuchte, um künstlerisch relevant und kommerziell am Leben zu bleiben. Die Teenies finden jetzt Langweiler wie David Cassidy toll und die Bay City Rollers, die wie schlechte T.RexKopien klingen; die richtigen Musikfans fühlen sich von David Bowie und Roxy Music ernster genommen. Bolan hängt zwischen allen Stühlen und merkt es nicht einmal. Er ist fett und faul und sieht zum Gotterbarmen aus. Wenn er in den Spiegel sieht, blickt ihm ein Unbekannter entgegen. Erstmals stellt er sich nicht die Frage, wer denn dieser Mark Feld eigentlich ist, vor dem er immer geflohen ist. Auch Marc Bolan ist ihm längst fremd. „Ich glaube nicht, dass Marc jemals weiter gedacht hat, als ein Rockstar zu sein", sagt Tony Visconti über seinen einst besten Freund.

E

Erst 1976 kriegt er die Kurve. Mit seiner neuen Freundin Gloria Jones, die bei ihm als Backgroundsängerin arbeitet und in den Sechzigern mit „ Tainted Love"selbst Musikgeschichte geschrieben hatte, und seinem neugeborenen Sohn Rolan kehrt er nach England zurück. Punk rührt sein hässliches Haupt, und Bolan fühlt sich wohl damit: Nichts anderes hat er gemacht, damals, vor ein paar Jahren, findet er. Er engagiert The Damned, die sonst keiner mit der Kneifzange anfassen will, als Vorband und bezahlt sie aus eigener Tasche. Der Sender Granada engagiert ihn für eine sechsteilige Fernsehserie  „Marc". Bolan wählt die Musik aus, vor allem neue Bands und alte Weggefährten. In der letzten Sendung schaut Bowie vorbei. Gemeinsam stehen sie auf der Bühne und singen, zwei nicht mehr ganz so junge Dudes. Die Sendung ist noch nicht ausgestrahlt, da stirbt Marc Bolan bei einem Autounfall in London am frühen Morgen des 16. September 1977, exakt einen Monat nach Elvis Presley und zwei Wochen vor seinem 3o. Geburtstag. Der von Gloria Jones gelenkte Mini kommt an einer unübersichtlichen Stelle von der Straße ab und rammt einen Baum. Der Motorblock wird ins Innere des Wagens gedrückt und zermalmt Marc Bolan. Er ist sofort tot. Und wird zu dem, was er niemals werden wollte. Zum Unsterblichen. Zum Idol nachfolgender Generationen. Weil wir alle wissen, was Bowie in „All The YoungDudes" für Mott The Hoople geschrieben hat: Wer braucht schon Fernsehen, wenn er T.Rex haben kann.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mehr denn je


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